Die Rolle von primären und sekundären Herkunftseffekten für Bildungschancen von Migranten im deutschen Schulsystem
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- Imke Baumgartner
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1 Die Rolle von primären und sekundären Herkunftseffekten für Bildungschancen von Migranten im deutschen Schulsystem Fachtagung Migration & Mobilität: Chancen und Herausforderungen für die EU-Bildungssysteme Berlin, Dezember 2008 Prof. Dr. Rolf Becker Universität Bern Abt. Bildungssoziologie
2 Entwicklung der Hauptschulquoten der 14-jährigen Jugendlichen in Deutschland Migranten Westdeutsche Ostdeutsche Quelle: SOEP eigene Berechnungen (Becker 2006)
3 Erklärung des Phänomens: Auswirkungen des sozioökonomischen Umfelds auf den Bildungserfolg Warum haben Kinder von Migranten bzw. Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Regel schlechtere Bildungschancen und weisen geringere Bildungserfolge als einheimische Kinder im deutschen Schulsystem auf? Auswirkungen der nationalen Herkunft auf Bildungserfolg als Spezialfall der Effekte sozialer Herkunft Erklärungsansatz für Nachteile beim Bildungserwerb: Unterscheidung von primären und sekundären Herkunftseffekten Primäre Effekte sozialer Herkunft: Zusammenhang von sozialer und nationaler Herkunft und schulischen Leistungen und darauf basierenden Bildungserfolgen Da Kinder aus höheren Sozialschichten besser den jeweiligen schulischen Leistungsanforderungen gerecht werden, haben sie vergleichsweise größere Chancen, auf das Gymnasium zu wechseln und mit dem Abitur die Berechtigung für ein Studium zu erwerben.
4 Erklärung des Phänomens: Auswirkungen des sozioökonomischen Umfelds auf den Bildungserfolg Sekundäre Effekte sozialer Herkunft: Zusammenhang von sozialer bzw. nationaler Herkunft und Bildungsentscheidungen zu Gunsten weiterführender und höherer Bildung Aufgrund der verfügbaren ökonomischen Ressourcen und ihrer vergleichsweise geringen sozialen Distanz zum System höherer Bildung entscheiden sich die Elternhäuser in höheren Sozialschichten für ihre Kinder eher für das Gymnasium als diejenigen in den Arbeiterschichten. Bildungsnachteile wegen Zusammenspiel von sozialen Disparitäten der schulischen Leistungen und des erwarteten Bildungserfolgs sozialen Disparitäten der Bildungsmotivationen und Investitionsrisiken unter den institutionellen Restriktionen des deutschen Bildungssystems
5 Erklärung des Phänomens: Auswirkungen des sozioökonomischen Umfelds auf den Bildungserfolg Rolle der sozialen Disparität von Bildungsmotivation: Notwendigkeit weiterführender Bildung für höhere Sozialschichten, um Sozialstatus in der Abfolge von Generationen zu erhalten Qualifizierte Schul- und Berufsausbildung ausreichend für Arbeiterschichten für Statuserhalt D.h. höhere Bildungsmotivationen für Mittel- und Oberschichten als für bildungsferne Arbeiterschichten Rolle der sozialen Disparität des Investitionsrisikos: (subjektiv erwarteter) Kostendruck für Arbeiterfamilien bei Bildungsinvestitionen höher als für Mittel- und Oberschichten (subjektiv erwarteter) Erfolg bei weiterführender Schulbildung und tertiärer Ausbildung für Arbeiterkinder geringer als für Mittel- und Oberschichten D.h. hohe Investitionsrisiken für bildungsferne Gruppen Rolle der Struktur der Bildungssysteme als institutionelle Vorgabe: extrem frühe Aufteilung der Schulkinder in die verschiedenen Laufbahnen der dreigeteilten Sekundarstufe, die weder einer bestmöglichen Förderung der Talente noch der Erhöhung von Durchlässigkeit und sozialer Chancengleichheit dient
