Altern im südlichen Afrika. Ergebnisse einer Studie zur Situation von alten Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen in Zimbabwe

Ähnliche Dokumente
Mag. Dr. Emeka Emeakaroha. Altern im Afrika südlich der Sahara

Pflege von demenziell erkrankten Menschen: Zwischen Resignation und Innovation?

Zimbabwe. Zahlen und Fakten Quelle: Wikipedia. Ökumenische Hilfe Zimbabwe e.v. Gehrden, J.van Kisfeld 2014

Gemeinsam gegen HIV/AIDS in Entwicklungsländern kämpfen

HIV-Infektion und AIDS- ein Vergleich zwischen

Zuhause im Alter Soziales Wohnen Programme zum Wohnen im Alter

A n t w o r t auf die Kleine Anfrage Nr. 17/10248 vom 24. Februar 2012 über Wie steht es um den Nachwuchs in der Altenpflege?

Weltbevölkerungsprojektionen bis 2100

Demografischer Wandel auch in Zukunft gut versorgt?

Organisation der Pflege in Deutschland

Politik für ältere Menschen im Landkreis Lörrach. Teilhabeplan 4 Senioren Landratsamt Lörrach

Gesundheitsberufe: Herausforderungen der Zukunft

Generalversammlung. Vereinte Nationen A/57/270/Corr.1. Umsetzung der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen. Bericht des Generalsekretärs

Demenz. Thomas Behler 1

Politik. Diana Kirstein. Alter und Krankheit. Studienarbeit

Reformmarathon Pflege: Was wurde für die Versicherten erreicht?

Prof. Dr. Sigrid Leitner: BEDARFE UND RESSOURCEN EINER ALTERNDEN GESELLSCHAFT: PERSPEKTIVEN FÜR DIE SOZIALE ARBEIT

Wenn Suchtkranke altern eine Herausforderung für den Vollzug. Dr. med. Petra Hinzmann Leitende Oberärztin/Anstaltsärztin JVK Fröndenberg

Datenblatt: Gesundheitsbezogene Millenniumsziele 1

Alters- und Pflegeheime im Kanton Luzern. Mehr als Personen leben im Alters- oder Pflegeheim

«Die Rolle der Spitex in der integrierten Versorgung einer Gesundheitsregion» Zurzibieter Gemeindeseminar 2018

Verbreitung von Aids und Malaria in Afrika

Zur Pflegesituation im ländlichen Raum

Fakten BW 2015/2016 DIE ÄRZTE UND PSYCHOTHERAPEUTEN IN BADEN-WÜRTTEMBERG

Der aktuelle Landespflegebericht

Was ist wirklich wichtig für die Qualitätssicherung der Pflege?

Armut und Menschenrechte in Entwicklungsländern. Menschenrechts-Tagung: Armut und Behinderung weltweit - 6. Dezember 2013, Berlin

Menschenrechtsbildung mit Jugendlichen Karteikarten für den Workshopeinsatz

Verteilung Hunger weltweit

Altersbilder neu denken

Charta Demenzsensible Gestaltung von stationären Einrichtungen in Dortmund

Hunger und Fehlernährung

Förderung der Umsetzung demenzsensibler Versorgungskonzepte

Alter(n) und das Risiko Pflegebedürftigkeit

Rights here right now!

Wir schaffen Möglichkeiten

Bevölkerungsexplosion und schrumpfende Gesellschaften - Quo vadis, Homo sapiens? Prof. Dr. Caroline Kramer (LMU Geographie)

Pflege älterer Menschen mit Migrationshintergrund Plädoyer für eine diversitätssensible Versorgung

Die Herausforderungen an das Gesundheitswesen in Sachsen-Anhalt

Empfängerinnen und Empfänger von Leistungen nach den Kapiteln 5 bis 9 SGB XII


- 1. Rede von Landrat Michael Makiolla anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Seniorenbegegnungsstätte in Holzwickede am 27.

Ergebnisse des Sachverständigengutachtens 2014: Bedarfsgerechte Versorgung Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche

Vorsorge für den Pflegefall treffen.

Who cares? Zukunft von Betreuung und Pflege in einer Gesellschaft des langen Lebens

Regionale Strategien in der Pflege gefragt

Gesund älter werden Herausforderungen einer präventiven Versorgungsgestaltung

Mehr Pflegeaufwand, weniger Mittel: Der nephrologische Pflegeberuf in der Kostenfalle

Die demografische Entwicklung und der Pflegearbeitsmarkt: Herausforderung von zwei Seiten

Verletzung von Menschenrechten durch die vermeintliche Fluchtursachenbekämpfung

MORO: Arbeitsgruppe Medizinische Versorgung und Pflege

Freiheit von Armut. Federal Ministry for Foreign Affairs of Austria

Brigitte Hamm i A 2004/6933. Menschenrechte. Ein Grundlagenbuch

Kindheit Lebenslagen von Kindern im Spiegel des 14. Kinder- und Jugendberichts

Wachsendes schrumpfendes Europa: Was bedeutet das für die Schweiz?

