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Transkript:

Handbuch Asyl und Rückkehr Artikel B1 Die Prozessvoraussetzungen Zusammenfassung Prozessvoraussetzungen sind die Grundbedingungen, die es dem Staatssekretariat für Migration (SEM) erlauben, ein Rechtsbegehren zu prüfen. Sie gehören zu den allgemeinen Eintretensvoraussetzungen und richten sich nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Nebst der allgemeinen Regelung in diesem Gesetz kennt das Asylgesetz spezifische Gründe, die im Asylverfahren zu beachten sind. Sind die Prozessvoraussetzungen gegeben, kann das SEM über einen konkreten Fall entscheiden. Es fällt nach dem Asylgesetz entweder einen so genannten formellen (Nichteintretensentscheid) oder einen materiellen Entscheid. Mangelt es an Sachurteilsvoraussetzungen, können die Rechtsfolgen unterschiedlich sein. Sie richten sich nach der Art Prozessvoraussetzungen: Wird beispielsweise ein Rechtsbegehren an die unzuständige Behörde gerichtet, ist dieses von Amtes wegen an die zuständige Behörde weiterzuleiten, welche in der Folge auf das Begehren eintritt. Mangelt es einem Rechtsbegehren an einer Begründung, kann eine Nachfrist angesetzt werden, womit gegebenenfalls die Prozessvoraussetzung geschaffen werden könnte. Ist ein Verfahren jedoch bereits in Rechtskraft erwachsen, kann auf die gleiche Sache nicht mehr eingetreten werden. 1

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Rechtliche Grundlagen... 3 Kapitel 2 Prozess- oder Sachurteilsvoraussetzungen... 4 2.1 Definition und Abgrenzung der Sachurteilsvoraussetzungen... 4 2.1.1 Die allgemeinen Eintretensvoraussetzungen... 4 2.1.2 Abgrenzung zwischen formellen und materiellen Entscheiden... 4 2.2 Die Sachurteilsvoraussetzungen im Einzelnen... 5 2.2.1 Partei- und Prozessfähigkeit... 5 2.2.2 Rechtschutzinteresse... 6 2.2.3 Zuständigkeit der angerufenen Behörde... 6 2.2.4 Bevollmächtigung der Rechtsvertretung... 7 2.2.5 Richtige Form (formrichtige Rechtsvorkehr)... 7 2.2.6 Nichtvorliegen eines rechtshängigen oder rechtskräftigen Entscheides in der gleichen Streitsache... 8 2.3 Folge bei fehlenden Prozessvoraussetzungen... 8 Kapitel 3 Benutzte und weiterführende Literatur... 10 2

Kapitel 1 Rechtliche Grundlagen Asylgesetz (AsylG) vom 26. Juni 1998; SR 142.31 Artikel 3, 6a, 8, 17, 18, 31a, 36, 44 Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen (AsylV 1) vom 11. August 1999; SR 142.311 Artikel 1a Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren (VwVG) vom 20. Dezember 1968; SR 172.021 Artikel 7, 8, 9, 11, 21 Schweizerisches Zivilgesetzbuch (ZGB) vom 10. Dezember 1907; SR 210 Artikel 2, 11, 12, 14 3

