Klinische Entwicklung des Filgrastim-Biosimilars Ratiograstim Prof. Dr. med. Andreas Engert Klinik I für Innere Medizin der Universität zu Köln Was ist Filgrastim (G-CSF)? G-CSF = Granulozyten-koloniestimulierender Faktor Rekombinanter humaner hämatopoetischer Wachstumsfaktor Protein aus 175 Aminosäuren Biotechnologisch hergestellt durch E. coli 1
Hämatopoese und Wachstumsfaktoren G-CSF Wirkung von endogenem G-CSF und rhug-csf auf das Knochenmark Pluripotente Zellen Zellen Neutrophile Vorläuferzellen Postmitotische Reifung von von Neutrophilen Wirkung von endogenem G-CSF 5-66 Tage Blut rhug-csf 1 Tag Blut 2
Wirkung von G-CSF auf Knochenmark und neutrophile Granulozyten Förderung der Proliferation und Differenzierung von Vorläuferzellen zu neutrophilen Granulozyten Erhöhte Freisetzung reifer Granulozyten G-CSF wichtig für Chemotaxis, Phagozytose und Superoxidproduktion der Neutrophilen Freisetzung hämatopoetischer Progenitorzellen (CD34 + -Zellen) in das periphere Blut Was ist eine Neutropenie? Verminderung der neutrophilen Granulozyten (ANC) unter 1500 Granulozyten / µl Entsteht am häufigsten durch Chemotherapie Bedingt durch die Myelotoxizität vieler Chemotherapien wird die Neubildung von Neutrophilen unterdrückt Schweregrade: Stadium 1 (mild) Stadium 2 (mittelschwer) Stadium 3 (schwer) 1000 < 1500 Granulozyten / µl 500 < 1000 Granulozyten / µl < 500 Granulozyten / µl 3
Klinische Symptome einer Neutropenie Bakterielle Infektionen Besonders bei schwerer Neutropenie besteht signifikantes Infektionsrisiko Superinfektionen (Viren, Pilze) Vor allem bei schweren und lang andauernden Neutropenien Fieber Meistens durch Infektion bedingt, kann aber auch unabhängig davon auftreten Infektionen bei neutropenischen Patienten stellen immer eine kritische Situation dar! Dauer der Neutropenie und Risiko für Infektionen Infektiöse Episoden (%) Dauer der Neutropenie (< 1.000 Granulozyten / µl) in Wochen Bodey GP et al.: Ann. Intern. Med. (1966) 328 4
Handling der Neutropenie Regelmäßige Kontrollen der Körpertemperatur und auf Anzeichen einer Infektion Systemische Breitbandantibiotika-Therapie bei Infektionszeichen Ggf. systemische antimykotische und antivirale Therapie Einsatz von G-CSF Einfluss von G-CSF auf neutrophile Granulozyten bei Patienten mit SCLC unter Chemotherapie Neutrophile Granulozyten x 1000 /µl Crawford J et al.: N. Engl. J. Med. (1991) 164 Tage 5
Korrelation von Dosisintensität und Tumorkontrolle Zahl maligner Zellen Jackisch C et al.: Clin. Breast Cancer (2002) 276 Wochen nach Therapiebeginn Rationale für den Einsatz von G-CSF in der Onkologie G-CSF verringert Dauer und Schweregrad der Neutropenie und damit das Infektionsrisiko G-CSF kann die durch schwere Neutropenien und Infektionen bedingte Dosisreduktion von Zytostatika verhindern G-CSF ermöglicht die Anwendung von hohen Zytostatikadosen und damit bestmöglichem Tumoransprechen G-CSF beschleunigt die Erholung der Granulopoese 6
G-CSF: Risikoreduktion febrile Neutropenie & Mortalität Risikoreduktion durch G-CSF: Febrile Neutropenie Mortalität Metaanalyse (17 Studien): 10 Filgrastim 6 Lenograstim 1 Pegfilgrastim Gesamt: 3.493 Patienten Risikoreduzierung von 29% bis 56% Kuderer NM et al.: J. Clin. Oncol. (2007) 3158 Empfehlungen zur G-CSF Anwendung Bei Chemotherapie-Regimen mit einem erhöhten Risiko für eine febrile Neutropenie (FN) rot: FN-Risiko < 10 % Kein Gabe von G-CSF gelb: FN-Risiko 10-20 % G-CSF-Gabe nach FN-Gesamt- Risiko 20 % möglich grün: FN-Risiko > 20 % G-CSF-Gabe indiziert EORTC-Richtlinien, 2006 (European Organisation for Research and Treatment of Cancer) 7
