STROKE NEWS 4/2006. Aktuelle Literatur zur Pathophysiologie und Therapie von Schlaganfällen STIFTUNG DEUTSCHE SCHLAGANFALL HILFE



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Transkript:

STROKE NEWS Aktuelle Literatur zur Pathophysiologie und Therapie von Schlaganfällen STIFTUNG 4/2006 DEUTSCHE SCHLAGANFALL HILFE

STROKE-NEWS 2 Aktuelle Literatur zur Pathophysiologie, Diagnostik, Prophylaxe und Therapie von Schlaganfällen 11. Jahrgang, Nummer 4, Dezember 2006, Auflage: 1600 Herausgeber: Prof. Dr. H.C. Diener, Neurologische Universitätsklinik, Hufelandstr. 55, D-45122 Essen Prof. Dr. M. Brainin, Neurologie, Donau-Universität Krems, Karl Dorrekstrasse 30, A-3500 Krems Prof. Dr. H. Mattle, Neurologische Universitätsklinik, Inselspital, CH-3010 Bern Autoren dieser Ausgabe: Prof. Dr. F. Aichner, Wagner Jauregg-Krankenhaus, Wagner Jauregg-Weg 15, A-4020 Linz (FA) PD Dr. H. Bäzner, Neurologische Universitätsklinik, Theodor-Kutzer-Ufer 1-3, 68167 Mannheim (HB) Prof. Dr. M. Brainin, Neurologie, Landesnervenklinik, Hauptstr. 2, A-3400 Maria Gugging (MB) Prof. Dr. M. Forsting, Neuroradiol. Abteilung Univ.-Klinik, Hufelandstr. 55, 45122 Essen (MF) Prof. Dr. A. Grau, Neurologie, Klinikum Ludwigshafen, Bremserstr. 79, 67073 Ludwigshafen (AG) Prof. Dr. H.C. Diener, Neurologische Universitätsklinik, Hufelandstr. 55, 45122 Essen (HCD) Prof Dr. R.L. Haberl, Neurologie, Krankenhaus Harlaching, Sanatoriumsplatz 2, 81545 München (RLH) Prof. Dr. G.F. Hamann, Neurologie, Dr.-Horst-Schmidt-Kliniken, Ludwig-Erhardt-Str. 100, 65199 Wiesbaden (GFH) Dr. med. O. Kastrup, Neurologische Universitätsklinik, Hufelandstr. 55, 45122 Essen (OK) Dr. C. Lichy, Neurologische Universitätsklinik, Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg (CL) Prof. Dr. H. Mattle, Neurologische Universitätsklinik, Inselspital, BHH B128, Freiburgstr. 10, CH-3010 Bern (MAT) Dr. R.P. Palm, Neurologie, Klinikum Ludwigshafen, Bremserstr. 79, 67073 Ludwigshafen (FRP) Prof. Dr. E.B. Ringelstein, Neurologische Universitätsklinik, Albert-Schweitzer-Str. 33, 48149 Münster (EBR) PD Dr. U. Schminke, Neurologie, Kliniken Kreis Sigmaringen, Hohenzollernstr. 40, 72488 Sigmaringen (US) Prof. Dr. M. Siebler, Neurologische Universitätsklinik, Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf (SIM) PD Dr. M. Sitzer, Neurologische Universitätsklinik, Theodor-Stern-Kai 7, 60590 Frankfurt (MS) Frau Dr. E. Thaller, Neurologie, Krankenhaus Harlaching, Sanatoriumsplatz 2, 81545 München (ET) Prof. Dr. A. Villringer, Neurologische Uniklinik Charité, Schumannstr. 20-21, 10117 Berlin (AV) Frau PD Dr. I Wanke, Neuroradiol. Abteilung Univ.-Klinik, Hufelandstr. 55, 45122 Essen (IW) PD Dr. C. Weimar, Neurologische Universitätsklinik, Hufelandstr. 55, 45122 Essen (CW) Redaktion: PD Dr. C. Weimar

Vorwort Liebe Leserinnen und Leser der Stroke-News, der 11. Jahrgang der Stroke News neigt sich seinem Ende zu. Ich kann Ihnen jetzt schon die erfreuliche Mitteilung machen, dass die Fa. Boehringer-Ingelheim sich bereit erklärt hat, die Stroke News auch im nächsten Jahr finanziell zu unterstützen. Damit steht Ihnen weiterhin dieses anzeigenfreie objektive Medium zur Verfügung, das Ihnen eine rasche Übersicht über neue Studien bietet. Mein besonderer Dank gilt den engagierten Autoren, meinen Mitherausgebern Herrn Brainin in Österreich und Herrn Mattle in Bern und ganz besonders Herrn Weimar, der in hervorragender Weise die redaktionelle Arbeit bewältigt. Ich wünsche Ihnen auch im nächsten Jahr viel Spaß mit der Lektüre der Stroke News und wünsche Ihnen ein schönes Jahresende. Essen, im Dezember 2006 H. C. Diener 3

Inhaltsverzeichnis Seite 01. Epidemiologie 3 02. Klinik 9 03. Diagnostik 22 04. Primärprävention 24 05. Akuttherapie 25 06. Sekundärprävention 40 07. Blutungen 42 Die vorherigen Stroke-News können über die Webpage www.stroke-news.de aufgerufen und nachbestellt werden. Die Benotung erfolgt nach folgenden Kriterien ***** Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet **** Gute experimentelle Arbeit, gute klinische Studie oder gute Übersichtsarbeit *** Mittelmäßige Publikation mit etwas geringerem Innovationscharakter oder nur für Spezialisten geeignet ** Mäßige Publikation von geringerem klinischen und experimentellen Interesse und leichten methodischen Mängeln * nur für die Literatursammlung, wesentliche inhaltliche oder formale Mängel mit finanzieller Unterstützung: sowie ISSN 1431-7780 Boehringer-Ingelheim GmbH, Ingelheim Boehringer-Ingelheim Schweiz Boehringer-Ingelheim Österreich Copyright 2006 Prof. H. C. Diener 4

1. Epidemiologie **** Sachdev PS, Brodaty H, Valenzuela MJ, Lorentz L, Looi JC, Berman K, Ross A, Wen W, Zagami AS. Clinical determinants of dementia and mild cognitive impairment following ischaemic stroke: the Sydney Stroke Study. Dement Geriatr Cogn Disord 2006;21:275-283 Vor dem Hintergrund, dass die Angaben über Häufigkeit und Riskofaktoren einer Demenz, die als Folge eines ischämischen Schlaganfalls ( post stroke Demenz) auftritt, in der Literatur nicht einheitlich sind, wurden 169 Patienten der Sydney Stroke Study nach einem Intervall von 3-6 Monaten nach einem ischämischen Schlaganfall einer komplexen neuropsychologischen Testung sowie einer MRT-Untersuchung des Gehirns unterzogen und mit einer Kontrollgruppe aus 103 Freiwilligen gleichen Alters verglichen. Die wesentlichen Ergebnis dieser Studie waren: Die Prävalenz einer vaskulären Demenz liegt bei 21,3%, die Prävalenz eines mild cognitive impairment bei 36,7%. Die Prävalenz war altersabhängig, aber unabhängig vom Geschlecht. Nur einer von 23 Patienten unter 60 Jahren entwickelte eine vaskuläre Demenz, bei älteren stieg mit zunehmendem Alter die Prävalenz nicht wesentlich an. Diverse multivariate logistische Regressionsmodelle zeigten, dass lediglich das Infarktvolumen (Odds Ratio: 1,95; Confidenz-Intervall: 1,25-3,04; p = 0,003) und die prämorbide Intelligenz (Odds Ratio: 2,55; Confidenz-Intervall: 1,20-5,42; p = 0,015) signifikant mit einer vaskulären Demenz assoziiert waren. Nicht signifikant assoziiert waren hingegen andere MRT-Parameter wie ein Index zur Bestimmung der Hirnatrophie, die Anzahl der Infarkte, sowie ein white matter lesion score. Außerdem waren die Schwere einer Depression, das Vorliegen von traditionellen cerebrovasculären Risikofaktoren oder der Homocystein-Spiegel nicht signifikant mit dem Auftreten einer vaskulären Demenz assoziiert. Kognitive Einbußen als Folge von ischämischen Schlaganfällen spielen bisher bei der Ermittlung des Outcome eine eher untergeordnete Rolle. Die vorliegende Arbeit beziffert die Prävalenz solcher kognitiven Einbußen bei Patienten, die vor 3-6 Monaten einen ischämischen Schlaganfall erlitten hatten, auf nahezu 60% (21% vaskuläre Demenz; 36% mild cognitive impairment ). Die Stärken 3

