TK Lexikon Grenzüberschreitende Beschäftigung Europäisches Arbeitsrecht 3.3.4 Verbot der Diskriminierung wegen des Alters Richtlinie 2000/78/EG HI1723965 Die Richtlinie 2000/78/EG untersagt auch jede unmittelbare und mittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Lebensalters in Beschäftigung und Beruf durch Normen mit unionsrechtlichem Bezug. [ 185 ] Schutzgehalt Dieses Verbot erfasst nicht nur eine Schlechterstellung älterer Arbeitnehmer, sondern auch eine Diskriminierung der jüngeren Arbeitnehmer. Dies ist für viele Arbeitsbedingungen und Vereinbarungen im deutschen Arbeitsrecht höchst relevant. Das generelle Verbot der Altersdiskriminierung ist sehr weitgehend, allerdings daher hinnehmbar, weil auch zahlreiche Ausnahmen und Rechtfertigungen für Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters vorgesehen sind. Rechtfertigung Die inhaltlich weiteste Ausnahme sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG mit einer allgemeinen Rechtfertigung für alle auch unmittelbare Diskriminierungen vor, wenn die Ungleichbehandlung objektiv und angemessen ist und ein legitimes Ziel auf verhältnismäßige Weise verfolgt. [ 186 ] Als rechtmäßige Ziele nennt die Vorschrift ausdrücklich die Beschäftigungspolitik, den Arbeitsmarkt und die berufliche Bildung. Weiter werden bestimmte gerechtfertigte Arten von Ungleichbehandlungen genannt, so insbesondere die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung (Art. 6 Abs. 1 UA 2 lit. c), denn es soll der kostenintensiven Einarbeitungsphase eine gewisse Gegenleistung gegenüberstehen. Im Ergebnis darf aber bei Bewerbungsgesprächen nicht mehr nach dem Alter gefragt werden, wenn nicht eine der Ausnahmeklauseln die Berücksichtigung des Lebensalters für die Einstellung rechtfertigt. [ 187 ] Es ist überdies unverändert nicht abschließend geklärt, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Ausnahme des Art. 4 (Alter als wesentliches und entscheidendes berufliches Erfordernis) Altersgrenzen rechtfertigen kann. In der Palacio-Entscheidung [ 188 ] hat der EuGH dies zwar grundsätzlich akzeptiert, aber die Altersgrenzenregelungen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall unterworfen. Altersgrenzen sind daher vor allem zulässig, wenn der Beruf besondere körperliche Leistungsfähigkeit voraussetzt, z. B. bei Soldaten, Polizisten, Piloten. [ 189 ] Insoweit sieht bereits Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG vor, Altersregelungen zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Auch eine Höchstgrenze für das Berufseintrittsalter kann zulässig sein. [ 190 ] Nach Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie können ausdrücklich bestimmte Altersgrenzen bei der betrieblichen Altersversorgung gerechtfertigt sein.
betrieblichen Altersversorgung gerechtfertigt sein. Besonders praxisrelevant war und ist aus deutscher Sicht die Frage, ob und welche Grenzen das Verbot der Altersdiskriminierung dem deutschen Gesetzgeber zum Kündigungsschutzrecht setzt, das traditionell zur Sozialauswahl nach 1 Abs. 3 KSchG unmittelbar an das Lebensalter und mittelbar mit dem Kriterium der Beschäftigungsdauer an das Alter der Arbeitnehmer anknüpft. Die unmittelbare (und zusätzlich mittelbare) Bevorzugung älterer Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl durch 1 Abs. 3 KSchG verstößt nach ganz überwiegender (deutscher) Ansicht jedoch nicht gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot [ 191 ], da mit der Norm das legitime Ziel verfolgt wird, ältere Arbeitnehmer zu schützen, die typischerweise schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. [ 192 ] Die Entscheidungen "Mangold" und "Kücükdeveci" des EuGH und die Folgen In Deutschland war nach einer Gesetzesänderung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit älterer Menschen umstritten, ob die Regelung zur sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen mit Arbeitnehmern über 52 Jahre gemäß 14 Abs. 3 TzBfG a. F. eine unzulässige Altersdiskriminierung darstellte. [ 193 ] Das ArbG München hat daher mit Beschluss vom 26. Februar 2004 [ 194 ] dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Richtlinie 2000/78/EG [ 195 ] einer Regelung wie 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG a. F. entgegenstünde. In seiner überraschenden Mangold-Entscheidung vom 22.11.2005 [ 196 ] urteilte der EuGH, dass 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG a. F. nicht durch die Ausnahme