Körperstrafen: Zivilrechtlich handlungsrelevant? Strafrechtlich?

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Transkript:

Körperstrafen: Zivilrechtlich handlungsrelevant? Strafrechtlich?

Referat 27. November 2012 Geschlagen wird trotzdem: Wann sind Körperstrafen zivilrechtlich handlungsrelevant? Welche Rolle spielt das Strafrecht? Einleitung UN-Kinderrechtskonvention Schweizerische Bundesverfassung Züchtigungsrecht Strafrecht Strafrechtliche Antworten Zivilrechtliche Antworten Fazit

Literatur Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats Fehr (07.3725) vom 5. Oktober 2007, Gewalt und Vernachlässigung in der Familie: notwendige Massnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und der staatlichen Sanktionierung, 27. Juni 2012. Kinderanwaltschaft Schweiz/Stiftung Kinderschutz Schweiz, Das Recht des Kindes auf Schutz vor jeder Form von Gewalt. UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 19. Allgemeine Bemerkung Nr. 13,18. April 2011. Ryser Nadine, Grenzen der elterlichen Freiheit. Zur Zulässigkeit der körperlichen Züchtigung zu Erziehungszwecken, in: Guido Mühlemann/Annja Mannhart (Hrgs.), Freiheit ohne Grenzen - Grenzen der Freiheit, Zürich/St. Gallen 2008, S. 1 ff. Schöbi Dominik/Perrez Meinrad, Bestrafungsverhalten von Erziehungsberechtigten in der Schweiz. Eine vergleichende Analyse des Bestrafungsverhaltens von Erziehungsberechtigten 1990 und 2004, Universität Freiburg. Schwenzer Ingeborg, Art. 301, in: Heinrich Honsell/Nedim Peter Vogt (Hrsg.), Basler Kommentar. Zivilgesetzbuch 1. Art. 1 bis 456, Basel 2010. Stratenwerth Günter/Jenny Guido/Bommer Felix, Schweizerisches Strafrecht. Besonderer Teil I: Straftaten gegen Individualinteressen, Bern 2010. Stratenwerth Günter/Wohlers Wolfgang, Schweizerisches Strafgesetzbuch. Handkommentar, Bern 2009.

Einleitung - I Eltern bestrafen häufiger mit Verboten Die Neigung zu Verboten und Liebesentzug ist angestiegen Die Eltern wenden weniger Körperstrafen an Jüngere Kinder werden nach wie vor häufiger körperlich bestraft Die jüngsten Kinder werden in besorgniserregendem Umfang körperlich bestraft

Einleitung - II Ungehorsam ist nach wie vor häufigster Strafanlass bei jüngeren Kindern Belastete Eltern, die in ihrer Jugend körperlich bestraft wurden, wenden häufiger Körperstrafen an und junge, wenig berufstätige Eltern von kleinen Knaben neigen eher zu Körperstrafen Die Problemauffälligkeit von Kindern hängt mit der Anwendung von Körperstrafen der Eltern zusammen Dominik Schöbi/Meinrad Perrez, S. 40 ff.

UN-Kinderrechtskonvention Artikel 19 Paragraf 1 UN-KRK Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und Bildungsmassnahmen, um das Kind vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung, vor Verwahrlosung oder Vernachlässigung, vor schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschliesslich des sexuellen Missbrauchs zu schützen, solange es sich in der Obhut der Eltern oder eines Elternteils, eines Vormunds oder anderen gesetzlichen Vertreters oder einer anderen Person befindet, die das Kind betreut.

Definition von Gewalt Für die Zwecke dieser Allgemeinen Bemerkung werden unter dem Begriff Gewalt alle in Artikel 19 Paragraf 1 des Übereinkommens genannten Formen körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung,... Verwahrlosung oder Vernachlässigung,... schlechter Behandlung oder Ausbeutung einschliesslich des sexuellen Missbrauchs verstanden. In Übereinstimmung mit der 2006 durchgeführten United Nations study on violence against children wurde der Begriff Gewalt hier als Synonym für alle in Artikel 19 Paragraf 1 genannten Formen der Schädigung des Kindes gewählt, obwohl die anderen Begriffe zur Bezeichnung der Schädigung (Schadenszufügung, Misshandlung, Verwahrlosung oder Vernachlässigung, schlechte Behandlung und Ausbeutung) gleiches Gewicht haben. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden unter Gewalt in der Regel nur physische Schädigungen und/oder absichtliche Schädigungen verstanden. Der Ausschuss weist jedoch nachdrücklich darauf hin, dass die Wahl des Begriffes Gewalt in dieser Allgemeinen Bemerkung in keiner Weise als Bagatellisierung der Auswirkungen nichtphysischer und/oder nicht beabsichtigter Formen von Gewalt (beispielsweise Vernachlässigung und psychologische Misshandlung) und der Notwendigkeit, diese zu bekämpfen, ausgelegt werden darf. Kinderanwaltschaft Schweiz/Stiftung Kinderschutz Schweiz, S. 7.

