Warum wir ohne Bindungen nicht leben können Dr. med. Andreas Gschwind www.sonnenhalde.ch
Es geht auch ohne Bindung Die Mutter leistet in keinem Fall Schutz oder Aufzuchthilfe, der Nachwuchs ist von Anfang an auf sich alleine gestellt Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 2
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Harry Harlow, 1957 Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 4
Emotional Deprivation in Infancy Study by René A. Spitz 1952 Deprivationssyndrom Psychischer Hospitalismus Anaklitische Depression Stereotype Bewegungen Verzögerte motorische Entwicklung Verzögerte Sprachentwicklung Verminderte Intelligenz Autistische Symptome Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 5
Emotionale Nahrung Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 6
Der Mensch ist ein Beziehungswesen 1.5 Milliarden 800 Millionen Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 7
Was ist Bindung? Bindung ist eine überdauernde emotionale Beziehung zu einer oder mehreren vertrauten Personen. Bindung sichert den Schutz und die Fürsorge für das Überleben. Bindung ist für eine gesunde körperliche und psychische Entwicklung notwendig. Bindungsverhalten ist biologisch (genetisch) determiniert. Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 8
Bindungssystem aktiviert bei Bedrohung, Trennung (Angst, Schmerz) Durch körperliche Nähe zur Bindungsperson wird das Bindungsbedürfnis beruhigt. Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 9
Bindungstheorie John Bowlby (1907-90) Ein Säugling entwickelt im Laufe des ersten Lebensjahres eine spezifische emotionale Bindung (attachment) an eine Hauptbindungsperson («emotionales Band»). Die Bindungsperson ist der «sichere emotionale Hafen» für den Säugling. Vertraute Bezugsperson = «sichere Basis» für die Entdeckung der Welt Bowlby 1958, 1969 Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 10
Bindung- und Explorationsbedürfnis Exploration Bindung Bindung Exploration
Frühe Interaktionserfahrungen (Verhalten Bindungspersonen) Innere Arbeitsmodelle Bindungsstile Beziehungen Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 12
Mary Ainsworth 1913-99 Konzept der Feinfühligkeit Fremde Situation Test (1969) Bindungsqualität bei Kindern von 11-18 Monaten http://www.youtube.com/watch?v=qtsew NrHUHU Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 13
Bindungstypen Sichere Bindung (60%) Unsicher-vemeidende Bindung (20-25%) Unsicher-ambivalente Bindung (10-15%) Desorganisierte Bindung (5-10%) Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 14
Feinfühligkeit Feinfühligkeit und Verfügbarkeit der Pflegeperson fördert sichere Bindungsentwicklung Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 15
Feinfühligkeit Signale des Säuglings Wahrnehmen Richtig interpretieren Angemessen reagieren Prompt reagieren Blickkontakt, Berührung, Rhythmus der Interaktion in Handlung und Sprache Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 16
Postpartale Depression Über- oder Unterstimulation Depressiv ängstlich Mutter Kind Stress Negatives Feedback Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 17
Unsicher vermeidende Bindung Zurückweisung von Bindungsbedürfnissen Anpassung: Pseudounabhängigkeit Aber hoher innerer Stress ( Cortisol) Erhöhte Schwelle für Bindung ( Vermeidung bei starker Aktivierung des Bindungssystems) Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 18
Unsicher ambivalente Bindung Bindungsperson wechselhaft, widersprüchlich Intensive Aktivierung des Bindungssystems bei Trennung Bindungsambivalenz (Widersprüchliches Verhalten z.b. anklammernd und gleichzeitig aggressiv-abweisend) Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 19