Kapitel 2 Prozess- oder Sachurteilsvoraussetzungen 1 2.1 Definition und Abgrenzung der Sachurteilsvoraussetzungen 2.1.1 Die allgemeinen Eintretensvoraussetzungen Sachurteilsvoraussetzungen sind Vorbedingungen, welche es den Behörden erlauben, auf ein Asylgesuch oder ein Rechtsbegehren überhaupt eintreten und es inhaltlich prüfen zu können. Fehlen die notwendigen Sachurteils- oder Prozessvoraussetzungen, ist eine materielle Prüfung nicht möglich. Die Behörden treffen in diesem Fall einen Nichteintretensentscheid. Sachurteilsvoraussetzungen sind: - Partei- und Prozessfähigkeit der Parteien - Rechtsschutzinteresse - Zuständigkeit der angerufenen Behörde - Bevollmächtigung der Rechtsvertretung - Nichtvorliegen eines rechtskräftigen Entscheides in der gleichen Streitsache - Wahrung der Rechtsmittelfrist (im Beschwerdeverfahren) - Richtige Form (formrichtige Rechtsvorkehr) Bei Fehlen einer dieser Voraussetzungen kann die Behörde ein Gesuch nicht materiell prüfen. Entsprechend kann sie nicht feststellen, ob ein Gesuch begründet oder unbegründet ist. Ohne materielle Prüfung fällt sie keinen Entscheid in der Sache, äussert sich dementsprechend nicht materiell zu den Vorbringen und tritt auf das Gesuch nicht ein. Die allgemeinen Eintretensvoraussetzungen sind verwaltungsrechtlicher Natur, gelten aber auch im Asylverfahren. Das Asylgesetz kennt zusätzlich zu den allgemeinen Voraussetzungen noch spezialgesetzliche Nichteintretensgründe, die jedoch nur für das Asylverfahren gelten. 2.1.2 Abgrenzung zwischen formellen und materiellen Entscheiden Fehlen die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen oder ist ein Nichteintretenstatbestand nach Artikel 31a AsylG gegeben, äussert sich das SEM nicht zur Un oder -Begründetheit eines Asylgesuches, sondern erlässt einen formellen Entscheid. Sind allerdings die Sachurteilsvoraussetzungen gegeben und liegen keine Nichteintretensgründe gemäss AsylG vor, so muss das SEM ein Asylgesuch materiell prüfen (materieller Entscheid). Nur bei materiellen Entscheiden findet eine inhaltliche Überprüfung statt. 1 In der Literatur werden in der Regel beide Ausdrücke nebeneinander verwendet. 4

Vorliegend werden die Sachurteilsvoraussetzungen behandelt. Auf die spezifischen Nichteintretenstatbestände gemäss AsylG und die materielle Prüfung wird in den entsprechenden Kapiteln ausführlicher eingegangen. 2 2.2 Die Sachurteilsvoraussetzungen im Einzelnen Die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen sind generelle Verfahrensgrundsätze und finden gemäss dem Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren auf jedes Verfahren in Verwaltungssachen Anwendung. Das Fehlen von Sachurteilsvoraussetzungen bewirkt nicht, dass kein Verfahren durchgeführt wird, sondern lediglich, dass das SEM ein Asylgesuch nicht materiell behandelt und in diesen Fällen die Flüchtlingseigenschaft nicht prüft. 2.2.1 Partei- und Prozessfähigkeit Gemäss Artikel 11 ZGB gilt jede natürliche Person als rechtsfähig. Wer rechtsfähig ist, gilt auch als parteifähig. Parteifähigkeit bedeutet, dass man sowohl klagen, als auch selber eingeklagt werden kann. Als prozessfähig gilt, wer im Verfahren handlungsfähig ist. Wer gemäss Artikel 12 ff. ZGB handlungsfähig ist, ist auch prozessfähig. Für das Verfahren beim SEM bedeutet dies Folgendes: - Eine Person, die ein Gesuch stellt, muss aufgrund ihres Alters und ihrer geistigen Fähigkeiten in der Lage sein, ihre Anliegen vorbringen zu können. 3 Kinder, die ohne Eltern oder gesetzliche Vertreter in die Schweiz einreisen, sogenannte unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA), verfügen demgemäss nicht über die Fähigkeiten, in einem Asylverfahren ihre Interessen wahrzunehmen. Die Minderjährigkeit bestimmt sich nach dem schweizerischen Recht. Nach Artikel 14 ZGB sind Personen minderjährig, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Art. 1a Bst. d AsylV1). Als unbegleitet gelten Minderjährige, wenn sich nicht mindestens ein erwachsener gesetzlicher Vertreter in der Schweiz befindet. 4 Die Prozessfähigkeit ist bei fehlender gesetzlicher Mündigkeit beschränkt. Nach Artikel 17 Absatz 3 AsylG ist einem UMA eine Vertrauensperson zuzuordnen. - Eine unmündige, urteilsfähige Person, die ein Gesuch stellt, ist als prozessfähig zu betrachten. Nach dem ZGB ist jedermann rechts- und damit parteifähig. Da nur natürliche Personen ein Asylgesuch stellen können, ist die Parteifähigkeit bei einer gesuchstellenden Person immer 2 Dazu ausführlich E1 Der Nichteintretensentscheid und E2 Der materielle Asylentscheid 3 EMARK 1996 Nr. 3. Demgegenüber gibt es keine Vertretung von urteilsfähigen Personen beim Stellen eines Asylgesuchs: BVGer E-3162/2011. 4 EMARK 2004, Nr. 9, E. 3c S. 61 f. 5

