Vertiefung im Internationalen Privatrecht Internationales Familienrecht 2 Eheschließung
Vertiefung IPR - 1 Einführung Vorlesungsüberblick 1. Wiederholung Grundlagen des IPR 2. Eheschließung 3. Allgemeine Ehewirkung 4. Namensrecht 5. Ehescheidung 6. Eingetragene Lebenspartnerschaft 7. Faktische Lebensgemeinschaft 8. Intersexualität 9. Kindschaft 2
Fall 1: Der Spanier E und der Franzose F heiraten auf der Dune du Pyla (Frankreich). Gelten sie in Deutschland als wirksam verheiratet? Anmerkung: Sowohl in Spanien als auch in Frankreich ist die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich. 3
Vorüberlegungen 4
Vorrangige völkerrechtliche Vereinbarungen (-) (Haager Übereinkommen zur Regelung des Geltungsbereichs der Gesetze auf dem Gebiet der Eheschließung vom 19.06.1902 (RGBl. 1904, S. 221, Jayme/Hausmann Nr. 30) für Deutschland Italien Pariser CIEC-Übereinkommen vom 10.09.1964 (Jayme/Hausmann Nr. 31) zwischen Deutschland, Niederlande, Türkei, Spanien und Griechenland Deutsch-Iranisches Niederlassungsabkommen vom 5.9.1980 (RBl. 1930 II S. 1006, BGBl. 1955 II S. 829, Jayme/Hausmann Nr. 22) EU-Regelungen (-) Art. 81 Abs. 3 AEUV 5
Artikel 13 Eheschließung (1) Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. (2) Fehlt danach eine Voraussetzung, so ist insoweit deutsches Recht anzuwenden, wenn [...] sog. distributive Anknüpfung 6
Problem: Ehe schließung 7
Ernst Rabel 8
Problem der Qualifikation Einfluss von Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfG, Urteil v. 30.11.1982 1 BvR 818/81, BVerfGE 62, 323 = IPRax 1984, 68) 9
Lösungsskizze I. Keine vorrangigen völker- oder unionsrechtlichen Regelungen II. IPR-Anerkennung der im Ausland geschlossenen Ehe Art. 13 I EGBGB? III. Ehe i.s.d. Art. 13 EGBGB? IV. Ergebnis (h.m.): Verfassungskonforme Auslegung: Sobald gleichgeschlechtliche Partner Art. 13 EGBGB (-), stattdessen Art. 17b EGBGB (a.a. vertretbar) (Folgefragen werden in späterer Stunde beantwortet) 10
Fragen? 11
Fall 2: Die deutsche D und der Jordanier J wollen in Deutschland heiraten. J ist bereits in Jordanien (wirksam) mit der X verheiratet. Wie ist die Rechtslage? Anmerkung: Nach jordanischem Recht ist es zulässig, dass ein Mann bis zu vier Frauen ehelicht, soweit er in der Lage ist, sie zu versorgen. Es ist zu unterstellen, dass das jordanische Kollisionsrecht dem deutschen entspricht. 12
Vorüberlegungen 13
11 PStG Zuständigkeit Zuständig für die Eheschließung ist jedes deutsche Standesamt. 14
Artikel 13 Eheschließung (1) Die Voraussetzungen der Eheschließung unterliegen für jeden Verlobten dem Recht des Staates, dem er angehört. [...] (3) 1 Eine Ehe kann im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden. 2 Eine Ehe zwischen Verlobten, von denen keiner Deutscher ist, kann jedoch vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden; eine beglaubigte Abschrift der Eintragung der so geschlossenen Ehe in das Standesregister, das von der dazu ordnungsgemäß ermächtigten Person geführt wird, erbringt vollen Beweis der Eheschließung. Eheschließungsmonopol des Staates 15
Jordanische Ehevoraussetzungen für J (kein renvoi) Ehevoraussetzungen: Eheschließung darf nicht erst in der Zukunft stattfinden oder von der Erfüllung einer unerfüllbaren Bedingung abhängig sein Nichtigkeit bei: Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft oder Ehefrau keine Angehörige einer Buchreligion bzw. der Ehemann kein Muslim und die Ehefrau muslimischen Glaubens. u.a. (Wissen nicht für die Klausur relevant!) 16