Zugelassene G-CSF Präparate (2008) Neupogen (Filgrastim) Ratiograstim [XM02] (Filgrastim) Granocyte (Lenograstim) Neulasta (Pegfilgrastim) Umfangreiche Ratiograstim Zulassungsstudien n = 200 n = 680 8
Studien Phase I: Studiendesign Pharmakokinetik/ Pharmakodynamik Ratiograstim vs. Neupogen 72 Probanden (5 μg/kg) 72 Probanden (10 µg/kg) 1 EMEA European Medicines Agency. Public Assessment Report (EPAR):EMEA/H/C/825/2008 Pharmakokinetik- und Pharmakodynamik-Profile 80 Mean Curv es of Group A Drug Name T1 Drug Name R1 Mean Curves Test Reference 30 60 Mean C (ng/ml) 40 PK 5 µg/kg Mean ANC x 10^9/L 24 18 12 ANC 5 µg/kg 20 6 0 0 10 20 30 40 50 Time (h) 0 0 20 40 60 80 100 Time (h) 80 Mean Curv es of Group B Drug Name T2 Drug Name R2 Mean Curves Test Reference 30 Mean C (ng/ml) 60 40 PK 10 µg/kg Mean ANC x 10^9/L 20 ANC 10 µg/kg 20 10 0 0 10 20 30 40 50 Time (h) 0 0 20 40 60 80 100 Time (h) 9
Bioäquivalenz Ratiograstim - Neupogen 5 µg i.v. 5 µg s.c. 10 µg i.v. 10 µg s.c. Ratiograstim Phase III Studien Ratiograstim bei Mammakarzinom Beweisende Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsstudie Ratiograstim vs. Neupogen und vs. Placebo (in Zyklus 1) 350 Patienten Ratiograstim bei Bronchialkarzinom Ergänzende Unbedenklichkeitsstudie vs. Neupogen (in Zyklus 1) 240 Patienten Ratiograstim bei Non-Hodgkin-Lymphom Ergänzende Unbedenklichkeitsstudie vs. Neupogen (in Zyklus 1) 90 Patienten 10
Beweisende Wirksamkeits- & Unbedenklichkeitsstudie Ratiograstim / Neupogen (5 µg/kg) / Placebo bei Mammakarzinom Neupogen n = 140 Ratiograstim n = 140 Placebo n = 70 D2 - max. D15 Beginn Zyklus 1 Zyklus 2 Zyklus 3 Zyklus 4 Tag 180 Chemotherapie: Docetaxel/Doxorubicin Ergänzende Wirksamkeitsstudien Ratiograstim / Neupogen (5 µg/kg) bei Bronchialkarzinom Neupogen n = 80 Ratiograstim n = 160 D2 - D15 n= 240 Ratiograstim / Neupogen (5 µg/kg) bei Non-Hodgkin-Lymphom Neupogen n = 30 Ratiograstim n = 60 D2 - D15 n=90 Z1 Chemo Z2 Chemo Z3 Chemo Z4 Chemo Z5 Chemo Z6 Chemo 11
Dauer einer schweren Neutropenie in Zyklus 1 ANC [1000 / µl] Tag Behandlung: Ratiograstim Neupogen Placebo Zulassungsstudien Ratiograstim Primärer Endpunkt der Studien Dauer der schweren Neutropenie in Zyklus 1 Ratiograstim vs. Placebo: Mittelwert (Tage) Ratiograstim Placebo p-value FA Set 1.1 3.8 < 0.001 PP Set 1.1 3.9 < 0.001 12
Mammakarzinom : Zusammenfassung* Wirksamkeit Überlegenheit von Ratiograstim vs. Placebo bei DSN ** Äquivalenz von Ratiograstim vs. Neupogen bei DSN Sicherheit Vergleichbares Sicherheitsprofil von Ratiograstim und Neupogen Niedrige Immunogenität von Ratiograstim und Neupogen Pharmakokinetik Vergleichbare pharmakokinetische Profile Keine Kumulation * n = 280; **DSN = Duration of Severe Neutropenia Bronchialkarzinom und NHL : Zusammenfassung 240 Patienten mit Bronchialkarzinom bzw. 90 Patienten mit NHL Demonstration der Sicherheit und Vergleichbarkeit bezüglich - Nebenwirkungen - Laborparameter - Immunogenität Vergleichbare Wirksamkeit von Ratiograstim und Neupogen Vergleichbare Pharmakokinetik / Pharmakodynamik von Ratiograstim und Neupogen 13
