Tokyo Leipzig - Tokyo. Die Weltuniversität Leipzig zwischen 1870 und 1909. Dr. Jens Blecher, Direktor des Universitätsarchivs Leipzig



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Transkript:

Tokyo Leipzig - Tokyo. Die Weltuniversität Leipzig zwischen 1870 und 1909. Dr. Jens Blecher, Direktor des Universitätsarchivs Leipzig Fast 9000 Kilometer Luftlinie trennen Tokyo und Leipzig, geographisch betrachtet, liegen Sachsen und Japan auf der jeweils anderen Seite des Globus. Eine Reise nach Japan dauert heute mit dem Flugzeug gut 20 Stunden, doch vor hundert Jahren war diese enorme Distanz nur mühsam zu überwinden. Erst mit dem Dampfschiff und der Eröffnung des Suezkanals verkürzte sich die Reisezeit zwischen Hamburg und Japan von etwa 200 auf gut 100 Tage. Um 1870 wird eine regelmäßige Schifffahrtslinie zwischen Hamburg und China eröffnet und seit dem Jahr 1900 verkehrt ein Reichspostdampfer regulär zwischen Yokohama und Hamburg. Eine erhebliche Reisebeschleunigung bot jedoch erst der Landweg. Denn um das Jahr 1904, mit der Transsibirischen Eisenbahn, werden im Personenverkehr kürzeste Reisezeiten von etwa 20 Tagen möglich. So erscheint es uns heute verwunderlich, dass ungeachtet langer Reisewege bis zum Ersten Weltkrieg mehr als 200 Japaner nach Leipzig kommen, um hier zu studieren. Was bewegte sie dazu und warum besuchten sie gerade deutsche Universitäten? Japan versuchte mit den Meiji-Reformen (ab 1868) einen gewaltigen Sprung von der feudalen Gesellschaft in die Moderne. Dazu war es dringend notwendig, den technologischen und gesellschaftlichen Anschluss an die europäischen Staaten herzustellen. Etwa 1700 Japaner, darunter nur eine einzige Frau, 1 besuchten zwischen 1870 und 1914 Deutschland, einen wirtschaftlich und politisch als besonders fortschrittlich geltenden Staat. Tatsächlich gelingt es dem japanischen Kaiserreich, durch eine geschickte Politik und dank einer aufnahmebereiten und veränderungswilligen Bevölkerung fruchtbare Modernisierungsimpulse zu setzen. Insbesondere die Medizin und das deutsche Rechtssystem gelten in Japan bald als Vorbild: die japanische Verfassung scheint eine wenig veränderte Übersetzung der preußischen Konstitution zu sein und auch das Straf- und Zivilrecht besitzt viele Ähnlichkeiten mit dem deutschen Prozessrecht. Aber auch in der Literatur, der Philosophie, der Pädagogik, bis hin zur Finanzwirtschaft und dem Bankwesen werden viele westliche Ideen und Anregungen in Japan aufgegriffen. In den 1880er Jahren gehen sogar zwei Drittel aller japanischen Auslandsstudenten nach Deutschland. Mit den positiven Berichten der Rückkehrer erhöht sich offenbar auch die Anziehungskraft nach der 1 Hartmann, Rudolf: Japanische Studenten an deutschen Universitäten und Hochschulen 1868-1914, Berlin 2005, S. 8: Urata Tadako, Studium der Medizin in Marburg 1903-1905.

