WWF Deutschland Internationales WWF- Zentrum für Meeresschutz Magdeburger Str. 17 20457 Hamburg Tel.: 04 0/53 02 00-0 Direkt: -118 Fax: 04 0/53 02 00-12 kampwirth@wwf.de hamburg@wwf.de www.wwf.de Hintergrundinformation Hamburg, Sommer 2007 Ostsee: Dünger-Kollaps droht Einzigartige Ostsee Die Ostsee ist ein besonders schützenswertes Ökosystem mit einer einzigartigen Unterwasserwelt. Die Vertragsstaaten der Helsinki- Konvention (HELCOM) haben für den Schutz der Ostsee-Lebensräume ein Netzwerk von Meeresschutzgebieten eingerichtet und viele Lebensräume sind Teil des EU-Netzes Natura 2000. Für die Vogelwelt ist die Ostsee ein wichtiges Brut- und Überwinterungsgebiet und Drehscheibe für den Vogelzug. Große Laichgebiete und Fischfangplätze sind die Lebensgrundlage der Ostseefischerei. Für den Tourismus als einer der wichtigsten Wirtschaftszweige an der deutschen Ostseeküste ist eine hohe Wasserqualität von entscheidender Bedeutung. Die Ostsee ist das größte Brackwassermeer der Welt. Sie ist gleichzeitig das mit einem Alter von ca. 12.000 Jahren jüngste Meer. Die Lebensbedingungen des Brackwassers halb Süßwasser, halb Salzwasser und andere Bedingungen wie lange Eiswinter haben eine einzigartige Tier- und Pflanzenwelt geschaffen. Gleichzeitig ist die Ostsee eines der am stärksten bedrohten Meere unseres Planeten. In nur 100 Jahren hat sich sie sich von einem Klarwassermeer in ein trübes, überdüngtes Gewässer vor dem Kollaps entwickelt. Einst bestimmten Tangwälder, Seegraswiesen, ausgedehnte Muschelbänke von der Küste bis in große Wassertiefen das Leben im Meer. Die offene See konnte die natürlichen Schwankungen der Nährstoffbelastungen ausgleichen. In den letzten 60 Jahren hat sich dies grundlegend geändert: Gespeist von Abwässern aus der Landwirtschaft und dem Einfluss von 90 Millionen Menschen im Ostsee- Einzugsbereich hat sich die Sichttiefe des Gewässers um mehrere Meter verringert. Überdüngt und überwuchert Hochgradig überdüngt, überwuchert ein dichter Filz aus Algenmatten die einstigen Tangwälder und Seegraswiesen, zehren die im Sommer massenhaft auftreten Planktonmassen nach ihrem Absterben den Sauerstoff auf und hinterlassen tote Zonen in weiten Teilen der Ostsee. Waren die toten Zonen um 1900 noch 30.000 Quadratkilometer groß, so sind heute über 70.000 Quadratkilometer in mehr als 30 Meter tiefem Wasser ohne Leben. Als teils hochgiftige Blaualgenblüte wird der Kollaps des Ökosystems immer öfter auch an der Oberfläche sichtbar. So verwandelten 2005 dichte Blaualgenmatten die Ostsee über hunderttausende von Quadratkilometern zwischen Finnland, Polen und Schweden in ein Meer von blaugrünem Schleim. Dünger im Meer Das Algenwachstum im Sommer wird hauptsächlich von den Nährstoffen Stickstoff und Phosphor angetrieben. Das Ostseewasser enthält heute acht Mal mehr Phosphor und vier Mal mehr Stickstoff als um 1900. Jährlich kommen etwa 35.000 Tonnen Phosphor und über eine Millionen Tonnen Stickstoff hinzu. Waren einst vornehmlich die küstennahen Gebiete betroffen, in die die großen Flüsse ihre Düngerfracht spülten, so betrifft dies heute die offene See. Etwa 90 Prozent des Phos- Der WWFDeutschland ist eine der nationalen Organisationen des WWF World Wide Fund For Nature in Gland (Schweiz).
