Abhängigkeit des Einzelhandels in der Region Hochrhein-Bodensee vom Einkaufsverhalten der Kunden aus der Schweiz

Ähnliche Dokumente
TOP 3 Zur aktuellen Lage im Handel

WIRTSCHAFTSREGION HOCHRHEIN / BODENSEE. Prof. Dr.h.c. Lothar Erik Siebler

Kennzahlen zum Einzelhandel in der Region Neckar-Alb 2003

I H K - R E S E A R C H Z O O M 12. N O V E M B E R

Statistische Nachrichten

Ergebnisse aus dem Handelsreport 2016

Offensive Standortmarketing Waldkirch: Einzelhandelserhebung und -befragung - Zentrale Ergebnisse -

Regionale Tourismusausgaben

Statistische Nachrichten

information Konjunktur LAGE UND PERSPEKTIVE IM FRÜHJAHR _16 Januar 2016

G Kaufkraftströme und Einzelhandelszentralität

information Konjunktur LAGE UND PERSPEKTIVE IM FRÜHJAHR _18 Januar 2018 Gesamtwirtschaft

5. Wirtschaftskraft und Wirtschaftsstruktur

Der Lebensmittelmarkt in Österreich LEH / DFH / GH / C&C

Vergleichsprogramm von EUROSTAT und der OECD

Armutsquote (Quelle: Armutsatlas Paritätischer Gesamtverband)

Statistische Nachrichten

Ergebnisse zum Bruttoinlandsprodukt und zur Bruttowertschöpfung für die Stadt Trier und die rheinland-pfälzischen Vergleichsräume 2006

zur allgemeinen Kaufkraft zur einzelhandelsrelevanten Kaufkraft und zum Einzelhandelsumsatz sowie zur Einzelhandelszentralität

Auslandseinkäufe 2015 Endbericht

M+E-Industrie bleibt Exportbranche Nummer eins

Global denken lokal handeln: Mehr landwirtschaftliche Produkte aus Österreich

Studie GfK Sortimentskaufkraft Europa zeigt unterschiedliche Konsummuster

Kennzahlen für den Einzelhandel in Mainfranken 2011 Kaufkraft, Umsatz, Zentralität

Politische Arbeitsgruppe der Kantone «Finanzausgleich» Anhang zum Schlussbericht

Eine gute Wahl. Düsseldorf-Wersten

I. HAMBURG IM VERGLEICH

Weineinkauf privater Haushalte. in Deutschland im Handel - 1. Quartal

Kompaktinformation Handel. Kennziffern für den Einzelhandel im IHK-Bezirk Braunschweig 2017: Kaufkraft, Umsatz und Zentralität

Einkaufszentrum "Schlosspark-Arkaden", Braunschweig Standort- und Marktanalyse - Verträglichkeitsstudie

STATISTISCHES JAHRBUCH DER STADT ZÜRICH 2014

Regionalwirtschaftliche Effekte der Hochschule Luzern für

Vorstellung Geschäftsfeld International im Handelsausschuss

Wirtschaftliche Wirkungen von Messen und Veranstaltungen in den Westfalenhallen Dortmund

Vorwort 6. Exkurs: Logistische Herausforderungen des Multi-Channeling 18

Aktuelle Trends im Einzelhandel

Potenziale für Food, Bekleidung, Unterhaltungselektronik. Werner-von-Siemens-Str. 9 Gebäude 6508 D Bruchsal

STATISTISCHES JAHRBUCH DER STADT ZÜRICH 2017

STATISTISCHES JAHRBUCH DER STADT ZÜRICH 2016

Übersicht. Einfluss der Größe einer Volkswirtschaft auf den Handel Weitere Faktoren, die den Handel beeinflussen

Starke Zunahme der Anbieter in Berlin: Anzahl der Hotels, Kongresszentren, Locations

Köln Bonn Airport b.45,/6z/

Branchenspiegel 2016: Entwicklung von Angebot und Nachfrage

Fünffach stark für die Region. Regionalwirtschaftliche Effekte von EWE eine wissenschaftliche Untersuchung von CONOSCOPE

Auszug aus der Studie: Einkaufstourismus Schweiz Eine Untersuchung des Forschungszentrums für Handelsmanagement der Universität St.

Arbeitnehmereinkommen 2002 im Städtevergleich - Gründe für die Spitzenstellung Stuttgarts

Wirtschaftsstandort UKRAINE. Handel. Umsatz Betriebe Beschäftigte Arbeitslohn Investitionen Rentabilität Aussichten. Kontakt:

Medienmitteilung. GfK veröffentlicht Kaufkraft 2015 für die Schweiz und Österreich. Regionalisierte GfK Kaufkraftdaten für die DACH-Region

Jahresbericht 2010 Statistiken. Kennziffern für den IHK-Bezirk. Kaufkraft im IHK-Bezirk 2010* Kaufkraft in Euro.

Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Lederwaren- und Kofferindustrie im ersten Halbjahr 2015

5.9 Der Wirtschaftsbereich Freizeit- und Gesundheitsdienstleistungen

Import Export Konsumgüter Vorleistungsgüter AUSSENHANDEL. Zielländer Maschinen Verbrauchsgüter. Herkunftsländer. Chemische Erzeugnisse.

Zum Aufkommen an Einkommensteuer 2004

Preisbereinigtes Bruttoinlandsprodukt in Sachsen-Anhalt im Jahr 2018 um 0,9 % gestiegen

Auslandeinkäufe Thomas Hochreutener GfK Switzerland Hergiswil, 5. April GfK 2013 Auslandeinkäufe

Düsseldorf - Metropolregion mit hoher Wirtschaftkraft

Büro und Handel: anhaltende Nachfrage Mietwachstum mit nachlassender Dynamik Miet-Zenit auf dem Wohnungsmarkt noch nicht erreicht

Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Lederwaren- und Kofferindustrie im ersten Halbjahr 2015

Online-Handel Fashion & Accessoires Online

Konsequenzen aus der Zuwanderung von Flüchtlingen auf die Nahversorger in Kleinstädten

GfK GeoMarketing veröffentlicht Kaufkraft 2012 für Österreich und die Schweiz

Ausgewählte Beiträge zur Schweizer Politik

Ordentliche Einnahmen 2017

Immowelt-Marktbericht Frankfurt

» Variable Vergütung. Zielerreichung und Auszahlung der variablen Vergütung für das Jahr 2012

Pressemitteilung. Einsparungen in den öffentlichen Haushalten

Starke Anstiege bei Einlagenund Kreditzinssätzen

Export. Import. Zielländer. Herkunftsländer AUSSENHANDEL. Verbrauchsgüter. Maschinen. Vorleistungsgüter. Konsumgüter. Chemische Erzeugnisse.

