Fachtagung Update Ernährungsmedizin , Berlin. Stellenwert der Ernährungsmedizin in der medizinischen Rehabilitation Wandel durch Evidenz

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Transkript:

Fachtagung Update Ernährungsmedizin 10.04.2014, Berlin Stellenwert der Ernährungsmedizin in der medizinischen Rehabilitation Wandel durch Evidenz H. Hauner LS für Ernährungsmedizin der TU München

Gliederung Ernährung im Wandel der Zeit Die modernen Zivilisationskrankheiten sind ernährungsmitbedingte Erkrankungen Trends im Ernährungsverhalten in der Bevölkerung Was ist eine gesunde Ernährung? Präventionspotenziale Stellenwert der Ernährungsmedizin in der Rehabilitationsmedizin

Lebensmittelverzehr in Deutschland 1900 vs 1998 pro-kopf-verbrauch (kg) Lebensmittel 1900 1998 ------------------------------------------------------------------------------------------------------ Kartoffeln 271,1 72,3 Brot (Mehl/Getreide) 139,2 75,1 Gemüse/Salat 61,5 85,2 Fleisch 47,0 89,5 Obst 43,4 89,2 Fisch 6,2 14,6 Südfrüchte 1,9 29,1 Eier (Stück) 90 226 Zucker 3-8 ca. 40 Ballaststoffe ca. 25 8,5

Heutiges Krankheitsspektrum Die nicht-übertragbaren, chronischen Krankheiten (NCDs) sind heute die Hauptherausforderung für das Gesundheitssystem Sie sind für zwei Drittel aller Ausgaben im Gesundheitssystem verantwortlich Die moderne Lebensweise und insbesondere die Ernährung spielt dabei eine zentrale Rolle

Lebensstil, Ernährung und Krankheiten relativer Anteil Lebensstil Ernährung Adipositas 60 90 % 50-70 % Typ 2 Diabetes mellitus 60 90 % 70 % Fettstoffwechselstörungen 60 80 % 40 60 % Koronare Herzkrankheit 50 70 % 30 50 % Schlaganfall 50 70 % 30 50 % Krebs insgesamt* 40 70 % 30 40 % Kolonkarzinom 60 70 % 30 40 % Osteoporose 50 70 % 30 50 % * Durch Verzicht auf Rauchen 25 30 % vermeidbar

Ökonomische Folgen der Fehl-/Überernährung Die Kosten aller ernährungsmitbedingten bzw. -abhängigen Krankheiten machen in Deutschland ca. 30 % aller Ausgaben im Gesundheitssystem aus, mit überproportionalem Anstieg Ernährungsabhängige bzw. -mitbedingte Krankheiten: - Übergewicht / Adipositas - Typ 2 Diabetes mellitus - Fettstoffwechselstörungen - Bluthochdruck - Koronare Herzkrankheit - Bestimmte Krebsarten - Fettleber - Gicht - Osteoporose - Jodmangelkrankheiten - etc.

Wo liegen unsere Ernährungsprobleme? - zu viel Fett, hohe Energiedichte - zu viel Zucker, z.b. in Getränken, Fertigprodukten - zu viel Fleisch und Fleischprodukte - zu viel Salz - zu viel Alkohol - zu wenig Ballaststoffe - zu viel Fastfood/Convenience-Produkte - zu große Portionen - ständige Verfügbarkeit/Verführung

Übermäßige Energieaufnahme ist die Hauptursache Tägliche Energiezufuhr in ausgewählten Ländern

Beziehung zwischen Fettgehalt und Energiedichte moderner Lebensmittel Prentice AM, Jebb SA, Obes Rev 2003;4:187

Beitrag von Portiongröße, Energiedichte und Essgelegenheiten zu den Veränderungen der Energiezufuhr, 1977-2006 Duffey KJ, Popkin BM, Plos Med 2011;8:e1001050

Aktuelle Trends im Ernährungsverhalten Der Konsum von Convenience-Produkten steigt überproportional Der Außer-Haus-Verzehr wächst kontinuierlich (Burger-Ketten, Pizzadienste, Döner-Imbisse, Metzgereien, Backstuben etc.) Viele Menschen nehmen keine regelmäßigen Mahlzeiten ein Snacking macht eine ausgewogene und bedarfsgerechte Ernährung schwierig Das Essverhalten ist zunehmend außengesteuert Ernährungsempfehlungen müssen diesen Wandel beachten!