MitarbeiterInnenmit pflegebedürftigen Angehörigen: Tabu im Job?

Aufenthaltsdauer in Heimen sinkt auf 1,7 Jahre

Standards in der (Winter)notversorgung

Rostocker Zentrum zur Erforschung des Demografischen Wandels

Gesundheit und Alter Alter(n) als Risiko? Alter(n) als Chance?

Beseitigung der extremen Armut und des Hungers

PFLEGEGELD FÜR HÄUSLICHE PFLEGE

Die Welternährungskrise Aufbruch oder stiller Tsunami?

Bevölkerungsdynamik und Entwicklungszusammenarbeit

Die UN-Konvention und deren Umsetzung in Schleswig-Holstein Inklusion MSGWG

Moderne Pflege heute

Pflege und DRG. Ethische Herausforderungen für die Pflege bei Einführung der DRG

Jüngere Menschen mit Pflegebedarf in stationären Pflegeeinrichtungen der AWO in Sachsen

Die Kurzzeitpflege nach 42 SGB XI ab 2017

Das Krankheitsspektrum der Zukunft

Fakten zur weltweiten Kindersterblichkeit 2015

Weiterentwicklung der stationären Hilfe für alt gewordene Menschen mit Behinderungen und zunehmendem Pflegebedarf

Pflegende und der sich verändernde Pflegebedarf

François Höpflinger Alt werden Segen oder Fluch Feststellungen aus der Forschung.

Auszug. aus dem Demographiebericht für den Kreis Borken. zum Themenfeld. Gesundheit im Alter

Entstehung und Verlauf des Forschungsprojekts...7

Was bringt s für wen? Ergebnisse einer Befragung ambulant betreuter Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz

Unsere stationären Pflegeangebote.

Die Gesundheitsversorgung

Regionale Pflegekonferenz Cochem-Zell am 25. September 2013

HIV/Aids in Afrika & Global

Auskunftserteilung an das Landesamt für Soziales und Versorgung - Aufsicht für unterstützende Wohnformen - zur Überwachung gem.

Empfehlung der Kultusministerkonferenz zur Förderung der Menschenrechtserziehung in der Schule

Christliches Profil und Wirtschaftlichkeit: Im Spannungsfeld zwischen Wirtschaften und Seelsorge

Prof. Dr. Herbert Hockauf. Dipl. Pflegewissenschaftler Dipl. Berufspädagoge Dipl. Gesundheitsökonom.

Agenda KULTUR, BILDUNG UND SO OZIALES. 2 Beteiligungswerkstatt Gut älter werden Dezernat II Ilka Kern

(Gutes) Altern Handlungsfelder für die Gemeinden

Trinkwasser. Zugang in Prozent der Bevölkerung, insgesamt. Bevölkerung, in Mio. Zugang zu sauberem Trinkwasser, in Prozent

Wenn Sie derzeit einen Pflegebedarf Ihrer Pflegekasse

Unverzichtbar in der kommunalen Versorgungsstruktur: Betreuungsangebote CHRISTINE RIESNER, PFLEGEWISSENSCHAFTLERIN

Es geht ja noch. Andrea Leipold

Gesundheitspolitisches Forum. Verbesserung der medizinischen Versorgung von Patienten in Thüringer Alten- und Pflegeeinrichtungen

Wie können wir weltweit Gesundheit partnerschaftlich und nachhaltig fördern? Eine Einführung in die Globale Gesundheit

Bildung ist eine Herausforderung auf der ganzen Welt

Visionen im Gesundheitswesen. Verw.-Prof. Tobias Immenroth M.A.

Pflegebedürftigkeit und Nachfrage nach Pflegeleistungen von Migrantinnen und Migranten im demographischen Wandel

Sechs von zehn Höchstbetagten leben im Heim

Grafiken. Atlas DER ZIVILGESELLSCHAFT. Zivilgesellschaft. Report zur weltweiten Lage

Transkript:

Prof. Dr. O. Dibelius Evangelische Fachhochschule Berlin, Studiengang Pflegemanagement Altern im südlichen Afrika Ergebnisse einer Studie zur Situation von alten Menschen in Alten- und Pflegeeinrichtungen in Zimbabwe 4. Berlin-Brandenburger Brandenburger Pflegetage, 9.2.06 1