Mehr Zentrum geht nicht. Düsseldorf-Gerresheim

Direktinvestitionen der international tätigen Unternehmen als Schlüsselfaktor für Wachstum und Wohlstand in der Schweiz

ONLINE- UND VERSANDHANDELSMARKT SCHWEIZ 2017

Personen über 55 Jahren in der Sozialhilfe: Fakten und Trends 1

Kaufkraft, Umsatz und Zentralität. Kennzahlen für den Einzelhandel 2016 in der Region Coburg

Der Fleischkonsum ist 2013 wieder leicht angestiegen.

Kaufkraft, Umsatz und Zentralität

- 0.2% 0.7% 1.3% Handel im Wandel - Detailhandel Schweiz Umsatzentwicklung in Mrd. CHF

cool facts Tiefkühlkost Zahlen, Daten, Fakten

Wirtschaftsbilanz der Region Schleswig 2017

Raff Reale Außenwirtschaft WS 07/08 Folie 2-1

Immobilienmärkte bleiben weiter in Fahrt

Erfurter Statistik. Halbjahresbericht 1/2012. Hauptamt 1

Kennziffern zur wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt Trier

auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi und der Fraktion der PDS Drucksache 14/ 416

presseinfo presseinfo presseinfo presseinfo

Der deutsche Einzelhandel

Positive Vorzeichen fürs Weihnachtsgeschäft

STAR: Entwicklung der Strukturen und Beschäftigtenzahlen in Rechtsanwaltskanzleien

Pro-Kopf-Ausgaben für Kindertagesbetreuung im Zehn-Jahres-Vergleich: 2006 bis 2015

Strukturdaten Einzelhandel Erfurt

Mit Charme und Vielfalt

Wirtschaftsbilanz der Region Schleswig 2016

Versorgung mit Briefkästen und Paketshops in Deutschland

Unabhängigkeit bleibt auf der Agenda

Die Bedeutung von Marke und Markenartikelindustrie Eine volkswirtschaftliche Perspektive

Rohstoff. Fiskalquote Datum:

Mafo-News 2. Quartal Einkäufe privater Haushalte im Handel in Deutschland

Zur wirtschaftlichen Lage der deutschen Lederwaren- und Kofferindustrie im ersten Halbjahr 2014

Vorwort. Sehr geehrte Damen und Herren,

Demografische Entwicklung und mögliche ökonomische Folgen. Überlegungen

Das ilo-konzept der unterbeschäftigung

Transkript:

Abhängigkeit des Einzelhandels in der Region Hochrhein-Bodensee vom Einkaufsverhalten der Kunden aus der Schweiz Eine Abschätzung Stand Juli 2016 Autoren: Dr. Uwe Böhm Bertram Paganini Monika Platkova

Inhaltsverzeichnis Vorwort... 3 1.Besonderheiten in der Region Hochrhein-Bodensee... 4 1.1. Grenzüberschreitender Kaufkraftvergleich... 5 1.2. Beitrag der Grenzgänger zur Kaufkraft... 6 1.3. Einzelhandelsumsatz und Zentralität in der Region Hochrhein-Bodensee... 8 1.4. Beschäftigungseffekte... 9 2. Konsumverhalten der Kunden aus der Schweiz in Deutschland... 10 2.1. Ergebnisse der Leserumfrage RhyExpress... 11 2.2. Preisniveau-Indizes-Vergleich... 14 3. Auswirkungen des Konsumverhaltens der Kunden aus der Schweiz auf die Region Hochrhein-Bodensee... 16 3.1. Entwicklung des Schweizer Franken... 16 3.2. Ausfuhrkassenzettel und die Bagatellgrenze... 17 3.3. Bedeutung des Kaufkraftstroms am Beispiel Rheinbrücke für den Innenstadthandel in Rheinfelden/Baden... 19 Fazit... 20 2

Vorwort Baden-Württemberg exportierte im Jahr 2015 Waren von rund 13,4 Mrd. Euro in die Schweiz, womit die Schweiz zu einem der wichtigsten Handelspartner Baden- Württembergs zählt (Platz 4). Bei den Exporten nimmt die Schweiz im Deutschlandranking mit 49,3 Mrd. Euro Platz 9 ein. Durch die unmittelbare Grenznähe des Kammerbezirkes der IHK Hochrhein-Bodensee und einer gemeinsamen Grenze mit der Schweiz von rund 300 km sind die wirtschaftlichen Verflechtungen stark vom gegenseitigen Austausch geprägt. Rund 45.000 Grenzgänger sind aus der Region in der Schweiz beschäftigt. Die geografische Lage der Schweiz dient darüber hinaus auch als Drehscheibe bei den Nord-Süd Transporten. So passieren bei den großen Zollämtern an der deutsch-schweizerischen Grenze, wie z.b. am Autobahnzollübergang Weil am Rhein, täglich mehr als 2.000 LKWs die Grenze in jede Richtung. Insbesondere der Warenaustausch im Reisendenverkehr mit dem Nachbarn Schweiz stellt für Südbaden eine wirtschaftlich wichtige Säule des regionalen Einzelhandels dar. In unmittelbarer Grenznähe wird sogar die Nahversorgung auf deutscher Seite für die anliegenden Schweizer Gemeinden sichergestellt. Qualifizierte Schätzungen ergeben allein für die Region Hochrhein-Bodensee einen Einkaufswert von rund 1,6 Mrd. Euro. Entlang der Grenze haben sich speziell an den Rheinbrücken Einzelhandelszentren etabliert, die sich auf diesen Käuferstrom ausgerichtet haben. Überproportional häufig sind aber auch kleinere Fachgeschäfte und Familienbetriebe in den Innenstädten anzutreffen, die maßgeblich vom Schweizer Einkaufsverhalten abhängig sind. Die unterschiedlichen, engen wirtschaftlichen Verflechtungen der Schweiz mit der Region Hochrhein-Bodensee werden in der Studie Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums der Hochschule St. Gallen dargestellt. Die Darstellung der Auswirkungen und somit der Abhängigkeit von diesen Verflechtungen insbesondere auf den Einzelhandel, ist das Ziel dieser Studie (Abschätzung). Die Zusammenstellung soll zudem als Datengrundlage zur aktuellen Diskussion bezüglich der Einführung des elektronischen Verfahrens zur Abwicklung von Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigungen, den sogenannten grünen Ausfuhrkassenzetteln dienen. 3

