Eine Formel für gesunde Euter Volker Krömker
Gliederung Gesunde Euter = Vorbeuge + Untersuchung + Behandlung Was verlangt der Markt? Gute Vorbeuge besteht aus? Wieviel Untersuchung ist nötig? Wie sehen erfolgreiche passgenaue Behandlungen aus? 2
Kosten der Milchproduktion 3
Betriebliche Ziele aufgrund der Weltökonomie Deutschland, Österreich und die Schweiz sind bedeutende Milchländer Die Entwicklung der Milchproduktion hängt am Export Langfristiger Erfolg durch Strenge Kostenkontrolle Remontierung Gesundheit Grundfutterleistung Hohe Milchqualität und Milchleistung Produkte mit hoher Wertschöpfung 4
Anforderungen an die Milchviehhalter Leistung + Betriebsgröße + Tierseuchenstatus + Tierschutz + Kohlenstofffussabdruck Antibiotikaeinsatz Produktion für Export + Strategische Optimierung
Eutergesundheitssituation in Niedersachsen 2011 5 % beanstandete Betriebe pro Jahr 0,5 % gesperrte Betriebe pro Jahr Mastitisbedingte Verluste aller Betriebe = 195 Mill. Pro gehaltener Kuh/Jahr = 249 Davon vermeidbar = 133 Mill. = 170 /Kuh u. Jahr d.h. 1,9 Cent /kg Milch (bei 9000 kg)
Wo stehen wir in der Mastitisbekämpfung? Herden wachsen Herdensammelmilchzellzahl hoch Chronisch euterkranke Tiere bleiben Mastitisbekämpfung ist nicht so wichtig Zuviel Feuerwehr Zu wenig kontinuierliche systematische Arbeit Herdensammelmilchzellzahl muss sinken (Export) Antibiotikaverbrauch muss sinken 7
Der durchschnittliche Betrieb hat im Vergleich zu den besten Betrieben Mehr infizierte Tiere (mit kuhassoziierten Mikroorganismen) Höhere Neuinfektionsrate in der Laktation schlechter gepflegte Boxen und Laufgänge (Volling 2010) schmutzigere Tiere im Melkstand mehr Übertragung beim Melken, Melkreihenfolge (Volling 2010) Mehr Neuinfektionen in der Trockenperiode häufiger Tiefstreuställe, unzureichende Hygiene Bei seinen Tieren eine schlechtere Zitzenkondition (v.a. Hyperkeratosen Soll: max. 20 %; Ist: 51 % [Haverkamp et al. 2013]) Wächst und behält chronisch euterkranke Kühe (Soll: < 10 % 2 x > 200.000 Zellen/ml; Ist: 14 % [Volling & Krömker 2013]) Mehr Pansenfermentationsstörungen (Fett-Eiweiß-Quotienten < 1,0) 8
Zukunft der Vorbeuge Regelmäßige (monatliche) Datenanalyse (MLP) zur sofortigen Erkennung von Risiken Systematische Erfassung klinischer Fälle Systematische bakteriologische Untersuchung (z.b. klinische Fälle, Einstreumittel) Feste Arbeitsstandards für die wichtigsten Arbeitsbereiche (Überwachung, Melken, Füttern, Boxenpflege, Laufgänge, Mastitisbehandlung etc.) werden von allen eingehalten und überwacht Vorbeugende Arzneimittelapplikation (Zitzenversiegler, Impfstoffe, Dippmittel) 10
Strategische Optimierung der Eutergesundheit 1. Entfernung der entfernbaren Mikroorganismen - Kein Galt, Kein Sc. Canis, keine Mastitiden mit Mykoplasmen 2. Reduktion der reduzierbaren Mikroorganismen Wenig S. aureus < 5 % der Tiere 3. Beherrschung der verbleibenden Mikroorganismen Wenig Umweltmastitiden 4. Überwachung der Situation und Reaktion bei Abweichung Zeitliche Kontinuität
Neuinfektionen in der Laktation Monat N (%) der Tiere < 100.000 Z/ml im Vormonat und > 100.000 Z/ml jetzt Monat Neuinfektionsrate (%) Januar 12 Februar 15 März 13 April 33 (Dippmittelwechsel) 12 10 8 6 4 2 0 Laktationsmonat 1 2 3 4 5 6 7 8 9 > Laktationsmonate % neuerkrankte Tiere der Herde
