von Heinz-Peter Spahn Gliederung



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DISKUSSIONSBEITRÄGE AUS DEM INSTITUT FÜR VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE (520) UNIVERSITÄT HOHENHEIM D-70593 STUTTGART ISSN 0930-8334 Nr. 99/1994 ZIELE UND ZWISCHENZIELE DER GELDPOLITIK Die Bundesbank im Konflikt zwischen internem und externem Gleichgewicht von Heinz-Peter Spahn Gliederung 1. Ein historischer Rückblick: Der interne Wechselkurs als Zwischenziel 2. Konflikte zwischen Wechselkurs- und Preisniveaustabilisierung 3. Der fehlende Nominalanker der Leitwährung: Das Problem der Inflationserwartungen 4. Alternative Steuerungsgrößen der Geldpolitik 5. Funktionsweise und Probleme der Geldmengenpolitik 6. Geldwertstabilität als Ziel und Zwischenziel? Der folgende Beitrag wird in einem WSI-Schwerpunktheft über die "Neuorientierung in der Geldpolitik" im November 1994 veröffentlicht. Er baut teilweise auf meinem Aufsatz "Die Krise des EWS und die brüchigen Grundlagen der Leitwährungsordnung" auf, der erscheinen wird in: Thomasberger, C. (Hg.), Neue Institutionen für eine europäische Geldpolitik, Marburg 1994. Ich danke meinen Mitarbeitern Christian Fischer und Klaus Weißenberg für die hilfreiche Unterstützung bei den grafischen Abbildungen. Zusammenfassung Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik sind nur aus einer wirtschaftshistorischen Betrachtung zu verstehen, die den institutionellen Wandel bei den wirtschaftspolitischen Aufgaben der Notenbank berücksichtigt. Die Besonderheit heutiger Leitwährungen wie der D-Mark besteht darin, daß ihre Marktstellung allein auf der erworbenen Reputation im Hinblick auf die Bewahrung der Preisstabilität beruht, nicht mehr auf dem Vertrauen an ihre fixe Goldparität. Eine auf interne Inflationsbekämpfung gerichtete Zinspolitik der Bundesbank muß jedoch Währungskrisen im EWS provozieren. Zwischenziele, die diesen Konflikt mildern könnten, sind nicht in Sicht, da insbesondere die Ankündigung und Verfolgung von Geldmengenzielen auf den Finanzmärkten zusätzliche Unsicherheiten hervorrufen können. Die Bundesbank sollte sich auf das praktisch ohnehin befolgte Geldwertziel beschränken; fundamentale Devisenmarktungleichgewichte im EWS sollten verstärkt durch DM-Aufwertungen bekämpft werden.

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 1 1. Ein historischer Rückblick: Der interne Wechselkurs als Zwischenziel Debatten über die Ziele der Geldpolitik sind fast schon anachronistisch geworden, nachdem sich mehr und mehr die Meinung durchgesetzt hat, daß Geldwertstabilität kein zur Vollbeschäftigung alternatives Ziel sein kann, sondern als Funktionsbedingung der Geldwirtschaft eine herausgehobene Stellung einnimmt 1). Debatten über Zwischenziele der Geldpolitik finden dagegen periodisch immer wieder dann statt, wenn hier Zielverfehlungen auftreten - selbst wenn das übergeordnete Endziel Geldwertstabilität unmittelbar nicht gefährdet erscheint. Bevor auf diese Zielverfehlungen eingegangen werden kann, ist nach der Notwendigkeit von Zwischenzielen zu fragen. Sie werden in der Geldpolitik nach herrschender Meinung deshalb benötigt, weil die exakten Wirkungskanäle der einzelnen geldpolitischen Instrumente auf die Endziele im Makrobereich nicht vollständig bekannt oder theoretisch umstritten sind, der Weg vom Mitteleinsatz bis zur Reaktion der Makromärkte zu lang ist, um genügend Informationen für die täglich notwendigen Entscheidungen über die Weiterführung des geldpolitischen Kurses zu haben (Gefahr eines übersteuernden Instrumenteneinsatzes), und weil die Endziele, z.b. das Preisniveau, auch von irregulären Störeinflüssen abhängig sind, so daß die Geldpolitik ihren eigenen Beitrag zur makroökonomischen Entwicklung nicht eindeutig und schnell genug diagnostizieren kann. Diese Begründung für die Notwendigkeit von Zwischenzielen vermag allerdings nicht vollends zu überzeugen. Schließlich gibt es in anderen wirtschaftspolitischen Bereichen ähnliche Unsicherheiten und Probleme im