2 Jahrhundertwende besuchen sogar drei Viertel der japanischen Auslandstudenten eine deutsche Hochschule. War nun das Deutsche Reich eine Art Modellstaat für Ostasien, so musste auch die Universität Leipzig in den Blickpunkt der japanischen Stipendienpolitik geraten. Allerdings, und hier findet sich eine erste Überraschung, kann die Berliner Universität weitaus mehr Studenten anlocken als ihre traditionellen Konkurrenten. Im deutschen Kaiserreich schreiben sich rund 750 Japaner an der Berliner Universität als Studenten ein in Leipzig, München und Göttingen sind es zusammen kaum 550. Für die Leipziger Japaner ergibt sich einen weitere Abweichung: an allen vier genannten Universitäten dominieren die japanischen Medizinstudenten oder angehende Juristen nur in Leipzig nicht. An der Leipziger Juristenfakultät schreiben sich 32 Japaner ein, an der Medizinischen Fakultät sind 41 japanische Herren immatrikuliert. Doch 84 Personen schreiben sich in der Philosophischen Fakultät ein und besuchen lieber Vorlesungen in den Wirtschafts-, Sprach- und Naturwissenschaften. Woher kommt diese Diskrepanz? Was waren die prägenden Elemente der Leipziger Universität in jener Zeit? Im Vergleich mit anderen europäischen Metropolen war und ist Leipzig eine eher kleine Großstadt. Noch viel mehr galt das um 1870 herum. Überschaubar, von mäßigem Umfang und durch mittelalterliche Stadtstrukturen geprägt, so charakterisiert der weltberühmte Psychologe Wilhelm Wundt 2 bei seinem Amtsantritt 1875 die Leipziger Verhältnisse. 3 Doch gut dreißig Jahre später gilt Leipzig als eine der urbanen Metropolen in Europa - auf dem besten Wege hin zu einer Millionenstadt. Spätestens um 1910 ist die Pleißestadt von einer bürgerlich geprägten Handelsstadt zu einer modernen Großstadt geworden. Urbanisierung und Modernisierung sind dabei die entscheidenden Schlagworte, die die rasante Entwicklung Leipzigs begleiten doch das gilt auch für andere deutsche Universitätsstädte. Allerdings wird in Sachsen die Wissenschaftsentwicklung durch den Staat erheblich gefördert. Nach der Reichseinigung von 1870 begann für die Universität Leipzig eine neue Ära, ein goldenes Zeitalter wurde von positiven Entwicklungen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft begleitet. 2 1832-1920, in Leipzig seit 1875 Prof. für Psychologie. 3 Czok, Karl: Der Höhepunkt der bürgerlichen Wissenschaftsentwicklung 1871 bis 1917, in: Rathmann, Lothar (Hg.): Alma mater lipsiensis. Geschichte der Karl-Marx-Universität Leipzig, Leipzig 1984, S. 191-228, S. 191.