Schweizerische Bundesverfassung Artikel 10 Absatz 2 BV Jeder Mensch hat das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf körperliche und geistige Unversehrtheit und auf Bewegungsfreiheit. Artikel 11 Absatz 1 BV Kinder und Jugendliche haben Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit und auf Förderung ihrer Entwicklung.

Züchtigungsrecht - I 1978 ist das elterliche Züchtigungsrecht nach Artikel 278 azgb aus dem schweizerischen Zivilgesetzbuch gestrichen worden. Erziehungsmassnahmen, die auf körperlicher Gewalt beruhen, werden aber weiterhin angewendet. Und es gibt bis anhin in der Schweiz keine gesetzliche Norm, welche die Anwendung von Gewalt an Kindern zu Erziehungszwecken explizit verbietet und damit gibt es noch kein Züchtigungsverbot in der Schweiz.

Züchtigungsrecht - II Die ältere Lehre, dass das Züchtigungsrecht eine eigentliche körperliche Körperverletzung zu rechtfertigen vermag, ist nicht mehr haltbar und wird heute auch nicht mehr so vertreten. Zulässig erscheint eine Züchtigung zum vornherein nur noch dann, wenn sie das Mass einer Tätlichkeit nicht überschreitet lässt sich das auch heute noch vertreten? Frage: Wann ist eine einfache Körperverletzung, wann eine Tätlichkeit anzunehmen?

Strafrecht - I Einfache Körperverletzung Tätlichkeiten: Die körperliche Integrität im Sinne einer einfachen Körperverletzung ist dann beeinträchtigt, wenn innere oder äussere Verletzungen oder Schädigungen zugefügt werden, die mindestens eine gewisse Behandlung und Heilungszeit erfordern, also etwa Knochenbrüche, Hirnerschütterungen, Quetschungen mit Blutergüssen und Schürfungen, sofern sie um einiges über blosse Kratzer hinausgehen. Dass die körperliche Beeinträchtigungen einer ärztlichen Behandlung nötig machen, ist jedoch nicht gefordert. Auf Tätlichkeiten ist umgekehrt zu erkennen, wenn Schürfungen, Kratzwunden, Quetschungen oder blaue Flecken offensichtlich so harmlos sind, dass sie in kürzester Zeit vorübergehen und ausheilen.

Strafrecht - II Ähnliches gilt für die Beeinträchtigung der geistigen Gesundheit. Auf Tätlichkeiten ist dann zu erkennen, wenn Einwirkungen irgendwelcher Art eine harmlose, binnen Kürze vorübergehende Störung des Wohlbefindens verursachen. Wo indessen die Störung, und sei sie auch bloss vorübergehend, einem eigentlichen krankhaften Zustand gleichkommt, muss eine Körperverletzung angenommen werden. Das gilt insbesondere, wenn erhebliche Schmerzen beigefügt werden, das Opfer einen Schockzustand erleidet, sonst aber keine bleibenden oder längerfristigen Folgen zu beklagen hat.

Artikel 126 StGB Artikel 126 StGB Tätlichkeiten 1 Wer gegen jemanden Tätlichkeiten verübt, die keine Schädigung des Körpers oder der Gesundheit zur Folge haben, wird auf Antrag, mit Busse bestraft. 2 Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt, wenn er die Tat wiederholt begeht: a. an einer Person, die unter seiner Obhut steht oder für die er zu sorgen hat, namentlich an einem Kind;....

Artikel 14 StGB Artikel 14 StGB Rechtmässige Handlungen und Schuld. Gesetzlich erlaubte Handlungen Wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, verhält sich rechtmässig, auch wenn die Tat nach diesem oder einem andern Gesetz mit Strafe bedroht ist. Erfüllt eine Handlung einen Straftatbestand, ist das Verhalten in der Regel auch rechtswidrig, ausser wenn Umstände vorliegen, welche diese rechtfertigen. Züchtigungsrecht als Rechtfertigungsgrund?