Ziel-Mittel-Kanal, ohne daß dort die Zuflucht zu Zwischenzielen genommen würde. Möglicherweise läßt sich ihre anerkannte Stellung im Bereich der Geldpolitik damit erklären, daß Notenbanken in der historischen Entwicklung zunächst überhaupt nur - aus heutiger Sicht - Zwischenziele verfolgten, die damals freilich als tragende Prinzipien der Geldpolitik angesehen wurden. Die Forderung, die Notenbank solle makroökonomische Variable wie die Beschäftigung steuern, ist ein Produkt der "keynesianischen Revolution" in der Wirtschaftspolitik, als der Marktprozeß nach wohlfahrtstheoretischen und politischen Kriterien steuerbar erschien und die ordnungs- bzw. währungspolitische Verankerung der monetären Politik teilweise gelockert wurde. Bis in die 30er Jahre war die Geldpolitik vieler Länder an der Aufrechterhaltung eines "internen Wechselkurses" orientiert, der staatlich fixierten Parität zwischen einer nominalen Währungseinheit und einer bestimmten Menge Gold. Für die Länder, die eine solche Goldbindung praktizierten, ergab sich damit automatisch auch ein fixierter Wechselkurs zwischen ihren Währungen. Internes und externes Gleichgewicht als "Ziel" oder besser: Funktionsbedingung dieser Währungsordnung fielen insoweit für die Geldpolitik zusammen. Ein weiteres Charakteristikum dieser Währungsordnung war ihre hierarchische Struktur, in der - verein- 1) In Deutschland wurde dies erstmals prägnant vom Sachverständigenrat formuliert (Jahresgutachten 1974/75, fünftes Kapitel).

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 2 facht formuliert - nur die Währungsreserve des führenden Landes aus Gold bestand, während die übrigen Notenbanken neben Gold auch diese Leitwährung als Reserve hielten. Für diese Notenbanken lautete die geldpolitische Aufgabe, mittels Zinspolitik, d.h. über die Beeinflussung der transnationalen Kapitalbewegungen den Kurs ihrer Währung zur Leitwährung konstant zu halten. Entscheidend war jedoch, daß auch die Leitwährungsbank ihre Zinspolitik zur Verteidigung des externen (d.h. zugleich des internen) Wechselkurses einzusetzen hatte. Denn ein allgemeines Überschußangebot der Leitwährung gegenüber den restlichen Währungen hätte nur durch die Abgabe von Goldreserven vom Markt genommen werden können - und dies wäre in Kreisen der Finanzwelt als Zeichen der politisch-ökonomischen Schwäche des führenden Landes aufgefaßt worden. Die Hierarchie war also eine doppelte: Die Mitgliedsländer des Währungssystems orientierten sich an der Leitwährung, und diese hatte sich wiederum in gewisser Weise dem Gold unterzuordnen. Gold war gleichsam die "Währung" eines fiktiven n-ten Landes, die in ihrer Menge fixiert, phasenweise aber auch als Folge von Edelmetallfunden etc. erratischen Schwankungen ausgesetzt war. Die Geldpolitik aller beteiligten Länder hatte unter diesen Bedingungen kaum Spielraum zur Förderung der nationalen Beschäftigung; dies war ein erster Grund dafür, daß diese Währungsordnung den allgemeinen politischen Umschwung zur Massendemokratie nicht überlebte. Aus heutiger Sicht überraschender ist jedoch die Tatsache, daß die Geldpolitik auch gegenüber der Preisentwicklung gleichmütig blieb 2). Selbst das damals führende Land bzw. die Bank von England betrieb keine interne Stabilitätspolitik im heutigen Sinne. Preissteigerungen wurden erst dann zum Problem und mittels Zinspolitik bekämpft, wenn vermittelt über eine Handelsbilanzverschlechterung das externe Gleichgewicht gefährdet schien. Dieses geldpolitische Desinteresse gegenüber der monetären Stabilität des inländischen Gütermarktes konnte freilich nur solange Bestand haben, wie Preisbewegungen allein temporär veränderte Knappheitsverhältnisse auf dem Gütermarkt reflektierten, die - über mittelfristige Anpassungen der Produktion an Nachfrageschwankungen - zur Selbstkorrektur tendierten. Wenn dagegen die Nominallöhne auf laufende oder schlimmer noch: erwartete Preisniveaubewegungen reagieren, ist die Gefahr kumulativer Inflations- oder Deflationsprozesse gegeben und die