dieser Arbeit liegen in einer aufwendigen neuropsychologischen Testung und einer differenzierten Definition von vaskulärer Demenz, die auf einer Beeinträchtigung von mindestens 2 kognitiven Teilleistungen beruht, und nicht wie bisher üblich auf dem alleinigen Nachweis einer gestörten Gedächtnisfunktion. Eine weitere Stärke ist die allerdings retrospektive - Erfassung von prämorbider Intelligenz, so dass Patienten mit einer prämorbiden Demenz von der Studie ausgeschlossen werden konnten, um wirklich nur diejenigen zu erfassen, die eine tatsächliche post stroke Demenz entwickelt haben. Wären diese Patienten nicht ausgeschlossen worden, wäre die post stroke Demenz-Rate um 11 Prozentpunkte höher gewesen. Die Schwächen dieser Arbeit liegen vor allem darin, dass 84% der Patienten der zugrunde liegenden Population von der Studie ausgeschlossen wurden, darunter vor allem diejenigen mit schwerer funktioneller Behinderung oder residueller Aphasie. Durch diese Selektion könnten die Angeben zur Prävalenz der vaskulären Demenz fälschlich zu niedrig ausgefallen sein. (US) *** Dhamoon MS, Sciacca RR, Rundek T, Sacco RL, Elkind MSV. Recurrent stroke and cardiac risks after first ischemic stroke. The Northern Manhattan Study. Neurology 2006;66:641-646 Aktuelle Daten zu den Rezidivrisiken nach Schlaganfällen sind wichtig für eine gezielte Ausrichtung sekundärprophylaktischer Maßnahmen und populationsbasierte Register sind ein wichtiges Instrument zur möglichst unverzerrten Erfassung dieser Risiken. Die Autoren der vorliegenden Studie präsentieren Nachuntersuchungsdaten von 655 Patienten mit erstem ischämischen Schlaganfall im Alter von mindestens 40 Jahren aus der Northern Manhattan Study (NOMAS) und vergleichen die Inzidenzen von Rezidivschlaganfällen, Herzinfarkten und tödlichen kardialen Ereignissen im Laufe einer Nachbeobachtungszeit von im Mittel 4 Jahren. In der Untersuchungspopulation (mittleres Alter 69,7 Jahre; 45% Männer; 51,3% hispanischer Herkunft; 27,6% Schwarze; 18,9% nicht-hispanische Weiße) lag das Risiko für einen nicht-tödlichen bzw. tödlichen Rezidivschlaganfall nach 1 Jahr bei 6,6 % bzw. 1,1 % und nach 5 Jahren bei 14,8 % bzw. 3,7 %. Die Rate nicht-tödlicher Herzinfarkte war deutlich niedriger und betrug nach 1 Jahr 0,7 % und nach 5 Jahren 3,4 %. Die Rate tödlicher Herzinfarkte und zusätzlicher Todesfälle durch Herzinsuffizienz, kardiale Arrhythmien und Lungenembolien betrug 2,9 % bzw. 6,4 %. 6

NOMAS ist eine sehr bekannte populationsbasierte Schlaganfallstudie, aus der bereits eine größere Zahl wichtiger Publikationen zu verschiedenen Themen im Bereich der Schlaganfallforschung hervorgegangen ist. Die Studie erfüllt alle Kriterien, die an ein gutes bevölkerungsbasiertes Schlaganfallregister zu stellen sind. Die Daten sind also valide, wenngleich für einen Vergleich mit Deutschland die unterschiedliche ethnische Herkunft zu beachten ist. Die Publikation bestätigt die Ergebnisse der Mehrzahl ähnlicher Studien, dass nach einem ischämischen Schlaganfall das Risiko für einen Rezidivschlaganfall deutlich höher ist als für einen Herzinfarkt, dass aber zugleich die Todesursache bei diesen Patienten häufiger in einer kardialen Komplikation zu suchen ist als in einem tödlich verlaufenden Schlaganfall. Hier ist jedoch auch die sehr weite Definition tödlicher kardialer Ereignisse in dieser Studie hervorzuheben, die sich nicht mit Definitionen in allen vergleichbaren Studien deckt. Die Zahlen verdeutlichen jedoch, dass beiden zerebralen und kardialen - Komplikationen nach erstem Schlaganfall adäquat vorgebeugt werden muß. Rezidivraten hängen u.a. ab von der Intensität der sekundärprophylaktischen Behandlung; es ist eine Schwäche der ansonsten guten Arbeit, dass die Therapie der Patienten nicht erwähnt wird. (AG) *** Jackson C and Sudlow C. Comparing risks of death and recurrent vascular events between lacunar and non-lacunar infarction. Brain 2005;128:2507-2517 Während lakunäre Infarkte in den meisten Studien im Vergleich zu nichtlakunären Infarkten eine günstigere Prognose aufweisen, scheint es hinsichtlich der tatsächlich zugrunde liegenden arteriellen Pathologie keine so klare Unterscheidung zu geben. Die Autoren haben sich daher die Mühe gemacht, eine systematische Übersichtsarbeit zu diesem Thema zu verfassen. Mit der Hypothese, dass zwischen lakunären und nicht-läkunären Infarkten unterschiedliche Pathologien eine prognostische Rolle spielen können, wurden in der Literatur alle Kohortenstudien identifiziert, welche hinsichtlich dieser Schlaganfall-Subtypen getrennt dargestellt werden, ebenso hinsichtlich der Endpunkte Tod, Reinsult und/oder Myokardinfarkt. Aus 31 selektierten Arbeiten wurde das Risiko des Todes und eines Reinsults jeweils nach 1 Monat, nach 1-12 Monaten und nach 1-5 Jahren berechnet. Nach einem Monat waren Odds Ratio von Tod oder Reinsult für nicht-lakunäre Infarkte grösser als für lakunäre, aber danach nahmen die 7

