Prof. Dr. Andrä Wolter

Ähnliche Dokumente
Prof. Dr. Andrä Wolter

Soziale Barrieren Wege ins Studium und Wege im Studium

Welche Anforderungen haben Berufstätige und beruflich Qualifizierte an das Studiensystem?

Auf dem Wege zur Akademikergesellschaft? Wandel der Bildungsbeteiligung im Spiegel von Bildungsindikatoren

Berufsbildung, Hochschulbildung und Weiterbildung. Beitrag zur Fachtagung Bildung in Deutschland 2012 am 27. Juni 2012 in Berlin

Boom beim Studieren ohne Abitur Analysen und Hintergründe. Dr. Sigrun Nickel Tagung von CHE und Stifterverband Essen

Berufsausbildung, Hochschulbildung, Weiterbildung

Vorschau Durchlässigkeit und Abschlüsse im Bayerischen Schul- und Bildungssystem

Susan Seeber. 35. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Bildungsverwaltung am 18./19. September in Jena

Hochschulen für den Dritten Bildungsweg öffnen

Prof. Dr. Andrä Wolter. Die Öffnung der Hochschule für nicht-traditionelle Studierende als Beitrag zur wissenschaftlichen Weiterbildung

Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung Was sind die Folgen für das duale System? Zahlen, Daten, Fakten

Bildung in Deutschland 2016

Workshop 15 Flexible Lernwege Individuelle und strukturelle Herausforderungen bei der Gestaltung eines durchlässigen Aus- und Weiterbildungssystems

Elf gewerkschaftliche Thesen zum öffentlichen Diskurs über Akademisierung und berufliche Ausbildung

Prof. Dr. Andrä Wolter. Mehr Vielfalt unter den Studierenden? Empirische Befunde und hochschulpoli8sche Herausforderungen

Bildungspolitischer und arbeitsweltlicher Kontext der Offenen Hochschule

Studierende ohne Abitur sind gleichermaßen erfolgreich wie andere Studierendengruppen

Hochwertige und chancengerechte Bildung für alle. Katja Römer Pressesprecherin Deutsche UNESCO-Kommission

Bildung und Migration in Schule und Ausbildung. Entwicklungen und zentrale Herausforderungen

Berufliche Bildung im europäischen Vergleich

Akademisierung in der Berufsausbildung und schwächere Jugendliche Sicht der amtlichen Statistik

Berufliche Bildung und Studierfähigkeit

- 2 - Rahmenbedingungen

1 von :59

Forschungsabteilung BEST

F Übergänge in der Bildungsbiografie aus der Perspektive von Migration und sozialer Lage Abbildungen und Tabellen

Prof. Dr. Andrä Wolter. Erosion alter Grenzziehungen?

Übergänge von der beruflichen in die hochschulische Bildung befördern

Bildung in Deutschland 2016

Die Rolle von primären und sekundären Herkunftseffekten für Bildungschancen von Migranten im deutschen Schulsystem

Tagung Erschwerte Fachkräftesicherung Neue Wege

Berufliche Qualifizierung zwischen Bildungsgipfel und Wirtschaftskrise

Qualifizierung von An- und Ungelernten

Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Bildung: Reformkonzept Status quo Gelingensbedingungen

Berufsbildung im Umbruch Chancen und Perspektiven für die schulische Berufsvorbereitung

Bildung in Deutschland 2008 Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Übergängen im Anschluss an den Sekundarbereich I

Entwurf einer Indikatorik zur Ausbildungsberichterstattung

Schulreformen und Reformen in der Lehrerbildung in Deutschland

Mehr Durchlässigkeit wagen Berufsbildung, Hochschule, Weiterbildung

Wichtigste Ergebnisse des 1. Bildungsberichts. Prof. Dr. Axel Gehrmann, Tobias Haas, Volker Zimmer, Sascha Pelzmann

Bildung in Deutschland 2016 Bildung und Migration. Kai Maaz Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung

C E V E T. Individualisierung des Übergangs Welche Grenzen setzt das deutsche Berufs(aus)bildungssystem? Marc Beutner / H.

