Geisteswissenschaft. Kevin Francke. Adorno - Freizeit. Studienarbeit

Ähnliche Dokumente
Integration - ein hehres Ziel

Zu Gustave Le Bons: "Psychologie der Massen"

Klemens Schaupp. Ein spiritueller Übungsweg. echter

Evaluation der Fortbildung:

Wertewandel in Deutschland

Aufklärung als Massenbetrug.Von der Kritischen Theorie zur Kritischen Medientheorie

Selbstbestimmung und Partizipation

Evaluation der Fortbildung:

Professionalität in der Ganztagsschule

Die Textilbranche als Teil der Konsumgesellschaft im Zeitalter der Digitalisierung: Eine Analyse. Bachelorarbeit

Propädeutik II, Sommersemester 2016

Auf der Suche nach dem Praktischen im Urteilen.

Was es heißt, (selbst-)bewusst zu leben. Theorien personaler Identität

Prozessual-systemische Sozialarbeit nach S. Staub-Bernasconi und ihre Umsetzung in der Behindertenhilfe

Diskutieren Sie aufbauend auf Lothar Krappmanns Überlegungen die Frage, was es heißen kann, aus soziologischer Perspektive Identität zu thematisieren?

Geisteswissenschaft. Silke Piwko

Sprache und Schrift in Hermann Pauls "Prinzipien" und de Saussures "Cours"

Evaluation der Fortbildung:

Arbeitsblatt 1 Konflikte

Evaluation der Fortbildung:

Schlüsselkompetenzen der Sozialen Arbeit

Das Böse bei Harry Potter und Kant

Zu "Sozialarbeit von unten" von Karam Khella

Evaluation der Fortbildung:

Evaluation der Fortbildung:

Biografieforschung und arbeit mit ErzieherInnen

Benito Mussolini: Ideologie des Faschismus

Karl Marx ( )

Zur Entstehungsgeschichte von Thomas Morus' Utopia und Niccolo Machiavelli's Der Fürst

Bei Marx spielt die individuelle Freiheit keine Rolle

Geisteswissenschaft. Carolin Wiechert. Was ist Sprache? Über Walter Benjamins Text Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen.

Die Europäische Politische Gemeinschaft

Max Webers Lehre über Herrschafts- und Handlungstypen

Leitbild. Regionales Pflegezentrum Baden AG

Mathem.Grundlagen der Computerlinguistik I, WS 2004/05, H. Leiß 1

Seminar Kognitive Entwicklung G H R D ab 2 HSe/se 2stg. Di IV 206

Unterstützte Selbstbestimmte Entscheidungsfindung

Lawrence Kohlbergs Stufentheorie des moralischen Verhaltens

Geisteswissenschaft. Angelika Janssen

10. In meiner (unserer) Wohnung gibt es einen Rückzugsbereich für mich.

Das Phasenmodell literarischen Verstehens von G.Waldmann

VWL A Grundlagen. Kapitel 1. Grundlagen

Akkreditierung zum Handwerksgehilfen Holz/Metall und Hilfskraft im Gartenbau und in der Hauswirtschaft

Die Repressionshypothese am Beispiel von Freuds "Unbehagen in der Kultur" und ihre Kritik durch Michel Foucault

Studienabbruch, Studiendauer und Studienerleben

Gesellschaftliche Stigmatisierung und die Entstehung von Subkulturen - Dargestellt am Beispiel von S/M

Auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung im Versorgungssystem

«TRUST MANAGEMENT CONSULTANTS» Kandidatenmarkt. Düsseldorf 17. Oktober 2016 Tak Win Cheng

Lehrtext. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Zentrale Einrichtung Fernstudienzentrum. Grundlagen psychologischer Gesundheitsförderung

Biografiearbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe

Sartre zwischen Freud und Marx

Die epikureische Erkenntnistheorie

Skizzieren Sie die Herrschaftstypen Webers und diskutieren Sie auf dieser Grundlage ein historisches Beispiel charismatischer Herrschaft

Arthur Schnitzlers "Der grüne Kakadu". Schein und Wirklichkeit

Evaluation der Fortbildung:

Einführung in die Soziologie sozialer Ungleichheit (PS)

Die Qualitative Sozialforschung und die Methode der Biographieforschung

Unterrichtsmaterialien in digitaler und in gedruckter Form. Auszug aus: Arbeit, Geld und Betrieb. Das komplette Material finden Sie hier:

Der Labeling Approach

Die Bedeutung des Temperaments in der Resilienzforschung

Marx-LK Wiederholungssitzung

Hegels»Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften«

Das Soziale und die Soziale Arbeit

Brechts Lehrstücke - Entstehung eines neuen Spieltypus unter besonderer Berücksichtigung der 'Maßnahme'