Unterschiede ab. (1 Monats Mortalität: OR 3.81, 95% CI 2.77 5.23; 1 12 Monats Mortalität: OR 2.32, 95% CI 1.74 3.08; 1 5 Jahres Mortalität: OR 1.77, 95% CI 1.28 2.45; 1 Monats Reinsulte: OR 2.11, 95% CI 1.20 3.69; 1 12 Monate Reinsulte: OR 1.24, 95% CI 0.85 1.83; 1 5 Jahre Reinsulte: OR 1.61, 95% CI 0.96 2.70). Die Hauptergebnisse zeigen, dass Reinsulte am ehesten lakunär waren, wenn der Indexschlaganfall ebenfalls lakunär war. Es gab es keine sichtbaren Unterschiede bezüglich kardialer Mortalität, jedoch schon hinsichtlich früher Mortalität aus allen Ursachen und hinsichtlich der Reinsultrate, welche bei nicht-lakunären Infarkten höher war. Bei längeren Beobachtungsintervallen scheinen sich diese Unterschiede eher auszugleichen. Nach Ansicht der Autorinnen scheinen diese Daten daher eine gewisse Bestätigung für die unterschiedlichen Gefässpathologien zu geben, die den lakunären und nicht-lakunären Hirninfarkten zu Grunde liegen. Diese systematische Übersichtsarbeit hat zwar den Anspruch, prognoserelevante Daten von unterschiedlichen Hirninfarktkttypen zu untersuchen, hat sich aber nicht die Mühe gemacht, die Unterscheidung der arteriellen Gefässpathologie selbst in den einzelnen Arbeiten zu untersuchen, womit die Differenzierung zwischen lakunären und nicht-lakunären Infarkten eine grosse Unsicherheit erhält. Es ist ja aus der klinischen Praxis bekannt, dass ein lakunärer Infarkt, der meist nicht grösser als 10-15 mm ist und in der weissen Hirnsubstanz zu liegen kommt, vielfach eine andere Ursache haben kann, als einen klassichen mikroangiopathischen Verschluss auf Grund von Lipohyalinose und Verquellung des Lumens durch eine kleine Thrombose am Ostium oder intraluminal. (MB) **** Basile AM, Pantoni L, Pracucci G, Asplund K, Chabriat H, Erkinjuntti T, Fazekas, F, Ferro JM, Hennerici M, O Brien J, Scheltens P, Visser MC, Wahlund LO, Waldemar G, Wallin A, Inzitari D on behalf of the LADIS Study group. Age, hypertension, and lacunar stroke are the major determinants of the severity of age-related white matter changes. The LADIS (Leukoaraiosis and Disability in the Elderly) Study. Cerebrovasc Dis 2006;21:315-322 Diese EU-geförderte Studie untersuchte an einer großen Gruppe (639 Teilnehmer) von älteren Patienten (65-84 Jahre) den Zusammenhang von demographischen Variablen, Gefäßrisikofaktoren und Komorbiditäten mit 8

dem Schweregrad von zerebralen Marklager-Veränderungen sowie deren prognostischen Einfluss auf eine eventuelle Behinderung im Studienverlauf. In der hier präsentierten Querschnittsanalyse der Daten der LADIS (Leukoaraiosis And DISability) - Studie zeigt sich eine signifikante positive Korrelation des Schweregrades der mittels kranialer MRT dokumentierten mikroangiopathischen Veränderungen mit dem Alter der Probanden (nicht dem Level der Schulausbildung) sowie mit den Faktoren arterielle Hypertonie (nicht Diabetes mellitus). Die Häufigkeit von lakunären Ischämien war ferner assoziiert mit dem Schweregrad der Marklagerveränderungen. Diese Studie bestätigt Ergebnisse früherer populationsbasierter Erhebungen mit arterieller Hypertonie als wesentlichem Risikofaktor für die zerebrale Mikroangiopathie. Innovativ sind hier das multizentrische europäische Kollektiv und die Auswahl der zum Studieneinschluss nicht behinderten Teilnehmer. Die Daten der prospektiven Analyse mit Auswertung der Follow-up MRTs werden mit Spannung zu erwarten sein und dürften weiteren Aufschluss zur Pathophysiologie dieser zunehmend häufigen, aber in einschlägigen Journalen immer noch unterrepräsentierten Erkrankung geben. (HB) 2. Klinik *** Forster K, Poppert H, Conrad B, Sander D. Elevated inflammatory laboratory parameters in spontaneous cervical artery dissection as compared to traumatic dissection. A retrospective case-control study. J Neurol 2006;253:741-745 In der vorliegenden Arbeit wird retrospektiv der Frage nachgegangen, ob sich Patienten mit einer sog. spontanen, nicht traumatischen Dissektion hirnversorgender Arterien bezüglich ihres bei Aufnahme in die Klinik nachweisbaren inflammatorischen Profils von Patienten mit einer sog. traumatischen Dissektion unterscheiden. Zu diesem Zweck wurden die bei stationärer Aufnahme in das Krankenhaus gewonnenen Laborparameter (Leukozytenzahl, CRP-Konzentration, Fibrinogenkonzentration) von insgesamt 25 Patienten mit spontaner Dissektion mit denen von 18 Patienten mit einer traumatischen Dissektion verglichen. Eine traumatische Dissektion lag vor, wenn ein Kopf- oder Nacken- bzw. Halstrauma innerhalb 9

der vergangenen zwei Wochen dem akuten Dissektionsereignis vorangegangen war. Ergaben sich solche anamnestischen Hinweise nicht, wurde eine spontane Dissektion angenommen. Es wurden zudem Patienten von der Analyse ausgeschlossen, die den Verdacht auf eine Bindegewebserkrankung in der Vorgeschichte hatten, des Weiteren Patienten, die während des stationären Aufenthaltes eine relevante Infektion erlitten oder bei denen eine maligne Erkrankung bekannt war. Ebenso wurden Patienten ausgeschlossen, die vorbehandelt waren mit Kortikosteroiden, Statinen, oder eine rt-pa-behandlung bekamen. Die Ergebnisse zeigen an, dass die Patienten mit der spontanen im Vergleich zu traumatischen Dissektion sowohl in der Initialphase als auch vor allen Dingen im weiteren Verlauf des stationären Aufenthaltes eine deutlich ausgeprägtere inflammatorische Reaktion, gekennzeichnet durch eine erhöhte Leukozytenzahl und eine signifikante CRP-Elevation entwickelten. Dies war nicht mit einer erhöhten Rate von Infektionen während des stationären Aufenthaltes assoziiert. Darüber hinaus ergaben sich ebenfalls keine relevanten anderen Unterschiede in den Basischarakteristika der beiden Patientengruppen. In der Gruppe der spontanen Dissektion fand sich in einem höheren Anteil eine infektiöse Komplikation vor der akuten Erkrankung als bei den Patienten mit der traumatischen Dissektion. Die Autoren schließen daraus, dass diese Daten einen gewissen Hinweis darauf geben können, dass eine möglicher Auslösemechanismus einer spontanen Dissektion hirnversorgender Arterien eine systemische Inflammationsreaktion mit möglicherweise sekundären Effekten auf das Gefäßsystem sein kann. Ähnliche Vermutungen hat es in der Vergangenheit schon gegeben, so ist z.b. die Assoziation zu einer Dissektion und einer vorhergehenden Infektion in relativ vielen Einzelfallserien gezeigt worden. Darüber hinaus gibt es eine gewisse saisonale Häufungen von Patienten mit Dissektionen in den Monaten, die mit einer erhöhten Infektionswahrscheinlichkeit einhergehen. Die diskutierten Mechanismen sind entweder die einer vaskulitischen Mitreaktion der Vasa vasorum, denn gerade bei der spontanen Dissektion tritt typischerweise das intramurale Hämatom als Folge einer Ruptur dieses Gefäßtyps auf. Ebenso könnte auch eine direkte inflammatorische Reaktion der Tunica media des entsprechenden Gefäßes ursächlich für das intramurale Hämatom sein. Sicherlich muss man die Ergebnisse solcher Studien mit einer gewissen Vorsicht betrachten. Zum einen handelt es sich nicht um eine prospektiv angelegte Studie. Die verwendeten 10