Gliederung des Vortrags: I. Allgemeines zu Zimbabwe und der AU Geschichte und aktuelle politische Situation Lehr- und Forschungsaufenthalt an der Africa University (AU) in Mutare Altern im afrikanischen Kontext Demographische Daten und neue Risikogruppen Ergebnisse der Studie: Stationäre Alten- und Pflegeeinrichtungen Zimbabwe: strukturelle Wende in der Altenpolitik? 2

I. Allgemeines zu Zimbabwe und der AU 1. Geschichte und aktuelle politische Situation in Zimbabwe ehemalige englische Kolonie (Rhodesien) - Unabhängigkeit seit 1980 seit 1980 regiert Präsident Robert Mugabe mit ZANU Partei anhaltende Menschenrechtsverletzungen (Einschränkung der Pressefreiheit, Wahlfälschungen oder Gewalt gegen Anhänger der Oppositionspartei ZAPU) 2003 Austritt aus dem Commonwealth: internationale Isolation Rückgang der internationalen Hilfsprogramme (Ernährung, Medikamente und Versorgungsmaterialien für Einrichtungen des Gesundheitswesens) Inflationsrate von bis zu 620 %: die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung führt einen täglichen Kampf ums Überleben (Brot, Obst, Getreide, Milchprodukte, Medikamente, Schulgebühren und Benzin) Zimbabwe verzeichnet weltweit mit die höchste Infektionsrate von HIV/Aids; mittlere Generation auf 33% (UNAIDS 2003) Ansteigender Anteil der infizierten Waisenkinder (1 400 000: UNAIDS 2003): soziale und ökonomische Folgen 3

4

2. Lehr- und Forschungsaufenthalt an der Africa University (AU) in Mutare evangelisch-methodistische Universität (nicht staaatlich) finanziert durch Studiengebühren der Studenten und internationale Spenden Gründung eines neuen Fachbereichs Health Sciences mit den Studiengängen Nursing Sciences und Public Health Der Studiengang Nursing Sciences hat den Schwerpunkt Prävention und Pflege von HIV/Aids. Pflichtmodul Pflege von älteren Menschen (im Kontext von Afrika sehr zukunftsweisend) 5

3. Altern im afrikanischen Kontext Positive Altersbild in den afrikanischen Kulturen hat eine lange Tradition Alte Menschen gelten als weise: Vorsteher eines Haushaltes, Beratung und Schlichtung von Streitigkeiten Kulturelles Gebot: Achtung und Pflege von alten Menschen als Pflicht Kinder, die ihre Eltern im Falle der Pflegebedürftigkeit in ein Heim geben, sind einem Fluch ausgesetzt Folgen der Globalisierung: Migration von jungen Menschen in die Städte; Großfamilie als wichtigste Versorgungsinstanz der alten Menschen ist zunehmend einem Auflösungsprozess unterworfen Die Mehrheit der Kinder ist nach einschlägigen Untersuchungen (Adamchak & Wilson 1999) nicht mehr in der Lage, ihre Eltern finanziell zu unterstützen Verarmung von alten Menschen: kein sozial-staatliches Rentensystem 6

4. Demographische Daten zum Anstieg der älteren Menschen in den sog. Entwicklungsländern Gemessen an der Weltbevölkerung wächst der Anteil der älteren Menschen besonders in den Ländern der sog. Dritten-Welt Ältere Menschen sind die am schnellsten wachsende Bevölkerungsgruppe Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verzeichnen die europäischen Länder die höchste Lebenserwartung mit 78 Jahren, während sie in den Ländern südlich der Sahara bei nur 47 Jahren liegt In Asien werden im Jahre 2020 allein 57 % (567 Millionen) von älteren Menschen über 60 Jahren der Weltbevölkerung leben Im Vergleich dazu sind es in Europa nur 25 % (179 Millionen) und in Afrika nur 8% (79 Millionen) In Zimbabwe leben 10.4 Millionen Menschen, nur 5 % sind älter als 60 Jahre Die durchschnittliche Lebenserwartung ist in den Jahren zwischen 1969 and 1997 für Männer von 49-60 Jahren und für Frauen von 53-64 Jahren angestiegen, jedoch trägt die HIV/Aids-Epidemie zu einem Rückgang der Lebenserwartung auf 32 Jahre bei 7

8

9

5. Neue Risikogruppen Vier Risikogruppen können identifiziert werden: Alleinstehende ältere Menschen, deren Kinder gestorben sind und sich zuständig sehen für die Erziehung und Versorgung der verwaisten Enkelkinder Ältere Frauen, die verwitwet oder allein stehend sind und die im ländlichen Bereich leben (Erziehung von verwaisten Kindern) Alternde Söldner oder Kriegsflüchtlinge (Angola, Mozambique, Kongo) Behinderte Menschen 10