Materialistische Ethik

Karl Marx / Friedrich Engels. Karl Marx ( ) war zusammen mit Friedrich Engels ( ) der entscheidende und einflussreichste Kritiker der

Der Machtbegriff bei Hannah Arendt

Demokratietheorien im Vergleich

Einführung in die Marxistische Rechtstheorie

Die Prädestinationslehre als Ursache der rastlosen Berufsarbeit unter psychologischen Aspekten

Hermann Paul. Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften

Foucaults "Was ist ein Autor" und "Subjekt und Macht"

Adam Smith und die Gerechtigkeit

Die 'sensiblen Phasen' - Die Entwicklungstheorie Maria Montessoris und deren konkrete pädagogische Realisation in Montessori-Einrichtungen

1.1 Auswirkungen von Schlafentzug auf die Leistung von Ärzten im Dienst

Das Arena-Modell der Öffentlichkeit - Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen

Marx Analyse der Verwandlung von Geld in Kapital und inwiefern Diese zugleich innerhalb und außerhalb der Zirkulationssphäre vor sich geht

Gender und Beruf - Karrieren und Barrieren

Spannungsverhältnis Demokratie. Menschenrechte versus Volksrechte in der Schweiz

Protokoll der Sitzung vom

Rassismus in der Gesellschaft

Insitutionalisierung - Eine Kulturtheorie am Beispiel des jagdlichen Brauchtums

Erinnerung an eine Mode - Robert Musils Reflektion über die gesellschaftliche Reaktion auf die "Neue Frau" in den Mode-Essays von 1912 und 1929

Titel des Autonomen Tutoriums: Der Begriff der Arbeit in den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten von Karl Marx

Wissen und Repräsentation

ICF : Bezugsgröße für Teilhabe?

Historische Rolle Stalins

Wo geht`s hier zur Freiheit? Kindheit heute zwischen Institutionen, Bildungsanforderungen und Freizeit

Seele und Emotion bei Descartes und Aristoteles

Inhalt. Einleitung 11

Recht und andere gesellschaftliche Systeme oder Normengefüge

Kritik der Urteilskraft

Sören A. Kierkegaard: Formen der Existenz. * 1813 in Kopenhagen ab 1830 an der Universität Kopenhagen

Katja Melzer, M.A. Studienberatung

Theoretische und methodische Hintergründe des Reflecting Teams

Landwirtschaftliche Exportproduktion in Entwicklungsländern

Ökonomie bedeutet Wirtschaft allgemein die wirtschaftlichen Vorgänge in einem Land nennt man Nationalökonomie.

Nationaler Strategie-Plan 2018 bis 2020

Der normativ ontologische Wissenschaftsansatz und seinen Grundlagen

Kapitulation vor dem Eros

Transkript:

Geisteswissenschaft Kevin Francke Adorno - Freizeit Studienarbeit

Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Einführung in Adornos Kritische Theorie Kevin Francke Magister, HF: Politikwissenschaft, 1. NF: Psychologie, 2. NF: Philosophie 5. Semester, WiSe 2003/04 Thema Adorno Freizeit Gliederung 1. Brockhaus-Definition von Freizeit Seite 1 2. Adorno Freizeit Seiten 2 3 2.1. Idealer Freizeitbegriff 2 2.2. Fremdbestimmte Freizeit 2 3 3. Fazit Seite 4 Literaturnachweis