3 Im Frühjahr 1871 war ein Leipziger Professor, Carl Friedrich von Gerber, 4 als Kultusminister nach Dresden berufen worden. Sein politisches Programm kombinierte Wissenschaftsfreiheit und Bürokratieabbau mit staatlicher Forschungsförderung. Der steigende Finanzetat für die Universität Leipzig war jedoch nicht allein den Intentionen des Kultusministers geschuldet. Forschungs- und Arbeitskräftebedarf in der Wirtschaft, ebenso der wachsende Personalbedarf im öffentlichen Sektor, sorgten für den gesellschaftlichen Rückhalt des kostenintensiven Hochschulausbaus. Nicht zuletzt entwickelte sich zwischen den in Bildungsfragen weithin selbstständigen deutschen Bundesstaaten ein Konkurrenzverhältnis, das sich auch in der Hochschulfinanzierung nachweisen lässt. Während Preußen und Bayern für ihre Universitäten um die Jahrhundertwende bis zu einem Prozent der Gesamtausgaben reservieren, so kann die Universität Leipzig über gut 3 Prozent des sächsischen Landesetats verfügen. 5 Das Königreich Sachsen zahlte um 1906 für jeden Studienplatz in Leipzig etwa 700 Mark als Zuschuss, während die preußische Hauptstadtuniversität in Berlin ein Fünftel weniger zur Verfügung hatte. 6 Leipzig hatte sich seinen führenden Platz in den rasch expandierenden Naturwissenschaften einerseits durch die Finanzausstattung, andererseits durch kluge Berufungspolitik, oft noch in Verbindung mit geplanten Institutsneubauten, erringen können. Aus Finanzierung, Baugeschehen und wissenschaftlichem Erfolg ergab sich eine perfekte Symbiose. Die Neubauten füllten sich nach der Errichtung bald mit wissenschaftlichem Leben, und die Institutsdirektoren zählten zu den bedeutendsten Fachvertretern in Europa. Unter derart exzellenten Bedingungen war es für Leipziger Professoren über lange Jahrzehnte hinweg uninteressant, die Universität in Richtung einer anderen Hochschule zu verlassen. Was für Japaner kamen nach Leipzig? Betrachtet man die Lebenswege der japanischen Studenten, so wird schnell klar, dass nur wenige direkt aus Japan nach Leipzig kamen, vielmehr haben etwa zwei Drittel bereits an einer anderen deutschen Universität studiert. Im Vergleich mit den deutschen Kommilitonen sind sie auch viel älter, fast 10 Jahre 4 Karl Friedrich Wilhelm Gerber, ab 1859 von Gerber (1823-1891, seit 1863 ordentlicher Professor des deutschen Privat- und Staatsrechts sowie des Kirchenrechts in Leipzig). Gerber war selbst zwei Jahre lang, 1865 und erneut 1866, Rektor der Leipziger Universität gewesen. Er bekleidete sein Kultusministeramt bis ins Jahr 1891 - in der ADB, Band 49 (1904), S. 291 ff. werden seine Verdienste als Minister gewürdigt. 5 Ullmann, Hans-Peter: Ponderare non numerare? Überlegungen zu den Finanzen deutscher Universitäten im langen 19. Jahrhundert, in: Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag, hrsg. von Armin Kohnle und Frank Engehausen, Stuttgart 2001, 159 173, S. 162. 6 Eulenburg, Franz: Die Entwicklung der Universität Leipzig in den letzten hundert Jahren. Statistische Untersuchungen, Leipzig 1909; ND der Ausgabe von 1909, mit einem Nachwort von Gerald Wiemers (= Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 13), Leipzig 1995, S. 143-145 und S. 171.

4 Lebenserfahrung haben sie ihren Mitstudenten voraus. Einer der ältesten Studenten seines Jahrgangs dürfte der Arzt Juichiro Matsumoto aus Hyogo gewesen sein, der 1908 im Alter von 44 Jahren ein Studium in Leipzig beginnt. Die Studienlänge unterscheidet sich jedoch kaum vom deutschen Durchschnitt nach drei Semestern verlassen auch die meisten Japaner wieder die Universität Leipzig. Überdurchschnittlich hoch ist im Vergleich dazu die Promotionsrate: 17 Japaner promovieren in Leipzig, gut zwei Drittel davon erwerben einen Doktor der Philosophie. Für die japanischen Studenten gelten Fleiß, Strebsamkeit, Unauffälligkeit als wichtige Eigenschaften, lediglich zwei Japaner werden an der Universität auffällig, einer davon war Tokutaro Makoshi, der seit 1903 für Wirtschaftswissenschaft immatrikuliert war. Nach einer Kneipenrunde mit anschließender nächtlicher Ruhestörung kommt er in Konflikt mit der Polizei und erhält eine Woche Karzer als Strafe. Makoshi wird später in Japan übrigens Direktor einer großen Brauerei, die nach deutschem Vorbild Bier herstellt. Lassen Sie mich ein kurzes Resümee versuchen: Die japanischen Studenten geben der Leipziger Universität in der Regel keinen Grund zur Sorge, sie verschwinden nahezu in der Masse der anderen Kommilitonen und zeichnen sich in der Regel durch eine hohe Wissenschaftsaffinität aus. Die Beziehung zwischen Japan und Sachsen, zwischen Tokyo und Leipzig scheint auf den ersten Blick recht einseitig gewesen zu sein. Aus Leipziger Sicht kommen Japaner und verschwinden dann einfach wieder. Doch der Schein trügt. Schon 1909, zur 500-Jahrfeier der Universität Leipzig finden sich dazu Indizien. Die Universitäten Kyoto und Tokyo, zu jener Zeit von Leipzig aus gesehen eher kleine und junge Universitäten (1897 bzw. 1877 gegründet), werden zu den Feierlichkeiten nach Leipzig eingeladen. Besonders die Grußadresse aus Kyoto betont, dass die Universität Leipzig wohl zu den wenigen Universitäten in der Welt gehört, die sich besonders für japanische Geschichte und Literatur interessieren. Insbesondere der weit gerühmte Leipziger Historiker Karl Lamprecht beschäftigt sich intensiv mit Japan und ist von der Parallelität vieler historischer Ereignisse geradezu fasziniert. In seiner Antrittsrede als Leipziger Universitätsrektor im Jahr 1910 widmet er diesen Untersuchungen weite Passagen. Ein gutes Dutzend weiterer Doktorarbeiten in der Philosophischen Fakultät untersucht naturwissenschaftliche Themen mit Japanbezug. Die Anhänglichkeit der japanischen Studenten an ihre Leipziger Lehrer und an die Universität erscheint uns noch heute menschlich allzu verständlich. Ihre gemeinsame Verbundenheit mit der Leipziger Universität demonstrieren die Alumni im fernen Japan im Jahre 1909 durch eine gemeinsame Feier parallel zur Festwoche in Leipzig. Überhaupt war die im Januar 1898 gegründete Leipziger Vereinigung" in Tokyo sehr aktiv. Sie versuchte einen Austausch unter den Japanern zu bewirken, die