Notenbank ist früher oder später zum Eingreifen gezwungen. Die institutionelle Stärkung der Gewerkschaften und die wachsende Bedeutung der kollektiven 2) "In der guten alten Zeit der Goldwährungen gab es keine Problematik der Geldwertstabilität im heutigen Sinne. (...) Preisveränderungen wurden der Güterseite, nicht der Geldseite zugeschrieben. Die Währung galt als stabil, wenn die Wechselkurse stabil waren, und für die Stabilität der Wechselkurse sorgte der Automatismus der Goldwährung. (...) Auch der Goldstandard garantierte kein absolut stabiles Preisniveau. Es gab Zeiten, in denen das allgemeine Preisniveau rückläufig war, und es gab Zeiten, in denen es nach oben ging. (...) Dieses Auf und Ab der Preise wurde unter der Herrschaft des Goldstandards ebenso wie das Auf und Ab der Konjunkturen mehr oder weniger als etwas Gottgegebenes hingenommen (...). Auf den Gedanken, daß das Geld in Zeiten rückläufiger Preise einen höheren und in Zeiten steigender Preise einen geringeren Wert haben sollte, kam niemand" (Blessing, K., Das Problem der Geldwertstabilität, in: Erbe, W. u.a. (Hg.), Währung zwischen Politik und Wirtschaft, Stuttgart 1962, S. 159f.).

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 3 Lohnbildung war somit der zweite Grund für das Ende der Goldwährung. Erst die Wirksamkeit eines Lohn-Preis-Mechanismus transformiert Preisniveaubewegungen in (über Erwartungsmechanismen) anhaltende Inflationsprozesse. Damit wird die Inflation zu einem tendenziell systembedrohenden Problem, weil sie den ökonomischen Kern der Funktionsweise des Kapitalismus berührt: die Organisation eines dezentralen Marktprozesses durch in nominalen Einheiten standardisierte Kontrakte mit dem primären Ziel einer Sicherung und Verwertung von in nominalen Einheiten bewerteten Vermögen. Wenn das Vertrauen in die realwirtschaftliche Verbindlichkeit von in nominellen Einheiten fixierten Kontrakten abnimmt, verringert sich die Bereitschaft zum Eingehen langfristiger ökonomischer Bindungen (vor allem auf seiten der Kreditanbieter) und die Kooperationsbereitschaft in informellen Vertragsbeziehungen (vor allem im Produktionsbereich) wird unterhöhlt. Geldwertstabilität ist insoweit kein (beliebig wählbares) Ziel der Wirtschaftspolitik, sondern eine Funktionsbedingung einer effizienten Geldwirtschaft. 2. Konflikte zwischen Wechselkurs- und Preisniveaustabilisierung In den heutigen Leitwährungssystemen muß somit die Wirtschaftspolitik in den beteiligten Ländern zwei nominale Ziele verfolgen: Zum einen ist der fixe Wechselkurs zu sichern, zum anderen die Geldwertstabilität. Damit ist schon aus formal-logischen Gründen klar, daß es zu Stabilisierungs- und Koordinationsproblemen kommen muß, wenn für diese beiden Ziele nicht auch zwei Instrumente zur Verfügung stehen (es sei denn, Gefährdungen des Wechselkurs- und Preisniveauziels treten stets zur gleichen Zeit, in gleicher Richtung und in gleicher Stärke auf). Verfügt die Politik dagegen nur über ein Instrument, ist das System von seinem Steuerungspotential her unterbestimmt bzw. aus der Sicht der doppelten Zielsetzung überbestimmt. Der Devisenmarkt ist im Gleichgewicht, wenn der Inlands- dem Auslandszins entspricht, korrigiert um eine eventuell erwartete Abwertungsrate 3) der Inlandswährung: A e A e i = i + e$ = i + e e - 1 Diese Zinsparitätsbedingung ist in Abbildung 1 durch die ZP-Linie illustriert. Sie zeigt bei gegebenem Auslandszins i A und einem bestimmten erwarteten Wechselkurs e e die Menge aller Zins-Wechselkurs-Kombinationen, die ein Devisenmarktgleichgewicht darstellen. Wenn der erwartete dem fixierten Wechselkurs e 1 entspricht, ist in Punkt A der Inlandszins i 0 gleich dem Auslandszins. 3) Wie die Erfahrung im EWS gezeigt hat, schließt die institutionelle Fixierung der Wechselkurse keineswegs das Auftreten von Abwertungserwartungen, d.h. Spekulation auf Paritätsänderungen aus. Vgl. zum folgenden auch Artis, M., Monetary Policy and the Exchange Rate, Oxford Review of Economic Policy, 7, 3/1991, S. 128-138.

