Die Erwerbsminderungsrente als arbeitsmarkt- und sozialpolitisches Instrument Eine Lösung des deutschen Beschäftigungsproblems? Vortrag auf dem FNA-Workshop Die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos in der gesetzlichen Rentenversicherung empirische Bestandsaufnahme und Reformoptionen, 27. Mai 2008 in Berlin Marcel Erlinghagen & Andreas Jansen Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ), Universität Duisburg-Essen
Gliederung Deutschland der kranke Mann Europas? Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit im internationalen Vergleich Zwischenfazit Alternativen zur vergeblichen Aktivierung faktisch erwerbsgeminderter erwerbsfähiger Hilfebedürftiger? Gründe für die Schaffung einer neuen Aussteuerungsoption Reformoptionen Fazit
Deutschland der kranke Mann Europas? Unser klügster Wirtschafts- Professor* schlägt Alarm: Deutschland ist der kranke Mann Europas 21.04.2004, S. 2 *Hans-Werner Sinn
Deutschland der kranke Mann Europas? Ausgewählte Langzeitarbeitslosenquoten im internationalen Vergleich Quelle: EUROSTAT
Deutschland der kranke Mann Europas? Arbeitslosigkeit von Älteren und Geringqualifizierten im internationalen Vergleich Quelle: OECD
Arbeitslosigkeit vs. Erwerbsunfähigkeit Leistungsempfängerquoten bei Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit im internationalen Vergleich Quelle: OECD (Unpublished estimates supplied to the authors by Mr. Peter Whiteford)
Arbeitslosigkeit vs. Erwerbsunfähigkeit Leistungsempfängerquoten bei Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit im internationalen Vergleich Quelle: OECD (Unpublished estimates supplied to the authors by Mr. Peter Whiteford)
Arbeitslosigkeit vs. Erwerbsunfähigkeit Leistungsempfängerquoten bei Arbeitslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit im internationalen Vergleich Quelle: OECD (Unpublished estimates supplied to the authors by Mr. Peter Whiteford)
Arbeitslosigkeit vs. Erwerbsunfähigkeit Relative Risiken unterschiedlicher Nicht-Erwerbstätigkeiten im internationalen Vergleich (Referenz: arbeitslos und Deutschland ) Quelle: ESS & CID, eigene Berechnungen (multinomiale logistische Regressionen)
Zwischenfazit Es gibt deutliche internationale Unterschiede hinsichtlich der Bedeutung unterschiedlicher Nicht-Erwerbsarbeitsformen. Kennzeichnend für Deutschland ist, dass Problemgruppen am Arbeitsmarkt sich im Status arbeitslos befinden, während in den USA, Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden der Status der Erwerbsunfähigkeit eine wesentlich bedeutsamere Rolle spielt. Daraus folgt: (1) Andere Länder gehen anders mit ihren Problemgruppen um, haben jedoch auch kein Patentrezept zur Integration in Erwerbsarbeit. (2) Es ist zu diskutieren, ob Deutschland Erwerbsminderungsrenten als arbeitsmarkt- bzw. sozialpolitisches Instrument (wieder) nutzen sollte.