Parameter der inflammatorischen Reaktion sind recht grob und aus dem klinischen Alltag abgeleitet. Es ist ebenfalls nicht auszuschließen, dass die Ergebnisse auf einen gewissen Selektionseffekt bei der Auswahl der Patienten zurückzuführen sind. Des Weiteren ist es sicherlich kritisch, Laborwerte zu vergleichen, die mit großer Wahrscheinlichkeit erst Tage nach Beginn des eigentlichen Dissektions-Geschehens abgenommen worden sind. Dem entgegenhalten muss man allerdings, dass die Gewinnung prospektiver Daten und die Etablierung der chronischen Infektion als Risikofaktor für eine Dissektion studientechnisch extrem schwierig zu evaluieren sind. Trotzdem kann diese Studie weitere Studien animieren, hier eine möglicherweise multizentrische, groß angelegte Beobachtungsstudie zu initiieren, in der etwas differentere Parameter einer Inflammationsreaktion gewonnen werden können. Die Ergebnisse der Studie fügen sich zumindest gut in das aktuelle Bild bezüglich der Pathogenese von Dissektionen hirnversorgender Arterien ein, nämlich dass es sehr viele verschiedene Mechanismen gibt, die zu einer Dissektion führen können und dass es mit großer Wahrscheinlichkeit auch notwendig ist, dass mehrere dieser Mechanismen zeitgleich in einem Individuum zusammen kommen müssen, um eine Dissektion der hirnversorgenden Arterien auszulösen. Eine übermäßige inflammatorische Reaktion mit möglicherweise einer gewissen vaskulitischen Beteiligung mag ein relevanter Mechanismus in der Pathogenese cervikaler Dissektionen sein. (MS) **** Weimar C, Ho W, Katsarava Z, Diener H-C on behalf of the German Stroke Study Collaboration. Improving patient selection for clinical acute stroke trials. Cerebrovasc Dis 2006;21:386-392 Die Autoren validierten zwei prognostische Modelle zur Identifikation potentieller Therapieresponder einer fiktiven neuroprotektiven Schlaganfallstudienmedikation. Anhand des NIHS-Score bei Aufnahme und des Patientenalters wurde in einer konsekutiven Population von 1.725 Patienten mit akuter zerebraler Ischämie (<6h) mittels Computersimulation versucht, optimale Grenzwerte für einen Studieneinschluß zu definieren. Dabei wurde davon ausgegangen, dass möglichst wenige eingeschlossene Patienten eine spontane Erholung oder aber ein tödliches Outcome erfahren sollten. Von beiden extremen Verlaufsformen wäre verständlicherweise eine unerwünschte Dilution der potentiellen Zielgruppe 11

zu erwarten. Unter Verwendung der Variablen NIHSS und Alter ist es möglich, die Grenzwerte für Spontanerholungsrate und Mortalität so zu wählen, dass eine signifikante Verkleinerung der Studienpopulation und/oder eine Verkürzung der Studiendauer gegenüber einer konventionellen Rekrutierung, die nur den NIHSS verwendet, möglich ist. Auch ist, wie die Autoren aufzeigen können, diese Selektionsmethode geeignet, den Plazeboeffekt einer Studie relevant zu senken beziehungsweise den detektierbaren Anteil eines tatsächlichen Effekts einer Studienmedikation zu steigern. In dieser aufschlussreichen Arbeit nehmen sich die Autoren eines hochaktuellen und ethisch wie ökonomisch relevanten Themas der studien- und evidenzbasierten Medizin an. Es wird frappierend deutlich, wie einfach unnötige Belastungen für Patienten, Kosten und Zeitverzögerungen bei der Durchführung randomisierter klinischer Therapiestudien vermieden werden können. Es sei dahingestellt, wieweit man den Autoren bei ihrer Spekulation folgen mag, die große Zahl bisheriger negativer Neuroprotektionsstudien könnte auch Ausdruck insuffizienter statistischer Power infolge einer unzulänglicher Rekrutierungsmethodik sein. In jedem Falle dürfte dem heute noch allgemein üblichen Schema einer alleine NIHSSbasierenden Studienrekrutierung wohl ein absehbares Ende gesetzt ein. Hierzu trägt diese Studie, die deshalb auch für den evidenzbasierte Medizin umsetzenden Kliniker interessant sein muß, sicherlich bei. (CL) *** Paolucci S, Gandolfo C, Provinciali L, Torta R, Toso V. The Italian multicenter observational study on post-stroke depression (DESTRO). J Neurol 2006;253:556-562 In den letzten Jahren mehrt sich die Literatur zur so genannten post stroke depression (PSD, Depression nach Schlaganfall). In dieser italienischen multizentrischen Studie aus den Jahren 2000 bis 2003 wurden in 53 Neurologien 1064 Patienten nach ischämischem oder hämorrhagischem Schlaganfall für die ersten 9 Monate nachuntersucht. Die Patienten, bei denen eine Depression auftrat, wurden für 2 Jahre nachbeobachtet. Die Depressionen wurden durch klinische Untersuchungen, durch das Beck`sche Depressionsinventar und eine visuelle Analogstimmungsskala graduiert. Miterfasst wurden die Anamnese, die Lebensqualität nach Schlaganfall und die Mobilität des Patienten. Insgesamt trat in 36% eine PSD auf, wobei es 12

sich in 80% eher um eine minor depression mit Dysthymie als um eine major depression oder Anpassungsstörung handelte. Ungefähr 80% entwickelten die Depression innerhalb von 3 Monaten nach dem Schlaganfall. Spätere Depressionen schienen geringer ausgeprägt zu sein. Risikofaktoren waren eine Vorgeschichte mit Depression, schwere Behinderung, vorheriger Schlaganfall und weibliches Geschlecht. Die Läsionsgröße und der Läsionsort waren nicht entscheidend. In dieser Studie war PSD nicht korreliert mit einer erhöhten Mortalität oder weiteren Schlaganfällen, die Patienten hatten allerdings ein niedriges Niveau von Unabhängigkeit und niedrigere Lebensqualität. Die Autoren schließen, dass die Patienten in den ersten Wochen nach Schlaganfall engmaschig observiert werden sollten für Depressionen, die dann am wahrscheinlichsten ist. Diese recht große krankenhausbasierte Längsschnittstudie mit ätiologisch heterogenen Schlaganfällen erbringt als Hauptbefund die Bestätigung mehrerer früherer Studien, dass in etwa 30% nach Schlaganfall eine post stroke depression auftritt. In dieser Studie schien sie bei den meisten Patienten eher geringer ausgeprägt. Auch die Risikofaktoren, wie Vorgeschichte, frühere Depression, schwere Behinderung, vorheriger Schlaganfall, decken sich mit denen, die die bisherigen Studien erhoben. Insgesamt präsentiert diese Studie nichts relevant Neues. Wertvoll ist aufgrund der Längsschnittbeobachtung bis zu 2 Jahren der Befund, dass die Depression zumeist in den ersten 3 Monaten auftritt. Spätere Depressionen erscheinen leichter und nicht funktionell relevant zu sein. Weitere spezifische Schlüssel sind aus der Studie nicht ableitbar. Die Studie krankt, wie vorherige Studien auch, an dem sehr heterogenen Patientenkollektiv. Leider wird auch durch diese Studie auf die wirklich interessante Frage der neuroanatomischen Korrelationen der post stroke depression kein Licht geworfen. Mehrere MRT-Studien kleinerer Kohorten haben in den letzten Jahren versucht, Assoziationen zwischen der post stroke depression und Läsionslokalisation oder last aufzuweisen. Hier wurden zum Teil linksseitige frontal subcorticale Schleifen als möglicher kausaler Läsionsort vorgeschlagen, wobei die Bestätigung dieser Studie noch aussteht. (OK) 13