Berufliche Bildung im Tertiärbereich Beobachtungen einer Auflösung von Grenzlinien im Bildungssystem.. und die Folgen für Bildungswegentscheidungen

FUgE Förderung der Uebergänge und des Erfolgs im Studium von pflegeberuflichen Qualifizierten

Sozialberichterstattung NRW. Kurzanalyse 2/ Bildung und Armut

Erwachsen werden Bedingungen des Aufwachsens Jugendlicher in Deutschland

Friedrich-Ebert-Stiftung: Duales Studium - Optimales Sprungbrett oder Mängelexemplar?

Grenzgänger zwischen akademischer und beruflicher Bildung Studierende in dualen MINT-Studiengängen

Zielgruppen lebenslangen Lernens an Hochschulen. Prof. Dr. Andrä Wolter Humboldt-Universität zu Berlin

Migration, Flucht und Bildung. Kai Maaz Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung

Ungenutzte Potenziale in Bildung und Ausbildung: Analysemöglichkeiten des Nationalen Bildungspanels (NEPS)

Statement zur Pressekonferenz Kampagnenstart Revolution Bildung

Bildungsarmut und Ausbildungslosigkeit

Chancenprofil Saarland

Ausbildungsplatzsuche aus Sicht der jungen Menschen Anpassung um jeden Preis?

Rede der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, MdB, anlässlich der. Bund-Länder Konferenz

Integrierte Ausbildungsberichterstattung Fragen und Antworten

1/6. Frauen erlangen häufiger eine Studienberechtigung, nehmen aber seltener ein Studium auf

Bildung auf einen Blick. Rede der Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen

Dem Fachkräftemangel entgegenwirken aber wie? Vorschläge aus politischer Perspektive

Allgemeinbildende Schule und nonformale Lernwelten im Schulalter - Befunde und Problemlagen

HERZLICH WILLKOMMEN. Veranstalter ERSTER JAHRESKONGRESS BERUFLICHE BILDUNG

Vorstand. Ein gemeinsames Leitbild für die betrieblich-duale und hochschulische Berufsbildung. Hochschultage

Übergänge von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Ausbildung

Hochschulbildung wird zum Normalfall. Ein gesellschaftlicher Wandel und seine Folgen. Datenupdate 2015

Übergänge Neue Chancen Neue Wege?

Einleitung zu: Fachforum III - Hochschule -

Die Nutzung Neuer Medien in der Unterstützung nicht-traditioneller Studierender der Therapieberufe in der Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung

Berufliche Weiterbildung für Personen in prekären Arbeitsmarktkonstellationen

Migration und Bildungswege im deutschen Ausbildungssystem

Integration durch Bildung

Zukunftsfähigkeit der dualen Berufsausbildung eine Architektur paralleler Bildungswege

Hochschulbildung und soziale Ungleichheit

Forum Bildung als Integrationsaufgabe

Johann Bacher (Institut für Soziologie, Johannes Kepler Universität Linz), Linz 2005

Die Zukunft beruflichen Lernens in Ausbildung und Hochschule. Berufsbildung aus einem Guss

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint *

Chancen und Risiken beim Übergang in Ausbildung Zur Bedeutung des Übergangsbereiches

ohne berufsqualifizierenden Bildungsabschluss ohne Schulabschluss 3,8 Bevölkerung 9,2 7,4 10,9 1,6 1,8 1,4 insgesamt Männer Frauen

Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz, Mag. rer. publ.

Soziale Ungleichheiten im Zugang zur Hochschule und zum Studium

Berufliches Bildungssystem der Landwirtschaft. Anforderungen erfüllt?

Durchlässigkeit erhöhen: Hochschulzugang für beruflich Qualifizierte öffnen

Soziales Umfeld und Bildungschancen

Kai Maaz Aktuelle Trends im Bildungswesen Herausforderungen und Perspektiven

A8 Junge Erwachsene ohne abgeschlossene Berufsausbildung

Unterstützungsangebote für nicht-traditionelle Studieninteressierte: eine Bestandsaufnahme

Verzahnung beruflicher und akademischer Bildungduale. Theorie und Praxis. Forum am 12. und 13. November 2014 in Würzburg

Berufsbildungspolitische Szenarien zwischen Aufstiegsfortbildung und Dualem Studium

Bildungspolitische Herausforderungen beim Übergang von der Schule in die Ausbildung

Die Ausbildungsplatzsituation

Entwicklung des dualen Studiums Positionspapier

Interkulturelle Kompetenz für Bildungspatenschaften Christa Müller-Neumann

Bildung in Deutschland 2012 Kultusministerkonferenz und BMBF stellen gemeinsam den vierten Bildungsbericht vor