Deutsche Ehevoraussetzungen für D 1303 ff. BGB insb. 1306 BGB 17
Folgefrage: Für wen gelten die Ehevoraussetzungen (D ist unverheiratet)? - einseitiges oder zweiseitiges Ehehindernis? Auslegung der Norm 1306 Bestehende Ehe oder Lebenspartnerschaft Eine Ehe darf nicht geschlossen werden, wenn zwischen einer der Personen, die die Ehe miteinander eingehen wollen, und einer dritten Person eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft besteht. 18
Lösungsskizze I. Zuständigkeit des deutschen Standesamts für Eheschließung in Deutschland II. Anwendbares Recht: Keine vorrangigen Regelungen (EU-Recht oder VR) III. Art. 13 I EGBGB für J: jordanisches Recht (nimmt die Verweisung nach Art. 4 I 1 EGBGB an) Ehevoraussetzungen erfüllt IV. Art. 13 I EGBGB für D: deutsches Recht 1302 ff. BGB 1. Voraussetzung, unverheiratet zu sein (+) 2. Zweiseitiges Ehehindernis auch potentieller Ehepartner muss unverheiratet sein (-) Ergebnis: keine Eheschließung möglich 19
Fragen? 20
Folgefrage: Wie findet das deutsche Standesamt dies heraus? 21
12 PStG Anmeldung der Eheschließung (1) Die Eheschließenden haben die beabsichtigte Eheschließung mündlich oder schriftlich bei einem Standesamt, in dessen Zuständigkeitsbereich einer der Eheschließenden seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, anzumelden. Hat keiner der Eheschließenden Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist das Standesamt, vor dem die Ehe geschlossen werden soll, für die Entgegennahme der Anmeldung zuständig. (2) Die Eheschließenden haben bei der Anmeldung der Eheschließung durch öffentliche Urkunden nachzuweisen 1. 4. wenn sie schon verheiratet waren oder eine Lebenspartnerschaft begründet hatten, die letzte Eheschließung oder Begründung der Lebenspartnerschaft sowie die Auflösung dieser Ehe oder Lebenspartnerschaft. Ist die letzte Ehe oder Lebenspartnerschaft nicht bei einem deutschen Standesamt geschlossen worden, so ist auch die Auflösung etwaiger weiterer Vorehen oder Lebenspartnerschaften nachzuweisen, wenn eine entsprechende Prüfung nicht bereits von einem deutschen Standesamt bei einer früheren Eheschließung oder Begründung einer Lebenspartnerschaft durchgeführt worden ist. (3) Das Standesamt hat einen Antrag auf Befreiung von der Beibringung des Ehefähigkeitszeugnisses aufzunehmen und die Entscheidung vorzubereiten; hierfür haben die Eheschließenden auch die Nachweise zu erbringen, die für die Prüfung der Zulässigkeit der Ehe nach anzuwendendem ausländischen Recht erforderlich sind. 9 gilt entsprechend. 22
1309 BGB Ehefähigkeitszeugnis für Ausländer (1) Wer hinsichtlich der Voraussetzungen der Eheschließung [...] ausländischem Recht unterliegt, soll eine Ehe nicht eingehen, bevor er ein Zeugnis der inneren Behörde seines Heimatstaats darüber beigebracht hat, dass der Eheschließung nach dem Recht dieses Staates kein Ehehindernis entgegensteht. [...]. Jordanisches Recht sieht keine Ehefähigkeitszeugnisse vor. (2) Von dem Erfordernis nach Absatz 1 Satz 1 kann der Präsident des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk das Standesamt, bei dem die Eheschließung angemeldet worden ist, seinen Sitz hat, Befreiung erteilen. Die Befreiung soll nur [...] Angehörigen solcher Staaten erteilt werden, deren Behörden keine Ehefähigkeitszeugnisse im Sinne des Absatzes 1 ausstellen. [...] 23
