Kirchliches Arbeitsrecht

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Beate Müller-Gemmeke Mitglied des Deutschen Bundestages Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kirchliches Arbeitsrecht 6. April 2013 Die großen christlichen Kirchen sind die größten Anbieter sozialer Dienstleistungen in Deutschland. Sie betreiben beispielsweise Krankenhäuser, Kindergärten, Altenpflegeeinrichtungen, Beratungsstellen oder Einrichtungen für Behinderte. In beiden Kirchen arbeiten jeweils ca. 150.000 Beschäftigte bei der verfassten Kirche und jeweils ca. 450.000 Menschen im sozialen Bereich bei der Caritas und der Diakonie. Es geht also um insgesamt 1,3 Mio. Menschen, für die der so genannte Dritte Weg und somit das kirchliche Arbeitsrecht gilt. Durch den seit den 1990er Jahren eingeführte Wettbewerb müssen sich auch die Träger sozialer Dienstleistungen einer betriebswirtschaftlichen Logik unterwerfen. In der Folge wird auch das kirchliche Arbeitsrecht vermehrt in Frage gestellt. Die Medien berichten kritisch über einzelne Geschäftsmodelle kirchlicher Einrichtungen. Die Gewerkschaft ver.di hat sich wegen des verweigerten Streikrechts durch die Instanzen geklagt. Aber auch die Unzufriedenheit bei den Beschäftigten in kirchlichen Wohlfahrtsverbänden nimmt zu. So schrieb die Mitarbeitervertretung Württemberg im Herbst 2011 an die Synodalen in Magdeburg: Der Dritte Weg ist einer von vielen, um zu gültigen Arbeitsverträgen zu kommen, er ist keine exklusive Erfindung der Kirche, er ist schon gar nicht theologisch zu begründen. Der Dritte Weg ist noch nicht einmal eindeutig. Im Bereich der EKD gibt es viele Dritte Wege : So unterscheiden sich die Wege zur Arbeitsrechtsetzung in Württemberg und Bayern, als ob Welten zwischen diesen beiden evangelischen Kirchen liegen würden. Die Gründe für die Unzufriedenheit der Beschäftigten sind vielfältig. Kritik gibt es an der zunehmenden Entkopplung der Löhne vom Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVöD), an Öffnungsklauseln der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen, Leiharbeit und der Ausgliederung einzelner Tätigkeiten in Servicegesellschaften, unzureichende Mitbestimmung und insbesondere am fehlenden Streikrecht. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen die Grundlagen Die Sonderrechte der Kirchen sind im Grundgesetz verankert. Artikel 140 Grundgesetz verweist auf die Weimarer Reichsverfassung (WRV), in der in Artikel 137 Absatz 3 das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verankert ist. Dort steht: Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltendenn Gesetzes. Demgemäß finden auch das Betriebsverfassungsgesetz, die Mitbestimmungsgesetze und das Kündigungsschutzgesetz für die Kirchen keine Anwendung. In Konflikt mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht steht aber das in Artikel 9 Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit. 1

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz(AGG) verbietet Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, des Alters oder der sexuellen Identität. Aber auch dieses Gesetz enthält eine Sonderregelung für die Beschäftigten von Religionsgemeinschaften und der ihnen zugeordneten Einrichtungen. Wenn das Verhalten der Beschäftigten nicht dem Selbstverständnis der jeweiligen Kirchen entspricht, ist eine unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten zulässig. Der Dritte Weg und die gegenwärtige Interpretation des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts wird seitens der Kirchen mit dem Begriff der Dienstgemeinschaft begründet. Beide Konfessionen haben mit diesem Begriff ein Leitbild geschaffen, mit dem sie sich von der weltlichen Arbeitswelt abgrenzen, indem die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche die Dienststellenleitungen und die Beschäftigten zu einer Dienstgemeinschaft verbindet und zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet. Mit der Dienstgemeinschaft werden der Abschluss von Tarifverträgen