phors stammen aus der Landwirtschaft bei Stickstoff sind es über 50 Prozent. Landwirtschaft Die Förderung der Massenproduktion in der Landwirtschaft hat zu diesem Düngerkollaps geführt. Preiswerter mineralischer Kunstdünger steigerte die Erträge in klimatisch günstigen wie ungünstigen Gebieten rund um die Ostsee. Zwischen 2002 und 2004 wurden in den acht EU Ostsseeländern etwa 56 kg Stickstoff und 11 kg Phosphor pro Hektar und Jahr mehr auf die Felder gebracht. Diese Menge übersteigt die Aufnahmekapazitäten der Böden und den Bedarf für intensives Biomassewachstum bei Weitem. Der überschüssige Dünger gelangt über Gräben und Flüsse in die Ostsee. Der organische Dünger bisher als Dung aus der Viehwirtschaft in den Boden eingebracht, konzentriert sich in Gebieten mit Massentierfarmen und wird zum Abfallproblem. Schiffe, Autos, Waschmaschinen Neben der Landwirtschaft kommen Abwässer aus den Siedlungen und Städten und die Stickstoffanreicherung aus der Luft hinzu: Ca. 600 Kilogramm Stickstoff pro km² Meeresfläche gelangen jedes Jahr aus ausgetrockneten Mooren, aus Verkehr und Schornsteinen in die Ostsee allein etwa 20 Prozent dieses Luftdüngers stammen aus den Schiffsabgasen. Unzureichende Kläranlagen und immer noch übliche Verwendung von phosphathaltigen Waschmitteln tragen noch zu einem Anteil von etwa 10% der Phosphorbelastung bei. Steuern füttern die Algen Die staatliche Förderung von industrieller Landwirtschaft und intensiver Flächennutzung bis an den Feldrand haben die heutige Eutrophierungs - Landwirtschaft geschaffen. Die EU fördert dieses System in hohem Maß: Jeder EU-Bürger aus den Ostsee-Staaten zahlt im Durchschnitt etwa 72 Euro pro Jahr in den Brüsseler Agrartopf und damit indirekt für die Düngung der Ostsee (aber auch für Nitrate im Trinkwasser). Insgesamt fließen 10,4 Milliarden Euro in nicht nachhaltige Agrarsubventionen im Ostseeraum. Hinzu kommen erhebliche Mittel, die in die Umwandlung der traditionellen in eine industrialisierte Landwirtschaft fließen. Nur etwa fünf Prozent der etwa zwei Milliarden Euro, die hierfür 2003 gezahlt wurden, flossen in eine umweltschonende Landwirtschaft. Die EU-Agrarpolitik ist eines der umweltschädlichsten Subventionsprogramme der Welt. Tabelle 1: Anteil umweltverträglicher Agrarsubventionen aus den Agrarfonds der EU für die Ostseeländer 2003. Agrarstrukturförderung 2003 (000 ) umwelfreundliche Maßnahmen (000 ) DK 47.474 9.900 21 EE 17.056 0 0 FI 360.144 7.503 2 D 1.281.645 50.881 4 Lv 21.048 0 0 Lt 24.922 0 0 Pl 99.712 0 0 Se 184.452 30.840 17 GESAMT 2.036.453 98.764 5 Der WWF fordert: eine grundlegende Änderung der Subventionspolitik zugunsten des Ostseeschutzes; eine auf die Ostseeregion zugeschnittene EU- Agrarpolitik; %
intelligentes Nährstoff-Management, bei dem eine Überdüngung des Wassers bestraft eine Regelung für Phosphateinträge, die es in der EU bislang nicht gibt und die strikte Einhaltung der gültigen Richtlinien in allen EU- Ländern. Schutzprogramm gescheitert Die Helsinki Konvention zum Schutz der Ostsee (HELCOM) hatte sich schon einmal in einem ehrgeizigen Programm zum Ziel gesetzt, die Schad- und Nährstoffeinträge bis 1997 zu halbieren. Dieses Ziel wurde jedoch verfehlt. Zwar sanken die Einträge von Klär- und Industrieanlagen deutlich. Trotzdem nimmt die Nährstoffbelastung seit 10 Jahren wieder deutlich zu. In Dänemark, Deutschland und Polen sind die Stickstoffeinträge über die Flüsse um etwa 20 Prozent gesunken. Gleichzeitig sind jedoch die Lasten in Russland (plus 60 Prozent), Estland (plus 40 Prozent) und Finnland (plus 12 Prozent) drastisch angestiegen. Bei den Phosphor-Einträgen erreichten nur Dänemark (minus 40 Prozent) und Finnland (Minus 20 Prozent) einen wirklichen Fortschritt. Hingegen sind Russland (Plus 60 Prozent), Lettland und Litauen (je Plus 30 Prozent) für die Verschlechterung der Gesamtbilanz verantwortlich. Tabelle 2: Trend 1994 bis 2004 der Gesamt Stickstoff und Phosphat-Einträge über Abflüsse vom Land in die Ostsee, Quelle: HELCOM Stickstoff Trend 1994-2004 in % Phosphat Trend 1994-2004 in % Dk - 21,9-39,5 Ee +40,8-7,5 Fi +12,8-18,9 D - 18,8-3,7 Lv - 41,5 + 33,3 Lt +19,8 + 32,1 Pl - 24,8-7,2 Ru + 66,3 + 57,5 Se - 4,0-12,5 Trübe Aussichten für die Ostsee Der Düngerkollaps ist unvermeidlich, wenn nicht einschneidende Maßnahmen getroffen werden. Die gegenwärtigen EU Schutzprogrammen (Nitratrichtlinie, Wasserrahmenrichtlinie und Natura 2000 Schutzgebietsprogramm für Vögel und Lebensräume) reichen nicht aus, die Belastungen für die Ostsee nehmen weiter zu: Die Intensivierung der EU-Landwirtschaft greift jetzt auch in Polen und in den Baltischen Staaten. Die Europäische Düngemittelindustrie erwartet dort einen Anstieg von 20-35 Prozent an Düngerverbrauch in den nächsten 10 Jahren. Hühner- und Schweinefleischproduktionen werden zunehmend aus Dänemark, Holland und Großbritannien nach Osteuropa verlagert, wo noch geringere Umweltauflagen herrschen die Abwässer landen in der Ostsee. Der Anbau von Biomasse-Feldfrüchten, wo ohne Rücksicht auf Nahrungsmittel-Standards Höchsterträge erzielt werden müssen, wird zu einer weiteren Intensivierung der Landnutzung führen.