Sichere Bindung Schutzfaktor bei Belastungen (Resilienz) Bessere Gedächtnisleistung/Lernen Mehr Bewältigungsmöglichkeiten, Flexibilität, Ausdauer Sich Hilfe holen, wenn nötig sozialeres Verhalten und mehr Empathie Mehr und glücklichere Beziehungen Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 20
«Erfahrungen, die Kinder mit ihren Eltern machen, nehmen Einfluss auf die spätere Fähigkeit affektive Beziehungen zu entwickeln.» Bowlby, 1979 Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 21
Was hält Paare zusammen? Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 22
Bindung und Partnerschaft Bindungstheorie: Bindung zu Eltern als Prototyp für spätere Liebesbeziehungen Bindungssicherheit im Verhalten gegenüber Partner wirksam Auch ohne Bindungssicherheit aus der Herkunftsfamilie kann eine sichere Bindung an den Partner erlangt werden. Sicherheit aus der Herkunftsfamilie zumindest bei einem Partner als Schutzfaktor für eine lange, stabile Ehe Berkic et al. 2007 «Sichere Bindung sichert die Bindung» Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 23
Eine Frage der Hormone? Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 24
Oxytocin Bindungshormon Liebeshormon Vertrauenshormon («liquid trust») Kuschelhormon Antistresshormon etc Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 25
Paartherapeutikum? Ditzen et al., 2009 Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 26
Bindung und Gesundheit Sicherer Bindungstyp (Untersuchung mit 12 und 18 Monate) am wenigsten körperliche Probleme Unsichere Bindung: 6x mehr Erkrankungen: Z.B. Diabetes, Herzerkrankungen, Rückenschmerzen, Hautprobleme etc. Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 27
Bindung und Kinder Transgenerationale Weitergabe von Bindungsmuster: 75% sicher gebundener Mütter haben auch sicher gebundene Kinder (65% Übereinstimmung bei Väter) Reaktivierung der eigenen Bindungserfahrungen in der Kindheit (und traumatischer Erfahrungen!) bei den Eltern Ausgelöste Emotionen und Bilder können Feinfühligkeit und Verhalten gegenüber Kinder beeinflussen. Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 28
Psychotherapie und Bindung Psychotherapeut als Bindungsperson Aktiviertes Bindungssystem Bindungsverhalten Not Patient Therapeut verfügbar bei Not Vertrauensperson, «wiser&stronger» Beruhigung, neue Erfahrungen angemessene Reaktion Feinfühligkeit Veränderungen der Bindungsqualität durch Psychotherapie? - Potentiell reparative Funktion der therapeutischen Beziehung - «Reparenting» - Bewusstwerden und Veränderung der inneren Arbeitsmodelle/kognitiven Schemata - Emotional korrektive Erfahrungen Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 29
Bindung und Spiritualität Michelangelo, Sixtinische Kapelle, zwischen 1508 und 1512 Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 30
Religiosität als Bindung 1. Aufrechterhalten von Nähe Gebet, Abendmahl 2. Sichere Basis Aus Geborgenheit bei Gott sich Aufgaben im Leben zuwenden 3. Sicherer Hafen Zuwendung zu Gott bei Trennung, Verlust, Tod 4. Stress bei Trennung Verlassenheit als subjekt Erfahrung (z.b. Hiob) 5. Bindungsfigur ist der weisere, stärkere andere Gott als Allmächtig Granqvist, Kirkpatrick 2008 Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 31
Gott - die ideale Bindungsfigur? Omnipräsent, allmächtig, allwissend Quelle von Hilfe, Trost und Kraft (Siehe Psalmen) Nähe durch Gebet, Gottesdienst, Liturgie aber: Kein physischer Kontakt Gottesbild als Projektion der Bindungserfahrungen? liebende Eltern, liebender Gott? zurückweisende Eltern, distanzierter Gott? strafende Eltern, strafender Gott? Bindungsbeziehung zu Gott als korrigierende Erfahrung? Kompensation oder Reparation unsicherer Bindungsqualität? Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 32
biologisch psychologisch Bindung sozial spirituell Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 33
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Gschwind Andreas/Riehener Seminar 2015 34