Tiefgreifende Entwicklungsstörung Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Von-Siebold-Str. 5 37075 Göttingen
Diagnostische Leitlinien Heterogene Gruppe von Störungsbildern Gekennzeichnet durch qualitative Beeinträchtigung sozialer Interaktion und Kommunikationsmuster Eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten In allen Situationen grundlegendes Funktionsmerkmal der Betroffenen, variierend im Ausprägungsgrad
Diagnostische Leitlinien In den meisten Fällen besteht von frühester Kindheit an eine auffällige Entwicklung Zumeist besteht eine gewisse allgemeine kognitive Beeinträchtigung Die Störungsbilder sind durch das Verhalten definiert, das nicht dem Intelligenzalter des Individuums entspricht
Diagnostische Leitlinien Die Störungsbilder können mit somatischen Krankheitsbildern einhergehen (infantile Zerebralparese, Röteln, tuberöse Sklerose, zerebrale Lipoidose, fragiles X-Syndrom) Die Störungsbilder sind jedoch unabhängig vom Vorhandensein somatischer Störungen auf Grundlage des Verhaltens zu diagnostizieren Auch eine Intelligenzminderung muß, wenn sie vorkommt, gesondert klassifiziert werden
Autismusspektrumstörungen Begriff Autismus wurde im Kontext der Schizophrenie von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler geprägt Leo Kanner und Hans Asperger griffen 1943 bzw. 1944 unabhängig voneinander den Begriff Autismus auf und beschrieben Menschen, die in einem Zustand der inneren Zurückgezogenheit leben
ICD 10: F 84.X Frühkindlicher Autismus (F 84.0) (high functioning- Autismus) Atypischer Autismus (F 84.1) Rett- Syndrom (F 84.2) Desintegrative Störung des Kindesalters (F 84.3) Hyperkinetische Störung mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien (F 84.4) Asperger- Syndrom (F 84.5) Andere tiefgreifende Entwicklungsstörungen (F 84.8) Nicht näher bezeichnete tiefgreifende Entwicklungsstörung (F 84.9)
Frühkindlicher Autismus (F 84.0) Abnorme o. beeinträchtigende Entwicklung, die sich vor dem 3. Lj. manifestiert Gestörte Funktionsfähigkeit in den drei psychopathologischen Bereichen, der sozialen Interaktion, der Kommunikation und im eingeschränkten repetitiven Verhalten Häufigkeit ca. 0,5 % in der Bevölkerung Jungen/Mädchen 4:1
Frühkindlicher Autismus (F 84.0) In den meisten Fällen fehlt eine eindeutig unauffällige Entwicklungsphase Intelligenzminderung ist die Regel (nicht die Ausnahme) Unangemessene Einschätzung sozialer und emotionaler Signale Fehlende Verhaltensmodulation im sozialen Kontext Soziale und emotionale Gegenseitigkeit fehlt Fehlender oder mangelhafter Gebrauch verbaler und non-verbaler Kommunikation
Frühkindlicher Autismus (F 84.0) Fehlendes imitierendes Spiel (so tun als ob) Geringe Flexibilität im Sprachgebrauch Relativer Mangel an Kreativität und Phantasie im Denkprozess Auffällige Sprachmelodie, auffällige Mimik und Gestik Stereotypien, Rituale, Handlungsroutinen Auffällige Bindung an Objekte bzw. an Teilaspekte von Objekten
Frühkindlicher Autismus (F 84.0) Befürchtungen, Ängste, Phobien Schlaf- und Essstörungen Wutausbrüche, Aggressionen, Selbstverletzungen
Frühkindlicher Autismus (F 84.0) Ätiologie Biologische Pathogenese sehr wahrscheinlich Vermutlich multifaktorielles Geschehen Genetische Faktoren Assoziierte körperliche Erkrankungen Hirnschädigungen, biochemische Anomalien Neuropsychologische Defizite Evtl. Wechselwirkung dieser Faktoren
Frühkindlicher Autismus (F 84.0) Ätiologie Hohe Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen (>90%) Niedrige Konkordanzrate bei zweieiigen Zwillingen Vererbung vermutlich polygen Familienmitglieder zeigen sehr häufig Teilaspekte der Störung (Suche nach einem breiteren Phänotyp, bzw. nach Traits )
Asperger Syndrom (F 84.5) Unsichere nosologische Validität Qualitative Beeinträchtigung sozialer Interaktionen Fehlen einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung bzw. kein Rückstand der Sprache und kognitiven Funktionen (normale Intelligenz) Motorische Entwicklungsverzögerung
Asperger Syndrom (F 84.5) Häufig eingeschränkte Interessenfelder, z.t. mit regelrechten Spezialinteressen Stereotype Verhaltensmuster Rigides, zwängliches Verhalten Kommunikationsprobleme ähneln denen des frühkindlichen Autismus Häufigkeit nach Schätzungen 1 1.5 % Klare Knabenwendigkeit (Verhältnis 8:1)
Asperger Syndrom (F 84.5) Eine eindeutige Sprachentwicklungsverzögerung schließt die Diagnose aus! Die Diagnose erfordert einzelne gesprochene Wörter im zweiten Lj. oder früher und kommunikative Phrasen im dritten Lj. oder früher Selbsthilfefertigkeiten, adaptives Verhalten und Neugier an Umgebung in ersten drei Lj. entsprechend einer normalen intellektuellen Entwicklung
Asperger Syndrom (F 84.5) Motorische Ungeschicklichkeit ist häufig (aber zur Diagnosestellung nicht notwendig) Spezialinteressen sind häufig (aber zur Diagnosestellung nicht notwendig) Es bestehen qualitative Beeinträchtigungen der gegenseitigen sozialen Interaktion (mangelndes Interesse an der emotionalen Befindlichkeit des Gegenübers, Empathiestörung ) Prognose bzgl. weiterer Entwicklung günstig
Diagnostik/Behandlung Situationsübergreifende Verhaltensbeschreibung/Verhaltensbeobachtung Detaillierte Erhebung einer bezüglich der Entwicklungsschritte chronologisch genauen Anamnese (ggf. Verwendung von allgemeinen und spezifischen Inventaren) Körperliche Untersuchung Labor einschließlich Stoffwechselscreening des Urins Bei klinischem Verdacht ggf. Humangenetische Untersuchung EEG, Bildgebung (MRT)
Diagnostik/Behandlung Testpsychologische Untersuchung Allgemeine kognitive Lern- u. Leistungsmöglichkeiten Teilleistungen/schulische Teilleistungen Verfahren zur Erhebung sozialer Fähigkeiten Inventare zur Erhebung von Ängsten, Zwängen, Depression
Behandlung Bei den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen ist bislang keine kausale Therapie bekannt Die Behandlung erfolgt symptomatisch und sollte sich an den Bedürfnissen des jeweiligen Patienten orientieren Ziel sollte sein Leiden oder potentiell Leid bedingende Entwicklungsrisiken zu erkennen und zu lindern
Behandlung In der Regel ist ein multimodales Therapiekonzept individuell zu entwickeln Sozialpsychiatrische Maßnahmen (Unterstützung der häuslichen Betreuung und Pflege, ggf. Unterbringung, Planung Beschulung) Maßnahmen der Ergotherapie, Psychomotorik, Musiktherapie, Verhaltenstherapeutische Behandlung Medikation