Zusätze von Vitaminen und Mineralstoffen in Lebensmitteln des täglichen Verzehrs Von in einer Produkt-Datenbank gespeicherten 1306 angereicherten Lebensmitteln enthielten 490 Vitamine 262 Mineralstoffe 174 Spurenelemente Viell B, Ernährungsbericht 2004

Evidenzbasierte Ernährungsmedizin

Gewichtsverlust in Abhängigkeit von der Nährstoffzusammensetzung Teilnehmer: 811 übergewichtige Männer (36 %) und Frauen (64 %), mittlerer BMI: 33 ± 4 kg/m², mittleres Alter: 51 ± 9 Jahre Intervention: Ergebnisse: 4 verschiedene hypokalorische Diäten (Fett:Eiweiß:KH) A) 20 : 15 : 65 % (fettarm, KH-reich) B) 20 : 25 : 55 % (fettarm, proteinreich) C) 40 : 15 : 45 % (fettreich) D) 40 : 25 : 35 % (fettreich, KH-arm, proteinreich) Intervention über 2 Jahre ähnlicher Gewichtsverlust unter den 4 Diäten, kein Einfluß der Makronährstoffzusammensetzung kein Unterschied bezüglich Hunger, Sättigung, Adhärenz und Therapiezufriedenheit Assoziation zwischen Adhärenz und Gewichtsverlust Sacks FM et al., NEJM 2009;360:859-73

Veränderung des Körpergewichts und Taillenumfangs unter 4 Kostformen mit unterschiedlicher Makronährstoffzusammensetzung Sacks FM et al., NEJM 2009;360:859-73

Gewichtsverlust nach 2 Jahren in Abhängigkeit von der Einhaltung der Fett- und Eiweiß-Zielwerte Sacks FM et al., NEJM 2009;360:859-73

Vitamin-, Mineralstoff- und Multivitaminsupplemente für die Primärprävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs US Preventive Services Task Force Recommendation Statement Zielpopulation: Diese Empfehlung gilt für gesunde Erwachsene ohne spezifische Ernährungsbedürfnisse (im Alter über 50 Jahre). Sie gilt nicht für Kinder, schwangere Frauen oder Personen mit chronischen Krankheiten oder bekannten Ernährungsdefiziten. Empfehlungen: Die gegenwärtige Evidenz ist unzureichend, um das Verhältnis von Nutzen und Schaden für die Einnahme von Multivitaminen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs abzuschätzen Die gegenwärtige Evidenz ist unzureichend, um das Verhältnis von Nutzen und Schaden bei der Einnahme von einzelnen oder Multisupplementen (mit Ausnahme von ß-Karotin und Vitamin E) zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs abzuschätzen Die USPSTF spricht sich gegen die Einnahme von ß-Karotin und Vitamin E-Supplementen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs aus USPSTF, Ann Intern Med 2014 February 25

Dosiswirkungs-Beziehung zwischen Vitamin E-Supplementierung und Mortalität in prospektiven Interventionsstudien Miller ER et al., Ann Intern Med 2004;142:37-46

Effect of calcium supplements with or without vitamin D on cardiovascular events: trial-level data Bolland M J et al. BMJ 2011;342:bmj.d2040

Kriterien der WHO für die Vergabe von Evidenz- Härtegraden Evidenzbasierte Leitlinien der DGE e.v. Hauner H et al., DMW 2012

Evidenzbasierte LL der DGE zum Kohlenhydratverzehr Hauner H et al., DMW 2012

Evidenzbasierte LL der DGE zum Kohlenhydratverzehr zur Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten Hauner H et al., DMW 2012

Prinzipien einer gesundheitsförderlichen Ernährung Weniger Fleisch und Fleischwaren (Wurst etc.) Mehr Vollkornprodukte, mehr Gemüse und Obst Bei Milch und Milchprodukten auf Fettgehalt achten Weniger Zucker und fettreiche Fertigprodukte Auf Kaloriengehalt von Fertigprodukten achten Snacks und Zwischenimbisse meiden Bei Getränken Wasser und Kalorienfreies/armes bevorzugen

Präventionspotenziale Technische Universität München

Durch gesunden Lebensstil vermeidbare Krankheiten Willett WC, Science 2002;296:695-8

Sterbefälle nach Risikofaktoren Bayern 2005, Männer LGL, Gesundheitsmonitor Bayern 2006

Lebensstil-Risikofaktoren für Herzinfarkt Alkohol Rauchen Hoher Blutdruck Übergewicht Hohes Cholesterin Hoher Blutzucker Wenig Obst und Gemüse Bewegungsmangel Erklären über 75 % aller Herzinfarkte weltweit! WHO, 2009

Prävention durch gesunde Ernährung Lebensstil Ernährung RF/Krankheitsereignisse ungesund gesund Lebensjahre

Therapie des modernen Wohlstandserkrankungen Technische Universität München heute aus Cardio News, 2004

Ernährungsmedizin in der Rehabilitationsmedizin Die Möglichkeiten der Ernährungsmedizin werden im deutschen Gesundheitssystem kaum genutzt (Ausnahme: Rehabilitation) Moderne Rehabilitation sollte allerdings stationäre und ambulante Maßnahmen umfassen In der ernährungsmedizinischen Praxis muß die Lebenswirklichkeit stärker beachtet werden Wir brauchen im Bereich Ernährungssmedizin mehr Versorgungsforschung

Determinanten der Adipositas und Lösungsmöglichkeiten Swinburn BA et al., Lancet 2011;378:804-14