vorhanden. Das SEM besitzt im ordentlichen Beschwerdeverfahren nur beschränkt Parteistellung und kann weder Beschwerde führen, noch ein Revisionsgesuch einreichen. 5 Eine urteilsunfähige und damit handlungsunfähige Person kann ihre Rechte nicht selber wahrnehmen. Die Prozessfähigkeit fehlt bei Urteilsunfähigkeit. Die Einreichung eines Asylgesuchs stellt ein relatives höchstpersönliches Recht dar. 6 Absolut persönliche Rechte 7 führen bei Urteilsunfähigkeit zum Verlust der Rechtsfähigkeit und können in diesem Fall überhaupt nicht wahrgenommen werden. Die relativ höchstpersönlichen Rechte 8 sind der Vertretung zugänglich und ein Rechtsträger kann bei Urteilsunfähigkeit durch einen Vertreter handeln. Eine urteilsunfähige Person kann sich im Asylverfahren vertreten lassen. 2.2.2 Rechtschutzinteresse Das schützenswerte Interesse, das eine gesuchstellende Person daran hat, dass ihr Rechtsbegehren durch Verfügung erledigt wird, bezeichnet man als Rechtsschutzinteresse 9. Dieses Institut ist in Artikel 2 Absatz 2 ZGB geregelt. Es findet grundsätzlich auch im Verwaltungsverfahren Anwendung. Die spezialrechtlichen Regelungen des Rechtsschutzinteresses gemäss Asylgesetz stellen eine Ergänzung zu den allgemeinen Grundsätzen über die Sachurteilsvoraussetzungen dar. Ein Rechtsschutzinteresse ist nicht in jedem Fall gegeben. Es fehlt insbesondere dann, wenn die gesuchstellende Person einen Rechtsschutz in Anspruch nehmen will, der ihr nach dem Zweck des angerufenen Gesetzes, zum Beispiel des Asylgesetzes, nicht zusteht. Werden beispielsweise mit der Einreichung eines Asylgesuches asylfremde Zwecke verfolgt, besteht kein schützenswertes Interesse. 10 Wird ein Rechtsinstitut zweckwidrig in Anspruch genommen, liegt ein Rechtsmissbrauch vor. 2.2.3 Zuständigkeit der angerufenen Behörde Als Zuständigkeit wird die Verpflichtung und Befugnis einer Behörde bezeichnet, in einer bestimmten Sache tätig zu werden. Gemäss Artikel 7 VwVG überprüft die angerufene Behörde die Zuständigkeit von Amtes wegen. Unterschieden werden die sachliche, örtliche und funktionale Zuständigkeit. Das Kriterium für die sachliche Zuständigkeit ist die Rechtsnatur des Verfahrensgegenstandes respektive seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Rechtsgebiet. Die örtliche Zuständigkeit betrifft die räumliche Beziehung der Verwaltungsbehörde zum Verfügungsgegenstand. Die funktionelle Zuständigkeit schliesslich betrifft die Abfolge der Instanzen im Rechtsmittelverfahren. 5 EMARK 1995 Nr. 8. 6 EMARK 1996 Nr. 5. 7 z.b. Eheschliessung oder Errichtung eines Testaments. 8 z.b. Gesuch um Namensänderung. 9 Statt mehrerer: BGE 123 II 376 E. 2. 10 BVGer E-6557/2011. 6