mit Gewerkschaften sowie das Streikrecht ausgeschlossen und die Anwendung kündigungswirksamer Loyalitätspflichten begründet. Wettbewerb im sozialen Bereich Anfang der 1990er Jahre wurden von Seiten der Politik Wettbewerbselemente im sozialen Bereich beschlossen. Mit der Ökonomisierung wurden schrittweise das Kostendeckungsprinzip aufgegeben und Ausschreibungsverfahren, Festpreis-, Höchstpreissysteme und prospektive Budgets eingeführt. Der Zwang zur Rationalisierung und Effektivierung der Leistungserbringung geht bis heute zu Lasten der Beschäftigten, da der Personalkostenanteil bei sozialen Dienstleistungen 65-70 Prozent der Gesamtkosten beträgt. Auch der Wettbewerbsdruck durch private Dienstleister hat stark zugenommen. Einige private Dienstleister zahlen geringere Löhne als kirchliche und kommunale Träger und können daher angesichts des hohen Personalkostenanteils Dienstleistungen billiger anbieten. Lange Zeit haben die Kirchen im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechtes die kirchlichen Entlohnungssysteme komplett an den Bundesangestelltentarif (BAT) gekoppelt. Teilweise lagen die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR), insbesondere die der Caritas, sogar über den Löhnen des damaligen BAT. Die Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen im kirchlichen Bereich waren bis mindestens 2003 noch in Ordnung. In dieser Zeit gab es weder von den Gewerkschaften noch von den Mitarbeitervertretungen grundlegende Kritik. Dies änderte sich 2005 mit der Umstellung vom BAT auf den TVöD. Waren bis zum Jahr 2003 noch alle kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien an den BAT gekoppelt, so waren im Jahr 2008 nur noch 400.000 der 1,3 Mio. Beschäftigungsverhältnisse im kirchlichen Sektor auf den TVöD bezogen Tendenz abnehmend. Aktuellere Zahlen gibt es nicht. Die Akzeptanz des Dritten Wegs sinkt. Auf katholischer Seite weniger als bei der evangelischen, zumindest, was die Entlohnungsbedingungen anbelangt. So schreibt der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in einer Broschüre Für gute und gerechte Arbeitsbedingungen: Um mit privaten Trägern konkurrieren zu können, ahmen diakonische Unternehmen deren Kostensenkungsstrategien nach: Sie bauen Personal ab, spreizen die Arbeitsentgelte, verlängern Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich, lagern Arbeitsfelder aus und kürzen Sonderzahlungen. Sie bieten in zunehmendem Maße befristete Arbeitsverträge oder auch Leiharbeitsplätze an. Einrichtungen nehmen 2

Ausgliederungen (Outsourcing) oder die Gründung von Servicegesellschaften vor und spalten auf diese Weise die Belegschaften. Die öffentliche Debatte um das kirchliche Arbeitsrecht zeigt mittlerweile erste Wirkungen. Die katholische Seite reagierte mit dem neuen Grundsatz entweder ganz kirchlich oder ganz weltlich, der ab 2014 gilt. Den Diakonischen Werken wurde empfohlen, mit einem gestuften System von Beratung, Ermahnung, Abmahnung und Ausschluss das kirchliche Arbeitsrecht zur Geltung zu bringen. Inwieweit diese Vorgaben fruchten, kann allerdings noch nicht beurteilt werden. Lohnfindung und Mitbestimmung im kirchlichen Bereich Je mehr die Unzufriedenheit bei den Beschäftigten wächst, umso wichtiger wird die Form der Lohnfindung und Mitbestimmung. Während im nicht-kirchlichen Bereich die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebenden verhandelt werden, geschieht dies bei den Kirchen und den kirchlichen Verbänden in sogenannten arbeitsrechtlichen Kommissionen (ARK). Diese sind paritätisch aus Beschäftigten und Arbeitgebern besetzt. Eine Schlichtungsstelle entscheidet, wenn es in den Kommissionen zu keiner Einigung kommt. Die Schlichtung erarbeitet aber keine Kompromisse, sondern setzt die Ergebnisse fest, an die sich die Arbeitnehmerseite sowie die Arbeitgeberseite aufgrund des Prinzips Dienstgemeinschaft halten müssen. An die Stelle von Arbeitskämpfen tritt also eine obligatorische Schlichtung. Die formalen Verhandlungsbedingungen des