5 entweder in Leipzig studiert oder sich längere Zeit hier aufgehalten hatten. Einmal im Monat versammelten sich die Herren, bei deutschem Bier und Eisbein, um die Geselligkeit untereinander zu pflegen. Von den gut 200 Mitgliedern dieser Leipziger Vereinigung in Japan war gut ein Fünftel an den Tokyoter Hochschulen als Professoren tätig. 1914 endete diese Beziehung abrupt, denn ab dem 23. August 1914 befand sich Japan im Kriegszustand mit Deutschland. Und wieder trifft es den schon erwähnten Tokutaro Makoshi, der sich gemeinsam mit seinem Kommilitonen Tomonoba aus Tokyo und den Professoren Takidani (Kobe), Nogami (Kyoto) und Nagasaki (Osaka) gerade in Leipzig aufhält. Sie alle gelten nun als feindliche Ausländer, viele von ihnen werden von Vermietern aus ihren Wohnungen geworfen, die Pässe werden eingezogen und sie erhalten keine Gelder mehr von zu Hause, können Deutschland aber auch nicht verlassen. Nach dem Weltkrieg dauert es recht lange, ehe 1921 wieder die ersten Japaner nach Leipzig kommen und diesmal kommen sie gezielt aus Japan direkt nach Leipzig. Auffällig ist, dass vor allem Japaner aus den größeren Städten kommen, in denen ehemalige Leipziger Alumni als Professoren wirkten, so aus Kyoto und Toyko. Doch es sind deutlich weniger Studenten als vor dem Krieg und nun scheint sich auch das Anziehungsgefälle geändert zu haben. Leipzig beginnt sich wissenschaftlich stärker für Japan zu interessieren als bisher. 1930 fährt der erste Austauschstudent aus Leipzig nach Japan und in den nächsten Jahren ermöglichen Japanische Stiftungen Leipziger Wissenschaftlern die ersten Reise- und Kontaktmöglichkeiten. Tokyo Leipzig Tokyo, mein Vortrag hat einen weiten Bogen über Kontinente und Zeiten geschlagen. Im Jahre 1873 hat sich der erste Japaner in Leipzig immatrikuliert, ich denke, wir sollten uns über diese traditionelle Beziehung freuen und die Kontakte weiter intensivieren.

6 10 9 8 Japanische Studenten an der Universität Leipzig, 1873 1933 Immatrikulationen 7 6 5 4 3 2 1 0 1873 1875 1877 1879 1881 1883 1885 1887 1889 1891 1893 1895 1897 1899 1901 1903 1905 1907 1909 1911 1913 1915 1917 1919 1921 1923 1925 1927 1929 1931 1933 absolute Zahlen