1. Besonderheiten in der Region Hochrhein-Bodensee Die Raumstruktur des deutsch-schweizerischen Grenzraumes wird durch die beiden Metropolräume Zürich und Basel geprägt. Vor allem der Raum Basel wirkt stark auf die südbadischen Räume und hier vor allem auf Teile des Landkreises Lörrach. Insgesamt leben im direkten deutsch-schweizerischen Grenzraum rund 4 Millionen Menschen (Stand: 2013). Der mit Abstand größte Teil davon lebt auf der Schweizer Seite und lediglich 14,2 % leben in den drei deutschen Landkreisen - Lörrach, Waldshut, Konstanz entlang der Grenze. Noch deutlicher wird das Übergewicht der Schweizer Seite, wenn man sich die Arbeitsplätze anschaut. Nur knapp 11 % der Beschäftigten arbeiten in Deutschland, der mit Abstand größte Teil der Arbeitsplätze befindet sich in der Schweiz (81,6%), wobei alleine im Kanton Zürich rund 40 % aller Arbeitsplätze zu finden sind. 1 Abbildung 1: Die Grenzregion Hochrhein-Bodensee im Dreiländereck Quelle: Dr. Roland Scherer et al.: Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums, 2015 Die Bevölkerung entlang der deutsch-schweizerischen Grenze bietet somit ein großes Versorgungspotenzial, das durch den Einzelhandel sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland abgedeckt werden kann. Im folgenden Kapitel werden die grenzüberschreitenden Verflechtungen der Region Hochrhein-Bodensee mit dem schweizerischen Grenzraum und den sich daraus ergebenden Besonderheiten für den Einzelhandel in der Hochrhein-Bodensee Region beschrieben. Der Fokus liegt dabei auf der Nachfrageseite (aus der Schweiz) und der Angebotsseite (in Deutschland) im Einzelhandel sowie bei den Auswirkungen auf die Beschäftigten. 1 Dr. Roland Scherer et al.: Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums, 2015, S. 6. 4

1.1. Grenzüberschreitender Kaufkraftvergleich Die Bevölkerung in der Region Hochrhein-Bodensee bietet den Handelsbetrieben innerhalb der drei Landkreise ein seit Jahren relativ stabiles einzelhandelsrelevantes Kaufkraftvolumen an. Es beträgt 4,45 Mrd. Euro. Diesem Potenzial können aktuell auch die Kaufkraftwerte der benachbarten Schweizer Grenzkantone und des Département Haut- Rhin hinzugefügt werden. Dabei zeigen sich überraschend hohe Kaufkraftvolumina, die sich auf eine entsprechende Pro-Kopf-Verbrauchsausgabe stützen. So verfügen die Einwohner der Schweizer Grenzkantone über ein Einzelhandelskaufkraftvolumen von 30,90 Mrd. Euro, die des französischen Départements Haut-Rhin von immerhin 5,18 Mrd. Euro. Sicherlich kann der hiesige Einzelhandel nicht jede Stadt und Gemeinde in den jeweiligen Gebieten mit derselben Intensität erreichen. Dennoch ist das grenzüberschreitende Kaufkraftpotenzial herausragend. Interessant sind die Marktanteile, die der Einzelhandel bezogen auf den gesamten privaten Verbrauch erzielt. In den deutschen Landkreisen sind es bereits seit Jahren 28 bis 29 %. Ähnliche Anteile haben die Schweizer Kantone. Lediglich die städtisch geprägten Verdichtungsräume Basel und Zürich liegen mit ihrem Marktanteil darunter. Noch einen höheren Stellenwert hat der Einzelhandel im angrenzenden französischen Département Haut-Rhin, also Elsass. Dort hält der Einzelhandel einen hohen Anteil von 36,1 %. (Tabelle 1) Tabelle 1: Kaufkraft ausgewählter Landkreise in Deutschland, der Kantone in der Schweiz sowie dem Départment Haut-Rhin. Quelle: MB-Reseach, Nürnberg; Bundesamt für Statistik Schweiz, Neuchâtel; Wirtschaftsförderung Oberelsass (CAHR) Mulhouse; IHK-Berechnungen; ca. Werte Die durchschnittlichen Einzelhandelskaufkraftwerte je Einwohner unterstreichen die hohen Potenziale. Während innerhalb der drei deutschen Landkreise der Landkreis Lörrach den höchsten Wert von 6.900 Euro je Einwohner p. a. erreicht, erzielen alle Schweizer 5

Anrainerkantone Werte von mehr als 9.800 Euro je Einwohner p. a. (Schaffhausen). Ein Einwohner des Kantons Zürich hat 11.023 Euro p. a. und der Basler Bürger 11.154 Euro p. a. für den Detail- bzw. Einzelhandel verfügbar. Auch die Bürger jenseits des Rheins im Département Haut-Rhin liegen mit 6.863 Euro p. a. doch erheblich über den Werten der deutschen Landkreise. Erklärbar ist dieses deutliche Kaufkraftgefälle unter anderem mit den unterschiedlichen Einkommen- und Steuerniveaus sowie dem Ausgabeverhalten bezogen auf den gesamten Verbrauch. (vgl. Abbildung 2) Abbildung 2: Durchschnittliche einzelhandelsrelevante Kaufkraft je Einwohner in der Grenzregion Hochrhein-Bodensee (in Euro) Quelle: MB-Research, Nürnberg; IHK Berechnung 1.2. Beitrag der Grenzgänger zur Kaufkraft Der Fachkräftemangel in der Schweiz sowie die attraktiven Rahmenbedingungen waren mit ein Grund für den starken Anstieg der Grenzgänger in der Schweiz in den letzten Jahren. Das Lohn- und Gehaltsniveau liegt in der Schweiz durchschnittlich 30% über dem in Deutschland. Als Grenzgänger werden Personen bezeichnet, die mindestens einmal pro Woche in ihren Wohnsitzstaat zurückkehren. Die meisten Grenzgänger (160.000) kommen aus Frankreich, überwiegend täglich, zum Arbeiten in die Schweiz. Mit etwas größerem Abstand sind an zweiter Stelle die Grenzgänger aus Italien und den dritten Platz nehmen die Grenzgänger aus Deutschland ein. Dabei hat sich die Zahl der Grenzgänger in diesen drei Wohnsitzstaaten zwischen 2002 und 2015 (+ 75 % in Deutschland) zum Teil mehr als verdoppelt. Betrachtet man die Entwicklung der Grenzgängerzahlen in der Region Hochrhein- Bodensee, so ist ein Zuwachs in den Landkreisen zwischen 2005 und 2015 bis zu 78 % (Konstanz) zu verzeichnen. Nach den Grenzgängern aus Italien mit 23,9 % machen die Grenzgänger aus der Region Hochrhein Bodensee rund 15,4 % der gesamten Grenz- 6