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 4 Abbildung 1: Externes und internes Gleichgewicht i e e = e 1 e e = e 2 p= 0 i 1 C B i 0 GM' D GM A ZP ZP' i A e 1 e 0 e 2 e Das interne Gleichgewicht wird durch die Bedingung eines konstanten Preisniveaus beschrieben (d.h. die Inflationsrate $p ist gleich Null). Als exogene Bestimmungsfaktoren der Preise sind auf der Angebotsseite insbesondere Inflationserwartungen und auf Umverteilung abzielende Lohnsteigerungen zu nennen, auf der Nachfrageseite z.b. Staatsausgaben und Weltkonjunkturlage. Sind diese Faktoren konstant, so werden die Preise bei einer Abwertung, d.h. bei einer Zunahme von e, tendenziell steigen, weil angebotsseitig der Importpreiseffekt und nachfrageseitig die wachsenden Nettoexporte durchschlagen. Zur Stabilisierung sind dann höhere Zinsen notwendig, die insbesondere die Investitionsnachfrage zurückdrängen. Die GM-Linie des Gütermarktgleichgewichts hat im Zins-Wechselkurs-Koordinatensystem folglich eine positive Steigung. Man sieht nun, wie die wirtschaftspolitischen Folgen der deutschen Währungsunion zur Sprengung des EWS führten: Der enorme Nachfrageschub durch die Ausweitung der deutschen Staatsverschuldung verschiebt die Linie des Gütermarktgleichgewichts nach oben zu GM'; zur Wahrung der Preisniveaustabilität sind nun höhere Inlandszinsen notwendig. In Punkt B ist jedoch das externe Gleichgewicht gestört. Der auf i 1 gestiegene Zins muß für sich genommen über wachsende Kapitalimporte einen DM-Aufwertungsdruck (B nach C) auslösen. Um den gegebenen Fixkurs e 1 zu verteidigen, müssen nun die übrigen EWS-Länder ebenfalls ihre Zinsen anheben (so daß die ZP- und i A -Linien dann durch B verlaufen). Die Spekulation konnte aber darauf setzen, daß die Bereitschaft des Auslands, mit steigender Arbeitslosigkeit für die Kosten der deutschen Einheit aufzukommen, nicht unbegrenzt sein würde. Folglich war der Fixkurs e 1 nicht länger glaubwürdig. Ein (allerdings nur theoretischer) Ausweg hätte in einer Abwertungserwartung für die D- Mark (auf e 2 ) bestanden: Dadurch verschiebt sich die Zinsparitätsbedingung nach ZP' und B stellt auch bei unveränderten Auslandszinsen ein Gleichgewicht dar, weil die Abwertungserwartung die Zinsdifferenz kompensiert. Dieser (oben erwähnte) Fall einer parallelen Bedrohung des internen und externen Geldwertes ist jedoch eher für Länder typisch, deren Wäh-