Die Schifffahrt in der Ostsee zählt zu den wichtigsten Verursachern der Stickstoffemissionen. Und ihr Anteil steigt, denn die Schifffahrt wird sich in wenigen Jahren verdoppeln Der als Paradebeispiel für die EU-Meerespolitik mit Vorschuss bedachte Ostsee-Aktionsplan würde verspielt. Damit würde auch die seit 33 Jahren bestehende gute Zusammenarbeit der Ostseeländer und die Helsinki Konvention in Frage gestellt. HELCOM Aktionsplan muss Chefsache werden Wenn auch die Änderung der Agrarpolitik zugunsten einer gesunden Ostsee erst mit der nächsten EU Förderperiode ab 2013 realistisch machbar wäre, gibt es schon in diesem Herbst eine Generationen-Chance für die Ostsee: die Anrainerländer wollen dann den Ostsee- Aktionsplan beschließen. Die wichtigsten Themen: Nährstoffeinträge, Schifffahrt, Biodiversität und Gefahrstoffe. Es liegen richtungweisende Maßnahmen für Landwirtschaft, Kläranlagen und Tierfarmen auf dem Tisch, um die Belastung der Ostsee zu reduzieren. Um das Maß der toten Zonen wieder auf das Niveau von 1950 zu senken, werden nach Expertenmeinung etwa drei Milliarden Euro benötigt. Derzeit (im Sommer 2007) blockiert aber die Mehrheit der Anrainerstaaten Maßnahmen, die zur schnelleren Erfüllung der von der EU gesetzten Reduktionsziele in den Nitrat- und Wasserrahmenrichtlinien führen. Sie sind schon gar nicht bereit, die notwendigen noch drastischeren Maßnahmen zu beschließen. Die für November 2007 geplante Unterzeichnung des HELCOM-Aktionsplans ist in Gefahr nur wenn das Rettungsprogramm zur Chefsache der Regierungen erklärt wird, kann das Programm noch in Kraft treten. Sollten die Ostseeanrainer im November keine wirksamen Beschlüsse zum Stopp der Überdüngung fassen, käme das einer faktischen Aufgabe des Ökosystems Ostsee gleich. WWF-Forderungen Mit einer Kampagne gegen die Nährstoffbelastung der Ostsee ruft der WWF im Sommer 2007 die Bürger in allen Anrainerländern auf, die Politiker für eine Änderung der Algenförderung wach zu rütteln und die Änderung der Agrarpolitik entschlossen einzuleiten. Wichtig sind vor allem, dass: EU-Subventionen künftig an strenge Regeln zur Vermeidung und Kontrolle von Eintrag in die Gewässer und die Ostsee gebunden werden müssen; die Steuersysteme (auch in Deutschland) künftig Gewässer schonende, sparsame Düngung finanziell belohnen und Mehrverbrauch von Kunstdünger höher besteuern; durch Programme für düngerfreie Ackerrandstreifen, Wiederherstellung von Feuchtgebieten und Wasserrückhaltung in der Landschaft der Abfluss von Dünger in die Gewässer gestoppt Abwassereinleitungen von Schiffen an Land erfolgen bzw. auch auf See die an Land gültigen Grenzwerte für Stickstoff- und Phosphateinträge erfüllt werden müssen; eine EU-Phosphat - Richtlinie ähnlich der Nitratrichtlinie für die Ostseeländer eingeführt für den gesamten Einzugsbereich der Ostsee das Phosphat aus Waschmitteln verbannt wird, wie dies in Deutschland, Frankreich und anderen EU-Staaten schon der Fall ist.
Weitere Informationen Jochen Lamp WWF-Projektbüro Ostsee Tel.: (03831) 297018, Fax: 03831/297599 lamp@wwf.de Internet www.wwf.de/ostsee www.panda.org/balticmarinerescue Quellen HELCOM Indicator Factsheets 2005 HELCOM Thematic Assessment 2006. Eutrophication in the Baltic Sea HELCOM Baltic Sea Environmental Proceedings, No.100, 2005 Nutrient Pollution to the Baltic Sea in 2000.