Senkung der Keimdichte auf der Zitzenhaut Liegebereich 1. Optimierung der Hygiene im Abkalbestall (Misten, Reinigen und Neueinstreu nach jeder Abkalbung) 2. Sorgfältige Boxen- und Laufflächenreinigung (Kühe im Melkstand sind sauber) 3. Kurzes Nachstreuintervall (max. 2 Tage) 4. Einstreustroh/Späne bester Qualität und Lagerung (trocken und unter Dach) 5. Keine Zwischenlagerung von Einstreumaterial im Kopfraum der Box Sind die Beine/Unterbauch/Euter sauber? In wieviel Boxen liegt Kot zu Melkzeitbeginn? (< 5%)
Senkung der Keimdichte auf der Zitzenhaut Vorreinigung vor dem Melken 1. Haare kurz 2. Im Melkstand überwiegend nur grober Schmutz 3. Trockene Reinigung reicht aus 4. Einwegpapier (trocken/feucht) o. Mehrweglappen 1x pro Tier und Melkzeit 5. Zitzenkuppen reinigen (mind. 5 sec.) 6. Injektorpapiertest 95 % max. etwas grau kein sichtbarer Schmutz
Senkung der Keimdichte im Melkzeug und auf der Hand der Melker 1. Einmalhandschuhe (ein Paar pro Melkzeit) 2. Anzahl der gemolkenen Tiere pro Melkzeug, Melkreihenfolge 3. Zwischendesinfektion (Peressigsäurelösung 500-1000 ppm + 35 sec.) (Schleppwanne, Airwash, Eimer, Sprühsystem/Blumenspritze) Kontrolle mit Teststreifen 4. Vermeidung des Vormelkens auf die Klauen oder Becher 5. Dippen mit BVL Dippmittel 6. DIN/ISO gerechte Anlage 7. Geringe Vakuumschwankungen 8. Sanfter Milchfluss
Verbesserung der lokalen Abwehr (Zitze) Verbesserung der akuten Zitzenkondition (Ziel: < 20 % der Zitzen mit Ringen an der Zitzenbasis, Verfärbung der Zitzen u./o. < 10 % der Zitzen mit Blutungen) Verbesserung der chronischen Zitzenkondition (Ziel: < 15 % der Zitzen mit Hyperkeratosen (mehr als ein kleiner weißer Ring)) Verbesserung des Ausmelkgrades (Ziel: < 10 % der Tiere mit losen Restgemelk > 300 g)
Fütterung kann die Körperabwehr verbessern! Wenig Milchfieber (Ration, Boli, Standardprogramm) Wenig Zitzenödeme (nxp, Kalium, Natrium, DCAB) Hohe Trockenmasseaufnahme (H 2 O, Klauen, Schmackhaftigkeit, Belegungsdichte) Gleichmäßige Nährstoffversorgung Fett-Eiweiß-Quotient (bis Tag 100) <= 5 % > 1,5 Fett-Eiweiß-Quotient <= 5 % < 1,0 Harnstoff < 300 ppm (sd < 20 ppm) Geringe Krankheitshäufigkeit (v.a. Klauen) Ausreichend Vit E /Se
Eutergesundheitssituation = Dauer der Infektionen x Neuinfektionen 19
Dauer der Infektion Kennzahlen %Tiere 3 x in Folge > 700.000 Zellen/ml Mittel (%) 3 Spitze (%) < 1 %Tiere > 100.000 Zellen/ml 50 24 %Tiere im letzten Monat > 100.000 und jetzt < 100.000 Zellen/ml 17 25
Wann sind antibiotische Behandlungen sinnvoll? Chronische Mastitiden bekommen bis zu 40 % der eingesetzten Antibiotika Tierindividuelle Einflussfaktoren auf die bakteriologische Heilungsrate: Alter des Tieres, Laktationsnummer Anzahl klinischer Euterentzündungen Laktationsstadium Zellzahlverlauf Zelldifferenzierung 21
Eutergesundheitsmonitoring Heilungswahrscheinlichkeit gut, mittel, schlecht Parameter Score 1 2 3 Laktationsnummer 1 2 >2 Mastitisfälle in dieser 0 1 >1 Laktation Mastitisfälle in der 0 1 >1 Vorlaktation Zellzahlindividualsumme 400 0-1 2-3 4-6 Aktuelle Zellzahl (x 1000 Zellen/ml) <400 400-1000 >1000 <6 gut, < 11 mittel, > 10 schlecht Krömker 2003, Degen et al. 2014 22