Sicherheitsdaten Ratiograstim Probanden n = 198 Mammakarzinom-Patienten n = 210 Bronchialkarzinom-Patienten n = 233 Non-Hodgkin-Lymphom-Patienten n= 92 Gesamt n = 735 Anzahl der Patienten vergleichbar mit den Sicherheitsdaten von Neulasta zum Zeitpunkt der Einreichung des Zul.-Antrages Allgemeines zu Immunogenität Eigenschaft einer Substanz eine Immunantwort als Reaktion des Immunsystems auszulösen Ausmaß richtet sich nach - Grad der Körperfremdheit (Selbsttoleranz) - Molekülgröße (Molekülmasse < 5.000 Da meist nicht immunogen) - Sekundär- und Tertiärstruktur des Moleküls (Epitope) - Phylogenetische Verwandtschaft Immunogenität von Filgrastim ist unproblematisch Bisher wurden keine neutralisierende Antikörperbildung beobachtet 14
Unbedenklichkeit: Immunogenität Phase III Studie Mammakarzinom (n = 348) Vergleichbare Immunogenität zum Referenzprodukt Neupogen *Data on file Unbedenklichkeit: Nebenwirkungsprofil NW-Profil aus den Phase III Studien: Mammakarzinom Bronchialkarzinom Non-Hodgkin-Lymphom Häufigkeit und Schwere von NW unter unter Ratiograstim Vergleichbares NW-Profil zum Referenzprodukt Neupogen *Data on file 15
Zulassungsanforderungen: Neulasta /Ratiograstim Indikationsvergleich Ratiograstim vs. Neupogen Sowohl Ratiograstim als auch Neupogen sind zugelassen: Bei Chemotherapie-induzierter Neutropenie Bei Neutropenie verursacht durch knochenmarksschädigende Therapie mit nachfolgender BMT Zur Mobilisierung peripherer Blutstammzellen Bei schwerwiegender kongenitaler, zyklischer oder idiopathischer Neutropenie Bei Neutropenie bei HIV-Patienten 16
Fazit Die klinischen Studien zeigen keinen Unterschied zwischen dem Referenzprodukt Neupogen und Ratiograstim Gleiche Struktur, gleiche Wirksamkeit, gleiche Indikationen, gleiche Unbedenklichkeit Mit Ratiograstim wird eine G-CSF Therapie kostengünstiger als bisher Bei gleichem Aufwand können mehr Patienten eine hochwirksame Filgrastim-Therapie erhalten Es werden mehr Patienten eine leitliniengerechte G-CSF-Behandlung bekommen Der Nutzen einer G-CSF Therapie kann mehr Patienten erreichen Ratiograstim - mehr Möglichkeiten für Patient und Arzt Backup 17
Gliederung Filgrastim (G-CSF) Hämatopoese Neutropenie Filgrastim in der Therapie Klinische Studien mit Ratiograstim Switch Immunogenität und Filgrastim Nebenwirkungen und Filgrastim Indikationen Benefit Fazit Klinische Entwicklung von Ratiograstim (XMO2) Phase I - XM02-01-LT PK/PD XM02 vs. Neupogen, s.c. N = 56 - XM02-05-DE PK/PD XM02 vs. Neupogen, i.v. / s.c. N = 144 Phase II - Keine Phase II Studie, Dosis für Phase III über Phase-I Daten definiert Phase III - XM02-02-INT Wirksamkeit und Sicherheit: Mammakarzinom N = 350 - XM02-03-INT Wirksamkeit und Sicherheit: Bronchialkarzinom N = 240 - XM02-04-INT Wirksamkeit und Sicherheit: Non-Hodgkin-Lymphom N = 90 18
Algorithmus zur Beurteilung der Patienten Schritt 1 Beurteilung der FN-Häufigkeit in Zusammenhang mit dem geplanten Chemotherapie-Regime FN-Risiko: 20 % FN-Risiko: 10-20 % FN-Risikio: < 10 % Schritt 2 Beurteilung der Faktoren, die die Häufigkeit/das Risiko einer FN erhöhen Hohes Risiko Erhöhtes Risiko (Evidenzlevel I und II) Andere Faktoren: (Evidenzlevel III und IV) Alter: > 65 Jahre Fortgeschrittene Krankheit Frühere FN in der Krankengeschichte Keine Antibiotikaprophylaxe, keine G-CSF-Anwendung Schlechter Leistungs- und/oder Ernährungszustand Weibliches Geschlecht Hämoglobin < 12 g/dl Leber-, Nieren- oder Herz-Kreislauf-Erkrankung Schritt 3 Festlegung des Gesamtrisikos des Patienten für das geplante Chemotherapie-Regime FN-Gesamtrisiko: 20 % FN-Gesamtrisiko: < 10 % Prophylaktische G-CSF-Gabe empfohlen G-CSF-Gabe nicht indiziert 19