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 5 rung vorwiegend durch die Leistungsbilanz bestimmt ist: Steigende Preise vermindern die internationale Wettbewerbsfähigkeit, lassen damit eine Passivierungstendenz in der Leistungsbilanz und darüber eine Währungsabwertung erwarten. Bei Anlagewährungen wie der D-Mark ist dieser Zusammenhang zwar nicht aufgehoben, er wird aber durch Kapitalbilanztransaktionen aus dem Vermögensmotiv überlagert. Trotz der deutschen Vereinigung galt die D-Mark weiterhin als eine starke, vertrauenswürdige Währung und die Bundesbank hatte frühzeitig deutlich gemacht, daß sie in keinem Fall eine DM-Abwertung hinnehmen werde (da dies die inländische Preissteigerungstendenz forcieren würde). Somit war auf den internationalen Finanzmärkten klar, daß man nicht auf eine DM-Abwertung spekulieren konnte; vielmehr war sogar eine Aufwertung im Gespräch, die aus deutscher Sicht zur Nachfragedämpfung, aus Sicht der EWS-Länder aus Zahlungsbilanz- und Beschäftigungsgründen hilfreich gewesen wäre. Der Mittelweg jedoch, das Festhalten am Fixkurs e 1, mußte wie gezeigt zur Krise des EWS führen. 3. Der fehlende Nominalanker der Leitwährung: Das Problem der Inflationserwartungen Der oben beschriebene EWS-Konflikt hat deutlich gemacht, daß sich die Bundesbank nicht für die Stabilität der Wechselkurse, sondern allein für die Stabilität des inländischen Preisniveaus verantwortlich fühlte. Die durch steigende DM-Zinsen bewirkte Abwertungstendenz anderer Währungen mußte von seiten der betroffenen anderen Notenbanken bekämpft werden. In dieser Rollenverteilung zeigt sich eine gegenüber dem Goldstandard veränderte "Spielregel" des Währungssystems 4). Nach wie vor müssen die beteiligten Länder ihren Wechselkurs zur Leitwährung konstant halten, das Leitwährungsland ist nun aber von der Verpflichtung zur Wahrung des Devisenmarktgleichgewichts befreit. Dies folgt faktisch daraus, daß die Leitwährung nicht (wie früher das Pfund Sterling oder der Dollar) an das Gold als n-te Währung gebunden ist. Ihre Banknoten stellen insoweit keine Forderungen auf wie auch immer geartete Währungsreserven dar 5). Die Aufgabe des Leitwährungslandes besteht allein in der Stabilisierung des inländischen Preisniveaus, oder besser formuliert: Wenn und weil sich dieses Land erfahrungsgemäß durch ein relativ hohes Maß an Geldwertstabilität auszeichnet, kann seine Währung für andere Länder die Funktion eines nominalen Ankers erfüllen. Die Leitwährung selbst hat jedoch keinen derartigen Anker mehr. Zudem darf die Wahrung von Preisstabilität im eigentlichen Sinne auch kein geldpolitisches Ziel im Leitwährungsland sein, denn die obige Analyse hat gezeigt, daß das Währungssystem einer harten Belastungsprobe ausgesetzt wird, wenn die 4) Einen brillanten Überblick zu den wichtigsten Währungssystemen der neueren Wirtschaftsgeschichte bietet McKinnon, R. I., The Rules of the Game - International Money in Historical Perspective, Journal of Economic Literature, 31, 1993, S. 1-44. 5) "Wer einer Zentralbank eine von ihr emittierte Note vorlegt, erhält die Note gewechselt" (Köhler, C., Geldwirtschaft, Erster Band, Geldversorgung und Kreditpolitik, Berlin 1977, S. 7).