gänger in der Schweiz aus. 2 Dabei arbeiten die meisten Grenzgänger aus der Region Hochrhein-Bodensee im Raum Basel und deutlich weniger im Raum Zürich. Abbildung 3: Grenzgänger in der Schweiz, gesamt aus Deutschland sowie den Landkreisen Lörrach, Waldshut, Konstanz (Index 2005=100) 200 180 160 140 178 170 152 150 120 Region / Landkreis 2015 in % 100 Konstanz 9.734 17% Lörrach 21.125 36% 80 Waldshut 14.384 24% Region Hochrhein- 60 Bodensee 45.243 77% Deutschland 58.885 40 2005Q4 2006Q4 2007Q4 2008Q4 2009Q4 2010Q4 2011Q4 2012Q4 2013Q4 2014Q4 2015Q4 Konstanz Lörrach Waldshut Deutschland Quelle: Bundesamt für Statistik 2016 (eigene Darstellung) Abbildung 3 verdeutlicht die Bedeutung der Verflechtungen der Schweiz mit der Region Hochrhein-Bodensee. In der Schweiz arbeiteten in 2015 rund 59.000 Grenzgänger, von denen rund 45.000 mit einem Anteil von 77 % aus der Region Hochrhein-Bodensee waren. Vergleicht man die Entwicklung der Grenzgänger seit 2005, so ist eine stetige Zunahme in der gesamten Region Hochrhein-Bodensee zu verzeichnen, was sich auch in der Zunahme der Grenzgänger für ganz Deutschland, die zwischen 2005 und 2015 um 70 % zugenommen hat, widerspiegelt. Bei einer näheren Betrachtung der einzelnen Landkreise der Region Hochrhein-Bodensee, erzielt der Landkreis Lörrach mit 36 % aller Grenzgänger im Vergleich zu Waldshut mit einem Anteil von 24 % und Konstanz 17 % die höchsten Grenzgängeranteile aus Deutschland in der Schweiz. Die Arbeitskräftenachfrage aus der Nordwestschweiz hat damit eine positive Wirkung auf den Arbeitsmarkt in der Region Hochrhein-Bodensee. Das Arbeitseinkommen der Grenzgänger wurde zudem durch die Schweizerische Nationalbank im Jahr 2011 auf insgesamt 21 Mrd. CHF geschätzt. Die Grenzgänger leisten durch ihr Einkommen und den daraus resultierenden Konsumausgaben in erheblichem Maße einen Beitrag zur regionalwirtschaftlichen Entwicklung. 3 2 Dr. Roland Scherer et al.: Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums, 2015, S. 17. 3 Dr. Roland Scherer et al.: Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums, 2015, S. 23. 7

1.3. Einzelhandelsumsatz und Zentralität in der Region Hochrhein- Bodensee Der gesamte Einzelhandelsumsatz in der Region Hochrhein-Bodensee liegt bei 4,3 Mrd. Euro. Diesen Umsatz tätigt der hiesige Einzelhandel nicht nur mit der ansässigen Bevölkerung, sondern auch mit Kunden aus der Schweiz, den Touristen und in geringem Maße mit französischen Verbrauchern. Die Umsätze, die aus der Schweiz zufließen, sind in besonderem Maße hervorzuheben. Während Kunden aus dem Elsass eigentlich nur in Städten wie Weil am Rhein und Lörrach mit einem Umsatzanteil von etwa 5 % bemerkt werden, spielen die Schweizer Kunden für die gesamte IHK-Region eine bedeutende Rolle. Erkenntnisse aus diversen grenzüberschreitenden Verflechtungsstudien, Daten der MB- Research Nürnberg und vielen kommunalen Einzelhandelsstudien aus der IHK-Region lassen annehmen, dass die Schweizer Umsatzanteile 30 bis 40 % des gesamten Einzelhandelsumsatzes in der Region ausmachen. Städte wie Konstanz, Lörrach, Waldshut-Tiengen oder Weil am Rhein dürften im oberen Wertansatz, weniger zentrale bzw. grenznah gelegene Städte und Gemeinden im unteren Wertansatz bzw. auch erheblich unter 30 % liegen. Aus allen Fakten ableitbar ist aber ein durchaus realistisches Schweizer Umsatzvolumen in der Größenordnung von etwa 1,6 Mrd. Euro. Werden diese 1,6 Mrd. Euro zu den 30,9 Mrd. Euro Kaufkraftpotenzial der Grenzkantone ins Verhältnis gesetzt, ergibt sich ein Anteil von ca. 5 %. Das heißt 5 % der detailhandelsbezogenen Kaufkraft fließen aus den Grenzkantonen in den Einzelhandel der Region Hochrhein- Bodensee. Das bedeutet, dass von 100 Franken, die ein Schweizer im Detail- bzw. Einzelhandel zur Verfügung hat, 5 Franken im hiesigen Einzelhandel ausgegeben werden. Noch vor fünf Jahren lag der Wert bei etwa drei bis vier Franken. Deutlich wird, dass die Ausrichtung Schweizer Kunden Richtung Hochrhein-Bodensee erheblich zugenommen hat. Tabelle 2: Einzelhandelsumsatz pro Kopf, Umsatzkennziffer, Zentralitätskennziffer für die Landkreise Konstanz, Lörrach, Waldshut im Jahr 2015 Landkreis Einzelhandelsumsatz pro Kopf 2015 Umsatzkennziffer 2015 D = 100 Konstanz 6.628 115 113 Lörrach 6.593 114 107 Waldshut 6.066 105 103 Deutschland 5.760 100 100 Zentralitätskennziffer 2015, D = 100 Quelle: MB-Research 2016 Aus Tabelle 2 wird weiter deutlich, dass sich die starke Kaufkraft in der Region Hochrhein- Bodensee auch in den Einzelhandelsumsätzen der einzelnen Landkreise widerspiegelt, die über dem Bundesdurchschnitt von 5.760 Euro pro Person liegen. So lagen die Einzelhandelsumsätze im Landkreis Konstanz um 15 % und im Landkreis Lörrach um 14 % höher als im Bundesdurchschnitt. Die Zentralitätskennziffer macht Aussagen über den Kaufkraftzufluss bzw. -abfluss. Die Zentralität zeigt das Verhältnis zwischen Einzelhandelsumsatz und einzelhandelsrelevanter Kaufkraft jeweils pro Kopf und gemessen am Bundesdurchschnitt an. Ein Wert von über 8

