Sozialwirtschaft in Deutschland

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Transkript:

Sozialwirtschaft in Deutschland Definition, Strukturmerkmale, Kritik Vortrag Sozial-und Solidarwirtschaft. Realität, Herausforderungen und Perspektiven für den Oberrhein. 24.10.2014. Europäisches Parlament, Straßburg -Es gilt das gesprochene Wort - 2014: Holger Hoffmann - Diakonisches Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.v. - Karlsruhe

Definition I Unter Sozialwirtschaft verstehen wir in Deutschland die Produktion von sozialen Dienstleistungen durch sozialwirtschaftliche Organisationen, mit dem Zweck individuelle und kollektive Wohlfahrt zu erreichen. Sozialwirtschaft gibt es in den Formen öffentlicher Trägerschaft (durch den Staat selbst), gemeinschaftlicher Selbstversorgung/Genossenschaften (economie solidaire), frei-gemeinnütziger (Wohlfahrtsverbände) oder privat-gewerblicher Trägerschaft (economie sociale).

Definition II Sozialwirtschaftliche Organisationen werden auch als Non-Profit-Organisation (NPO) No-for-Profit-Organisation Non-Government-Organisation (NGO) bezeichnet. Die Sozialwirtschaft (... in Deutschland steht Sozialwirtschaft für economie sociale et economie solidaire) wird auch als 3. Sektor oder Intermediärer Bereich bezeichnet.

Definition III Wohlfahrt bedeutet gedeihliches (gutes) Ergehen, das Wohl einer Gemeinschaft und eines Landes (salut public). Wohlfahrt ist Gegenstand einer ökonomischen Theorie und Thema der Wohlfahrtsökonomik (welfareeconomics Arthur Pigou). Im Fokus steht die Auswirkung wirtschaftlichen Handelns individuell auf die Nutzerinnen und Nutzer und insgesamt auf die Volkswirtschaft eines Landes. Sozialwirtschaft ist in diesem Sinne tätig: Durch die wirtschaftliche Produktion sozialer Dienstleistungen wird der volkswirtschaftliche Nutzen optimiert. Sozial Wirtschaft bringt zum Ausdruck, dass auch die Produktion sozialer Dienstleistungen wirtschaftlich, das heißt gewinnbringend erfolgen muss. Sozialwirtschaftliche Unternehmen/die Wohlfahrtsverbände sind gemeinnützig ( 52 AO:... die Allgemeinheit auf materiellem, geistigen oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern... ) oder mildtätig ( 53 AO:...persönlich oder wirtschaftlich bedürftige Personen selbstlos zu unterstützen... ). Wenn sie das sind, sind sie von wichtigen Steuern (Köperschafts-, Gewerbe-, Grundsteuer) befreit. Privat-gewerbliche Sozialunternehmen müssen diese Kriterien nicht erfüllen sie zahlen die Steuern.

Definition - Zusammenfassung Sozialwirtschaft in Deutschland Produktion sozialer Dienstleistungen... durch den Staat selbst... durch die Wohlfahrtsverbände... durch gemeinschaftliche Selbstversorgung, Genossenschaften... durch privatgewerbliche Träger

Strukturelle Merkmale I Der deutsche Staat ist (erst) seit 1919 (Weimarer Verfassung, Art. 7 sowie Art. 136-139) und wieder seit 1949 (Grundgesetz, Art. 20, 28 sowie Art. 123 und 140) ein Sozialstaat. Der Staat hat sich seit 1919 verpflichtet, seine Bürgerinnen und Bürger in schwierigen Lebenslagen, in Krisen-und Notsituationen mit den notwendigen Sozialleistungen (flächendeckend! in allen Orten in Deutschland in gleicher Qualität) zu versorgen. Diese sozialen Dienstleistungen sind als Versicherungen in den Sozialversicherungen (Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, Krankenversicherung, Pflegeversicherung) und als Fürsorgeleistungen (Grundsicherung für Arbeitsuchende, Jugendhilfe, Sozialhilfe und andere) in den anderen Sozialgesetzen festgeschrieben.

Strukturelle Merkmale II Der deutsche Staat garantiert diese sozialen Dienstleistungen, aber er erbringt sie nur zu einem kleinen Teil selbst. Den viel größeren Teil erbringen, historisch so gewachsen, die Wohlfahrtsverbände. Sie übernehmen die Aufgaben des Staates und erfüllen sie an seiner Stelle und werden dafür vom Staat bezahlt und gefördert. Die privat-gewerblichen Träger und die solidarenorganisationen spielen in diesem Segment keine wesentliche Rolle.

