Rechtsanwalt Martin Kuschel Architektenrecht Baurecht - Sachverständigenrecht Kurzinfo: Bauaufsichtliche Zulassung Kein Ü-Zeichen bei CE-Kennzeichnung Europäischer Gerichtshof kippt bauaufsichtliche Zulassung für harmonisierte Bauprodukte Urteil des EuGH vom 16.10.2014 Rechtssache C-100/13 Stand: 20.10.2014 Rechtsanwalt Martin Kuschel Kölner Straße 28 57439 Attendorn Telefon: 02722 63 44 96 Telefax: 02722 63 44 97 E-Mail: info@ra-kuschel.eu Internet: www.ra-kuschel.eu
Mit Urteil vom 16.10.2014 hat der europäische Gerichtshof (EuGH) über die Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Systems der Bauregellisten entschieden. Die 10. Kammer des EuGH hat festgestellt, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 89/106/EWG (Bauproduktenrichtlinie) verstoßen hat, dass sie durch die Bauregellisten zusätzliche Anforderungen für den Marktzugang und die Verwendung von Bauprodukten in Deutschland gestellt hat, die von harmonisierten Normen erfasst wurden und mit der CE-Kennzeichnung versehen waren. Zum Hintergrund Bei Bauprodukten, für die es europäisch harmonisierte Normen gibt 1, fordert das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) in der Bauregelliste B zusätzlich zu der europarechtlich vorgegebenen CE- Kennzeichnung eine nationale Zulassung, in der Regel eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, die vom DIBt erteilt und vom Hersteller oder Importeur durch das Ü-Zeichen dokumentiert wird. Nach Auffassung des DIBt dürfen Bauprodukte ohne diese nationale Zulassung in Deutschland nicht eingebaut/verbaut werden. In ihrer Vertragsverletzungsklage führt die europäische Kommission aus, dass die Verwendung von Bauregellisten dazu führe, dass zusätzliche vorherige Zulassungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung dieser Produkte verlangt würden. Damit verstoße die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der Bauproduktenrichtlinie. Das Urteil des EuGH In seinem Urteil vom 16.06.2014 bestätigt der europäische Gerichtshof die Rechtsauffassung der europäischen Kommission. Der Hauptzweck der Bauproduktenrichtlinie bestehe darin, Handelshemmnisse zu beseitigen indem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Bauprodukte innerhalb der Union frei vermarktet werden können. Ein Bauprodukt, an welchem die CE-Kennzeichnung nach der Bauproduktenverordnung angebracht sei, entspreche sämtlichen Bestimmungen der Bauproduktenrichtlinie, so dass die Brauchbarkeitsvermutung ohne weiteres greife. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürften den freien Verkehr, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Produkten die der Bauproduktenrichtlinie entsprechen ( harmonisierte Bauprodukte ), auf ihrem Gebiet nicht behindern. Zudem sehe die Bauproduktenrichtlinie Verfahren vor, anhand deren die Mitgliedstaaten gegen harmonisierte Normen vorgehen können, die ihrer Auffassung nach den Anforderungen der Richtlinie nicht oder nicht mehr entsprechen. Auch wenn ein Mitgliedstaat eine bestehende harmonisierte Norm für lückenhaft halte, könne er keine anderen als die in der Richtlinie 1 früher nach der Bauproduktenrichtlinie [Richtlinie 89/106/EWG], heute nach der Bauproduktenverordnung [Verordnung 305/2011]) - 2 -
vorgesehenen einseitigen nationalen Maßnahmen treffen, die den freien Verkehr von harmonisierten Bauprodukten beschränken. Für welche Bauprodukte gilt dieses Urteil? Unmittelbar nimmt das Urteil Bezug auf Bauprodukte, die von den harmonisierten Normen EN 681-2:2000 ( Elastomer-Dichtungen Werkstoff-Anforderungen für Rohrleitung- Dichtungen für Anwendungen in der Wasserversorgung und Entwässerung ), EN 13162:2008 ( Wärmedämmstoffe für Gebäude Werkmäßig hergestellte Produkte aus Mineralwolle ) und EN 13241-1 ( Tore Produktnorm Teil 1: Produkte ohne Feuer- und Rauchschutzeigenschaften ) erfasst werden. Gilt das Urteil auch für andere Bauprodukte? Aus rein prozessualen Gründen hat sich der europäische Gerichtshof in seinem Urteil nur mit den oben genannten Bauprodukten beschäftigt. Die EU-Kommission hatte in ihrer Klage angeführt, dass es sich bei diesem Bauprodukten nur um Beispiele für einen strukturellen oder systematischen Verstoß gegen die Bauproduktenrichtlinie handele. In ihrer Klageerwiderung hatte die Bundesrepublik Deutschland angeführt, dass die Bauregelliste B keineswegs durchgehend weitere Anforderungen an harmonisierte Bauprodukte stelle, vielmehr betreffe die Bauregelliste B nur diejenigen Produkte, bei denen die europäischen harmonisierten Normen Lücken aufwiesen. Da die europäische Kommission ihre Behauptung, bei dem Verstoß der Bundesrepublik Deutschland gegen die Bauproduktenrichtlinie handele es sich um einen allgemeinen Verstoß, nach Ansicht des EuGH nicht weiter präzisiert hat, hat der EuGH die Vertragsverletzungsklage auf diejenigen Produkte beschränkt, die von den oben aufgeführten harmonisierten Normen erfasst sind. In seiner Begründung geht der europäische Gerichtshof jedoch nicht auf Einzelheiten zu den oben aufgeführten Produktkategorien ein, sondern erörtert ganz allgemein, ob die Mitgliedstaaten tatsächliche oder vermeintliche Lücken in harmonisierten Normen durch nationale Anforderungen an Bauprodukte füllen können. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein Mitgliedstaat selbst dann keine einseitigen nationalen Maßnahmen treffen kann, wenn eine bestehende harmonisierte Norm tatsächlich lückenhaft sein sollte. Vielmehr sei der Mitgliedstaat auf die in der Bauproduktenrichtlinie vorgesehenen Verfahren beschränkt. Damit beschränkt sich diese Rechtsprechung des EuGH nicht auf die wenigen Produkte, die unmittelbar Gegenstand des Verfahrens waren, sondern erstreckt sich auf alle Bauprodukte, die unter europäisch harmonisierte Normen fallen. - 3 -
Die letzte Veröffentlichung der harmonisierten Normen datiert vom 08.08.2014 (Amtsblatt der EU, 2014/C 259/01). Danach sind neben vielen anderen Normen beispielsweise die folgenden Normen und die darunterfallenden Bauprodukte harmonisiert: EN 1036-2:2008 Glas im Bauwesen Spiegel aus silberbeschichtetem Floatglas für den Innenbereich Teil 2: Konformitätsbewertung; Produktnorm EN 1090-1:2009+A1:2011 Ausführung von Stahltragwerken und Aluminiumtragwerken Teil 1:Konformitätsnachweisverfahren für tragende Bauteile EN 13813:2002 Estrichmörtel, Estrichmassen und Estriche Estrichmörtel und Estrichmassen Eigenschaften und Anforderungen EN 14041:2004 AC:2006 Elastische, textile und Laminat-Bodenbeläge Wesentliche Eigenschaften EN 14342:2013 Holzfußböden und Parkett Eigenschaften, Bewertung der Konformität und Kennzeichnung EN 14904:2006 Sportböden Sportböden für Hallen und Räume mehrfunktionale Sportnutzung und Mehrzwecknutzung Anforderungen (Die vorstehende Aufzählung enthält nur einige Normen, die für Mandanten der Rechtsanwaltskanzlei Kuschel besonders wichtig sind, die vollständige Liste der harmonisierten Normen findet sich im Amtsblatt der EU) Gilt das Urteil für alle Bauprodukte? Nein, das Urteil gilt nur für diejenigen Bauprodukte, die unter europäisch harmonisierte Normen fallen. Zahlreiche weitere Bauprodukte, für die es (noch) keine harmonisierten Normen gibt, unterliegen nach wie vor den nationalen Zulassungsregeln. In Deutschland sind dies insbesondere die Bauprodukte, für die das deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) in der Bauregelliste A technische Regeln bekannt gemacht hat. Bauproduktenverordnung Auch wenn sich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs noch auf die Rechtslage unter der Bauproduktenrichtlinie bezieht, ändert sich an der vom EuGH festgestellten Rechtslage auch durch die am 01.07.2013 in Kraft getretene Bauproduktenverordnung nichts. Die Bauproduktenverordnung setzt den mit der Bauproduktenrichtlinie eingeschlagenen Weg der europäischen Harmonisierung von Bauprodukten fort und setzt ganz auf die europäische Harmonisierung: Während die Bauproduktenrichtlinie in der Regel für harmonisierte Bauprodukte parallel zur CE-Kennzeichnung auch nationale Zulassungen wie die deutsche allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (Ü-Zeichen) als weitere Möglichkeit des Verwendbarkeitsnachweises zuließ, sieht die Bauproduktenverordnung (Verordnung (EU) Nr. 305/2011 vom 09.03.2011) in ihrem Art. 8 Abs. 3 vor, dass die CE-Kennzeichnung die einzige Kennzeichnung ist, die die Konformität des Bauprodukts bescheinigt. Ausdrücklich heißt es: - 4 -
Die Mitgliedstaaten führen diesbezüglich keine Bezugnahme ein bzw. machen jegliche in nationalen Maßnahmen vorgenommene Bezugnahme auf eine andere Kennzeichnung als die CE-Kennzeichnung, mit der die Konformität mit der erklärten Leistung in Bezug auf die von einer harmonisierten Norm erfassten Wesentlichen Merkmale bescheinigt wird, rückgängig. Weiter heißt es in Art. 8 Abs. 4 der Bauproduktenverordnung: Ein Mitgliedstaat darf in seinem Hoheitsgebiet oder in seinem Zuständigkeitsbereich die Bereitstellung auf dem Markt oder die Verwendung von Bauprodukten, die die CE- Kennzeichnung tragen, weder untersagen noch behindern, wenn die erklärten Leistungen den Anforderungen für diese Verwendung in dem betreffenden Mitgliedstaat entsprechen. Damit wird jetzt noch viel stärker als schon durch die Bauproduktenrichtlinie der Vorrang der europäischen Harmonisierung vor nationalen Regelungen herausgestellt. - 5 -