**** Laowattana S, Zeger SL, Lima JAC, Goodman SN, Wittstein LS, Oppenheimer SM. Left insular stroke is associated with adverse cardiac outcome. Neurology 2006;66:477-483 Die Neurokardiologie hat v.a. in den 80iger und 90iger Jahren unser Verständnis vom Zusammenhang von zerebralen und kardialen Veränderungen revolutioniert. Es wurde Allgemeingut, dass akute zerebrale Erkrankungen, insbesondere Infarkte und Blutungen, sekundäre kardiovaskuläre Veränderungen (EKG-Veränderungen, Herzinfarkte, Arrhythmien und Blutdruckkrisen, etc.) durch Vermittlung des autonomen Nervensystemes verursachen können. Besonders die Inselrinde als primärer autonomer Kortex spielt hier neben den hypothalamischen und Hirnstammzentren eine wichtige Rolle. Die Arbeit von Laowattana und Mitarbeitern fügt sich in eine lange Reihe von Veröffentlichungen des Seniorautors Stephen Oppenheimer, der beginnend in der Gruppe von Vladimir Hachinski und David Cechetto in London Ontario, seit Jahren aktiv auf dem Feld der Neurokardiologie arbeitet. In der Einleitung wird auf die Bedeutung der Schädigung des linken Inselkortex und den damit zusammenhängenden erhöhten Sympathikotonus eingegangen und insbesondere auch auf die Vorarbeiten aus Deutschland der Gruppe um Dirk Sander/München. Die Gruppe aus Baltimore und New Jersey untersuchte nun prospektiv zwei Gruppen: 32 Patienten mit linkshirnigem Inselinfarkt und 84 Patienten mit nicht-links-insulärem Hirninfarkt (rechte Insel, andere Infarktlokalisationen und TIA). Die Infarktausdehnung wurde mit MRT bestimmt. Der Nachbeobachtungszeitraum zur Detektion sekundärer kardialer Ereignisse lag bei 1 Jahr (1,3,9 und 12 Monate). Als Endpunkte wurden kardialer Tod, Herzinsuffizienz, Herzinfarkt und KHK definiert. Die Patienten wurden zwischen 3 und 3,5 Tage nach dem Initialereignis in die Studie aufgenommen. Das mittlere Nachbeobachtungsintervall war 187 Tage für die Gruppe 1 und 207 für die Gruppe 2. Die Schlaganfallschwere und die demographischen Daten waren zwischen beiden Gruppen vergleichbar. Es konnten 47 Endpunkte bei 35 Patienten festgestellt werden: 1 plötzlicher Herztod, 3 Herzinfarkte, 17 KHK und 26 neue Herzinsuffizienzen. Durch eine univariate Analyse konnten linksseitiger Inselrindenhirninfarkt, vorbestehende Herzerkrankung (alle verschiedenen Formen) und symptomatische KHK als signifikant assoziiert mit einem kardialen Endpunkt nachgewiesen werden. Die OR für ein kardiales Endpunktereignis lag in einer multivariaten Analyse für links- 14

hirnige Inselinfarkte zwischen 2,8 bis 6,5 je nachdem ob eine vorbestehende Herzerkrankung bekannt war. Die Herausnahme von TIAs in Gruppe 2 veränderte die Signifikanzen nicht. Die meisten kardialen Ereignissen traten während der ersten 100 Tage auf, es fand sich eine erhöhte Mortalität bei linkshirnigen Inselinfarkten (p< 0,006). Insgesamt traten 1,75 fach mehr Ereignisse in Gruppe 1 als in Gruppe 2 auf (CI 1,02-3,00, p= 0,05). Die Zusammenhänge waren v.a. bei Patienten ohne vorbestehende KHK nachzuweisen, während Patienten mit vorbestehender KHK geringere Beeinflussungen durch einen linkshirnigen Inselinfarkt hatten. Linskhirnige Inselinfarkte waren auch mit einer globalen linksventrikulären Wandmotilitätsstörung verknüpft. Die Autoren diskutieren Ihre Befunde ausgiebig und sehr differenziert. Sie gehen auf die Unterschiede zwischen rechts- und linksinsulären Infarkten und verschiedene Vorstudien ein und folgern, dass ihre Ergebnisse in guter Übereinstimmung mit den Ergebnissen der NAS- CET Nachuntersuchungen sind, wo festgestelt wurde, dass akute Todesfälle vermehrt bei linkshirnigen Infarkten im Langzeitverlauf gefunden wurden. Eine zwar von der Fallzahl kleine, aber methodisch aufwändige und sehr interessante Studie. Zum erstenmal werden nicht nur die akuten (Stunden und ersten Tage nach einem Schlaganfall) Zeiträume, sondern immerhin 1 Jahr nach einem Hirninfarkt auf die autonome Nebenwirkungen untersucht. Das Ergebnis ist eindeutig und belegt, dass neurokardiogene/autonome Störungen nicht nur die akute Prognose eines Hirininfarktes, sondern den Langzeitverlauf bestimmen. Es ist eine Untersuchung, die bisher fehlte und belegt, dass zerebrale Infarkte auch im Langzeitverlauf entscheidende Prädiktoren sekundärer kardialer Erkrankungen sind. Dass Patienten mit vorbekannter KHK weniger deutliche Beziehungen zwischen links-insulären Infarkten und kardialen Endpunkten zeigten, wird von den Autoren durch die vorbestehende kardiale Medikation (Betablocker und andere) in meinen Augen richtig erklärt. Eine gute Studie, die unser pathophysiologisches Verständnis der neurokardialen Zusammenhänge erweitert. Therapeutische Implikationen müssen nun in weiteren prospektiven Studien untersucht werden, denkbar wäre es links-insuläre Infarkte präventiv mit Betablockern zu behandeln, um den erhöhten Sympathikotonus zu dämpfen und damit die Gefahr sekundärer kardialer Erkrankungen zu reduzieren. (GFH) 15