Tätlichkeiten - I Als Tätlichkeit gilt der geringfügige und folgenlose Angriff auf den Körper oder die Gesundheit einer anderen Person, wobei mindestens eine bestimmte Intensität erreicht werden muss. Eine Tätlichkeit ist dann zu bejahen, wenn das allgemein übliche und gesellschaftlich geduldete Mass einer Einwirkung auf den Körper oder die Gesundheit eines anderen überschritten wird, dabei aber noch keine Schädigung bewirkt hat.

Tätlichkeiten - II Tätlichkeiten gegenüber Schutzbefohlenen und damit als Offizialdelikt verfolgt, setzt wiederholte Begehung voraus. Darunter sind Einzelakte zu verstehen, die sich in mehr oder weniger kurzer Zeit folgen. In der Lehre und Rechtsprechung wird dies unterschiedlich ausgelegt. Nach herrschender Meinung überschreiten erst wiederholte, sozusagen gewohnheitsmässig oder systematisch verabreichte Schläge das Erziehungs- und Züchtigungsrecht dass dagegen dies bereits bei zwei selbständigen Vorfällen anzunehmen sei, wird nur vereinzelt gefordert.

Tätlichkeiten - III Ein Züchtigungsrecht der Eltern oder Pflegeeltern i.s. einer körperlichen Strafe und Zurechtweisung kann nach herrschender strafrechtlichen Lehre nicht verneint werden, da sich dieses aus dem Erziehungsrecht nach Artikel 302 ZGB ableite. Indirekt kann das auch daraus abgeleitet werden, dass erst nach wiederholter Begehung von Amtes wegen eingegriffen werden soll, also erst wenn die Tätlichkeit als Offizialdelikt eingestuft werden kann. Umgekehrt heisst dies aber auch, dass das Züchtigungsrecht das Mass der blossen Tätlichkeiten nicht überschreiten darf. Körperstrafen, die eine Schädigung i.s.v. Artikel 123 StGB zur Folge haben, sind strafbar und von Amtes wegen zu verfolgen.

Tätlichkeiten - IV Eine körperliche Züchtigung, und handelt es sich um eine Ohrfeige, erfüllt daher grundsätzlich den Tatbestand der Tätlichkeit aber das Erziehungsrecht stellt mithin einen Rechtfertigungsgrund dar und kann daher nur von den Erziehungsberechtigten, nicht aber von Dritten, beispielsweise von einem Hauswart, Lehrer bzw. einer Lehrerin oder Erzieher bzw. einer Erzieherin, geltend gemacht werden.

Tätlichkeiten - V Fazit der herrschenden strafrechtlichen Lehre und Praxis Eine körperliche Züchtigung erfüllt grundsätzlich immer den Tatbestand der Tätlichkeit, ist daher auch rechtswidrig und damit auch strafbar, ausnahmsweise fällt die Rechtswidrigkeit und damit die Strafbarkeit weg, wenn diese körperliche Züchtigung im Rahmen des Erziehungsrechts vorgenommen wird (Art. 126 Abs. 1 StGB). Geschieht die körperliche Züchtigung jedoch wiederholt, kann dies nicht mehr als Rechtfertigung des Erziehungsrechts eingestuft werden, dann wird die Strafbarkeit bejaht (Art. 126 Abs. 2 Bst. a StGB).

Strafrechtliche Antwort Das Züchtigungsrecht respektive das Wegfallen der Rechtswidrigkeit bei einer Tätlichkeit gegenüber einem Kind hat seinen Ursprung nicht im Strafrecht, sondern im zivilrechtlichen Erziehungsrecht das Erziehungsrecht ist Teil der elterlichen Sorge nach Artikel 301 f. ZGB. Frage: Lässt sich das strafrechtliche Züchtigungsrecht mit der Begründung bezogen auf Artikel 301 f. ZGB heute so noch vertreten?

