Diagnostik. in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie. Christoph Herrmann-Lingen

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Transkript:

Diagnostik in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie Christoph Herrmann-Lingen

Ebenen der Diagnostik in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie Befunderhebung/-dokumentation Störungsdiagnostik Beziehungsdiagnostik Ätiologische Diagnostik Biographisch Psychodynamisch / verhaltenspsychologisch Somatisch / Psychophysiologisch

Erhebung und Dokumentation psychischer Befunde Allgemeine Anamnese Beschreibung von Gegenübertragung und Szene Gezielte Screening-Fragen nach z.b. Depression Psychometrische Instrumente Psychopathologische Befunderhebung Körperliche / apparative Untersuchung

Grundlagen der psychosomatischen Diagnostik biopsychosoziale Anamnese Beziehungsdiagnostik (empathisches/szenisches Verstehen, Psychodynamik, Verhaltensanalyse) Psychopathologischer Befund, psychometrische Diagnostik (+ (+ ggfs. projektive Tests) Somatische // psychophysiologische Diagnostik (Physiotherapeutische Diagnostik)

Spezielle Fragestellungen in der psychosomatischen Anamnese Warum bekommt dieser PatientIn mit dieser biologischen Disposition und dieser Biografie / Persönlichkeit in dieser Lebenssituation dieses Symptom?

Spezielle Fragestellungen in der psychosomatischen Anamnese Welche (aktuellen // früheren) Belastungen liegen vor? Welche Ressourcen haben ihn/sie bisher gesund gehalten? Welche Funktion (Ausdruck, Krankheitsgewinn) hat das Symptom? Warum kommt er/sie jetzt zu zu mir? Wie gestaltet er/sie die Gesprächssituation? Wie reagiere ich selbst emotional auf die Situation?

Psychometrische Diagnostik z.b. HADS ein Screening-Fragebogen für körperlich Kranke

Psychometrische Diagnostik z.b. Hr. L.

Psychometrische Diagnostik z.b. Hr. L.

Störungsdiagnostik Diagnosestellung körperlicher Krankheiten gemäß somatischer Standards Diagnosestellung psychischer Störungen gemäß deskriptiver Klassifikationssysteme nach Interview (ICD-10; DSM IV) Diagnosestellung psychosomatischer Störungen erfordert meist Synopse körperlicher und psychischer Befunde

Beziehungsdiagnostik Psychische / Psychosomatische Störungen oft Beziehungskrankheiten ; Fragen daher: Wie gestaltet der Patient die Arzt-Patient-Beziehung? (Reflexion von von Gegenübertragung und und Szene ) Wie gestaltet er er seine Beziehungen allgemein? (Anamnese; ggfs. Fremdanamnese)

Beziehungsdiagnostik wie der Patient andere immer wieder erlebt wie er er in in seinem Erleben darauf reagiert welches Beziehungsangebot er er anderen mit dieser Reaktion (unbewusst) macht welche Antwort er er anderen damit (unbewusst) nahe legt wie es es der Patient erlebt, wenn andere wie ihnen nahe gelegt antworten

Beziehungsdiagnostik das Zirkumplexmodell

Beziehungsdiagnostik das Zirkumplexmodell

Ätiologische Diagnostik: Biopsychosoziale Anamnese Biographische Risikofaktoren? (Vorerkrankungen? Lebensveränderungen? Verluste? Traumatisierungen? Chronischer Stress? Maladaptive Erlebens- oder Verhaltensmuster?) Korrelative Zusammenhänge mit Auftreten, Wechsel oder Intensitätsänderung von Symptomen? Protektive Faktoren // Ressourcen? Ziel: Hypothesenbildung, keine Schublade!