** De Schryver EL, Algra A, Donders RC, van Gijn J, Kappelle LJ. Type of stroke after transient monocular blindness or retinal infarction of presumed arterial origin. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2006;77:734-738 Anhand dieser Untersuchung an Patienten, die eine Amaurosis fugax oder einen persistierenden Netzhautinfarkt erlitten hatten, sollte analysiert werden, ob die in der Folgezeit aufgetretenen Schlaganfälle mikro- oder makroangiopathischer Genese waren bzw. in welchem Strombahngebiet (ipsi- oder kontralateral, vertebrobasilär) die Ischämien auftraten. Erklärte Zielsetzung war die Pathophysiologie der retinalen Ischämie besser zu verstehen. Hierzu wurden 654 Patienten aus drei prospektiven Studien (Dutch TIA Trial, Dutch Amaurosis Fugax Study und ESPRIT) eingeschlossen, Patienten mit kardialen Emboliequellen wurden nicht eingeschlossen. Während der durchschnittlichen Beobachtungszeit von 5,2 Jahren bekamen 42 Patienten einen Hirn- oder Netzhautinfarkt, 27 davon im zum symptomatischen Auge ipsilateralen Carotisstromgebiet, 9 kontralateral und 6 infratentoriell. 30 Patienten hatten einen makroangiopathisch bedingten Schlaganfall, 4 Patienten einen lakunären Infarkt und 8 einen Netzhautinfarkt. Die Autoren schlussfolgern daraus, dass Hirninfarkte nach Amaurosis fugax oder Netzhautinfarkt überwiegend makroangiopatisch bedingt sind und meist im ipsilateralen Carotisstromgebiet auftreten. Problematisch ist die Inhomogenität der Kohorte: Patienten wurden aus drei zeitlich weit auseinander liegenden Studien (1986-89, 1993-6, 1997-2004) ausgewählt, was impliziert, dass die Behandlung der Risikofaktoren und die Entscheidung zu einer Thrombendarterektomie bei Carotisstenose sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Daher ist die Studie auch nicht geeignet die absolute Inzidenzrate von Schlaganfällen nach Amaurosis fugax anzugeben. Zwar wurde bereits in mehreren Studien (z.b. Anderson et al., Stroke. 2002;- 33(8):1963-7) gezeigt, dass eine retinale Ischämie häufiger mit Atherosklerose der Karotiden als mit Vorhofflimmern (VHF) assoziiert ist, trotzdem verursacht es einen Bias, dadurch dass Patienten mit VHF nicht eingeschlossen waren. (ET/RH) 16

*** Delgado P, Alvarez-Sabin J, Abilleira S, Santamarina E, Purroy F, Arenillas JF, Molina CA, Fernandez-Cadenas, Rosell A, Montaner J. Plasma D-dimer predicts poor outcome after acute intracerebral hemorrhage. Neurology 2006;67:94-98 Es ist bekannt, daß der Schlaganfall per se mit Veränderungen im Gerinnungssystem einhergeht. Im Rahmen der vorliegenden Studie wurde der prognostische Wert von D- Dimeren bei spontanen intrakraniellen Blutungen untersucht. Zu diesem Zweck wurden im Zeitraum zwischen März 2001 und März 2004 insgesamt 98 Patienten mit einer spontanen supratentoriellen intrakraniellen Blutung (ICB) untersucht. Neben der Bestimmung der D-Dimere zum Aufnahmezeitpunkt erfolgte eine klinische Evaluation mittels Glasgow Coma Scale (GCS) sowie NIH Stroke Scale (NIHSS). Der initialen kranialen Computertomographie innerhalb von 24 Stunden nach onset folgte eine Kontrolluntersuchung innerhalb von 72 Stunden. Die Auswertung ergab beim Vergleich mit gesunden Kontrollpersonen erhöhte D-Dimere bei Patienten mit einer ICB (1,780 vs. 360 ng/ml; p=0,013). Es fand sich weiterhin eine schwache Korrelation zwischen D-Dimeren und Blutungsgröße (r=0,23; p=0,049). Ebenso zeigten sich erhöhte D-Dimere bei Blutungen mit Ventrikeleinbruch (2,370 vs 1,360 ng/ml; p=0,019) sowie bei Ausdehnung der Blutung nach subarachnoidal (4,180 vs 1,520 ng/ml; p<0,001). Ein interessanter Befund ist, daß bei Patienten mit Blutungszunahme im Vergleich zu Patienten mit konstanter Blutungsgröße ebenfalls höhere D-Dimere registriert wurden (1,060 vs 400 ng/ml; p=0,03). Im Hinblick auf das outcome waren erhöhte D-Dimere (>1,900 ng/ml) mit einer neurologischen Verschlechterung, definiert als eine Zunahme des NIHSS um mindestens 4 Punkte (OR 4,75; 95%CI, 1,03-20,26; p=0,045) korreliert. Ebenso zeigte sich eine Korrelation mit der Mortalität innerhalb der ersten Woche ( OR 8,75; 95%CI, 1,41-54,16; p=0,020). Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Schluß, daß D-Dimere im Rahmen einer spontanen intrakraniellen Blutung erhöht sind und daß die Höhe mit einem schlechten neurologischen outcome sowie einer zunehmenden Mortalität korreliert. Die vorliegende klinisch-experimentelle Studie wurde prospektiv durchgeführt. Die Aussagekraft der Studie wird durch die geringe Probandenzahl eingeschränkt. Weiterhin fehlen vereinzelt die Angaben statistischer Kennzahlen. Die von den Autoren gezogenen Schlußfolge- 17

rungen bleiben aber klar nachvollziehbar. Der prognostische Wert erhöhter D-Dimere im Rahmen spontaner intrakranieller Blutungen bedarf gerade im Hinblick auf die geringe Fallzahl weiterer Studien. Interessant erscheint die Idee der Autoren untersuchen zu wollen, inwieweit sich D- Dimere zum Monitoring der Therapie intrakranieller Blutungen mit Faktor VIIa eignen. (FRP/AG) ** Greisenegger S, Tentschert S, Weber M, Ferrari J, Lang W, Lalouschek W. Prior therapy with antiplatelet agents is not associated with outcome in patients with acute ischemic stroke/tia. J Neurol 2006;253:648-652 In einer multizentrischen Studie eingebettet in einer Kohorte untersuchten die Autoren, ob eine Vorbehandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern die Schwere eines Schlaganfalls beeinflusst. Sie untersuchten 1643 Patienten mit ischämischem Hirninfarkt oder TIA. Messgrösse des neurologischen Defizits war die NIHSS Skala bei Spitaleintritt und eine Woche später. Mittels Varianzanalyse wurde die Interaktion zwischen Vorbehandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern und NIHSS untersucht. 556 Patienten waren vorbehandelt, 1069 nicht. Eine Interaktion zwischen Vorbehandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern und NIHSS fand sich nicht, weder bei Spitaleintritt noch eine Woche später. blieb allerdings kontrovers, da andere Studien diesen Vorteil nicht fanden. Die vorliegende Studie mit einer grossen Patientenzahl spricht ebenfalls gegen die Vermutung, dass eine Vorbehandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern die Schwere eines Hirninfarktes günstig beeinflusst. Nach Publikation der Arbeit von Greisenegger und Mitarbeitern wurden auch Zusatzanalysen der CHARISMA-Studie auf Kongressen vorgetragen. Auch in der CHARIS- MA-Studie hatte eine Vorbehandlung mit Clopidogrel und Aspirin verglichen mit Aspirin allein keinen Vorteil in Bezug auf die Schwere des vaskulären Endpunktes. (MAT) Einige Studien zeigten, dass eine Vorbehandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern die Schwere eines Hirninfarktes mildert. Diese Aussage 18