Der folgende Text ist eine Ausarbeitung des Anfang Dezember 2003 vorgestellten und von einer sehr fruchtbaren Diskussion getragenen Referats über Adornos Vortrag zu Freizeit, den dieser in einer Rundfunkrede am 25. Mai 1969 gehalten hatte. Zu Beginn soll lediglich im Sinne einer Einleitung geklärt werden, wie Freizeit definiert werden kann. Ein Vergleich zwischen Brockhaus-Definition und Adornos Freizeitbegriff wird hier nicht gezogen. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf der Darstellung von Adornos Überlegungen, wie mit Freizeit in der kapitalistischen Gesellschaft umgegangen wird. Es wird deutlich, dass Freizeit meistens nicht mit freier Zeit gleichzusetzen ist. 1. Brockhaus-Definition von Freizeit Laut dem Brockhaus ist Freizeit der Komplementärbegriff zu Arbeitszeit. Sie unterliegt weder den Anforderungen gesellschaftlich strukturierter Arbeit noch dient sie zur Regeneration, also essen und schlafen, und damit der Arbeitsfähigkeit. Je nach Abhängigkeit von äußeren Umständen oder Sichtweisen werden vier zum großen Teil verschiedene Freizeitbegriffe herausgearbeitet. In Abhängigkeit vom Sinn, den Freizeit hat, ist diese entweder alle Nicht-Arbeitszeit (quantitative Freizeit) oder die Zeit, in der ohne bewusste Einschränkung den eigenen Interessen nachgegangen werden kann (qualitative Freizeit). Eine zweite Begriffsdefinition unterscheidet zwischen materiellen und ideellen Bedürfnissen. Während in der Arbeitszeit die Sicherung der materielle Grundbedürfnisse im Vordergrund steht, erlaubt die Freizeit eine Befriedigung geistiger Bedürfnisse. In Abhängigkeit der Regeln der Arbeit wird die Freizeit gemäß dieser Regeln organisiert bzw. gerade aufgrund der starren Regelhaftigkeit der Arbeit ganz ohne Regeln und Verbindlichkeiten ausgelebt. Vor dem Hintergrund einer kontinuierlichen, geschichtlichen Entwicklung bestimmt die soziale Konzeption eine Definition. In Abhängigkeit von gesellschaftlichen Erwartungen wird allgemein die Zeit in Arbeitszeit und Freizeit eingeteilt. 1 2. Adorno Freizeit Das Wort Freizeit läßt in dem Leser den Schein aufkommen, die in Opposition zur Arbeitszeit stehende Freizeit ließe sich frei einteilen. Nach der fremdbestimmten Arbeitszeit sei die Zeit gekommen, frei zu entscheiden, wie diese Freizeit genutzt werden könne. Dass Freizeit gerade nicht in dem Sinne Muße sei nach Theodor W. Adorno ein Privileg unbeengten Lebens 2, die dem Individuum zur Selbstentfaltung zur Verfügung 3 stünde, verdeutlicht Adorno in seinem Vortrag Freizeit. 1 Brockhaus, S. 640f. 2 Adorno, S. 57 3 Brockhaus, S. 640 1

2.1. Idealer Freizeitbegriff Doch zunächst, sozusagen als vorweggenommene Alternative, beschreibt Adorno das Modell der idealen Freizeit an seinem eigenen Beispiel. Einerseits ist ihm seine Arbeit an der Universität, für die er eine angemessene Vergütung erhält, bislang so glückvoll gewesen, daß [er] sie nicht in jenen Gegensatz zur Freizeit zu bringen vermöchte 4. Andererseits ist jenes, womit er sich in der Freizeit beschäftigt, für ihn ein integrales Moment [s]eines Daseins 5. Die Bezeichnung dieser Tätigkeiten als bloßes Hobby wäre Hohn darauf 6. Diesen Umgang mit Zeit ohne die wertende Einteilung in Arbeits- und Freizeit ist es, was er als Modell und Ziel für die gesamte Gesellschaft sieht. 7 Erst wenn der Gegensatz zwischen Arbeitsund Freizeit, dessen diese zur Selbstdefinition bedürfen, aufgehoben ist und die Menschen selbstbestimmt handeln und ihre Zeit einteilen können, dann würde Freizeit wirklich einmal der Zustand, in dem, was einmal Vorrecht war, allen zugute kommt 8. Dass Freizeit in diesem Sinne nicht selbstbestimmt ist zeigt Adorno im weiteren Text auf. 2.2. Fremdbestimmte Freizeit Unterstützung findet er bei Marx: die Arbeitskraft sei zur Ware geworden und deshalb Arbeit verdinglicht 9. Arbeit hat Warencharakter; nicht um ihrer selbst, sondern um eines anderen Zwecks willen wird gearbeitet. Verteidigt man die strikte Trennung von Arbeitszeit und Freizeit, dann sei Freizeit ebenfalls verdinglicht. Das Hobby Camping ehemals Ausdruck eines Freiheitsbedürfnisses und Protest gegen bürgerliche Langeweile und Konvention 10 wird zur Funktion, vielmehr dieses Bedürfnis. Es würde von der Campingindustrie aufgegriffen, neu in den Menschen entfacht und schließlich von diesen soweit umgesetzt, dass es wunschgemäß kein Camping mehr sei, sondern Wohnen in der Natur, nicht mehr unterscheidbar vom normalen Leben. Der Camper werde zum Kauf von Artikeln animiert, die für das bloße Campen nicht nötig seien. Dieses im Vergleich mit Kunst anspruchslose Hobby Camping bestimme die Menschen in einem Bereich, wo sie am freiesten sich fühlen 11. 4 Adorno, S. 58 5 ebd. 6 ebd. 7 ebd., S. 59 8 ebd. 9 ebd. 10 ebd., S. 60 11 Adorno, S. 60; Dagegen ist Beschäftigung mit Kunst dem Menschen ein unbeeinflußteres und selbstbestimmteres Hobby. Es stellt sich nur die Frage, inwieweit dann noch von einem Hobby gesprochen 2