Absolute Stetigkeit von Maßen

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5.1 Drei wichtige Beweistechniken Erklärungen zu den Beweistechniken... 56

Transkript:

Absolute Stetigkeit von Maßen Definition. Seien µ und ν Maße auf (X, Ω). Dann heißt ν absolut stetig bezüglich µ (kurz ν µ ), wenn für alle A Ω mit µ(a) = 0 auch gilt dass ν(a) = 0. Lemma. Sei ν ein endliches Maß. Dann ist ν genau dann absolut stetig bezüglich µ wenn zu jedem ε > 0 ein δ > 0 existiert sodass µ(a) < δ ν(a) < ε A Ω Beweis. Gelte ν µ und sei ε > 0. Annahme: es gibt eine Folge (A n ) Ω mit µ(a n ) < 1 und ν(a n n ) ε. Sei A = lim sup A n = A n. Für jedes k N gilt dann A n=k k=1 n=k A n, folglich µ(a) n=k Weil ν endlich ist, gilt (siehe früher) ν(a) = ν(lim sup A n ) lim sup ν(a n ) ε. Dies ist ein Widerspruch zu ν µ. µ(a n ) 1 k 1. Also µ(a) = 0. Umgekehrt gelte µ(a) = 0. Dann ist nach Voraussetzung ν(a) < ε für jedes ε > 0. Also ν(a) = 0. Definition. Sei µ ein Maß auf (X, Ω) und A Ω. Dann heißt µ konzentriert auf A, wenn µ(e) = µ(a E) für alle E Ω gilt. Zwei Maße λ 1 und λ heißen zueinander singulär, wenn es zwei Mengen A, B Ω mit A B = und A B = X gibt sodass λ 1 auf A und λ auf B konzentriert sind. Man schreibt λ 1 λ. Definition. Eine Mengenfunktion µ : Ω R bzw. µ : Ω C heißt ein signiertes bzw. komplexes Maß, wenn 1

1. µ( ) = 0. µ( A n ) = µ(a n ), A n Ω Hier muß die Reihe absolut konvergieren. Weiters dürfen komplexe Maße nicht den Wert annehmen. Signierte Maße dürfen nur einen der beiden Werte ± annehmen. Definition. 1. Sei µ : Ω R ein signiertes Maß. P Ω heißt positiv, wenn µ(a) 0 für alle A Ω mit A P gilt.. N Ω heißt negativ, wenn µ(a) 0 für alle A Ω mit A N gilt. 3. Ist µ ein signiertes oder komplexes Maß, dann heißt Q Ω eine Nullmenge, wenn µ(a) = 0 für alle A Ω mit A Q gilt. Im folgenden sind wir daran interessiert, ein positives Maß λ zu finden, das ein komplexes Maß µ im Sinne von µ(e) λ(e) beschränkt. Wir wollen auch, dass λ möglichst klein ist. Jede Lösung dieses Problems (falls überhaupt eine existiert) muß dabei die Bedingung λ(e) = λ(e i ) µ(e i ) erfüllen, wobei die E i eine Partition von E bilden. Definition. Zu einem komplexen Maß µ ist das Variationsmaß µ definiert als µ (E) = sup { µ(e i ) : E = E i } ( µ heißt auch Totalvariation von µ) Satz. (ohne Beweis) µ ist tatsächlich ein Maß. Darüberhinaus ist µ (X) <.

Bemerkung. Ist µ ein signiertes Maß, dann sind durch µ + = 1 ( µ + µ) und µ = 1 ( µ µ) wieder Maße gegeben, wobei µ wie vorher definiert ist. Es gilt µ = µ + µ. Die Maße µ + und µ heißen die positive bzw. negative Variation von µ. Weitere Eigenschaften. (Beweise zur Übung) Seien λ, λ 1 und λ signierte bzw. komplexe Maße auf Ω und µ ein Maß auf Ω. Dann gilt 1. Wenn λ auf A konzentriert ist, dann auch λ.. λ 1 λ λ 1 λ 3. λ 1 µ und λ µ λ 1 + λ µ 4. λ 1 µ und λ µ λ 1 + λ µ 5. λ µ λ µ 6. λ 1 µ und λ µ λ 1 λ 7. λ µ und λ µ λ = 0 Für den Beweis des nachfolgenden Satzes benötigen wir die folgende Charakterisierung der σ-endlichkeit eines Maßraumes. Lemma. Ein Maß µ ist genau dann σ-endlich, wenn es eine integrierbare Funktion h auf X gibt mit 0 < h(x) < für alle x X. Beweis. Sei µ σ-endlich. Dann ist X = A n mit µ(a n ) < für jedes n N. Des weiteren gibt es Zahlen r n > 0 mit r n 1 und n µ(a n ) r n 1. n Für die Funktion h = r n χ An ergibt sich aus dem Satz über die monotone Konvergenz, dass sie integrierbar ist. Weil die Mengen A n X überdecken, gilt h > 0. die Menge 3