**** Ricci S, Lewis S, Sandercock P, on behalf of the IST Collaborative Group. Previous use of aspirin and baseline stroke severity: an analysis of 17.850 patients in the International Stroke Trial. Stroke 2006;37:1737-1740 Die Internationale Schlaganfallstudie war eine grosse Studie, in der in einem Studienarm die Gabe von Acetylsalicylsäure gegen eine Behandlung ohne Thrombozytenfunktionshemmer verglichen wurde und in einem anderen Studiearm die Gabe von subkutanem Heparin. Diese Post hoc- Analyse untersuchte, ob die vorherige Behandlung mit Aspirin einen Einfluss auf die Schwere des Schlaganfalls hatte. Von der Analyse wurden Patienten ausgeschlossen, die eine cerebrale Blutung hatten. 3820 der 17.850 Patienten hatten vor Eintritt des Schlaganfalls Acetylsalicylsäure genommen. In einer multivariaten Analyse ergab sich kein Zusammenhang zwischen vorheriger Einnahme von Acetylsalicylsäure und der Schwere des Schlaganfalls. Diese sehr grosse Analyse aus der Internationalen Schlaganfallstudie zeigt keine protektive Wirkung der vorherigen Einnahme von Acetylsalicylsäure auf die Schwere des Schlaganfalls. Dies ist deshalb relevant, da Acetylsalicylsäure in Tierexperimenten bei cerebralen Ischämien neuroprotektive Eigenschaften hat. Der Befund unterscheidet sich deutlich von der Gabe von oralen Antikoagulantien bei Patienten mit Vorhofflimmern. Hier konnte durch mehrere Studien gezeigt werden, dass antikoagulierte Patienten eine bessere Prognose und leichtere Schlaganfälle haben, als Patienten mit Vorhofflimmern, die nicht antikoaguliert sind. (HCD) **** Arnold M, Cumurciuc R, Stapf C, Favrole P, Berthet K, Bousser MG. Pain as the only symptom of cervical artery dissection. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2006;77:1021-1024 Üblicherweise ist das Leitsymptom der Dissektion der A. carotis interna und der Vertebralarterien der Kopfund Halsschmerz. Später kommen dann fokale neurologische Ausfälle oder Hirnnervenläsionen dazu. Typische Komplikationen sind transiente ischämische Attacken oder Schlaganfälle. Die Autoren analysierten ein krankenhausbasiertes Register von konsekutiven Fällen mit Dissektionen hirnversorgender Arterien. Dabei lagen Daten von 245 Patienten in einem mittleren Alter von 19

39 Jahren vor. 70% waren Frauen. Bei 20 dieser Patienten, dies entspricht 8%, kam es ausschliesslich zu Schmerzen ohne andere Symptome. 12 der Betroffenen hatten eine Vertebralisdissektion, 3 eine Dissektion der A. carotis interna und 5 hatten multiple Dissektionen. Der mittlere Zeitabstand zwischen Beginn der Symptome und Diagnose war 7 Tage mit einem Streubereich von 4 Std. bis zu 29 Tagen. 6 Patienten hatten ausschliesslich Kopfschmerzen, 2 ausschliesslich Nackenschmerzen und 12 beides. Bei 6 Patienten waren die Kopfschmerzen progredient, bei 8 akut und bei 4 traten sie schlagartig auf. Die Schmerzen waren bei 11 Patienten unilateral und bei 9 bilateral. Diese Studie ist ausserordentlich wichtig, da sie zeigt, dass bei 8-10% aller Patienten mit einer Dissektion hirnversorgender Arterien, Kopfschmerz als einziges Symptom auftreten kann. Typische Warnsignale sind progrediente Kopfschmerzen, die nicht auf Therapie ansprechen und insbesondere der sog. thunderclapheadache, in Deutsch Donnerschlagkopfschmerz. Hier liegen praktisch immer symptomatische Ursachen wie eine Subarachnoidalblutung oder in diesem Fall eine Dissektion hirnversorgender Arterien vor. (HCD) **** O Donnell M, Oczkowski W, Fang J, Kearon C, Silva J, Bradley C, Guyatt G, Gould L, D Uva C, Kapral M, Silver F, on behalf of the Investigators of the Registry of the Canadian Stroke Network. Preadmission antithrombotic treatment and stroke severity in patients with atrial fibrillation and acute ischaemic stroke: an observational study. Lancet Neurol 2006;5:749-754 Die orale Antikoagulation ist die wirksamste primär und sekundär präventive Maßnahme bei Patienten mit kardialer Emboliequelle. Bei den übrigen Patienten werden heute Thrombozytenfunktionshemmer gegeben und zwar in der Regel Acetylsalicylsäure bei Patienten mit niedrigem Rezidivrisiko, retardiertes Dipyridamol plus Aspirin bei Patienten mit höherem Rezidivrisiko und Clopidogrel bei Patienten nach ischämischem Insult, TIA und peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Es ist aber weiterhin umstritten, ob eine Vorbehandlung mit Thrombozytenfunktionshemmern oder oralen Antikoagulantien einen Einfluss auf die Schwere eines neuen oder erneuten Schlaganfalls hat. Die vorliegende Studie wurde durch das Kanadische Schlaganfallregister durchgeführt. Es 20

wurden konsekutive Patienten mit akutem Schlaganfall und Vorhofflimmern identifiziert, die in 11 Krankenhäusern in der Provinz Ontario in Kanada in den Jahren 2003 bis 2005 aufgenommen wurden. Mit Hilfe einer logistischen Regressionsanalyse wurde der Zusammenhang zwischen einer Vorbehandlung mit Thrombozytenfunktionshemmern bzw. oraler Antikoagulation mit dem neurologischen Schweregrad und Prognose nach Schlaganfall untersucht. Die Patienten, die Warfarin einnahmen, wurden stratifiziert nach therapeutischer und subtherapeutischer (INR <2) Antikoagulation. Die Schwere des Schlaganfalls wurde auf der Kanadischen Neurologischen Skala (CNS) untersucht. Leichte Schlaganfälle waren definiert als CNS >7 und schwere Schlaganfälle als CNS 7. Eine schwere Behinderung war definiert als Wert zwischen 4-6 auf der modifizierten Rankin Skala. Von den 948 Patienten waren 306 (32%) ohne Vorbehandlung mit antithrombotischer Therapie. 292 Patienten (31%) erhielten Thrombozytenfunktionshemmer, 238 Patienten (25%) waren subtherapeutisch antikoaguliert und 112 Patienten (12%) waren im therapeutischen Bereich antikoaguliert. Die Schwere des Schlaganfalls bei Aufnahme war signifikant geringer unter Thrombozytenfunktionshemmer gegenüber keiner Vorbehandlung. Dasselbe war der Fall bei Patienten, die oral antikoaguliert wurden und bei denen die INR im therapeutischen Bereich lag. Gegenüber keiner Vorbehandlung lag die odds ratio für einen geringen Schweregrad bei 0,7 für Thrombozytenfunktionshemmer und bei 0,4 für eine Antikoagulation im therapeutischen Bereich. Eine vorbestehende orale Antikoagulation zeigte auch eine Assoziation mit einer geringeren Behinderung und Mortalität nach Schlaganfall. Diese grosse und prospektiv durchgeführte Studie aus Kanada repliziert die Ergebnisse einer anderen retrospektiven Studie und hat eindeutige Konsequenzen für die klinische Praxis. Es ist nicht nur extrem wichtig, Patienten mit kardialer Emboliequelle und ohne Kontraindikationen zu antikoagulieren, sondern ebenso wichtig diese Patienten im therapeutischen Bereich zu halten. Nur so können sie von dem hier gezeigten zusätzlichen Nutzen der oralen Antikoagulation profitieren, welcher nicht nur in der Verhinderung sondern auch in einem geringeren Schweregrad und besseren Prognose des Schlaganfalls liegt. (HCD) 21