Ablauf der biopsychosozialen Anamnese (nach Bräutigam und Christian) Bild Bild der der ganzen Person, ihrer ihrer Ressourcen, Konflikte etc. etc. Kontaktaufnahme, Anlass der der Vorstellung: Symptomatik Zeitl. Ablauf, Lebenssituation beim Auftreten; körperl. Befund Biographische Entwicklung, frühere Beziehungen, Belastungen, Bewältigung Allgemeines psychosoziales Umfeld u. u. somat. Begleitprobleme

Häufige konfliktträchtige Lebensbereiche Herkunftsfamilie Partnerschaft / Bindung / Sexualität Eigene Elternrolle Berufs- / Leistungsverhalten Einkommens- und Besitzverhältnisse Soziokultureller Raum

Ätiologische Diagnostik: Psychodynamik Integration der intrapsychischen und interpersonellen Dynamik anhand Symptom-, Störungs und Beziehungsdiagnostik, z.b. OPD-2 5 Beurteilungsdimensionen Krankheitserleben und und Behandlungsvoraussetzungen Beziehungsdiagnostik bewusste und und unbewusste innere Konflikte Strukturniveau (Fähigkeit zur zur Problembewältigung) psychische und und psychosomatische Störungen

Ätiologische Diagnostik: Verhaltensanalyse Angaben zur zur Person Verhaltensbeobachtung Präzise Beschreibung des des Problems Bedingungen des des Problems Organismus-Variable Selbstkontrolle Genese Hypothetisches Bedingungsmodell Vorläufiges Fazit: zusätzliche diagnostische Untersuchungen? Zusammenhänge zwischen den den Problemen Motivationsanalyse Zielanalyse

Lampenfieber und Herzfrequenz GÖTTINGEN Vortrag HF/S/min HF/S/min 130 130 120 120 110 110 100 100 90 90 80 80 70 70 60 60 3 4 5 6 50 09:29:37 09:59:37 10:29:37 10:59:37 11:29:37 Zeit: 11:47:25.8 HF: 71 S/min Zeit

Herzfrequenz bei körperlicher Belastung

EKG bei körperlicher Belastung GÖTTINGEN prä HR 71-101 Stress HR 182-186 post HR 93-100

Herzfrequenz bei psychosozialer Belastung

EKG bei psychosozialer Belastung GÖTTINGEN prä HR 72-108 Stress HR 135-141; ST,VES! post HR 63-123; SVES

Studentengespräch und Blutdruck GÖTTINGEN Studentengespräche Gruppentherapie

Mess-System für psychophysiologische Labordiagnostik Impedanzkardiographie (Hämodynamik: Schlagvolumen, CI, TPR) Beat-to-beat arter. BD mit oszillometr. Kalibrierung (BD, BD-Variabilität, Barorezeptorsensitivität) EKG 1000 Hz (HR, HRV)

Herzfrequenzverlauf bei unterschiedlichen Personen GÖTTINGEN Hr. K., 24 J., Student Takt Rechnen Ärger Hr. N., 18 J., dissoz. Störung Takt Rechnen Ärger Hr. M., 61 J., HTN+somatof. Störung Rechnen Takt Ärger Hr. R., 65 J., KHK+Betablocker Rechnen Takt Ärger Hr. S., 64 J., KHK+HTx Takt Rechnen Ärger

Blutdruckverlauf bei unterschiedlichen Personen GÖTTINGEN Hr. K., 24 J., Student Takt Rechnen Ärger Hr. N., 18 J., dissoz. Störung Takt Rechnen Ärger Hr. M., 61 J., HTN+somatof. Störung Rechnen Takt Ärger Hr. R., 65 J., KHK+Betablocker Rechnen Takt Ärger Hr. S., 64 J., KHK+HTx Takt Rechnen Ärger

Blutdruck nach Testphase bei unterschiedlichen Personen Verlauf diast. Blutdruck (mmhg) Verlauf syst. Blutdruck (mmhg) 140 200 120 180 160 100 140 80 120 100 60 80 40 20 0 Rrdiast Hr Sch Htx Rrdiast Hr R KHK Rrdiast Hr M somatoform Rrdiast Hr K Student 60 40 20 0 Rrsyst Hr Sch Htx Rrsyst Hr R KHK Rrsyst Hr M somatoform Rrsyst Hr K Student Takt6/min Rechnen Pause Ärger 10'nach Takt6/min Rechnen Pause Ärger 10'nach

Zusammenfasung Psychosomatische Diagnostik = Mehrebenendiagnostik Grundlage: Biopsychosoziale Anamnese Ergänzung durch somatische, psychopathologische, psychometrische und psychophysiologische Befunde Integration von Anamnese und Befunden in in psychodynamische / behaviourale Hypothesen und Störungsdiagnosen Überprüfung im im Behandlungsprozess, kein Schubladendenken