Zum Beweis der Umkehrung definieren wir Mengen A n = {x X : h(x) 1 n }. Diese bilden wegen 0 < h(x) < eine Überdeckung von X. Wegen χ An n h gilt µ(a n ) n X hdµ <. Satz. (Radon-Nikodym) Sei µ ein σ-endliches Maß auf (X, Ω) und ν ein endliches Maß auf (X, Ω) mit ν µ. Dann gibt es eine (f.ü.) eindeutig bestimmte Funktion f L 1 (X, µ) sodass ν(e) = E fdµ E Ω. Die Funktion f heißt die Radon-Nikodym-Dichte von ν bezüglich µ und man schreibt f = dν dµ. Beweis. Wir zeigen die Aussage zuerst für ein endliches Maß µ. Dazu betrachten wir die Menge S = {f L 1 (X, µ) : fdµ ν(e) E Ω}. Auf S betrachten wir die Partialordnung f g f(x) g(x) fast überall S = weil f = 0 S. E Schritt 1. Sei f S und A Ω mit A fdµ < ν(a). Wir erwähnen ohne Beweis, dass in diesem Fall ein g S existiert mit f g und f g. Schritt. Wir wollen das Lemma von Zorn anwenden, um die Existenz eines maximalen Elementes in S nachzuweisen, das dann wegen Schritt 1. die gesuchte Dichte sein muß. Dazu betrachten wir eine linear geordnete Teilmenge von S, die wir in der Form K = {s i : i I} S schreiben, wobei die Indexmenge I 4

linear geordnet ist, also i j s i s j gilt. Jedem Element der Kette K ordnen wir die Zahl ξ i = X s idµ zu. Damit gilt natürlich i j ξ i ξ j. Ist die Menge {ξ i : i I} endlich, dann wählen wir ein j mit ξ j = max{ξ i : i I} und haben s i s j für alle i I und somit eine obere Schranke für die Kette K. Ist {ξ i : i I} unendlich, dann ist unter den gegebenen Voraussetzungen α = sup{ξ i : i I} endlich. Wir wählen nun eine monoton wachsende Folge ξ ik mit lim = α. Die zugehörigen Funktionen s ik k ξ ik bilden dann ebenfalls eine monoton wachsende Folge bezüglich. Damit existiert der punktweise Grenzwert f.ü. und ist eine meßbare Funktion. Die Grenzfunktion ist eine obere Schranke für die Kette K. Nach dem Lemma von Zorn besitzt S damit ein maximales Element und der Satz ist für endliche Maße bewiesen. Sei µ nun ein σ-endliches Maß. Dann gibt es paarweise disjunkte Mengen X n Ω mit µ(x n ) < und X = X n. Die vorherige Überlegung für die endlichen Maße ν n = ν Xn liefert entsprechende meßbare Funktionen f n auf X n. und µ n = µ Xn Die gesuchte Dichte f erhalten wir dann durch f = f n, wobei die Integrierbarkeit von f aus der Endlichkeit von ν folgt. Bemerkung. Der Satz ist i.a. falsch, wenn µ nicht σ-endlich ist. Bemerkung. λ(a) = A gdν = A Gilt λ ν µ und g = dλ dν ghdµ, also dλ dµ = dλ dν dν dµ. und h = dν dµ, dann gilt Satz. (Lebesgue-Radon-Nikodym) (ohne Beweis) Sei µ ein σ-endliches Maß auf (X, Ω) und λ ein komplexes Maß auf (X, Ω). 5

Dann gibt es ein eindeutig bestimmtes Paar von komplexen Maßen λ a, λ s auf (X, Ω) mit λ = λ a + λ s, λ a µ, λ s µ Weiters gibt es eine eindeutig bestimmte Funktion h L 1 (X, µ) sodass λ a (E) = E hdµ E Ω. Als Folgerungen aus dem Satz von Radon-Nikodym seien ohne Beweis folgende Aussagen erwähnt. Satz. Sei µ ein komplexes Maß auf (X, Ω). Dann gibt es eine meßbare Funktion h mit h = 1 und µ(e) = E hd µ E Ω. Satz. (Hahnscher Zerlegungssatz) Sei µ ein signiertes Maß auf (X, Ω). Dann gibt es zwei Mengen P, N Ω mit P N = X und P N = sodass µ + (E) = µ(e P ) und µ (E) = µ(e N) für alle E Ω gilt. Die Mengen P und N sind positiv bzw. negativ. Die Zerlegung ist bis auf Nullmengen eindeutig. 6