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 6 führende Notenbank mit steigenden Zinsen eine Inflation im Inland bekämpft. Die Funktionsfähigkeit des Währungssystems verlangt vielmehr, daß Geldwertstabilität im Leitwährungsland durch andere als durch geldpolitische Mittel gegeben ist (z.b. durch eine grundsätzlich zurückhaltende Lohnpolitik), oder aber die Notenbank muß eine glaubwürdige stabilitätspolitische Strategie verfolgen, die Preisstabilität sichert, ohne daß eine restriktive Zinspolitik notwendig wird. Die besondere Schwierigkeit dieser letztgenannten Aufgabe besteht dabei darin, daß infolge des fehlenden internen Wechselkurses der nominale Wertstandard der nationalen Währung, d.h. praktisch: die Anzahl der Nullen bei den Preisen, letztlich beliebig ist. Dies ist der zweifellos zutreffende Gehalt der neoklassischen Redeweise von der Neutralität des Geldes: Das quantitative Niveau des Wertstandards ist im Gleichgewicht irrelevant. Inflation läßt sich aus dieser Perspektive als zwar gradueller, aber anhaltender Prozeß eines Wechsels im nominalen Wertstandard einer Ökonomie verstehen. Dieser Inflationsprozeß ist nun jedoch in aller Regel nicht neutral und er kann es auch nicht sein, weil die privaten Akteure nicht wissen (können), an welchem Punkt die Geldentwertung gestoppt wird. Eine monetäre Stabilisierung bedeutet die Festschreibung des erreichten Preisniveaus, nicht aber die Rückkehr zu dem Preisniveau, das vor Beginn des Inflationsprozesses bestanden hat 6). Bei allen strategischen und praktischen Alternativen der Durchführung der Geldpolitik ist deshalb vor allem zu prüfen, inwieweit sie der Aufgabe einer Stabilisierung der Inflationserwartungen gerecht werden. 4. Alternative Steuerungsgrößen der Geldpolitik Zwischenziele sollen praktischerweise zugleich als Indikatoren der Geldpolitik dienen und über Verlauf und Wirkung des laufenden Instrumenteneinsatzes informieren. Ein solcher Indikator hat dann eine Prognosefunktion, wenn er in einem zumindest richtungsmäßig eindeutigen Zusammenhang mit den Makrozielen steht. Die formalen Anforderungen an eine solche gesuchte Indikator- und Zwischenzielvariable sind: eine möglichst direkte Kontrollierbarkeit bzw. schnelle Reaktion auf Änderungen geldpolitischer Aktionsparameter, eine schnelle und einfache Meßbarkeit, und ein vorhersehbarer Zusammenhang mit wirtschaftspolitischen Endzielen. Einige denkbare Zwischenziele lassen sich schon nach kurzer Prüfung ausscheiden: (1) Eine Bindung an den Wechselkurs eines Nicht-EWS-Landes kommt für die Bundesbank nicht in Frage, da die europäischen Länder allenfalls untereinander, nicht aber mit der Dollar- oder Yen-Region einen "optimalen Währungsraum" darstellen. 6) Dies bringt auch eine Instabilitätstendenz in einem Szenario flexibler Wechselkurse mit sich (vgl. Stadermann, H.-J., Weltwirtschaft - Einführung in eine monetäre Theorie internationaler Wirtschaftsbeziehungen, Tübingen 1988, S. 127).

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 7 Abbildung 2: Abweichung vom Trend des Drei-Monats-Zinssatzes (Z) und negative Abweichung vom Trend des realen Wirtschaftswachstums in Jahr t+1 (W); Quelle für Grundzahlen: OECD, Economic Outlook. 6 3 Deutschland Z 0 W -3 1970 1980 1990 8 USA 4 W 0-4 1970 1980 1990 Z 8 4 0 W Kanada -4 1970 1980 1990 Z (2) Auch die langfristigen DM-Zinsen sind aufgrund der Auslandseinflüsse und des langen und keineswegs eindeutigen Transmissionsweges zwischen geldpolitischen Entscheidungen und Reaktionen des Kapitalmarktes kein geeignetes Zwischenziel. Sie drücken teilweise Inflationserwartungen aus, vermögen diese jedoch nicht zu steuern. (3) Die kurzfristigen Zinsen stellen den wohl wichtigsten Indikator für den Kurs der Geldversorgung dar. Sie weisen einen sehr engen Zusammenhang zum geldpolitischen Instrumenteneinsatz auf und stellen einen hervorragenden Prognoseindikator im Hinblick auf die reale Konjunkturentwicklung dar. Abbildung 2 macht deutlich, daß die Geldpolitik - der langen Debatte um verschiedene endogene Krisentheorien in der Nationalökonomie zum Trotz - als eine der wichtigsten Triebkräfte für Konjunkturschwankungen angesehen werden muß 7). 