Trockenperiode Kennzahlen Mittel (%) Spitze (%) Letzte Kontrolle vs. erste Kontrolle Heilungsrate in der Trockenperiode > 100.000 Zellen/ml zu < 100.000 Zellen/ml Neuinfektionsrate in der Trockenperiode < 100.000 Zellen/ml zu > 100.000 Zellen/ml Erste Kontrolle Färsenmastitisrate %Erstlaktierende > 100.000 Zellen/ml 1. MLP 50 28 41 77 15 18 23
Ursachen für eine schlechte Eutergesundheitsentwicklung in der Trockenperiode Hohe Leistungen beim Trockenstellen Unzureichende Arzneimittelanwendungshygiene Unzureichende Haltungshygiene Zu viele unheilbare Tiere Keine oder falsche Trockenstelltherapie Überbelegung Erhebliche Stoffwechselbelastung (Energie, Ca) 24
Fütterung Kennzahlen Mittel (%) Spitze (%) % Tiere mit F/E Quotient < 1,0 % Tiere mit F/E Quotient >= 1,5 in den ersten 100 Tagen % Tiere mit Eiweiß > 3,2 % % Tiere mit Harnstoff < 150 und >300 ppm 14 12 54 6 < 5 < 5 65 2 25
Eutergesundheitsmonitoring mit MLP-Daten erlaubt eine objektive Situationsbeschreibung Identifizierung der aktuellen Risiken gezielte Herangehensweise Definition von Gesundheitszielen Beurteilung von Maßnahmen langfristige positive Betriebsentwicklung 26
Eutergesundheitsmonitoring Klinische Mastitisfälle 1. Erfassung aller klinischen Mastitisfälle im Betrieb 2. Einteilung in leicht, mittel, schwer (>39,5 C) n. IDF 1999 3. Entnahme von Milchproben der betroffenen Viertel 4. Einfrieren, Kühlen, Direktversand, Ansatz zur Therapie 5. Systematische Auswertung (Verteilung, chronische Fälle) Farm: B Datum: April 2012 Datum Kuh Viertel Grad Therapie 02/04/12 /2 155 HL S Ja 04/04/12 /1 27 VR M Nein 14/04/12 /1 207 HR L Nein 17/04/12 /2 75 HR L Nein 20/04/12 /1 188 VL M Ja Leicht (Coliforme) = 52 75 % (48 %) Mittel = 20 41 % (31 %) Schwer = 5-23 % (21 %) 27
Zukunft der Behandlung I Weniger antibiotische Behandlung durch Untersuchung und durch ausgefeilte Therapiekonzepte Länge der Behandlung Aufwand der Behandlung 29
Zukunft der Behandlung II Untersuchung von Mastitismilch im Betrieb oder beim Haustierarzt Keine antibiotische Behandlung chronisch unheilbare Mastitiden (20-50 % der Laktationsbehandlungen) von Mastitiden ohne bakteriologischen Nachweis im Sekret (20 % der Mastitisfälle) bei subklinischen Mastitiden in der Laktation (95 % der Laktationsbehandlungen subkl. M.) (Ausnahmen sind Infektionen mit Sc. agalactiae oder Sc. canis) von nichtinfizierten Vierteln/Kühen zum Trockenstellen (20-50 % der antibiotischen TS) 30
Voraussetzungen für ein diagnostikbasiertes Therapiekonzept Entnahme hervorragender - nicht kontaminierter - Milchproben Regelmäßige systematische Diagnostik mit Differenzierung auf Artebene Regelmäßige Erstellung von Antibiogrammen oder minimalen Hemmkonzentrationen (MHK s) der relevanten Mikroorganismen Sorgsame Laborarbeit im eigenen Labor (Arbeitsplatzhygiene, Personalhygiene, Abfallhygiene)
Ziele der Schnelldiagnostik Entscheidungsfindung bei der Therapie Therapiebeginn mit Entzündungshemmern bei leichten und mittleren Mastitiden Kein Wachstum = keine Antibiose Gram positiv = ß-Lactamantibiotika Streptokokken = Penicillin Staphylokokken = andere ß-Lactamantibiotika Gram negativ = Antibiose bei Allgemeinstörungen in den Muskel o. keine Antibiose ohne Allgemeinstörungen