Alternativen zur vergeblichen Aktivierung faktisch erwerbsgeminderter erwerbsfähiger Hilfebedürftiger? Erwerbsminderung als Instrument zur Aussteuerung schwer integrierbarer Arbeitslosengeld II-Empfänger ([sehr] integrationsferne Kunden) Erwerbsminderung als Instrument zur Gestaltung/Entschärfung des Altersübergangs Lösungen jenseits des Rentenrechts
Gründe für die Schaffung einer neuen Aussteuerungsoption Gesundheitliche Einschränkungen befördern das Langzeitarbeitslosigkeitsrisiko und somit den dauerhaften Verbleib im Arbeitslosengeld II-Bezug Ältere Arbeitslose sind dabei aufgrund der Kombination der Risikofaktoren Gesundheit und Alter einem besonders hohen Arbeitsmarktrisiko ausgesetzt Ballast im Aktivierungsregime des SGB II: Zu krank zum Arbeiten, zu gesund für Erwerbsminderungsrente (oder Fehlen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen), zu jung für Altersrente Rente mit 67 : nicht-integrierbare Ältere verbleiben mindestens bis 63 im Bezug von Alg II Die Rente mit 67 wirft die Frage nach der sozialen Sicherung derjenigen auf, die die Regelaltersgrenze aufgrund einer belastenden beruflichen Tätigkeit nicht erreichen können
Dauer der täglichen Arbeitsfähigkeit nach Altersgruppen im SGB II-Leistungsbezug in Prozent < 3 Std./Tag 3 bis < 6 Std./Tag 6 bis < 8 Std./Tag 8 u. mehr Std./Tag 70,5 59,6 66,2 47,9 30,3 32,0 1,5 9,3 18,7 22,5 19,1 19,6 16,8 17,8 19,9 9,9 4,5 4,9 16,6 12,3 unter 35 Jahre 35 bis 49 Jahre 50 bis 57 Jahre 58 Jahre und älter Gesamt Quelle: SGB II-Kundenbefragung 2007; eigene Berechnungen
Inanspruchnahme von 428 SGB III/ 65 SGB II nach Dauer der täglichen Erwerbsfähigkeit Ja Nein 37,6 47,3 42,7 58,2 62,4 52,7 57,3 41,8 < 3 Std./Tag 3 bis < 6 Std./Tag 6 bis < 8 Std./Tag 8 u. mehr Std./Tag Quelle: SGB II-Kundenbefragung 2007; eigene Berechnungen
Gründe für die Inanspruchnahme der 58er Regelung Ja Nein 91,6 74,0 62,3 64,5 52,5 47,5 26,0 37,7 35,5 8,4 Keine Vermittlungschance Gesundheitliche Gründe Ich will nicht mehr arbeiten Nicht jede beliebige Arbeit annehmen müssen Empfehlung des Beraters Quelle: SGB II-Kundenbefragung 2007; eigene Berechnungen
Durchschnittliches Erwerbsaus - und Renteneintrittsalter, 1996-2005 62 61,5 61 60,5 60 59,5 59 58,5 58 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Erwerbsaustritt (SOEP) Renteneintritt (SOEP) Quelle: Brussig/Nordhause-Janz 2008
Reformoption I: Erweiterung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach 41 46 SGB XII Schaffung einer steuerfinanzierten und bedürftigkeitsgeprüften Grundsicherung für teilweise erwerbsgeminderte und bedingt beschäftigungsfähige Personen Implementation als Fürsorgeleistung im SGB XII Erwerbsfähigkeit und Wiedereingliederungsprognose (Beschäftigungsfähigkeit) als weitere zentrale Bewertungskriterien Originäre Leistung, d.h. der Bezug einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ist nicht zwingende Voraussetzung Ziel: Legitimierung des nicht zu überwindenden Status der Nichterwerbstätigkeit Befreiung von Nachrangigkeitsklauseln in 3 (3), 5 (3) und 12a SGB II
Reformoption II: Erweiterung/Wiedereinführung des erleichterten Leistungsbezuges Wiedereinführung und Entfristung des Instruments des erleichterten Leistungsbezugs für teilweise erwerbsgeminderte und bedingt beschäftigungsfähige Personen im SGB II-Bezug Erwerbsfähigkeit und Wiedereingliederungsprognose (Beschäftigungsfähigkeit) als zentrale Bewertungskriterien Der erleichterte Leistungsbezug darf nicht zum Verlust des Anspruchs auf Rehabilitationsmaßnahmen nach 9, 15 und 16 SGB VI, Leistungen der Arbeitsförderung sowie sozialintegrative Maßnahmen führen ( 16 SGB II) Regelmäßige Überprüfung der Erwerbs- und Beschäftigungsfähigkeit bei Personen < 60 Jahre Analog zu den Regelungen in 102 (2) SGB VI
Fazit Kennzeichnend für Deutschland ist, dass Problemgruppen am Arbeitsmarkt sich im Status arbeitslos befinden, während in den USA, Großbritannien, Dänemark und den Niederlanden der Status der Erwerbsunfähigkeit eine wesentlich bedeutsamere Rolle spielt Eine darauf aufbauende Diskussion sollte nicht darauf abzielen, neue Frühvererntungsformen zu entwickeln, sondern arbeitsmarktpolitisch sinnvolle und sozialpolitisch wünschenswerte Ausstiegsoptionen für sehr integrationsferne Personen im ALG II-Bezug zu schaffen Entsprechend sollten primär Lösungen jenseits der Erwerbsminderungsrenten bzw. außerhalb des SGB VI diskutiert werden
Institutional Comparison