6 Empirische Unterstützung für kulturalistischen Erklärungsansatz: Nein! Bildungsaspiration nach sozialer und nationaler Herkunft (Abstromprozente) Hauptschulabschluss Mittlere Reife Abitur Gesamt Mittel- und Oberschicht 7,5 % 28,7 % 63,8 % Unterschicht 24,6 % 40,7 % 34,7 % 100,0 % 100,0 % Gesamt (n = 5696) 15,3 % 34,2 % 50,5 % 100,0 % Einheimische Mittel- und Oberschicht 7,1 % 29,1 % 63,8 % Unterschicht 24,9 % 42,2 % 32,9 % 100,0 % 100,0 % Gesamt (n = 5020) 14,7 % 34,7 % 50,6 % 100,0 % Migranten Mittel- und Oberschicht 12,3 % 24,6 % 63,1 % 100,0 % Unterschicht 23,2 % 33,2 % 43,6 % 100,0 % Gesamt (n = 676) 19,4 % 30,2 % 50,4 % 100,0 % Quelle: IGLU-E 2001 eigene Berechnungen Bildungsübergang nach sozialer und nationaler Herkunft (Abstromprozente) Hauptschule Realschule Gymnasium Einheimische (n = 2629) 13,6 % 32,1 % 54,3 % Migranten (n = 335) 35,9 % 31,9 % 32,1 % Gesamt (n = 2964) 16,1 % 32,1 % 51,8 % Quelle: IGLU-E 2001 und PISA-E 2000 eigene Berechnungen
7 Neutralisierung primärer Herkunftseffekte Schulleistung (durchschnittliche Deutschnote) am Ende der Grundschulzeit Sehr gut bzw. gut Mittelmäßig Schlecht Einheimische (n = 2629) 58,8 % 31,2 % 10,0 % Migranten (n = 335) 29,6 % 39,2 % 31,2 % Gesamt (n = 2964) 55,5 % 32,1 % 12,4 % Neutralisierung primärer Herkunftseffekte Migranten Sehr gut. bzw. gut Mittelmäßig Schlecht 29,6% 39,2% 31,2% und gehen auf das Gymnasium: 38,3 % 31,6 % 27,0 % Einheimischen Sehr gut bzw. gut Mittelmäßig Schlecht 58,8% 31,2% 10,0% und gehen auf das Gymnasium: 57,9 % 50,6 % 45,1 % Quelle: IGLU-E 2001 und PISA-E 2000 eigene Berechnungen Läge für die Migrantenkinder die Verteilung der Leistungspotentiale wie für die deutschen Schulkinder vor, dann würden: 58,8% 0, ,2% 0, ,0% 0,270 = 35,1 Prozent der Migrantenkinder auf das Gymnasium überwechseln. Das sind rund drei Prozentpunkte mehr als die faktische Übergangsrate von 32,1 Prozent.
8 Besuch von vorschulischen Betreuungseinrichtungen: 3- bis 7-jährige Kinder vor ihrer Einschulung ( ) Ostdeutsche Westdeutsche Ausländer
9 Bildungsbeteiligung von 14-jährigen nach Besuch vorschulischer Bildungseinrichtungen (Abstromprozente für ) HS = Hautschule RS = Realschule GYM = Gymnasium Besuch vorschulischer Bildungseinrichtung Westdeutsche Migranten Ostdeutsche HS RS GYM HS RS GYM HS RS GYM Ja 27,0 31,0 42,0 49,0 29,4 21,6 11,9 46,4 41,8 Nein 50,8 23,7 25,4 58,9 33,7 7,4 5,9 70,6 23,5 Insgesamt 28,6 30,5 41,0 51,7 30,6 17,7 11,4 48,3 40,3 Arbeiterkinder 45,0 33,6 21,4 Quelle: SOEP (ungewichtete Ergebnisse) eigene Berechnung Multivariate Analysen: Signifikante Herkunftseffekte (Klassenlage und Bildungsniveau) bei Migrantenkindern bei Kontrolle der Schulleistung Effekte nationaler Herkunft bleiben für Griechen (positiv) und Italiener (negativ) bestehen (für andere Nationalitäten einschließlich der Türken verschwinden sie nach Kontrolle vorschulischer Bildung und sozioökonomischer Ressourcen des Elternhauses)
10 Neutralisierung sekundärer Herkunftseffekte Wie groß ist die Steigerung der Übergangsrate bei den Migrantenkindern, wenn sie bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Leistungspotentiale (und in diesem Sinne bei Kontrolle der primären Herkunftseffekte) die gleichen Übergangswahrscheinlichkeiten wie die deutschen Schulkinder aufweisen würden? Migranten Sehr gut. bzw. gut Mittelmäßig Schlecht 29,6% 39,2% 31,2% und gehen auf das Gymnasium: 38,3 % 31,6 % 27,0 % Einheimischen Sehr gut bzw. gut Mittelmäßig Schlecht 58,8% 31,2% 10,0% und gehen auf das Gymnasium: 57,9 % 50,6 % 45,1 % Quelle: IGLU-E 2001 und PISA-E 2000 Neutralisiert man den sekundären Effekt der sozialen Herkunft, dann wechseln: 29,6% 0, ,2% 0, ,2% 0,451 = 51,0 Prozent der Migrantenkinder in das Gymnasium über. Im Vergleich zur faktischen Übergangswahrscheinlichkeit von 32,1 Prozent würde das eine Steigerung der Übergänge um rund 19 Prozentpunkte bzw. um 60 Prozent bedeuten.