100 bedeutet dann, dass der örtliche Einzelhandel mehr Umsätze erzielt als nach der vorhandenen Kaufkraft der Bevölkerung vor Ort zu erwarten wäre. In Tabelle 2 sind die Zentralitätskennziffern für die einzelne Landkreise der Region Hochrhein-Bodensee dargestellt. Aus Tabelle 2 wird deutlich, dass alle drei Landkreise einen Kaufkraftzufluss ausweisen. Der größte Zufluss liegt dabei im Landkreis Konstanz mit 12,8 %. Für den Landkreis Waldshut sind es 3 % und für den Landkreis Lörrach 7,1 %. Abbildung 4 zeigt am Beispiel der Supermärkte die engen Einkaufsbeziehungen zu den grenznahen schweizerischen Gemeinden. Deutlich wird dabei, dass die Supermärkte aufgrund der geringen Fahrzeiten und der dadurch häufigeren Einkaufsfahrten eine Nahversorgung für die schweizerische Bevölkerung wahrnehmen. Abbildung 4: Lebensmittelhandel: Einzugsgebiete grenznaher Supermärkte Quelle: Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums, 2015 Keine aktuellen Erhebungen gibt es über Einkaufsströme aus der IHK-Region in Richtung Schweiz. Es ist davon auszugehen, dass sicherlich im Lebensmittelsektor einige Märkte aufgrund bestimmter Schweizer Produkte Einkäufe aus den nahe gelegenen deutschen Städten und Gemeinden verzeichnen können. 1.4. Beschäftigungseffekte Als Folge des Einkaufsverhaltens und des Kaufkraftzuflusses ergeben sich beachtliche Beschäftigungseffekte im Einzelhandel (s. Abbildung 5), im Gastgewerbe und anderen Wirtschaftsbereichen, auch im Kultursektor. Viele Einkäufe werden unter dem Gesichtspunkt des Erlebnisses mit dem Besuch eines Restaurants oder einer kulturellen 9

Veranstaltung verbunden. Selbst Einkaufsfahrten gekoppelt mit Hotelübernachtungen sind zwischenzeitlich nicht selten. Bezogen auf die Effekte im Einzelhandel zeigt sich in der Abbildung 5 eine direkte Korrelation zwischen der Zunahme der Beschäftigten im Einzelhandel und dem Gastgewerbe sowie der Zunahme der Schweizer Kunden. Im Zeitraum 2012 2015 nahm die Zahl der Erwerbstätigen im Einzelhandel um 15 % und die im Gastgewerbe um 58 % zu. Abbildung 5: Anzahl der Beschäftigten im Einzelhandel und dem Gastgewerbe in der Region Hochrhein-Bodensee 40.000 35.000 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000 0 Einzelhandel + 15 % Gastgewerbe + 58 % 6.793 9.753 10.158 10.754 20.881 22.131 22.877 24.009 2012 2013 2014 2015 Einzelhandel Gastgewerbe Quelle: Agentur für Arbeit, eigene Darstellung Unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Umsatzes von ca. 300.000 Euro pro Mitarbeiter p. a., ergeben sich bei einem Einkaufsvolumen der Schweizer von ca. 1,6 Mrd. Euro rechnerisch rund 5.300 Mitarbeitende auf Vollzeitäquivalent-Basis, die durch den Kaufkraftzufluss beschäftigt werden. Nicht berücksichtigt wird der zwischenzeitlich durch die Konkurrenz des Onlinehandels nicht zu verachtende gegenläufige Effekt des Stellenabbaus. In der Region Hochrhein-Bodensee wurden von der IHK darüber hinaus im Jahr 2014 insgesamt 1.804 Auszubildende im Einzelhandel betreut. Auch hier ist der entsprechende Einfluss durch den Kaufkraftzufluss aus der Schweiz zu berücksichtigen, der ebenfalls rund 20 30 % betragen dürfte. 2. Konsumverhalten der Kunden aus der Schweiz in Deutschland Laut GTAI entfallen fast 60% des BIPs der Schweiz auf die private Konsumnachfrage. Die Schweizer Konsumenten kaufen gerne im Ausland und davon am liebsten in Deutschland ein. Dies belegt die aktuelle Studie des Konsumforschungsinstituts GfK Switzerland. Die 10

Autoren der Studien schätzen die Einkäufe der Schweizer Bürger in Deutschland im Jahr 2015 auf rund 4,7 Mrd. CHF von gesamt 10,7 Mrd CHF. Somit fallen rund 50 % der ausländischen Einkäufe der Schweizer Bürger in Deutschland an. Durch die Freigabe des Wechselkurses Anfang 2015 hat sich die Nachfrage nach Produkten in Deutschland mit 11 % zwar weiter erhöht, ein hohes Niveau wurde aber bereits in den Jahren 2012 und 2013 erreicht. Laut der GfK Studie kaufen 57 % die Schweizer Haushalte mindestens einmal pro Monat im Ausland ein und nehmen gerne auch längere Distanzen von durchschnittlich bis zu 76 km auf sich. Die aktuellste Studie, wie aber auch bereits in älteren Studien des GfK Institutes ermittelt, zeigt zudem weiter auf, nach welchen Kriterien die Schweizer Konsumenten im Ausland einkaufen. Hieraus wird deutlich, dass die Qualität und der Preisvorteil im Ausland die wichtigsten Kriterien sind. Zu den weiteren Einkaufsmotivatoren gehören auch die Ladenöffnungszeiten sowie eine größere Produktvielfalt und -auswahl. Dabei machen bei Auslandseinkäufen im stationären Handel die Nahrungsmittel sowie Near-Food-Produkte wie Körperpflege-, Haushalt- und Hygieneartikel den größten Anteil aus. Vom Onlinehandel wird allerdings ein weiterer Wachstumsschub erwartet. 2013 kauften Schweizer Konsumenten Waren in Fremdwährungen im Wert von 0,8-1,2 Mrd. CHF online ein. Für 2014 wird geschätzt, dass der Onlineeinkauf im Ausland um mindestens 8 % zugenommen hat. 4 Auf Ebene der Kantone respektive Landkreise, lassen sich auf Grund der bestehenden Studien keine genauen Aussagen über das Ausmaß des Einkaufstourismus treffen. Es wird dennoch klar, dass Deutschland die Hauptdestination für den grenznahen Einkauf ist. Von den gesamten 4,8 Mrd. CHF der Auslandseinkäufe entfallen 2,7 Mrd. CHF auf den gezielten Einkauf im grenznahen Deutschland, wenn man die gesamtschweizerische Struktur für die Aufteilung verwendet. Eine weitere Schätzung geht von bis zu 40 % des gesamten Umsatzes durch die Grenzgänger aus. Die hohe Nachfrage aus der Schweiz spiegelt sich gerade in den direkten Grenzgängerräumen in einem überdurchschnittlichen Angebot im Einzelhandel wider, mit der entsprechenden Arbeitskräfte- und Flächennachfrage. 2.1. Ergebnisse der Leserumfrage RhyExpress Neben der GfK Switzerland wurde auch eine Umfrage vom Rhy-Express zum Konsumverhalten sowie der Motivation der Schweizer Bürger in Deutschland einzukaufen, durchgeführt. Rhy Express ist ein kostenloses Magazin mit einer Gesamtauflage von 70.000 Exemplaren, unterteilt in zwei Teilausgaben Ost und West. Seit 2005 erscheint das Magazin im SÜDKURIER Medienhaus von Bülach bis kurz vor Basel. Der Rhy-Express wird zehnmal im Jahr kostenlos an alle Haushalte verteilt. Das Magazin liefert dem Leser regionale News von deutscher Seite, Veranstaltungshinweise sowie nützliche Einkaufstipps. In den folgenden Abbildungen sind auszugsweise die Ergebnisse der regionalen Umfrage zu den ausgewählten Fragen dargestellt. 4 Credit Suisse Economic Research 2015, S. 13. 11

