Das Geschacher um den Brexit beginnt 1. Kompetenzen Die Schülerinnen und Schüler sollen... 1. Ergebnisse und wirtschaftliche Auswirkungen des Brexit- Referendums darlegen. 2. die Bedeutung des europäischen Binnenmarkts mit seinen vier Grundfreiheiten erläutern. 3. vor diesem Hintergrund pro- und kontra-argumente bezüglich einer EU-Mitgliedschaft diskutieren. 2. Aufgaben 1. Ermitteln Sie die Ergebnisse des so genannten Brexit-Referendums, das am 23. Juni in Großbritannien erfolgte. 2. Legen Sie in Grundzügen die rechtlichen Rahmenbedingungen dar, die bei einem Austrittsverfahren gemäß EU-Vertrag greifen. 3. Arbeiten Sie heraus, inwiefern dabei insbesondere der Zugang zum Binnenmarkt der EU eine bedeutende Rolle spielt. Erklären Sie auch, welche Interessen die EU und Großbritannien jeweils verfolgen. 4. Analysieren Sie mit Hilfe der ersten Grafik die Auswirkungen, die für die EU bzw. Großbritannien aus dem Brexit resultieren. Thematisieren Sie des Weiteren die im Artikel genannten Folgen für deutsche Unternehmen. 5. Führen Sie in Ihrem Kurs/Ihrer Klasse ein solches Referendum durch. Diskutieren Sie pro- und kontra-argumente. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit der in der zweiten Grafik aufgeführten Forsa-Umfrage unter deutschen Bundesbürgern. 1
Das Geschacher um den Brexit beginnt Die EU drängt auf einen schnellen Austritt der Briten. Das aber würde Londons Verhandlungsposition schwächen. 5 10 15 20 25 30 35 40 Wie verfährt die Europäische Union mit den austrittswilligen Briten? Und welchen Weg schlägt die Gemeinschaft der verbliebenen 27 Staaten nun für sich selbst ein? Bei ihrem Gipfel am Dienstag und Mittwoch in Brüssel werden die Staats- und Regierungschefs erste Antworten auf diese beiden großen Fragen, die sich ihnen nach dem britischen EU-Referendum stellen, geben müssen. Ein offener Streit in dieser Lage, so warnt ein Berliner Regierungsvertreter, würde ein verheerendes Signal an die Bevölkerungen senden. Noch aber liegen die Positionen teils weit auseinander. Strittig ist zum einen der Punkt, wie viel Druck die EU nun auf die Briten ausüben soll. Auf eine harte Linie pochen vor allem die Chefs der Brüsseler Institutionen: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werde vor dem Gipfel den scheidenden britischen Premier David Cameron bei einem Telefonat dazu drängen, bereits beim Gipfel die Austrittsabsicht offiziell zu erklären, hieß es in Brüssel. Auch das Europaparlament wird am Dienstag in einer Resolution einen zügigen Austrittsantrag fordern. Parlamentspräsident Martin Schulz nannte es skandalös, dass Cameron trotz verlorener Abstimmung bis Oktober im Amt bleiben wolle. Die Außenminister der sechs EU-Gründungsmitglieder drängten bei ihrem Treffen am Samstag ebenfalls auf eine zügige Erklärung Londons. Die EU habe sich während des britischen Wahlkampfs sehr zurückgenommen, sagte der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), dem Handelsblatt. Jetzt sollte sie so viel Selbstbewusstsein und Entschlossenheit zeigen, schnelle Konsequenzen von Großbritannien zu verlangen. Dass Cameron aber tatsächlich bereits am Dienstag beim Abendessen seine Kollegen mündlich oder schriftlich über den Austritt informiert, scheint äußerst unwahrscheinlich. Der Noch-Premier und die Vertreter der Leave-Kampagne spielen auf Zeit - sobald London das Austrittsverfahren des Artikels 50 im EU-Vertrag anstößt, tickt die Uhr: Maximal zwei Jahre bleiben beiden Seiten für die Scheidung, einigen sie sich bis dahin nicht oder verlängern einstimmig die Frist, verliert Großbritannien automatisch den Zugang zum Binnenmarkt und muss Zölle auf alle Exporte in die EU entrichten. Die Gemeinschaft ist also in einer starken Position gegenüber London. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt mehr Verständnis für die britische Haltung. Sie wolle sich nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen, sagte sie. Anders als Schulz oder Juncker ist die Kanzlerin auch bereit, parallel zu den Austrittsverhandlungen bereits über den Status Großbritanniens für die Zeit danach zu sprechen. Merkel fürchtet erheblichen Schaden für deutsche Unternehmen, wenn die künftigen Handelsbeziehungen zu lange unklar bleiben. Nahezu 400 000 Menschen arbeiten in Niederlassungen deutscher Unternehmen, besonders betroffen vom Brexit sind laut BDI die Branchen Auto, Energie, Telekom, Elektronik, Metall, Einzelhandel und 2
45 50 55 60 65 70 75 80 85 Finanzen. Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten, sagte der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes, Markus Kerber. Auch für London steht viel auf dem Spiel. Einige Großbanken hatten schon im Vorfeld angekündigt, dass sie im Falle des Austritts Jobs an andere Standorte innerhalb der EU verlagern wollen. London ist das mit Abstand wichtigste Finanzzentrum Europas, doch seine Bedeutung lebt auch davon, dass internationale Fondsgesellschaften und Banken von der britischen Hauptstadt aus ihre Produkte in der ganzen EU vertreiben können. Und Großbritanniens Zugang zum Europäischen Binnenmarkt steht nun infrage. Wie tief die Einschnitte in London am Ende ausfallen, hängt daher vom Ausgang der Verhandlungen ab: Wenn die neue Regierung in London ihre Karten klug spielt, wird daraus eher eine Investmentchance, sagte Leonhard Fischer, prominenter deutscher Banker, dem Handelsblatt. Einen wichtigen Interessenvertreter hat die City aber schon verloren: Jonathan Hill, als EU-Kommissar für Finanzthemen zuständig, erklärte nach dem Referendum seinen Rücktritt. Sein Aufgabengebiet übernimmt der lettische Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis, der für das Thema bereits mit zuständig war. In Kommissionskreisen hieß es, Juncker wolle damit auch ein Signal setzen: Dombrovskis ist nun sowohl für die Euro-Zone als auch für die Bankenregulierung zuständig. Damit signalisiere Juncker, dass er nach wie vor anstrebe, dass alle 27 EU- Staaten den Euro einführten. Der Kommissionspräsident stellt damit klar, dass er auch bei einer EU mit nur noch 27 Mitgliedern am Ziel einer vertieften Integration festhält. Als Erste legten am Wochenende Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und sein französischer Kollege Jean-Marc Ayrault ein eigenes Papier vor, in dem sie konkrete Integrationsschritte in einigen Feldern wie der Wirtschafts-, der Sicherheits- und der Flüchtlingspolitik vorschlagen. Wenn nötig, seien Deutschland und Frankreich bereit, etwa bei der Verteilung von Flüchtlingen mit einer Gruppe gleichgesinnter Partner voranzugehen, heißt es in dem zehnseitigen Papier. Auch bei anderen Themen müsse den unterschiedlichen Ambitionsniveaus in den EU-Staaten Rechnung getragen werden. Nicht um zögerliche Staaten auszugrenzen, sondern um sie zu ermutigen, später dazuzustoßen, wie Europa-Staatsminister Roth betont. Am Montag reist Steinmeier nach Prag, um mit seinen Kollegen aus Tschechien, Polen, Ungarn und der Slowakei zu sprechen. Es sind vor allem die vier Visegrad- Staaten, die sich mit einer weiteren Vergemeinschaftung schwertun. Quelle: Hoppe, T./Osman, Y./Berschens, R./Ludowig, K., Handelsblatt, Nr. 121, 27.06.2016, 9/4-5/7 3
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