Die Zuständigkeit des SEM über Gewährung oder Verweigerung des Asyls sowie über die Wegweisung aus der Schweiz ist in Artikel 6a AsylG geregelt. Ist das SEM für die Behandlung eines Gesuchs nicht zuständig, 11 hat es gemäss Artikel 8 VwVG die Sache unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten. Der gesuchstellenden Person darf durch eine Eingabe bei der unzuständigen Behörde kein Rechtsnachteil erwachsen. Ist die Zuständigkeit zweifelhaft, findet ein Meinungsaustausch mit der in Frage kommenden Behörde statt (Art. 8 VwVG). Kompetenzkonflikte werden nach Artikel 9 VwVG gelöst. Das SEM prüft in jedem Fall seine Zuständigkeit zur Durchführung des Asylverfahrens unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Dublin-Assoziierungsabkommen. 12 So tritt das SEM gemäss Artikel 31a Absatz 1 Buchstabe b AsylG nicht auf ein Asylgesuch ein, wenn eine asylsuchende Person in einen Drittstatt ausreisen kann, welcher staatsvertraglich für das Asyl- und Wegweisungsverfahren zuständig ist. 2.2.4 Bevollmächtigung der Rechtsvertretung Im Verwaltungsverfahren kann sich jede Person, wenn sie nicht persönlich handeln muss, vertreten lassen (Art. 11 VwVG). Gemäss Artikel 11 Absatz 2 VwVG kann die Behörde den Bevollmächtigten auffordern, sich durch schriftliche Vollmacht auszuweisen. Praxis des SEM ist es, diese im Original zu verlangen. Aus der Vollmacht muss ersichtlich sein, wer der Vollmachtgeber (asylsuchende Person) und der Bevollmächtigte (Rechtsvertreter) sind und um welche Angelegenheit es sich handelt. Die Vollmacht muss vom Vollmachtgeber, nicht aber vom Bevollmächtigten unterschrieben sein. In einem bereits laufenden Verfahren bewirkt die fehlende Vollmacht, dass das Verfahren ohne die vertretende Person fortgesetzt wird. 2.2.5 Richtige Form (formrichtige Rechtsvorkehr) Grundsätzlich bedeutet das Prinzip der formrichtigen Rechtsvorkehr, dass eine asylsuchende Person Rechtsbegehren in die richtige Form kleiden und begründen muss. Aufgrund der offenen gesetzlichen Umschreibung eines Asylgesuchs von Artikel 18 AsylG sind die Anforderungen an ein Asylgesuch zwar auf ein Minimum beschränkt, erfordern jedoch eine Begründung des Asylgesuchs. Die Begründungspflicht ist ein Teil der in Artikel 8 AsylG aufgeführten Mitwirkungspflichten. Handelt es sich um eine andere Eingabe als um ein Asylgesuch (Wiedererwägung, Beschwerde, etc.) sind die Grundsätze der formrichtigen Rechtsvorkehr vollumfänglich zu beachten. Dazu gehören die Unterschrift, die Datierung der Eingabe, die Begründung des Begehrens, die Bezeichnung der angerufenen Instanz sowie gegebenenfalls die Original- 11 z.b. wenn jemand direkt beim SEM um eine Arbeitsbewilligung ersucht. 12 Art. 21 Abs. 2, Art. 22 Abs. 1 bis und Anhang 1 AsylG. 7

Vollmacht bei Vertretungsverhältnissen. Wird ein Begehren nicht in der richtigen Form gestellt, wird grundsätzlich gestützt auf Artikel 31a Absatz 3 AsylG darauf nicht eingetreten. Bei korrigierbaren Fehlern, z.b. einer fehlenden Unterschrift, ist eine Nachfrist zur Verbesserung anzusetzen. 2.2.6 Nichtvorliegen eines rechtshängigen oder rechtskräftigen Entscheides in der gleichen Streitsache Rechtshängigkeit bedeutet, dass ein Gesuch bei der zuständigen Behörde eingereicht oder anhängig gemacht wurde. Nach den Regeln des Verwaltungsverfahrens hat sich die angerufene Instanz in der Folge mit der Sache zu befassen. Sobald Rechtshängigkeit eingetreten ist, darf nicht parallel dazu eine identische Sache anhängig gemacht werden. Eine Person, die in einem laufenden Asylverfahren steht, darf bis Abschluss von diesem kein zweites Gesuch stellen. Ein allfälliges Parallelgesuch würde als Eingabe des hängigen Asylgesuchs entgegengenommen und als ein Ganzes behandelt. 13 Wenn eine Verfügung nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann, tritt die Rechtskraft ein. Die gleiche Sache kann nicht noch einmal beurteilt werden und ein neues ordentliches Verfahren ist nicht zulässig. Es gilt der Grundsatz des ne bis in idem (nicht zweimal in derselben Sache). 2.3 Folge bei fehlenden Prozessvoraussetzungen Fehlt es an einer Prozessvoraussetzung, so richtet sich die Rechtsfolge nach der Art der fehlenden Voraussetzung. - Fehlende Partei- und Prozessfähigkeit Der asylsuchenden Person ist ein Vormund oder Beistand zuzuordnen, der die Vertretung infolge der fehlenden Prozessfähigkeit wahrnimmt. Die Beiordnung des gesetzlichen Vertreters geschieht nicht durch eine Verfügung, sondern mittels eines individuellen Schreibens. - Fehlendes Rechtschutzinteresse Bei fehlendem Rechtschutzinteresse gemäss Artikel 2 Absatz 2 ZGB wird auf ein Asylgesuch nicht eingetreten. Allenfalls ist gemäss der Artikel 44 ff. AsylG die Wegweisung zu verfügen. 13 EMARK 1995 Nr. 4. 8