Wohl des Kindes - Artikel 301 ZGB Artikel 301 ZGB 1 Die Eltern leiten im Blick auf das Wohl des Kindes seine Pflege und Erziehung und treffen unter Vorbehalt seiner eigenen Handlungsfähigkeit die nötigen Entscheidungen. 2 Das Kind schuldet den Eltern Gehorsam; die Eltern gewähren dem Kind die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung und nehmen in wichtigen Angelegenheiten, soweit tunlich, auf seine Meinung Rücksicht. 3 Das Kind darf ohne Einwilligung der Eltern die häusliche Gemeinschaft nicht verlassen; es darf ihnen auch nicht widerrechtlich entzogen werden. 4 Die Eltern geben dem Kind den Vornamen.

Wohl des Kindes - Artikel 302 ZGB Artikel 302 ZGB 1 Die Eltern haben das Kind ihren Verhältnissen entsprechend zu erziehen und seine körperliche, geistige und sittliche Entfaltung zu fördern und zu schützen. 2 Sie haben dem Kind, insbesondere auch dem körperlich oder geistig gebrechlichen, eine angemessene, seinen Fähigkeiten und Neigungen soweit möglich entsprechende allgemeine und berufliche Ausbildung zu verschaffen. 3 Zu diesem Zweck sollen sie in geeigneter Weise mit der Schule und, wo es die Umstände erfordern, mit der öffentlichen und gemeinnützigen Jugendhilfe zusammenarbeiten.

Züchtigungsrecht im Zivilrecht? Von der historischen zur geltungszeitlichen Auslegung: - Erziehungsrecht: Von der elterlichen Gewalt zur elterlichen Sorge - Kindeswohl - Von Artikel 311 ZGB zu Artikel 311 Abs. 1 E-ZGB

Artikel 311 ZGB Artikel 311 Absatz 1 Ziffer 1 ZGB Entziehung der elterlichen Sorge 1 Sind andere Kindesschutzmassnahmen erfolglos geblieben oder erscheinen sie von vornherein als ungenügend, so entzieht die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde die elterliche Sorge: 1. Wenn die Eltern wegen Unerfahrenheit, Krankheit, Gebrechen, Ortsabwesenheit oder ähnlichen Gründen ausserstande sind, die elterliche Sorge pflichtgemäss auszuüben;

Artikel 311 E-ZGB Artikel 311 Absatz 1 Ziffer 1 E-ZGB Entziehung der elterlichen Sorge 1 Sind andere Kindesschutzmassnahmen erfolglos geblieben oder erscheinen sie von vornherein als ungenügend, so entzieht die Kindesschutzbehörde die elterliche Sorge: 1. wenn die Eltern wegen Unerfahrenheit, Krankheit, Gebrechen, Ortsabwesenheit, Gewalttätigkeit oder ähnlichen Gründen ausserstande sind, die elterliche Sorge pflichtgemäss auszuüben;

Zivilrechtliche Antwort Ein Züchtigungsrecht ist mit dem Wohl des Kindes nach heute geltender Auslegung nicht mehr zu vereinbaren, kann daher auch nicht mehr als Teilgehalt unter die elterlichen Sorge subsumiert und damit als Erziehungsrecht eingeordnet werden. Frage: Konsequenz für das strafrechtliche Züchtigungsrecht?

Fazit - I Das strafrechtliche Züchtigungsrecht kann nicht mehr als Rechtfertigungsgrund nach Artikel 14 StGB verstanden werden, da das zivilrechtliche Züchtigungsrecht nach heute geltender Auslegung der Artikel 301 f. ZGB und damit mit dem Wohl des Kindes nicht mehr vereinbar ist. Minderjährige sind wie Erwachsene bezüglich Tätlichkeiten gleich zu behandeln, dadurch kann bereits eine einzelne Ohrfeige grundsätzlich strafbar sein.

Fazit - II Eine Tätlichkeit, u.a. eine einzelne Ohrfeige gegenüber einem Kind fällt unter Artikel 126 Absatz 1 StGB, ausgestaltet als Antragsdelikt, d.h. innert drei Monate ist eine Strafanzeige einzureichen. Hier lässt sich die Frage stellen, ob es wünschbar ist, dass wegen einer erstmaligen bzw. einzelnen Ohrfeige eine strafrechtliche Verfolgung bzw. Verurteilung erfolgt. Wiederholte Tätlichkeiten, u.a. Ohrfeigen gegenüber einem Kind sind unter Artikel 126 Absatz 2 Buchstabe a StGB zu subsumieren, ausgestaltet als Offizialdelikte, d.h. sind vom Amtes wegen zu verfolgen, was klar gutzuheissen ist.