Fragen? 24
Vertiefung IPR - 10 Wiederholung Fall 3: Der Jordanier J und die Deutsch-Jordanierin X haben in Jordanien geheiratet, wobei X von ihrem Vater und rechtlichen Vormund V vertreten wurde. Ist diese Eheschließung aus deutscher Sicht wirksam? Anmerkung: Nach jordanischem Recht ist für die Frau die Beteiligung eines Vormunds bei der Eheschließung erforderlich, dessen Ablehnung der Zustimmung wirkt sich bei einer 18-jährigen, geistig gesunden Frau nicht auf den Abschluss der Ehe oder deren Gültigkeit aus, wenn diese sie eingehen will. Im Übrigen entspricht das jordanische Recht dem deutschen. 25
Vorüberlegung 26
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Qualifikation Art. 13 EGBGB (Eheschließungsstatut) oder Art. 11 EGBGB (Formstatut) 28
Vertiefung IPR - 10 Wiederholung Die Eheschließung zwischen J und X ist in Deutschland wirksam, wenn sie dem deutschen Recht einschließlich des Kollisionsrechts entspricht. Gem. Art. 13 Abs. 1 EGBGB richtet sich die Voraussetzungen für eine Eheschließung, d.h. die staatlich formalisierte, potentiell auf Lebenszeit eingegangene Verbindung zumindest von Mann und Frau nach dem Heimatrecht jedes der beiden Verlobten (Gesamtnormverweisung, Art. 4 I 1 EGBGB). J ist Jordanier. Das jordanische Recht nimmt die Verweisung an. Nach jordanischem Recht ist die Eheschließung wirksam. X hat sowohl die jordanische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Gem. Art. 5 Abs.1 S. 1 EGBGB ist bei Doppelstaatern grundsätzlich auf das Recht des Heimatstaats abzustellen, mit dem die Person am engsten verbunden ist (effektive Staatsangehörigkeit). Nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB gilt dies aber nicht, wenn... 29
Vertiefung IPR - 10 Wiederholung Somit ist gem. Art. 13 Abs. 1 i.v.m. Art. 5 Abs. 1 S. 2 für die J deutsches Sachrecht einschlägig. Gem. 1311 Abs. 1 BGB ist für eine wirksame Eheschließung die höchstpersönliche Erklärung der Verlobten erforderlich, die Ehe eingehen zu wollen. X hat eine solche Erklärung nicht höchstpersönlich abgegeben, sondern wurde von ihrem Vormund V vertreten. Somit wäre die Eheschließung unwirksam. Etwas anderes könnte gelten, wenn die Frage, ob bei der Eheschließung eine höchstpersönliche Erklärung erforderlich ist, nicht vom Eheschließungsstatut des Art. 13 Abs. 1 EGBGB erfasst wäre, sondern stattdessen als eine Formfrage zu qualifizieren wäre, die dann dem gem. Art. 11 EGBGB zu bestimmenden Recht unterfiele. Die Qualifikation wird nach ganz h.m. in Deutschland aus Sicht der lex fori vorgenommen, allerdings unter besonderer Berücksichtigung der besonderen Interessen des Kollisionsrechts. Es ist daher darauf abzustellen, ob die Vertretung der X durch den V nach jordanischem Recht materiellrechtlichen Charakter hatte, d.h. tatsächlich auf den Willen des V statt den der X abzustellen war, oder stattdessen nur die Form, d.h. den Ablauf der Eheschließung gestalten sollte. Im jordanischen Recht 30
Fragen? 31
Literatur: Problem der Qualifikation Kegel/Schurig, IPR, 2004, 7 (insb. S. 336-349) Mankowski/Höffmann, Scheidung ausländischer gleichgeschlechtlicher Ehen in Deutschland, IPRax 2011, 247 Eheschließung Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Auflage 2006, 44 (S. 330 ff.) 32