Bildungswert der Praxis Standortbestimmung Berufsbildungspolitik

Transkript:

Prof. Dr. Andrä Wolter Durchlässigkeit und Anpassungsfähigkeit des Bildungssystems - an der 1. Schwelle - Impulsvortrag beim ZDI-Forum Über Akademisierung Lemgo, 09. März 2015

Durchlässigkeit: Was ist damit gemeint? (1) Unterscheidung zwischen zwei Orten, an denen sich Durchlässigkeit niederschlägt: an den Übergangsstellen im Bildungssystem Übergangschancen innerhalb der Bildungseinrichtungen Erfolgschancen (2) Vier Bedingungen von Durchlässigkeit formale (z.b. rechtliche) Barrieren individuelle Kompetenzentwicklung (primäre Herkunftseffekte) Bildungsentscheidungen (sekundäre Herkunftseffekte) Selektionspraxis in Bildungseinrichtungen (Förderung, Unterstützung, Zuweisung) 2

Durchlässigkeit: Was ist damit gemeint? (3) Beim Erwerb einer Studienberechtigung ist das dt. Schulsystem seit den 1960er n durchlässiger geworden. (4) Dennoch gibt es weiterhin (erhebliche) Probleme: u.a. für - Migranten - first-generation -Schüler/innen bzw. Studienberechtigte - Personen mit Behinderung - Berufstätige ohne traditionelle schulische Studienberechtigung (5) Nach wie vor ist die Beteiligung an Hochschulbildung durch soziale Disparitäten gekennzeichnet. Dabei ist die Selektivität an der Schwelle des Hochschulzugangs gering. Die eigentliche Selektion findet im Schulsystem statt. (6) Ein Schlüsselthema ist die Durchlässigkeit zwischen beruflicher u. akademischer Bildung geworden. 3

Problemlagen Problemlagen im Lebenslauf und an den Übergangsstellen auf einen Blick 29 % der unter 6jährigen leben in mindestens einer, 4 % in allen drei Risikolagen (ökonomisch, kulturell, sozial) 4 % aller 7jährigen bereits in Förderschulen 25 % aller Arbeiterkinder (EGP V ff.) auf/unter Kom-petenzstufe I a bei der Lesekompetenz 13 % aller 15jährigen auf/unter Kompetenzstufe Ia bei der Lesekompetenz 21 % der 15jährigen haben mindestens eine Klasse wiederholt Chance zum Gymnasialbesuch für Kinder aus der oberen Dienstklasse 2-3mal so hoch wie für Arbeiterkinder (bei gleicher Kompetenz!) 20 % der Ausbildungsverträge werden innerhalb von 2 n wieder aufgelöst, bei Jugendlichen ohne HS-abschluss 30 % Mehr als die Hälfte der Jugendlichen mit/ohne HS-abschluss ist bis zu 2½ n nach Schulabschluss noch nicht in Ausbildung Anteil der Schulabgänger ohne HSabschluss 6,5 % Nur 2 % der Studienanfänger auf nicht-traditionellem Weg Studierwahrscheinlichkeit bei Jugendlichen aus einem Akademikerhaushalt 6mal so hoch wie bei Jugendlichen aus einer Familie mit höchstens HS-abschluss Teilnahmequote an Weiterbildung bei Personen ohne Berufsabschluss halb so hoch wie bei Hochschulabsolventen Anteil der funktionalen Analphabeten in der erwachsenen Bevölkerung bei 14,5 % (Leo-Studie) Erwerbsquote bei Personen ohne Berufsabschluss um 30% niedriger als bei Hochschulabsolventen 18 % der über 30jährigen ohne Berufsabschluss, Personen mit Migrationshinter-grund etwa doppelt so häufig Qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit bei Personen ohne Berufsabschluss 9mal höher als bei Hochschulabsolventen Armutsrisiko bei Personen mit niedrigem Bildungsniveau (ISCED 0-2) bei 30 % 0 3 6 9 12 15 18 21 24 27 30+ Alter 4

Anteil der Schulabgänger/-innen mit Studienberechtigung an der Alterskohorte, 1950-2012: Source: Statistisches Bundesamt, until 1992 only West-Germany, from 1992 total Germany

Übergangsmöglichkeiten* für Jugendliche im Anschluss an die allgemeinbildende Schule 6