- Fehlende Zuständigkeit der angerufenen Behörde Ist das SEM nicht die zuständige Behörde, so hat es das Rechtsbegehren unverzüglich an die zuständige Instanz zu überweisen. Die Überweisung erfolgt mittels eines individuellen Schreibens. - Fehlende Vertretungsbefugnis Bei fehlender Bevollmächtigung wird durch ein individuelles Schreiben eine Nachfrist zur Verbesserung des Mangels unter Androhung des Nichteintretens im Unterlassungsfall gesetzt. Verfällt die Nachfrist ungenutzt, wird auf das Begehren nicht eingetreten. - Falsche Rechtsvorkehr Bei korrigierbaren Fehlern, wie einer fehlenden Unterschrift, wird analog zur fehlenden Vertretungsbefugnis eine Nachfrist angesetzt. Ansonsten wird bei falscher Form nicht auf ein Rechtsbegehren eingetreten. - Rechtshängigkeit oder Rechtskraft Ist ein Asylgesuch bereits rechtshängig, wird bei einem allfällig zusätzlich eingereichten Gesuch nicht auf dieses eingetreten, sondern mit dem bereits rechtshängigen Gesuch/Verfahren zusammengelegt. Eine bereits in Rechtskraft erwachsene Verfügung darf nicht mehr behandelt werden. Die Fälle, auf die nicht durch eine Verfügung eingetreten wird, müssen wie ein Nichteintretensentscheid nach Artikel 31a AsylG begründet werden. Die blosse Behauptung einer fehlenden Sachurteilsvoraussetzung genügt den Anforderungen an eine Begründungspflicht nicht. Insbesondere sind auch die Fragen der Wegweisung und des Vollzugs gemäss Artikel 31a AsylG in Verbindung mit Artikel 36 AsylG explizit zu prüfen und zu begründen. 9

Kapitel 3 Benutzte und weiterführende Literatur Achermann, Alberto; Amarelle, Cesla; Caroni, Martina; Epiney, Astrid; Kälin, Walter, Uebersax, Peter (Hrsg.), seit 2005: Jahrbuch für Migrationsrecht, Stämpfli, Bern. Caroni, Martina, Meyer, Tobias D.; Ott, Lisa, 2011: Migrationsrecht, 2. Auflage, Stämpfli, Bern. Fleiner-Gerster, Thomas, 1980: Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen Verwaltungsrechts, 2. Auflage, Schulthess, Zürich.. Gygi, Fritz, 1983: Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Auflage, Stämpfli, Bern. Häfelin, Ulrich; Müller, Georg; Uhlmann, Felix, 2010: Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. überarbeitete Auflage, Dike, Zürich. Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, 2009, Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, Haupt, Bern. Kölz, Alfred; Häner, Isabelle; Bertschi; Martin, 2013: Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. vollständig überarbeitete Auflage, Schulthess, Zürich. Tschannen, Pierre; Zimmerli, Ulrich; Müller, Markus, 2009: Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Stämpfli, Bern. Waldmann, Bernhard und Weissenberger, Philippe (Hrsg.), 2009: VwVG : Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Schulthess, Zürich. 10