Kommissionensystems, also die Regeln des Zugangs, die Entscheidungsverfahren und die Ressourcenausstattung, werden auf evangelischer Seite von der Synode der EKD oder den Synoden der Gliedkirchen festgelegt. In der Diakonie werden die Verhandlungsregeln von der diakonischen Konferenz beschlossen. Sie setzt sich aus Mitgliedern der Synode, der Kirchenkonferenz und des Rates der EKD zusammen. Auf katholischer Seite sind die Verhandlungsbedingungen in sogenannten KODA-Ordnungen niedergelegt. Diese werden vom Bischof oder dem Generalvikar festgelegt, die gleichzeitig aber auch die Repräsentanten der Arbeitgeberseite in die Kommission entsenden. In der Caritas werden die Verhandlungsbedingungen der Arbeitsrechtlichen Kommission von der Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbands beschlossen. Weder bei der katholischen und evangelischen Kirche noch bei Caritas und Diakonie werden die Mitarbeitervertretungen in die zuständigen Gremien entsandt. Das ist eine zentrale Kritik, denn damit werden die Verhandlungsregeln einseitig ohne Beteiligung der Beschäftigten festgelegt. Zudem sind die Mitarbeitervertretungen anders als Gewerkschaften - in Verhandlungen Beschäftigte der Kirchen und stehen somit in einem Abhängigkeitsverhältnis. Das Wahlverfahren von Betriebs- und Personalräten ist gesetzlich festgelegt. Während das Wahlverfahren auf katholischer Seite mit der Urwahl nahezu vereinheitlicht ist, gibt es bei der Benennung der Mitarbeitervertretungen auf evangelischer Seite erhebliche Unterschiede. In manchen Landeskirchen werden Delegierte aus Gesamtausschüssen oder Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen in die Gremien gewählt. In anderen Landeskirchen nehmen Verbände die Vertretung der Mitarbeiterseite wahr, die bei den Beschäftigten aber nur einen geringen Rückhalt haben. Auch hier gibt es zahlreiche Kritik in der Form, dass die gewählten Mitarbeitervertretungen nicht auf Augenhöhe agieren können und ihnen insbesondere Informationen sowie personelle und finanzielle Ressourcen fehlen. 3

Streikrecht und Dritter Weg Die Arbeitnehmerseite hat in sogenannten arbeitsrechtlichen Kommissionen im Gegensatz zu den Gewerkschaften und das ist eine zentrale Kritik von ver.di und Teilen der Mitarbeitervertretungen vor allem keine Möglichkeit, durch Streiks Druck auszuüben, um ihre Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu verbessern. Die Beschäftigten haben damit einen deutlichen strukturellen Nachteil, denn im kirchlichen Arbeitsrecht wird das Recht auf Streik durch eine verbindliche Zwangsschlichtung ersetzt. Diese Kritik war auch Anlass für diverse Rechtsstreitigkeiten. Am 13.01.2011 hatte das Landesarbeitsgericht Hamm Streiks bei kirchlichen Einrichtungen zugelassen. Das Urteil wurde damit begründet, dass das Streikrecht ein Grundrecht ist und für alle Beschäftigten auch in den Kirchen, Diakonie und Caritas gilt. Ein genereller Ausschluss von Streiks in kirchlichen Einrichtungen sei unverhältnismäßig. Damit lag die Sache dem Bundesarbeitsgericht (BAG) vor, das am 20.11.2012 darüber entschieden hat. Das Gericht urteilte sehr differenziert und hat zwischen dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und der Koalitionsfreiheit eine praktische Konkordanz herbeigeführt. So haben die obersten Arbeitsrichter das absolute Streikverbot in kirchlichen Einrichtungen aufgehoben und gleichzeitig das kirchliche Selbstbestimmungsrecht bestätigt. Die Kirchen müssen nun das Koalitionsrecht akzeptieren, indem sie die Gewerkschaften einbinden und die Verhandlungsergebnisse auch wirklich verbindlich umsetzen. Damit sind die Kirchen nun aufgefordert, einen gewerkschaftsfreundlichen Dritten Weg zu schaffen. Gelingt das nicht, droht kirchlichen Einrichtungen zukünftig rechtsmäßige Streiks. Ver.di kritisiert die Vorgaben des Gerichts als zu vage und unbestimmt. Ein einziger Gewerkschaftsvertreter in den Kommissionen könnte schon Streiks verhindern. Deshalb hat ver.di mittlerweile Klage gegen das Urteil beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Tarifvertrag Soziale Dienste Ein gewerkschaftsfreundlicher Dritter Weg kann aber nicht alle Probleme lösen. Er stößt dort an seine Grenzen, wo Vergütungssätze ausgehandelt werden müssen und sich die Einrichtungen im Wettbewerb mit privaten Trägern befinden. Denn der zunehmende Wettbewerb bei den sozialen Diensten führt zu sinkenden Löhnen und zu einer steigenden Arbeitsverdichtung. Beides geht zu Lasten der Beschäftigten und der Qualität der Arbeit. Notwendig sind Regelungen, mit denen im sozialen Bereich faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen für alle Anbieter durchgesetzt werden können. Zentrales Problem ist aber, dass die auf dem Dritten Weg vereinbarten kirchlichen Vergütungen im Gegensatz zu Tarifverträgen nicht den Charakter rechtlicher Normen haben. Daher besteht auch nicht die Möglichkeit, diese Vergütungen entsprechend dem Tarifvertragsgesetz vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für alle Anbieter im sozialen Bereich allgemeinverbindlich zu erklären. Deshalb fordert ver.di, dass sich Diakonie und Caritas für Tarifverhandlungen und einen Tarifvertrag Soziale Dienste öffnen. Auch der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) schreibt in der besagten Broschüre Für gute und gerechte Arbeitsbedingungen: Einzig ein branchenweiter Tarifvertrag, der allen Anbietern im Sozialsektor gleiche Eintrittsbedingungen sichert, ist geeignet, die Arbeitsbedingungen fair zu gestalten und den Verdrängungswettbewerb über Lohnkosten zu reduzieren. Solch ein Tarifvertrag wäre selbstverständlich auch mit dem kirchlichen 4

Selbstbestimmungsrecht vereinbar. Schlussendlich darf es einen Wettbewerb über die Löhne in Krankenhäusern oder Pflegeheimen nicht geben, denn eine gesellschaftlich wertvolle Arbeit verdient faire Löhne. Ebenso muss die Qualität der sozialen Arbeit im Mittelpunkt stehen. Die besonderen Loyalitätspflichten Auch die Loyalitätspflichten, die weit in die persönliche Lebensgestaltung der Beschäftigten eingreifen, stehen vermehrt in der Kritik und beschäftigen auch die Gerichte. Denn die Caritas oder die Diakonie können Bewerberinnen oder Bewerber ablehnen oder Beschäftigte kündigen, die gegen die Sitten und Moralvorstellungen der jeweiligen Kirche verstoßen. Beispielsweise kann ein konfessioneller Kindergarten-Träger die Bewerbung einer geschiedenen und anschließend wiederverheirateten Frau, die beispielsweise als Reinigungskraft arbeiten möchte, ablehnen. Oder ein Krankenpfleger kann gekündigt werden, wenn der Arbeitgeber über seine gleichgeschlechtliche Verpartnerung erfährt. Allerdings wurde dem Selbstverwaltungsrecht der Kirchen in den jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) engere Schranken gezogen. Laut EGMR gelte es hinsichtlich der Kündigung von kirchlichen Beschäftigten wegen sittlicher Verfehlungen, die nach den Grundsätzen der betreffenden Kirche als schwerwiegende Sünde einzuordnen sind, einen Ausgleich zwischen dem Recht der Beschäftigten auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen andererseits zu finden. Das BAG führte in einer Entscheidung aus, dass Beschäftigte der kirchlichen Einrichtungen zwar zur Loyalität verpflichtet sind und religiöse Glaubenssätze beachten müssen. Das Gericht stellte allerdings klar, dass eine Kündigung nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Loyalitätsverstoß auch bei Abwägung der Interessen beider Seiten im Einzelfall ein hinreichend schweres Gewicht hat. Mit dieser Rechtsprechung werden aus der neuen Rolle kirchlicher Einrichtungen im sozialen Bereich Konsequenzen gezogen und die Rechte der Beschäftigten, deren Tätigkeit nicht in einer besonderen Nähe zu den Aufgaben einer Religion steht, aufgewertet. Insbesondere die katholische Kirche wird daraus Konsequenzen ziehen müssen. Auf evangelischer Seite spielen die kirchlichen Loyalitätspflichten nur eine untergeordnete Rolle, insbesondere die katholische Kirche wird daraus Konsequenzen ziehen müssen. 5