des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG gedeckt sei, weil die unterschiedslose Befristungsmöglichkeit ohne Sachgrund für alle Arbeitnehmer über 52 Jahre unverhältnismäßig sei. Vielmehr müsse auf weitere rechtfertigende Faktoren wie u. a. lange Arbeitslosigkeit usw. abgestellt werden. Außerdem hielt der EuGH das ArbG München überraschend zur Nichtanwendung von 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG a. F. an. Zur Begründung verwies er trotz noch laufender Umsetzungsfrist darauf, dass ein Mitgliedstaat nicht Gesetze im Widerspruch zu Richtlinien verabschieden dürfe (Frustrationsverbot). Dies hatte bis dahin aber nur zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, nicht zum Anwendungsverbot, geführt. [ 197 ] Zusätzlich verwies der EuGH auf die Unanwendbarkeit wegen eines Verstoßes gegen Primärrecht. Das Verbot der Altersdiskriminierung sei ungeschriebener primärrechtlicher Ausfluss des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes, der sich aus der gemeinsamen Verfassungstradition der Mitgliedstaaten [ 198 ] ergebe. Diese Begründung steht allerdings im Widerspruch zum Wortlaut von Art. 19 AEUV und ist überdies fragwürdig, weil sich eine gemeinsame Verfassungstradition der Mitgliedstaaten zum Verbot der Altersdiskriminierung nicht belegen lässt. [ 199 ] Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich aber mit Urteil vom 26.4.2006 [ 200 ] dieser Rechtsprechung angeschlossen. Dabei hat es insbesondere keinen Vertrauensschutz für
Altfälle vor der Mangold-Entscheidung zugelassen. [ 201 ] Ein klärendes Eingreifen des Gesetzgebers war erforderlich [ 202 ], bevor die Regelung in 14 Abs. 3 TzBfG (n. F. ab dem 1.5.2007) von der Praxis wieder zur Rechtfertigung einer Befristung herangezogen werden konnte. Die zwischenzeitliche Unklarheit, ob die Mangold-Entscheidung nur eine Einzelfallentscheidung war oder ob der EuGH an der Konstruktion eines primärrechtlichen Altersdiskriminierungsschutzes festhalten wird [ 203 ], ist nunmehr beseitigt. Der EuGH hat in der Sache "Kücükdeveci" erneut geurteilt, dass das Verbot der Diskriminierung wegen Alters ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrecht sei [ 204 ] ; die Richtlinie 2000/78/EG sei lediglich eine Konkretisierung dieses Grundsatzes. Noch in der Palacio-Entscheidung [ 205 ] konnte kein Verstoß gegen die Richtlinie festgestellt werden und in der Bartsch-Entscheidung [ 206 ] war die Richtlinie mangels unionsrechtlichem Bezug nicht anwendbar. Der EuGH hat in seinem Urteil "Kücükdeveci" die gesetzliche Regelung in 622 BGB zur Nichtberücksichtigung von vor dem 25. Lebensjahr liegenden Zeiten für die Berechnung der Betriebszugehörigkeit und somit für die Kündigungsfrist für unzulässig erklärt, da es sich um eine Diskriminierung wegen des Alters handele. [ 207 ] In seinem Urteil "Hennings" hat der EuGH eine tarifvertragliche Regelung für unzulässig erklärt, nach der sich innerhalb der jeweiligen Vergütungsgruppe die Grundvergütung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes bei dessen Einstellung nach dem Alter bemisst. [ 208 ] Konsequenterweise sind deshalb auch gesetzliche Regelungen, nach denen sich die Grundgehaltsstufe eines Richters innerhalb der jeweiligen Besoldungsgruppe bei der Einstellung nach dem Lebensalter richtet, nach dem EuGH altersdiskriminierend. Allerdings ist die konkret diskriminierende Regelung, das BBesG a. F., bereits in neuen Gesetzen aufgegangen und die sich in den Überleitungsmodalitäten perpetuierende Altersdiskriminierung sei aus Gründen der Beibehaltung des Besitzstands nach Ansicht des EuGH gerechtfertigt. [ 209 ] In der Praxis ist vor diesem Hintergrund weiterhin Vorsicht geboten, da auch weitere nationale Vorschriften wegen Altersdiskriminierung europarechtswidrig sein könnten. Die Regelung in 10 Nr. 5 AGG, nach der Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Regelrentenalters zulässig sind, ist aber nach dem Urteil des EuGH in der Sache "Rosenbladt" nicht europarechtswidrig, sondern die Anknüpfung an das Alter ist sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig. [ 210 ] Zu der im Rahmen der "Initiative 50plus" vom (deutschen) Gesetzgeber geschaffenen Regelung der Altersbefristung nach 14 Abs. 3 TzBfG (n. F.) siehe "Befristeter Arbeitsvertrag". [ 185 ] EuGH, Urteil v. 23.9.2008, C-427/06 Bartsch. [ 186 ] EuGH, Urteil v. 5.3.2009, C388/07 The Queen, NZA 2009 S. 305; vgl. im nationalen Recht 10 AGG. [ 187 ] Thüsing/Lambrich, BB 2002 S. 1146, 1152.