Abbildung 6: Wie oft gehen Sie zum Einkaufen in das angrenzende deutsche Gebiet am Hochrhein? (Frage 13) Quelle: RhyExpress 2015 Abbildung 7: Was ist der Hauptgrund für Ihren Einkauf in Deutschland? (Frage 15) Quelle: RhyExpress 2015 12

Abbildung 8: Welche Produkte kaufen Sie hauptsächlich in Deutschland ein? Mehrfachantwort möglich. (Frage 17) Quelle: RhyExpress 2015 Abbildung 9: Welche Dienstleistungen nehmen Sie hauptsächlich in Deutschland in Anspruch? Mehrfachantwort möglich. (Frage 18) Quelle: RhyExpress 2015 Gerade die Rückmeldung zur Frage Nr. 18, welche Dienstleistungen in Deutschland in Anspruch genommen werden, ist unter Berücksichtigung des Beschäftigungseffektes durch Koppelung mit dem Einkaufsverhalten von besonderer Bedeutung (s. auch Kapitel 1.4). 13

2.2. Preisniveau-Indizes-Vergleich Wie die Untersuchungen der GfK sowie die RhyExpress-Umfrage gezeigt haben, ist für die Schweizer Konsumenten der Preis ein entscheidender Motivator für den Einkauf im Ausland. Wie hoch die Preise in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland, Frankreich und dem EU-Durchschnitt sind, wird in den folgenden Abbildungen für bestimmte Produktgruppen veranschaulicht. Für diesen Vergleich werden die Preisniveau-Indizes herangezogen und die Durchschnittspreise der EU mit einem Wert von 100 indexiert. Abbildung 10: Preisniveau von Deutschland, Frankreich und der Schweiz zu EU (Index=100) der Warengruppe Bekleidung und Schuhe von 2010 bis 2014. 135 130 125 120 115 110 105 100 95 90 Konsumgüter 2010 2011 2012 2013 2014 Deutschland Frankreich Schweiz EU Quelle: Eurostat 2016, eigene Darstellung. Die hohen Preise in der Schweiz im Jahr 2011 hängen mit der starken Aufwertung des Schweizer Franken zusammen. Die weitere Aufwertung der Schweizerischen Währung wurde im Herbst 2011 durch die Fixierung des Schweizer Frankens durch die Nationalbank gestoppt. Im Kapitel 3 wird die Entwicklung des Schweizer Frankens in den letzten fünf Jahren dargestellt. Abbildung 10 zeigt, dass die Preise für Konsumgüter in der Schweiz bis zu 30 % über dem EU-Durchschnitt und bis zu 20 % höher als in Deutschland und Frankreich liegen. Am stärksten zeigen sich die Preisunterschiede im Vergleich zum EU-Durchschnitt sowie zu Deutschland und Frankreich bei den Nahrungsmitteln, wie in Abbildung 11 dargestellt. Hier liegen die Preise zum Teil 50 % höher als im EU-Durchschnitt. Die Preise in 2014 in Deutschland für Nahrungsmittel und alkoholische Getränke lagen dabei nahe am EU- Durchschnitt. 14

Abbildung 11: Preisniveau von Deutschland, Frankreich und der Schweiz zu EU (Index=100) der Warengruppe Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke von 2010 bis 2014. 170 Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke 160 150 140 130 120 110 Deutschland Frankreich Schweiz EU 100 90 2010 2011 2012 2013 2014 Quelle: Eurostat 2016, eigene Darstellung. Abbildung 12: Preisniveau von Deutschland, Frankreich und der Schweiz zu EU (Index=100) der Warengruppe Bekleidung und Schuhe von 2010 bis 2014. 140 135 130 125 120 115 110 105 100 95 90 Bekleidung und Schuhe 2010 2011 2012 2013 2014 Deutschland Frankreich Schweiz EU Quelle: Eurostat 2016, eigene Darstellung. Bekleidung und Schuhe wurden in der Schweiz seit 2011 im Vergleich zu Deutschland günstiger, dennoch lagen die Preise für diese Produktgruppe im Jahr 2014 bis zu 20 % höher. 15

Zusammengefasst kann aus diesen Abbildungen abgeleitet werden, dass das Preisniveau in der Schweiz im Vergleich zu Deutschland durchschnittlich um ein Drittel höher liegt. 3. Auswirkungen des Konsumverhaltens der Kunden aus der Schweiz auf die Region Hochrhein-Bodensee 3.1. Entwicklung des Schweizer Franken Der Schweizer Franken gilt für die Anleger als sicherer Hafen. Die Auswirkungen der globalen Nachfrage nach dem Schweizer Franken sind allerdings für eine so kleine Volkswirtschaft wie der Schweiz kaum ohne Folgen für den Wechselkurs möglich. Bereits im Jahr 2011, in dem u.a. schlechte Konjunkturprognosen aus den USA veröffentlicht wurden, führten diese zur Aufwertung der schweizerischen Währung. Um die damaligen negativen Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft zu dämpfen, hat die Schweizerische Nationalbank den Mindestkurs festgelegt. Mit der Ankündigung des Mindestkurses wurde auch der begrenzte Zeitplan (ohne ein konkretes Datum zu nennen) für die Fixierung des Schweizer Frankens durch die Nationalbank beschlossen. Am 15. Januar 2015 hat die Nationalbank den Mindestkurs wieder aufgehoben und der Schweizer Franken wertete, wie in Abbildung 13 dargestellt, rasant wieder auf. Abbildung 13: Entwicklung des Wechselkurses am Stichtag 27. April von 2010 bis 2016 120 CHF-EUR 100 80 60 40 20 69,78 81,98 96,16 90,88 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Quelle: finanzen.net Bekanntlich sind die Produkte in der Schweiz im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern teurer. Auf der anderen Seite sind die Produkte für die Schweizer Konsumenten in der EU im Vergleich zu den heimischen Produkten günstiger. Dieser Effekt hat sich durch die Aufhebung des Schweizer Frankens verstärkt und damit auch die Nachfrage nach den Produkten aus dem Ausland. Inwiefern sich dies im Einkaufsverhalten widerspiegelt, ist z.b. indirekt über die Entwicklung der Ausfuhrkassenzettel messbar (s. Kapitel 3.2). 16