Strukturelle Merkmale II Drei wichtige Gründe für dieses Konstrukt: 1. Historisch: Die Wohlfahrtsverbände und ihre Vorläufer, vor allem Diakonie und Caritas, haben lange vor der Sozialstaatsverpflichtung organisiert soziale Dienstleistungen im Sinne der Versicherung und Fürsorge erbracht, zum großen Teil selbst finanziert. 2. Das Subsidiaritätsprinzip (siehe auch Art. 5 EGV) als Merkmal der Gestaltung des Korporatismus zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden schreibt vor, dass die Wohlfahrtsverbände einen Vorrang in der Leistungserbringung haben der Staat wird nur dann selbst tätig, wenn sonst niemand die Aufgabe übernehmen will. 3. Die Wohlfahrtsverbände bringen ihre Werteorientierung ihre Nähe zu den Menschen ihre ehrenamtliche Arbeit/zivilgesellschaftliches Engagement ihre Spenden in die Arbeit/Produktion mit ein und sind somit besser und wirtschaftlicher als der Staat es sein könnte.

Strukturelle Merkmale - Zusammenfassung 1. Der Sozialstaat ist Garant für die Sozialen Dienstleistungen (Sozialgesetze). 2. Diese sozialen Dienstleistungen werden überwiegend durch die Freien Wohlfahrtsverbände erbracht (Subsidiaritätsgebot). Deren Tätigkeit hat Verfassungsrang (Art. 19 Abs. 3,4 Grundgesetz, siehe auch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4.6.1985 zur Sonderstellung der beiden kirchlichen Verbände). 3. Das Subsidiaritätsprinzip hat Eingang in wichtige Sozialgesetze gefunden (SGB VIII, SGB XII, SGB II). 4. Die Freien Wohlfahrtsverbände sind gemäß dem Steuerrecht gemeinnützig oder mildtätig sie haben dadurch Steuervorteile.

Zahlen/Bedeutung I Wohlfahrtspflege Sozial-und Gesundheitsbereich gesamt Private und Solidarunternehmen (Inklusive Gesundheitsbereich, Krankenhäuser usw.) JahrEinrichtungen Mitarbeitende Einrichtungen Mitarbeitende Einrichtungen Mitarbeitende 1970 52.500 380.000 191.500 923.000 139.000 543.000 1981 58.000 590.000 208.000 1.500.000 150.000 910.000 1990 68.000 750.000 295.000 1.925.000 227.000 1.175.000 2008 102.000 1.550.000 552.000 6.330.000 450.000 4.780.000 (Quelle: Boeßenecker/Vilain, 2013, S. 52, Zahlen gerundet, Zahlenangaben der BG, eigene Berechnung)

Zahlen/Bedeutung II WohlfahrtsverbandGründungsjahr Anz. Einrichtungen Anz. Mitarbeitende Datenlage Diakonie Deutschland 1848/1849 27.000 450.000 2008/2011 Deutsches Rotes Kreuz 1894/1921 8.100 159.000 2008/2011 Deutscher Caritasverband 1897 24.600 560.000 2008/2011 Arbeiterwohlfahrt 1919 12.500 125.000 2008/2011 Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband 1924 43.800 330.000 2008/2011 Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland 1917/1926 120 750 2001 (Quelle: Boeßenecker/Vilan, 2013, S. 54, Zahlen gerundet und ergänzt. Zahlenangaben der Träger, abweichender Erhebungszeitraum) 116.120 1.624.750

Zahlen/Bedeutung III Ehrenamtliches/Zivilgesellschaftliches Engagement (Deutschland) (prognos-studie (2009) (BMFSJ 2009) 4.600.000.000h/Jahr 52Wochen 4h/Woche 22.115.385Menschen, die sich engagieren 36%der über 14-jährigen engagieren sich ehrenamtlich das sind ca.: 70.000.000Personen in Deutschland 25.200.000Menschen, die sich engagieren davon im Kindergarten 1.738.800 6,90% In Kirche/Religion 1.738.800 6,90% Sozialer Arbeit 1.310.400 5,20%

Zahlen/Bedeutung IV Bruttowertschöpfung nach WZ 2008, Q "Gesundheits- und Sozialwesen) 2000 100.000.000 2012 165.000.000 das sind: im Vergleich: Maschinenbau Im Vergleich: Fahrzeugbau 7% BIP 3% BIP 4% BIP nicht erfasst: Kindertagesstätten, Investitionskosten (Quelle: Friedrich Ebert Stiftung)