7) In Abbildung 2 ist dem Drei-Monats-Zins das reale Wirtschaftswachstum gegenübergestellt, wobei diese Reihe zeitlich so verschoben ist, daß der Zins im Jahr t mit dem Wachstum des Jahres t+1 zusammenfällt. Dies ist damit zu begründen, daß Kurswechsel der Geldpolitik erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung im realwirtschaftlichen Bereich wirken. Um den Gleichlauf zwischen Zinsen und Wachstum optisch besser zu verdeutlichen, sind die Werte der Wachstumsreihe mit dem umgekehr-ten Vorzeichen dargestellt; die oberen Wendepunkte markieren demnach den Tiefpunkt einer Rezession. Schließlich sind beide Zeitreihen noch trendbereinigt, um die zyklische Konjunkturbewegung klarer hervortreten zu lassen. Vgl. dazu Bernanke, B. S., Blinder, A. S., The Federal Funds Rate and the Channels of Monetary Transmission, American Economic Review, 82, 1992, S. 901-921 und Filc, W., Monetäre Fundierung einer angebotsorientierten Stabilitätspolitik, Konjunkturpolitik, 38, 1992,

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 8 Allen größeren Wirtschaftskrisen ging eine Phase geldpolitischer Restriktion voraus, praktisch immer mit dem Ziel der Inflationsbekämpfung. Aber gerade dies besagt, daß die kurzfristigen Zinsen kein Zwischenziel sind, sondern in direkter Weise den Instrumenteneinsatz der Notenbank messen. Der Einsatz der Zinspolitik zur Inflationsbekämpfung dokumentiert bereits das Versagen einer auf Inflationsvermeidung gerichteten geldpolitischen Strategie. (4) Die Argumente zu den lang- und kurzfristigen Zinsen gelten analog zur Zinsstruktur, die in letzter Zeit verstärkt als potentieller Indikator der Geldpolitik diskutiert wird 8). Ihre Prognoseeigenschaft für das Wirtschaftswachstum basiert im wesentlichen auf derjenigen der kurzfristigen Zinsen, während sich die Zinshöhe am "langen Ende" des Kapitalmarktes einer direkten Kontrolle der Notenbank entzieht. (5) Ein weiteres mögliches Zwischenziel ist die Kreditvergabe (oder dem noch vorgelagert: die Liquiditätssituation) der Banken. Die Debatte, ob der geldpolitische Transmissionsprozeß über die Kredite oder die Geldmenge verläuft, hat eine lange Tradition 9). Steigende Refinanzierungskosten können durchaus eine Einschränkung der Bankkreditvergabe bewirken; andererseits sind Fremdkredite auf seiten der Unternehmen z.t. auch durch eine vermehrte Innenfinanzierung ersetzbar. Empirisch zeigt sich jedenfalls, daß die Relation zwischen Kreditvergabe und makroökonomischer Aktivität nicht so eng wie bei den im folgenden diskutierten Geldmengenaggregaten ist (vgl. Abbildung 3). Abbildung 3: Relationen der Geldmenge M3, des Zentralbankgeldes und der Kreditvergabe der Banken zum nominalen Bruttoinlandsprodukt (Quelle für Grundzahlen: Deutsche Bundesbank) 0,6 Wechsel des Zwischenziels von ZBG zu M3 0,2 0,5 0,4 M3/BIP (linke Skala) ZBG/BIP (rechte Skala) 0,15 0,1 0,3 Kreditvergabe/BIP (rechte Skala) 0,05 0,2 1960 1970 1980 1990 0 S. 316-339. 8) Siehe dazu Hesse, H., Roth, G., Die Zinsstruktur als Indikator der Geldpolitik? Kredit und Kapital, 25, 1992, S. 1-25 und Ragnitz, J., Zinsstruktur und Wirtschaftswachstum, Kredit und Kapital, 27, 1994, S. 11-29. 9) Siehe dazu Filc, W., Credit as Intermediate Target of Monetary Policy? In: Frowen, S. (Hg.), Monetary Theory and Monetary Policy - New Tracks for the 1990s, New York 1993, S. 188-216 und Kashyap, A. K. u.a., Monetary Policy and Credit Conditions - Evidence from the Composition of External Finance, American Economic Review, 83, 1993, S. 78-98.