Dass die grenznahen Regionen, wie die Region Hochrhein-Bodensee, von dieser Entwicklung enorm profitieren, wurde bereits im Kapitel 1 dargestellt. Hierbei ist zu betonen, dass wie im Kapitel 2 gezeigt, nicht nur der Preis, sondern auch die Qualität und die Auswahl der Produkte eine wichtige Rolle im Kaufverhalten der Kunden aus der Schweiz spielt. Somit ist auch die Entwicklung des Schweizer Frankens sicherlich ein wichtiger, aber nicht der alleinige Entscheidungsfaktor bei der Nachfrage aus der Schweiz nach Produkten in Deutschland. 3.2. Ausfuhrkassenzettel und die Bagatellgrenze Die kontinuierliche Steigerung des Kaufkraftzustroms aus der Schweiz der letzten Jahre lässt sich auch an der Anzahl der Ausfuhr- und Abnehmerbescheinigung für Umsatzsteuerzwecke bei Ausfuhren im nichtkommerziellen Reiseverkehr ( 6 Abs. 3 a UStG) messen. Durch die o.g. Aufhebung des Mindestkurses im Januar 2015, sind die Zahlen nochmals deutlich angestiegen. Wobei die Anzahl keine Rückschlüsse auf die Höhe des Einkaufsvolumens zulässt. Da zunehmend Einkaufsströme aus weiter entfernten Kantonen verzeichnet werden, kann davon ausgegangen werden, dass diese zusätzlich zum bisherigen Volumen addiert werden müssen und tendenziell eher höherpreisig sind. Im Nahversorgungsbereich ist hingegen keine deutliche Erhöhung des einzelnen Kassenbons festzustellen. Stichprobenartige Auswertungen im Lebensmitteleinzelhandel ergeben weiterhin einen durchschnittlichen Kassenbon von 30-40 Euro. Der starke Frankenkurs hat dabei sicher viele erstmals zum Einkaufen in Deutschland bewogen und einen bleibenden Eindruck zur Angebotsvielfalt und zum Preis- bzw. Qualitätsniveau hinterlassen. Abbildung 14: Abgestempelte Ausfuhrbescheinigungen für die Rückerstattung der Mehrwertsteuer im Reiseverkehr Deutschland-Schweiz in Mio. Quelle: Hauptzollamt Singen und Lörrach Abbildung 14 zeigt die Entwicklung der abgestempelten Ausfuhrkassenzettel durch das Hauptzollamt Singen und Lörrach zwischen 2011 und 2015. Mit der Aufhebung des Schweizer Frankens im Januar 2015 wurden zudem durch das Hauptzollamt Singen 8 % und das Hauptzollamt Lörrach 21 % mehr Ausfuhrkassenzettel als in 2014 abgestempelt. 17

Die wachsende Nachfrage der Schweizer Kunden in den letzten Jahren spiegelt sich nicht nur in der Zunahme der abgestempelten Ausfuhrkassenzettel wider, sondern auch in der kontinuierlichen Anpassung der Wirtschaftsstruktur in der Region, insbesondere im Einzelhandel. Vor allem in der Nähe der deutsch-schweizerischen Grenze wurden in den letzten Jahren Einkaufszentren gebaut, die für die Schweizer Kunden gut erreichbar und auf deren Nachfrage ausgerichtet sind. Zusammen mit dem vorhandenen Bestand dürften in der Region zwischenzeitlich etwa 1,3 Mio. Quadratmeter Verkaufsfläche vorhanden sein. Trotz dieser herausragenden Ausstattung sind weitere Neuansiedlungen in Planung. Nach einer IHK-Einschätzung dürfte von diesem Gesamtbestand etwa eine halbe Million Quadratmeter Verkaufsfläche mehr oder weniger schweizbeeinflusst sein. Den eine flüchtige Einkaufsbeziehung beschreibenden Begriff Einkaufstourismus gibt es daher für viele der 7.938 Einzelhändler der Region schon lange nicht mehr. Die Einführung einer Bagatellgrenze würde zwar einerseits die Anzahl der ausgestellten Ausfuhrkassenzettel (Abbildung 15) sicherlich reduzieren, anderseits würde dies jedoch nicht zu einer Entlastung des Straßenverkehres führen. Da zudem bei der Bagatellgrenze die Mehrwertsteuer erst ab einem gewissen Betrag zurückerstattet wird, würden dabei die kleinen Einzelhändler gegenüber den großen Einzelhändlern deutlich benachteiligt. Dies würde dazu führen, dass die großen Einzelhändler immer mehr und die kleinen Einzelhändler immer weniger in der Region vertreten wären. Für die Region sind jedoch beide - die kleinen als auch die großen Einzelhändler - gleich wichtig, da der Einzelhandel nicht ausschließlich auf die Schweizer Kunden ausgerichtet ist, sondern immer noch überwiegend auf die einheimische Bevölkerung. Abbildung 15: Warteschlage für die Abfertigung von Ausfuhrkassenzetteln am deutschschweizerischen Grenzübergang Quelle: Zollamt Konstanz, Januar 2016 18

Nicht die Umsatzsteuerrückerstattung als solche verursacht Probleme, sondern das dafür noch immer praktizierte papiergestützte Formularverfahren. Deshalb gilt es, dieses Verfahren zu reformieren oder zu ergänzen und nicht die Steuererstattung zu begrenzen. 3.2.1. Bedeutung des Kaufkraftstroms am Beispiel Rheinbrücke für den Innenstadthandel in Rheinfelden/Baden Wie wichtig die Schweizer Kunden für den Einzelhandel in der Region Hochrhein- Bodensee sind, wird in diesem Kapitel anhand des Beispiels Rheinfelden - Zollübergang Rheinbrücke - dargestellt. Am Zollübergang Rheinbrücke wurden im Jahr 2015 insgesamt 113.899 Ausfuhrkassenzettel ausgestellt. Geht man von einem Betrag von 40 Euro pro Ausfuhrkassenzettel aus, so ergibt sich daraus ein Umsatz von 4,55 Mio. Euro für den Einzelhandel allein in Rheinfelden. Bei einem Einkaufswert von 50 Euro pro Ausfuhrkassenzettel liegt der Umsatz bei 5,69 Mio. Euro. Da der Übergang überwiegend von Fußgängern und Zweiradfahrern benutzt wird, sind hier keine größeren Einkäufe zu erwarten. Zudem wird der Einkauf im Supermarkt oft auch mit einem Besuch in einem Restaurant oder beim Frisör verbunden. Deshalb liegen die Umsätze durch die Schweizer Kunden höher als durch die einzelnen Ausfuhrkassenzettel in Tabelle 3 berechnet. Dass sich die Effekte aus Einkaufen und Besuch einer Gaststätte erhöht haben dürften, zeigt auch die positive Entwicklung der spezifischen Kaufkraft in Rheinfelden. Laut MB-Research haben die Ausgaben im Bereich Essen und Trinken außer Haus in Rheinfelden seit 2010 von 17,65 Mio. Euro auf 21,74 Mio. Euro in 2015 und somit um + 23,2 % zugenommen. Tabelle 3: Umsatzpotenzial in Rheinfelden-Innenstadt durch Ausfuhrkassenzettel 113.899 Ausfuhrkassenzettel x 40 Euro = 4,55 Mio. Euro 113.899 Ausfuhrkassenzettel x 50 Euro = 5,69 Mio. Euro Ł Umsatzpotenzial: 4,55 Mio. Euro 5,69 Mio. Euro Quelle: Hauptzollamt Lörrach, eigene Berechnungen Angenommen, die Kunden aus der Schweiz würden aufgrund der Bagatellgrenze von 50 Euro ihre Einkäufe nicht mehr über die Rheinbrücke tätigen, so könnte dies rund 5,7 Mio. Euro weniger Einnahmen für den Einzelhandel bedeuten. Für eine Stadt mit rund 34.000 Einwohnern würde die Einführung der Bagatellgrenze sicherlich erhebliche Spuren im Einzelhandel sowie bei den Beschäftigten in dieser Branche hinterlassen. 19