Neuzugänge in Berufsausbildung und Studium, 2000-2013 700.000 600.000 500.000 400.000 300.000 200.000 100.000 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 StudienanfängerInnen insgesamt SchülerInnen im schulischen Berufsbildungssystem AusbildungsanfängerInnen im dualen System AnfängerInnen im Übergangssystem

Studienwahrscheinlichkeit von Studienberechtigten, 1996-2012, differenziert nach Berufsabschluss ihrer Eltern Quelle: Bildungsbericht 2014 8

Höchster beruflicher Abschluss der Eltern von Studierenden 1985-2012 Quelle: DSW/HIS-HF 20. Sozialerhebung 9

Hochschulzugang nach Bildungsherkunft 2010 (in %) Quelle: Bildungsbericht 2012 Abb. F1-4A (für Präsentation leicht angepasst) 10

Vielfalt beruflich Qualifizierter im Studium (1) Zu unterscheiden sind zwei Grundtypen: Typ I: Schulabschluss mit Studienberechtigung Berufsausbildung, Erwerbstätigkeit Studium Typ II: Schulabschluss (ohne Studienberechtigung) Berufsausbildung Erwerbstätigkeit Weiterbildung Erwerb der Studienberechtigung (schulisch oder alternativ) Studium (2) Weitaus größte Gruppe sind Studierende nach Typ I (3) Typ II ist zu unterscheiden nach schulrechtlichen und hochschulrechtlichen Regelungen schulrechtlich: z. B. Einrichtungen des Zweiten Bildungswegs hochschulrechtlich: Dritter Bildungsweg (= nicht-traditionell) (4) Mischtypen (z.b. doppeltqualifizierende Bildungsgänge) 11

Anteil in % Anteil nicht-traditioneller Studienanfänger an allen Studienanfängern, 1993 bis 2013 3,6 3,2 2,8 2,4 2,0 1,6 1,2 0,8 0,4 0,0 3,0 3,1 2,7 2,8 2,1 2,6 2,7 2,3 2,1 1,5 1,1 1,1 1,1 0,9 0,9 1,0 1,0 0,4 0,6 0,5 0,6 0,8 0,7 0,6 0,8 0,7 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 Jahr Anteil NTS Anteil NTS erweitert 13

Neue bildungspolitische Ansätze zur Förderung der Durchlässigkeit: Silent Revolution? (1) BMBF-Wettbewerb Offene Hochschule/ Aufstieg durch Bildung: 2011 ff. (erste Förderrunde), 2014 ff. (zweite Förderrunde) (2) KMK-Vereinbarung 2009: Neuregelung des Hochschulzugangs für beruflich qualifizierte Bewerber ohne schulische Studienberechtigung (3) Zahlreiche Programme und Maßnahmen auf Länderebene zur Öffnung des Hochschulzugangs, auch schon vor 2009 (4) BMBF-Programm Aufstiegsstipendien (seit 2008) (5) ANKOM-Projektverbünde I bis III 2006 ff. (6) KMK 2009: Neufassung der Anrechnungsvereinbarung von 2002 (7) Errichtung zahlreicher Privathochschulen in den letzten 10 n, die sich auf das Studium neben dem Beruf spezialisieren (8) Ritterschlag durch WR-Empfehlung zur Gestaltung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung (2014) 14

Deutsche Studienanfängerinnen und -anfänger an Universitäten und Fachhochschulen im Studienjahr 2012 nach Art der Studienberechtigung (in %) Quelle: Eigene Darstellung, Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Hochschulstatistik 2013

Institutionelle Strukturen der Partizipation nichttraditioneller Studierender (1) Fernhochschulen: 36 % aller NT-Studienanfänger/-innen haben sich in Fernstudiengängen eingeschrieben, 2/3 davon an der FernUniversität Hagen. (2) Private Anbieter: 23 % aller NT-Studienanfänger/-innen sind an privaten Hochschulen eingeschrieben. (3) Fachhochschulen: 48 % aller NT-Studienanfänger/-innen sind an FH eingeschrieben. (4) Länder: Es dominieren Hamburg u. NRW aber nur dank Fernhochschulen. Ohne FH Meck-Pomm., HH u. Berlin (5) Kein systematischer Zusammenhang zwischen Erleichterung des Hochschulzugangs nach 2009 und Teilnahmefrequenz 16

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Andrae.Wolter@hu-berlin.de 17