Studie Evidenzbasierte Mastitistherapie (Mansion-de Vries et al. 2013) Material und Methode Vergleich zweier Therapiekonzepte zur Mastitistherapie (2012) Milchviehbetrieb Sachsen-Anhalt (950 Kühe) Kontrolle: Standardkonzept vs. Versuch: Vordiagnostik + Therapie Behandlung von 467 Fällen Ergebnisse Keine Unterschiede zwischen den Versuchsgruppen bezüglich: bakteriologischer Heilung Gesamtheilung Anzahl an Therapieversager Unterschiede: Klinische Heilung: Besser (P = 0,004) in der Versuchsgruppe Kosten: Pro Kuh und Mastitisfall: 146,43 in der Kontrollgruppe vs. 113,28 in der Versuchsgruppe (P< 0,0001)
Behandlung von Mastitiden chronisch unheilbar euterkranker Kühe (2013-2014) Material und Methode Vergleich zweier Therapiekonzepte für chronisch unheilbar euterkranke Tiere Unheilbar: >2 Vorbehandlungen pro Viertel, 3 x 700.000 Zellen/ml Milch MLP Standardtherapie (Antibiose) vs. Ketoprofen (Ketoprosol) Behandlung von 84 Fällen (v.a. leichte Mastitis) Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt Ergebnisse Klinische Heilungsrate: Versuch (NSAID) 91 %, Kontrolle (Antibiose) 84 % Bakteriologische Heilungsrate: Versuch 22 %, Kontrolle 27 % Rezidivrate: Versuch 43 %, Kontrolle 50 % Alle Unterschiede signifikant (P< 0,01) 34
Fazit Wir müssen besser werden Systematische Arbeit statt Feuerwehr 1. Einstieg = MLP-Daten Kontinuität durch Monitoring Definierte Arbeitsstandards Mehr Diagnostik = weniger Therapie Ausgefeiltere Therapiekonzepte 35
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Praxistransfer Factsheets Eine Frage eine DIN A4 Seite Wissenschaftliche Quelle Aufbereitet durch praxisnahen Autor nicht der Autor der Quelle Verfügbar unter www.milchqplus.de 37
milchqplus Merkblatt Haben meine Tiere zu viele chronische Zitzenkonditionsstörungen? Chronische Zitzenkonditionsstörungen entstehen innerhalb einiger Wochen bis Monate. Chronische Zitzenkonditionsstörungen können die Besiedlung der Zitzenspitze durch Mastitiserreger begünstigen, die Reinigung und Desinfektion der Zitzen erschweren und den Zitzenkanalverschluss negativ beeinflussen. Info Wie erkenne ich chronische Zitzenkonditionsstörungen? Die wichtigste chronische Zitzenkonditionsstörung stellt die Hyperkeratose der Zitzenspitze dar, die vor und nach dem Melken optisch festgestellt werden kann. Hyperkeratosen sind als Ringe oder fransige Fortsätze um die Zitzenkanalöffnung ausgebildet. Wie viele Tiere dürfen chronische Zitzenkonditionsstörungen haben? rauer Ring bis fortsatzartige Hyperkeratose sehr rauer Ring bis fortsatzartige Hyperkeratose maximal 20 % der untersuchten Tiere mit mindestens einer betroffenen Zitze maximal 10 % der untersuchten Tiere mit mindestens einer betroffenen Zitze A: glatter Ring um die Zitzenkanalöffnung B: rauer Ring C: sehr rauer Ring D: fortsatzartige Hyperkeratose MEIN, G. A., NEIJENHUIS, F., MORGAN, W. F., REINEMANN, D. J., HILLERTON, J. E., BAINES, J. R., OHNSTAD, I., RASMUSSEN, M. D., TIMMS, L., BRITT, J. S., FARNSWORTH, R., COOK, N. und HEMLING, T. 2001: Evaluation of bovine teat condition in commercial dairy herds: 1. Non-infectious factors. Proc. 2nd International Symposium on Mastitis and Milk Quality, Vancouver, Kanada 2001, 347 366. Autor: Jan-Hendrik Paduch