[ 188 ] EuGH (große Kammer), Urteil v. 16.10.2007, C-411/05 Palacio, BB 2007 S. 2629. [ 189 ] Vgl. dazu Wiedemann/Thüsing NZA 2002 S. 1234, 1237; vgl. auch die Klage von Lufthansa-Piloten gegen eine Altersbegrenzung für eine Zulässigkeit der Altersgrenze Hessisches LAG, Urteil v. 15.10.2007, 17 Sa 809/07 Revisionsentscheidung: BAG, Urteil v. 17.6.2009, 7 AZR 112/08; vgl. auch LAG Köln, Urteil v. 28.2.2008, 10 Sa 663/07, Revisionsentscheidung: BAG, Urteil v. 17.6.2009, 7 AZR 480/08; gegen die Zulässigkeit einer tariflichen Altersgrenze für Flugbegleiter LAG Düsseldorf, Urteil v. 5.12.2008, 12 Sa 860/08 Revisionsentscheidung: BAG, Urteil v. 23.6.2010, 7 AZR 1021/08 sowie LAG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 4.9.2007, 19 Sa 906/07; für die Zulässigkeit einer Altersgrenze bei Seelotsen, VG Oldenburg, Urteil v. 31.10.2008, 7 B 2870/08; gegen eine Zulässigkeit bei Vertragszahnärzten: EuGH, Urteil v. 12.1.2010, C-341/08 Petersen; gegen eine Zulässigkeit bei Piloten: EuGH, Urteil v. 13.9.2011, C-442/09 - Prigge. [ 190 ] EuGH, Urteil v. 12.1.2010, C-229/08 Wolf, zum Höchsteintrittsalter von 30 Jahren bei der Berufsfeuerwehr. [ 191 ] Vgl. nur BAG, Urteil v. 6.11.2008, 2 AZR 523/07; BAG, Urteil v. 20.6.2013, 2 AZR 295/12 und ErfK-Oetker, 16. Aufl. 2016, 1 KSchG Rn. 332 m. w. N. [ 192 ] Vgl. BAG, Urteil v. 5.11.2009, 2 AZR 676/08; vgl. auch BAG, Urteil v. 12.4.2011, 1 AZR 743/09 zur Zulässigkeit einer Regelung in einem Sozialplan, nach dem die Zahlung einer Abfindung und die Höhe der Abfindung vom Alter der Arbeitnehmer abhingen; BAG, Urteil v. 20.6.2013, 2 AZR 295/12. [ 193 ] 14 Abs. 3 Satz 1 TzBfG a. F. in der vom 1.1.2003 bis 30.4.2007 geltenden Fassung sah zunächst eine sachgrundlose Befristung ab einem Alter von 58 Jahren vor; durch die Gesetze "Hartz I" und die Einführung des 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG a. F. bis zum 31.12.2006 wurde der Anwendungsbereich auf Arbeitnehmer über 52 Jahre erweitert. [ 194 ] ArbG München, Beschluss v. 26.2.2004, 26 Ca 14314/03. [ 195 ] Die Vereinbarkeit mit der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG war nicht entscheidungserheblich, weil es im Fall vor dem ArbG München um eine erstmalige Befristung ging, die Richtlinie aber nur den Missbrauch mehrfacher Befristungen regelt. [ 196 ] EuGH, Urteil v. 22.11.2005, C-144/04 Mangold. [ 197 ] Zu dieser möglichen Rechtsprechungsänderung kritisch Thüsing ZIP 2005, S. 2149, 2150, während Annuß BB 2006, S. 325, keinen Rechtsprechungswandel sieht. [ 198 ] Art. 6 Abs. 3 EUV. [ 199 ] Ausführlich zu diesem und weiteren Kritikpunkten Preis NZA 2006, S. 401, 404 ff. [ 200 ] BAG, Urteil v. 26.4.2006, 7 AZR 500/04. [ 201 ] Dafür aber Thüsing ZIP 2005, S. 2149, 2151. [ 202 ] Vgl. auch Bauer NJW 2006, S. 6, 12. [ 203 ] So etwa Thüsing ZIP 2005, S. 2149. [ 204 ] EuGH, Urteil v. 19.1.2010, C-555/07 Kücükdeveci.; vgl. dazu Preis/Temming, NZA 2010 S. 185. [ 205 ] EuGH (große Kammer), Urteil v. 16.10.2007, C-411/05 Palacio, BB 2007, 2629. [ 206 ] EuGH, Urteil v. 23.9.2008, C-427/06 Bartsch. [ 207 ] EuGH, Urteil v. 19.1.2010, C-555/07 Kücükdeveci.
[ 208 ] EuGH, Urteil v. 8.9.2011, C-297/10 - Hennings. [ 209 ] EuGH, Urteil v. 19.6.2014, C-501/12, C-504/12, C-505/12, C-540/12, C-541/12 Specht; EuGH, Urteil v. 9.9.2015, C-20/13 Unland. [ 210 ] EuGH, Urteil v. 12.10.2010, C-45/09 Rosenbladt.