Die Umsatzverluste würden die Flächenauslastung in den betroffenen Branchen mindern und zwar in einem Verkaufsflächenrahmen, wie in Tabelle 4 dargestellt. Tabelle 4: Durchschnittliche Flächenproduktivität in ausgewählten Einzelhandelsbranchen sowie rechnerisches Verkaufsflächenpotenzial bei fehlenden Umsätzen durch die Bagatellgrenze Durchschnittliche Flächenproduktivitäten in ausgewählten Einzelhandelbranchen EH ohne Discounter (3.800 EUR/qm VK) Schuh- und Lederwaren (3.150 EUR/qm VK) Sport- und Freizeitartikel (3.140 EUR/qm VK) Textilhandel ohne Schuhe (2.400 EUR/qm VK) Mittelständischer Bekleidungseinzelhandel (3.541 EUR/qm VK) Drogeriemärkte (5.500 EUR/qm VK) Quelle: EHI-Handelsdaten 2014, Köln; IHK-Berechnungen Rechnerisches Verkaufsflächenpotenzial 1.200 qm 1.500 qm 1.440 qm 1.800 qm 1.450 qm 1.810 qm 1.900 qm 2.370 qm 1.280 qm 1.610 qm 830 qm 1.030 qm Das Beispiel Rheinbrücke zeigt, dass die Einführung einer Bagatellgrenze erhebliche Auswirkungen auf den Einzelhandel haben würde. Da die Rheinbrücke an der Grenze zur Schweiz keine Ausnahme ist, ist davon auszugehen, dass die Einführung einer Bagatellgrenze negative wirtschaftliche Auswirkungen auf den gesamten Einzelhandel in der Hochrhein-Bodensee Region hätte und die sich in den letzten Jahren entwickelten wirtschaftlichen Verflechtungen nur behindern bzw. einschränken würde. Fazit Die Bevölkerung in der Region Hochrhein-Bodensee bietet den Handelsbetrieben innerhalb der drei Landkreise Lörrach, Waldshut, Konstanz ein seit Jahren relativ stabiles einzelhandelsrelevantes Kaufkraftvolumen von rund 4,45 Mrd. Euro an. Durch die unmittelbare Nähe zur Schweiz kann zudem diesem Kaufkraftpotenzial auch die Kaufkraft aus den angrenzenden Kantonen in der Schweiz sowie zum Teil auch aus dem Départment Haut-Rhin hinzugefügt werden. Dabei spielt die Kaufkraft der Schweizerischen Bevölkerung in der Region Hochrhein-Bodensee eine wichtige Rolle, stehen doch beispielsweise einem Bewohner in Zürich jährlich bis zu 4.000 Euro mehr als einem Bewohner im Landkreis Konstanz mit 6.600 Euro zur Verfügung. Hinzu kommt, dass es in Deutschland nicht nur eine größere Produktauswahl gibt, sondern auch die Preise im Durchschnitt um ein Drittel günstiger als in der Schweiz sind. Diese Entwicklung in den letzten Jahren führte zu einer stetig wachsenden Nachfrage nach Produkten im grenznahen Deutschland. So übersteigen z.b. in Waldshut-Tiengen die getätigten Umsätze das vorhandene einzelhandelsbezogene Kaufkraftvolumen der Bevölkerung um 106,5 %, in Singen um 87,5 %. Insgesamt geben die Schweizer Kunden in der Region Hochrhein- 20

Bodensee jährlich ca. 1,6 Mrd. Euro aus. Für die rund 8.000 Einzelhändler in der Region ist dies ein enormes Kaufpotenzial und für manche Einzelhändler sicherlich von existenzieller Bedeutung. Die Nachfrage aus der Schweiz spiegelt sich nicht nur in den Umsätzen bei den Einzelhändlern wider, sondern auch an der wachsenden Anzahl der Beschäftigten im Einzelhandel und im Gastgewerbe. Hier verzeichnet der Einzelhandel einen Zuwachs der Beschäftigten von 15 % (2015: 24.009) und das Gastgewerbe von 58 % (2015: 10.754). Die stetig wachsende Nachfrage nach Produkten in der Grenzregion wird u.a. auch durch die Entwicklung bei der Ausstellung von Ausfuhrbescheinigungen für die Rückerstattung der Mehrwertsteuer deutlich. So wurden in 2015 durch das Hauptzollamt Singen und das Hauptzollamt Lörrach 6,6 Mio. mehr Ausfuhrbescheinigungen abgestempelt als noch im Jahr 2011. Die Einführung einer Bagatellgrenze wäre somit ein Rückschritt und würde zu Umsatzverlusten gerade bei kleinen Facheinzelhändlern führen. Nicht die Umsatzsteuerrückerstattung als solche verursacht Probleme, sondern das dafür noch immer praktizierte papiergestützte Formularverfahren. Deshalb gilt es, dieses Verfahren zu reformieren oder zu ergänzen und nicht die Steuererstattung zu begrenzen. Denn die dargestellten Kaufkraft- und Umsatzzahlen im Kapitel 2 vermitteln eindrücklich, dass für den deutschen Einzelhandel viele Schweizer Raumschaften zum festen Einzugsgebiet gehören. Da die Schweizer Grenzkantone aufgrund vielfältiger Unwägbarkeiten aber eher ein fragiles Einzugsgebiet für den hiesigen Einzelhandel darstellen, kann immer wieder nur betont werden, dass auf allen Entscheidungsebenen gute Rahmenbedingungen zu sichern sind. Referenzen: Statistisches Bundesamt: Außenhandel. Rangfolge der Handelspartner im Außenhandel der Bundesrepublik Deutschland, 2016. Credit Suisse Economic Research 2015: Retail Outlook 2015. Fakten und Trends, 2015. Dr. Roland Scherer, Minnie Silfverberg, Emamdeen Fohim: Die (wirtschaftlichen) Verflechtungen des deutsch-schweizerischen Grenzraums, 2015. Leserumfrage RhyExpress, SÜDKURIER GmbH, Ausgabe 2015. 21