Therapeutische Behandlungen mit nicht-medikamentösen, nicht-technischen Ansätzen:

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Transkript:

Gesundheitsforschungsrat (GFR) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 6. Diskussionsforum zur Nutzenbewertung im Gesundheitswesen Therapeutische Behandlungen mit nicht-medikamentösen, nicht-technischen Ansätzen: Muskuloskelettale Erkrankungen Ulrich Thiem Ruhr-Universität Bochum Abteilung für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie Klinik für Altersmedizin und Frührehabilitation, Marienhospital Herne

muskuloskelettale Erkrankungen - (unspezifische) Rückenschmerz - Bandscheibenvorfall - (Kniegelenks-)Arthrose - Schulter-/Arm-Syndrom (Periarthrosis humeroscapularis) - Osteoporose - Stürze im Alter - rheumatoide Arthritis

typische Knie-Arthrose-Studie Studienpopulation Randomisierung Kontroll- Therapie Verum- Therapie EP - EP + (K) (K) EP - EP + (V) (V)

Nachteile typischer Studien Problem der adäquaten Kontrollgruppe: - Verblindung der interessierenden Therapie oft nicht (vollständig) möglich - deshalb nicht akzeptabel - Standard-Versorgung ( usual care ), - keine Intervention [Rogind 1998, Gur 2002] oder - Warteliste [Fransen 2001, Thorstensson 2005, Fransen 2007]

Nachteile typischer Studien mögliche Lösungen: - sham Interventionen - Deyle 2000, Bennell 2005: individuelles Sportprogramm vs. sham Ultraschall - Petrella 2000: Heimübungen vs. sham Übungsprogramm (cave: Ethik! zudem: sham Übungen wirklich ohne Effekt?) - aktive Kontrollen durch Applikation der experimentellen Intervention in unterschiedlicher Intensität verbleibendes Problem: - Patientenpräferenzen!

Problem Patientenpräferenz Studienpopuation Randomisierung Kontroll- Therapie Verum- Therapie?? EP - EP + (K) (K) EP - EP + (V) (V)

Problem Patientenpräferenz mögliche Lösung: - multimodales Therapieangebot (mindestens zwei unterschiedliche Therapiemodi): - Ettinger 1997, Hay 2006: Sportprogramm vs. Schulung - Van Baar 1998: Schulung + Sportprogramm vs. Schulung alleine - Talbot 2003: Heimübungsprogramm + Selbstmanagement-Schulung vs. Selbstmanagement-Schulung allein

Anforderungen an weitere Studien - echte Alternativtherapien statt einer (einzigen) interessierenden (experimentellen) Therapie - Verwendung von sham Interventionen oder aktiven Kontrollen - Erfassung der Patientenpräferenz vor und unabhängig von der Randomisierung - Studienstärke ( power ) angepasst an präferenz-stratifizierte Analyse - Design-Möglichkeiten: - multiple (>2) parallele Therapiegruppen oder - 2 x 2 Therapiegruppen im factorial design (ermöglicht Interaktionstests) - soviel Verblindung wie möglich (v.a. bei Endpunkterfassung)

Zusammenfassung der Evidenz für nicht-medikamentöse Therapien der Kniearthrose Sporttherapie (u.a. Fransen 2008): - mäßige Wirksamkeit zur Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung - Art der Intervention (Ausdauer vs. Kraft) unklar - Dauer und Intensität unklar (Brosseau 2010) Wassergymnastik (u.a. Bartels 2009): - möglicherweise kurzfristig wirksam, z. B. bei Beginn einer Sporttherapie

Zusammenfassung der Evidenz für nicht-medikamentöse Therapien der Kniearthrose Thermotherapie (Brosseau 2009): - kurzzeitige Effekte von Kühlpackungen bei Knieschwellung und Bewegungseinschränkung Kniebandagen und Schuh-Einlagen (u.a. Brower 2009): - gering bis mäßig wirksam zur Schmerzreduktion - Langzeiteffekte unklar

Zusammenfassung der Evidenz für Interventionen zur Sturzprävention bei Älteren Cochrane-Review: Gillespie 2012 deutscher HTA-Report: Balzer 2012 Sturzhäufigkeit (Anzahl der Stürze) und Sturzrisiko (mindestens 1 Sturz) werden bei zuhause lebenden Senioren reduziert durch: - Balance- und Bewegungsübungen in Gruppen - Heimübungsprogramme - Tai Chi - Umfeld-Assessment und modifikation

Zusammenfassung der Evidenz für Interventionen zur Sturzprävention bei Älteren Cochrane-Review: Cameron 2012 HTA-Report: Balzer 2012 Bei Patienten in der subakuten Versorgung werden Sturzhäufigkeit (Anzahl der Stürze) und Sturzrisiko (mindestens 1 Sturz) reduziert durch: - Balance- und Bewegungsübungen Bei Heimbewohnern ist der Effekt von Übungs- und Bewegungsprogrammen noch unklar.

Schlussfolgerungen - Aussagekraft von Daten zu muskuloskelettalen Erkrankungen insgesamt eingeschränkt - Patientenpräferenzen als wichtiger Modifikator von Therapie-Effekten unzureichend berücksichtigt - methodische Erfordernisse an Studien in diesem Bereich sind (sehr) hoch - für ausgewählte Bereiche, z. B. Sport bei Kniearthrose oder Sturzprävention bei unabhängig lebenden Älteren, liegt brauchbare Evidenz vor