Zusammenfassung Kritik I Der deutsche Staat vergibt aus seinem Zuständigkeitsbereich die meisten Sozialleistungen an die Freien Träger der Wohlfahrtspflege (Subsidiarität). Der Staat ist und bleibt Garant für die Sicherstellung der Erbringung der sozialen Dienstleistungen. Der Staat hat dadurch keine Monopolstellung in der Erbringung der sozialen Dienstleistungen. Die Mitgestaltung des Sozialen durch die Wohlfahrtspflege und andere Träger wirkt als Korrektiv. Die Wohlfahrtspflege bringt ihre eigenen Ressourcen ein: Werteorientierung, Nähe zu den Menschen, ehrenamtliches Engagement und Spenden deshalb kann sie es besser und wirtschaftlicher. Diese Sozialleistungen müssen flächendeckend in gleicher Qualität angeboten werden. Das erfordert eine Regulierung des Marktes durch Qualitätsvorgaben und durch Beschränkungen der Preise aber unter Anerkennung der Tarifverträge der Wohlfahrtsverbände durch den Staat. Die flächendeckende Versorgung mit guter Qualität kann eben nicht alleine einem rein privaten Markt überlassen werden.

Zusammenfassung Kritik II Das System in Deutschland ist Angriffen ausgesetzt: Die ethische Ausrichtung der Wohlfahrtsverbände wird in Frage gestellt. Der Vorwurf der Monopolbildung durch die Wohlfahrtspflege und die Diskussionen über Laizismus (auch wegen der Kirchensteuer) greifen dieses System an. Die nachwachsende Generation der Politikerinnen und Politiker versteht Subsidiarität nicht mehr. Die funktionale Differenzierung der Gesellschaft in immer kleinere Milieus mit ihren spezifischen Bedarfslagen erfordert ein hohes Maß an Selbstorganisation, die von den Wohlfahrtsverbänden nicht mehr geleistet werden kann. Die EU-Strategie drängt auf Privatisierung dieses Sozialmarktes. Der deutsche Sonderweg mit seiner historischen Herleitung und den Merkmalen Subsidiarität und Gemeinnützigkeit ist in der EU mit den Strukturen in den anderen Mitgliedsstaaten nur schwer vereinbar.

Schlussworte Wer diese Zusammenhänge nicht sieht und auf einen rein privaten Markt für Soziale Dienstleistungen in der EU und in Deutschland abzielt und in das historisch gewachsene System der Erbringung sozialer Dienstleistungen unreflektiert eingreift, gefährdet nicht nur die Qualität dieser Dienstleistungen, sondern in letzter Konsequenz auch den Sozialen Frieden. Die Flächenabdeckung, die Qualität und die Tarifverträge der Wohlfahrtsverbände sind dann in Gefahr. Die Situation der Langzeitarbeitslosen, der Wohnungsmarkt in den Städten/Ballungszentren und die Pflege alter Menschen auf dem Lande zeigen beispielhaft, dass dieser Sozialmarkt reguliert werden muss.

Anhang: Literatur/Quellen Grunwald/Horcher/Maelicke(Hrsg.): Lexikon der Sozialwirtschaft. 2. aktualisierte Auflage. Nomos. Baden-Baden 2013. S. 348 ff. Gemeinnützigkeit), S. 412 ff. (Geschichte der Sozialwirtschaft), S. 968 ff. (Sozialwirtschaft als Arbeitsmarkt), S. 1005 ff. (Subsidiarität). Dahme/Kühnlein/Wohlfahrt/Burmester (Hans Böckler Stiftung-Forschung): Zwischen Wettbewerb und Subsidiarität. Wohlfahrtsverbände unterwegs in die Sozialwirtschaft. Edition sigma. 2. Auflage, Berlin 2008. S. 21 ff. (Die sozialwirtschaftliche Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege). S. 54 ff. (Besonderheiten der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege). Boeßenecker/Vilain: Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege. Eine Einführung in die Organisationsstrukturen und Handlungsfelder sozialwirtschaftlicher Akteure in Deutschland. 2. überarbeitete Auflage. Belz/Juventa. Weinheim/Basel 2013. S. 26 ff. (Das Subsidiaritäsprinzip), S. 81 ff. (Die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege) Ehrentraut/Hackmann/Krämer/Plume: Ins rechte Licht gerückt Die Sozialwirtschaft und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung (Friedrich Ebert Stiftung: WISO direkt, März 2014) S. 1 (Abgrenzung und Messbarkeit), S. 2 (Wertschöpfung), S. 2 f. (Beschäftigung), S. 4 (Chancen und Grenzen für die Zukunft)