3. Diagnostik **** Wu O, Christensen S, Hjort N, Dijkhuizen RM, Kucinski T, Fiehler J, Thomalla G, Röther J, Ostergaard L. Characterizing physiological heterogeneity of infarction risk in acute human ischaemic stroke using MRI. Brain 2006;129:2384-2393 Einer der Gründe für die unbefriedigende Schlaganfall-Therapie ist die ausgeprägte pathophysiologische Heterogenität innerhalb des betroffenen Hirnareals. Das Mismatch- Konzept, d.h. die operationale Definition einer Penumbra mittels Kernspintomographie anhand der Differenz zwischen einer Diffusions- Läsion ( Kern ) und einer Perfusions- Läsion, stellt hier einen wichtigen Fortschritt dar, denn es verspricht die Perspektive einer Pathophysiologieorientierten Therapie. Die Hinweise auf die therapeutische Relevanz für die Indikationsstellung zur Fibrinolyse jenseits eines 3 h Fensters (Lyse bei Mismatch, keine Lyse bei fehlendem Mismatch) mehren sich. Andererseits zeigt sich zunehmend, dass das mismatch Konzept in seiner einfachen Form verbessert werden muss, insbesondere, daß die einfache Dichotomie zwischen einer Diffusions-Läsion und einer Perfusions-Läsion zu kurz greift. Zum einen müssen der Schweregrad und die Dauer einer Perfusions- bzw. Diffusions-Läsion besser berücksichtigt werden, zum anderen ist die pathophysiologische Heterogenität auch räumlich viel ausgeprägter als durch ein 2 Kompartimente-Modell abbildbar. Bei letzterem setzt die vorliegende Arbeit an. Die Essenz der Arbeit von Wu et al. liegt darin, für die Analyse von kernspintomographischen DWI und PWI Daten statt der Einteilung in große dichotome Läsions-Qualität jedes einzelne Voxel differenziert zu klassifizieren um basierend auf dieser Klassifikation das Schicksal von Hirngewebe besser vorhersagen zu können. Die Autoren können in der Tat erstmals überzeugend zeigen, dass dieser differenziertere Ansatz gut funktioniert. Sie können weiterhin zeigen, dass der prädiktive Wert von DWI/PWI Daten für das Überleben von Gehirngewebe sich zwischen eine Lyse und Nicht-Lyse Gruppe unterscheidet, mit anderen Worten, dass es mit diesem Ansatz wohl schon mit relativ kleinen Patientengruppen (in der Studie waren 11 Patienten nicht lysiert und 27 lysiert) möglich sein sollte, die Effizienz einer Therapie zu beurteilen. 22

Ein sehr gute Studie, die das ursprünglich grob vereinfachende Mismatch-Konzept erfolgreich weiter entwickelt und uns damit dem Ziel eine Pathophysiologie-basierten Schlaganfall-Therapie einen wichtigen Schritt näher bringt. (AV) ** Cucchiara BL, Messe SR, Taylor RA, Pacelli J, Maus D, Shah Q, Kasner SE. Is the ABCD score useful for risk stratification of patients with acute transient ischemic attack? Stroke 2006;37:1710-1714 Der sog. ABCD score wurde kürzlich aus zwei populationsbasierten englischen Kohorten von Patienten mit TIA entwickelt und validiert. Mit den Angaben Alter (A), Blutdruck (B), Klinik (C) sowie Dauer (D) wird auf einer 6 Punkte Skala das Risiko für einen Schlaganfall innerhalb der nächsten 7 Tage stratifiziert. Die Autoren der vorliegenden Studie untersuchten nun in 117 stationär behandelten Patienten mit TIA < 48h ob die Vorhersage auch für Hochrisikopatienten zutreffend ist. Diese waren definiert als erneuter Schlaganfall oder Tod innerhalb von 90 Tagen,?50% Stenose einer hirnversorgenden Arterie, oder eine kardioembolische Schlaganfallursache als Indikation für eine Antikoagulation. Zusätzlich wurde ausserdem der ABCD score mit einem Infarktnachweis im Diffusions- MR korreliert. In 117 Patienten mit einer medianen Aufnahmelatenz von 15 h nach TIA traten innerhalb der ersten 90 Tage 2 Schlaganfälle und 2 Todesfälle auf. Zusammen mit 15 relevanten Stenosen und 10 kardioembolischen Ursachen ergab dies bei 26 Patienten (22%) einen Hochrisikobefund. Der ABCD score zeigte nur eine schwache Vorhersagegüte für einen Hochrisikobefund und wenig Korrelation mit einem MR-Infarktnachweis. Die Autoren folgern hieraus, dass auch Patienten mit einem niedrigen Wert auf der ABCD Skala eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Reinsult oder einen Infarktnachweis im MR trotz transienter neurologischer Ausfälle haben. Die ursprüngliche Intention der Autoren war sicher nicht, den ABCD score mit anderen Surrogatparametern für weitere Schlaganfälle zu vergleichen. Da allerdings nur 4 Patienten innerhalb von 90 Tagen ein klinisches Endpunktereignis hatten, wäre dies mit der verfügbaren Fallzahl nicht möglich gewesen. Der ABCD score war in einer retrospektiven Validierung zuvor zwar durchaus prädiktiv für Schlaganfälle innerhalb der ersten Woche, allerdings würde niemand erwarten, dass dies individuell immer zutrifft und sich beliebig auf längere 23

Zeiträume ausdehnen läßt. Insofern sagt das niedrige Risiko auf der ABCD Skala bei den einzigen beiden Patienten mit Schlaganfall innerhalb der ersten 90 Tage wenig aus. Für die Korrelation mit anderen Hochrisikofaktoren für spätere Schlaganfälle war der ABCD score zwar auch kaum korreliert, jedoch sind auch diese nur Surrogatparameter für klinische Ereignisse mit einer mehr oder weniger guten Vorhersagegüte. Die Fragestellung der Studie ist daher eigentlich irrelevant, da eine (nochmalige) Validierung des ABCD score nur mit dem ursprünglich entwickelten Endpunkt sinnvoll ist. Für eine Prädiktion der in dieser Studie gewählten Endpunkte müsste dagegen ein anderes Modell entwickelt werden, sofern für die Klinik sinnvoll. Da in Deutschland jedoch keine Triage vor stationärer Aufnahme stattfindet und fast alle Patienten mit TIA stationär abgeklärt werden, ist dies zumindest hier überflüssig. (CW) 4. Primärprävention ***** Goldstein LB, Adams R, Alberts MJ, Appel LJ, Brass LM, Bushnell CD, Culebras A, Degraba TJ, Gorelick PB, Guyton JR, Hart RG, Howard G, Kelly-Hayes M, Nixon JV, Sacco RL. Primary prevention of ischemic stroke: a guideline from the American Heart Association/American Stroke Association Stroke Council: cosponsored by the Atherosclerotic Peripheral Vascular Disease Interdisciplinary Working Group, Cardiovascular Nursing Council, Clinical Cardiology Council, Nutrition, Physical Activity, and Metabolism Council, and the Quality of Care and Outcomes Research Interdisciplinary Working Group: the American Academy of Neurology affirms the value of this guideline. Stroke 2006;37:1583-1633 Die gemeinsamen Leitlinien zur Primärprävention des ischämischen Insultes wurden gemeinsam von der American Heart Association und der American Stroke Association Stroke Council verfasst. Sie beruhen wie üblich auf einer Übersicht der relevanten Literatur. Modifizierbare Risikofaktoren sind demnach koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, pavk, arterielle Hypertonie, Rauchen, Diabetes mellitus, asymptomatische Carotisstenosen, Vorhofflimmern, Lipidstoffwechselstörungen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Hormonsubstitution nach der Menopause, Alkoholmissbrauch, erhöhtes Homozystein, Drogenmissbrauch, Gerinnungsstörungen, chronisch entzündliche Prozesse wie Parodontose, akute 24