II. Ergebnisse der Studie: Stationäre Alten- und Pflegeeinrichtungen Die meisten Zimbabwer (80% Shona; 19% Ndebele; 1% Weiße) wollen laut einer studentischen Befragung (2004) im Kreise ihrer Großfamilie alt werden Znehmender Trend bei der jüngeren Generation hin zur Kleinfamilie und dem Wunsch nach finanzieller und räumlicher Unabhängigkeit im Alter Stationäre Alten- und Pflegeeinrichtungen rangieren bei den Shona und Ndebele als Armenpflege (sozial und finanziell) und unterliegen einer Stigmatisierung 71 stationäre Alten- und Pflegeeinrichtungen: überwiegend in staatlicher Trägerschaft, eine Minderheit privat Wachsender Bedarf an institutioneller Pflege Ambulante System zu teuer (Benzinpreise) Medizinische und pflegerische Unterversorgung 11

Untersuchungsgruppe: Evaluation von 11 repräsentativen Altenpflegeeinrichtungen 25 qualitative Interviews mit alten Menschen zwischen 60-98 Jahren 11 Experteninterviews 12

Bewohnerstruktur der elf evaluierten Alten- und Pflegeeinrichtungen Durchschnittsalter liegt bei 70 Jahren Mehr Männer als Frauen Häufigste Krankheitsbilder: Diabetes Mellitus, Bluthochdruck, Malaria, Demenz und psychische Erkrankungen 13

Charta der Vereinten Nationen 1967: die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Anspruch auf Gesundheit, Wohlbefinden, Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärtzliche Fürsorge und der notwendigen Leistungen auf soziale Fürsorge (Artikel 25) und dem Recht am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teizunehmen (Artikel 27) 14

Stationäre Alten-und Pflegeeinrichtungen in Zimbabwe A/ Einhaltung der Grundrechte (Artikel 25, 27 UN Menschenrechtscharta) N=2 ausgewogne Kost ausreichende Kleider, Leintücher und Decken Ein- und Zweibettzimmer medizinische Versorgung Grund- und Behandlungs- Pflege Ausgebildetes Pflegepersonal Tagestrukturierung/ kulturelle Angebote B/ Vorübergehende Verletzung der Grundrechte (Artikel 25, 27 UN- Menschenrechtscharta) N=3 nicht ausgewogene Kost Mangel an Kleidern, Leintüchern und Decken Ein/ zweibettzimmer medizinische und pflegerische Notfall- versorgung angelerntes Pflegepersonal wenige soziale Aktivitäten C/ Dauernde Verletzung der Grundrechte (Artikel 25, 27 UN- Menschenrechtscharta) N=6 fehlende Kost Mangel an Kleidern, Leintüchern und Decken Ein- und Zweibettzimmer keine medizinische und pflegerische Notfall- versorgung kein fest angestelltes Personal; nur ehrenamtlich Tätige keine sozialen Aktivitäten 15

Kategorie A (N=2; höchster Standard von Pflege und Betreuung) Weiße englischsprachige Minderheit (eingezahlt in Trusts ) Aktivierende Pflege Demenziell erkrankte Menschen haben keine besondere Unterstützung Zunehmende Isolation Keine ehrenamtlichen Helfer 16

Bewohner der Kategorie B (N=3) im städtischen Umkreis (Verarmung) Grundbedürfnisse können nicht immer ausreichend berücksichtigt werden (Fehl-/Unterernährung) Auf Wohltätigkeit von Kirche und sonstige Spendengeber angewiesen Keine kontinuierliche medizinische und pflegerische Versorgung Ausstattung der Privaträumen der Bewohner: ein Bett auf blanken Beton-Fußboden, meist ohne Laken und Decke Bewohnergruppe setzt sich überwiegend aus älteren Menschen zusammen, die keine Familienangehörigen mehr haben oder deren Familienbeziehungen zerrüttet sind Eigenaktivitäten wie z.b. Gartenbau 17

Kategorie C (N=6) in ländlichen Gegenden (Verarmung und Isolation) von Spenden ausgeschlossen Unterernährung und medizinische und pflegerische Unterversorgung 18

III. Zimbabwe: strukturelle Wende in der Altenpolitik? Armutsbekämpfung Entmythologisierung der Großfamilie Strukturelle Wende durch die Einführung einer staatlichen Rentenkasse und Pflegeversicherung (Forderung der African Gerontological Society ) Vorsorge: neue Risikogruppen Finanzielle Unterstützung für das ambulante Pflegesystem (gerade auf dem Land) Entwicklungspartnerschaften zwischen Pflegeeinrichtungen im südlichen Afrika und europäischen Einrichtungen 19