11 Was sind in diesem Falle wichtige Hintergründe des sekundären Herkunftseffekts? Defizite an Ressourcen (Bildung, Einkommen, Wissen über Bildungsmöglichkeiten, Sprache, etc.): Für einheimische wie zugewanderte Gruppen zutreffend Differenzen zwischen den einzelnen Nationalitäten Rolle der Migration selbst Alternative Ziele und Strategien: Rückkehrstrategien Statuserhalt über andere Anrechte als Bildung Erhalt der sozialen Identität, etc. Rolle des sozialen Kapitals: Bildungsrelevantes Wissen, um ihre Kinder im schulischen und außerschulischen Lernprozess zu unterstützen Ablenkungswirkung durch segmentierte Arbeitsmärkte im eigenen Umfeld Soziale Netzwerke als Hilfe und Hindernis
12 Unterschichtenphänomen? Nein! Übergangsempfehlung nach nationaler und sozialer Herkunft (Abstromprozente) Hauptschule Realschule Gymnasium Einheimische und Migranten Gesamt 24,3 % 36,1 % 39,6 % Nur Einheimische 22,3 % 36,4 % 41,3 % Nur Migranten 42,2 % 33,2 % 24,7 % Einheimische Mittel- und Oberschicht 15,2 % 32,5 % 52,3 % Unterschicht 32,5 % 42,3 % 25,2 % Gesamt 22,3 % 36,4 % 41,3 % Migranten Mittel- und Oberschicht 31,3 % 35,1 % 33,6 % Unterschicht 47,8 % 32,2 % 20,0 % Gesamt 42,2 % 33,2 % 24,7 % Quelle: IGLU-E 2001 eigene Berechnungen Hohes Risiko einer Hauptschulempfehlung für Unterschichtkinder mit oder ohne Migrationshintergrund. Aber die Migrantenkinder aus der Mittel- und Oberschicht haben ein rund 2,5- mal größeres Risiko, eine Hauptschulempfehlung zu erhalten, als deutsche Schulkinder aus den höheren Sozialschichten.
13 Institutionelle Diskriminierung? Leistungspotentiale (Deutschnote) und Übergangsempfehlung für Gymnasium Migranten Sehr gut. bzw. gut Mittelmäßig Schlecht 28,0% 37,3% 34,7% und können auf Gymnasium: 69,7 % 12,4 % 1,5 % Einheimischen Sehr gut bzw. gut Mittelmäßig Schlecht 52,3% 33,5% 14,2% und können auf Gymnasium: 70,2 % 13,6 % 0,2 % Quelle: IGLU-E 2001 eigene Berechnungen Bei einer Neutralisierung von primären Herkunftseffekten würden: 52,3% 0, ,5% 0, ,2% 0,015 = 40,8 Prozent der Migrantenkinder eine Gymnasialempfehlung erhalten. Gegenüber dem faktischen Anteil von 24,7 Prozent wäre das eine Steigerung um rund 16 Prozentpunkte.
14 Geringes Gewicht leistungsfremder Kriterien bei Bildungsempfehlung Leistungspotentiale (reading literacy) und Übergangsempfehlung für Gymnasium Migranten Sehr gut Gut Mittelmäßig Schlecht 7,4 % 35,8 % 40,2 % 16,6 % und können auf Gymnasium: 71,8 % 33,0 % 13,0 % 1,2 % Einheimischen Sehr gut Gut Mittelmäßig Schlecht 22,0 % 48,2 % 23,8 % 5,9 % und können auf Gymnasium: 76,3 % 42,9 % 12,5 % 1,6 % Quelle: IGLU-E 2001 eigene Berechnungen Würde man die primären Effekte für die Leiseleistung neutralisieren, dann würden 34,9 Prozent der Migrantenkinder also 10 Prozentpunkte mehr als de facto eine Gymnasialempfehlung erhalten. Bei einem Unterschied von 6 Prozentpunkten der Neutralisierungseffekte für schulisch bewertete und objektiv gemessene Leistungspotentiale kann von institutioneller Diskriminierung kann keine Rede sein.
15 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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