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 9 5. Funktionsweise und Probleme der Geldmengenpolitik Geldmengenaggregate wie die Zentralbankgeldmenge oder M3 weisen nicht nur einen vergleichsweise engen Zusammenhang zum nominalen Bruttoinlandsprodukt auf, sondern stellen nach Meinung der Bundesbank auch einen guten Prognoseindikator für die Preisentwicklung dar 10). Ein Wirkungsstrang verläuft dabei von der Geldmenge zum (langfristigen) Zins, von hier über Investitionsentscheidung, Güternachfrage und Beschäftigung zum Arbeitsmarkt, wo die Lohnpolitik auf veränderte Knappheitsverhältnissen reagiert; Lohnsteigerungen werden dann zumeist in den Preisen überwälzt (vgl. Abbildung 4). Abbildung 4: Wirkungsmechanismen der Geldmengenpolitik Geldmenge angekündigte Geldmenge + - + Zins + Inflationserwartung + - + Arbeitslosigkeit - Löhne + + sonstige Einflüsse Preise Ein erstes Problem dieser Steuerungskonzeption besteht darin, daß die Geldmenge faktisch nicht - wie dies in Abbildung 4 erscheint - vorab gesetzt werden kann, sondern sich aus dem Zusammenspiel von Refinanzierungsbedingungen der Banken und Portfolioentscheidungen des privaten Sektors als teilweise endogene Größe ergibt. Die Geldmenge M3 ist im gesamtwirtschaftlichen Banksystem der Reflex der Kreditvergabe (einschließlich der Auslandsforderungen), vermindert um die als Geldkapital bezeichneten Bankverpflichtungen 11). Eine vermehrte Kreditvergabe läßt M3 folglich dann unverändert, wenn die Geldkapitalbildung entsprechend zunimmt. 10) Der Wirkungslag beträgt hierbei etwa 10 Monate. Vgl. Deutsche Bundesbank, Zum Zusammenhang zwischen Geldmengen- und Preisentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, Monatsbericht 1/1992, S. 20-29. 11) Dies gilt praktisch auch für die Zentralbankgeldmenge, die sich weitgehend nur im Niveau durch die Gewichtung einzelner Teilelemente von M3 unterscheidet.

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 10 Kredite und Geldmenge im Bilanzzusammenhang Bankkredite Geldmenge Geldkapital Zwar kann die Geldpolitik durch Variation der kurzfristigen Zinsen und die damit verbundenen Signale an Kreditanbieter und Kreditnachfrager die monetäre und reale Entwicklung mittel- und langfristig durchaus steuern (vgl. Abbildung 2). "Geldmenge" und "Geldkapital" sind jedoch keine streng abgegrenzten Aggregate; es handelt sich vielmehr im wesentlichen um verschiedene Typen von Bankeinlagen des Publikums, die sich nur graduell nach Fristigkeit, Liquiditätsgrad, Verzinsung etc. unterscheiden. Bankbetriebliche Marketingstrategien zur Beschaffung von Zentralbankgeld aus dem Publikum (z.b. durch neue Dienstleistungsfunktionen bestehender oder Kreation neuer Einlageformen), temporär veränderte Kassenhaltungsgewohnheiten oder Zinserwartungen können somit auch bei konstantem Kreditvolumen zu Verschiebungen zwischen "Geldmenge" und "Geldkapital" führen, ohne daß sich an der Gütermarkt- und Preisentwicklung wesentliches ändert. Derartige Substitutionsprozesse im Finanzsektor sind für sich genommen gesamtwirtschaftlich unbedeutend; im Konzept der Geldmengensteuerung können sie jedoch Fehlsignale auslösen. Denn ein zweiter, durchaus intendierter Wirkungsstrang der Geldmengenpolitik verläuft über die Ebene der Inflationserwartungen (vgl. Abbildung 4). Diese führen einerseits zu Nominalzinssteigerungen (Fisher-Effekt), steigern andererseits für sich genommen die Ertragserwartungen, so daß ihr Gesamteffekt auf die Arbeitslosigkeit unbestimmt ist. Sie gehen jedoch vor allem (bei jedem gegebenem Beschäftigungsgrad) in die Nominallohnforderungen ein, so daß es auch durch Inflationserwartungen und nicht erst infolge einer Übernachfrage zu Preissteigerungen kommen kann. Die Bundesbank versucht, diesen Wirkungszusammenhang zu nutzen, indem sie auf den engen Zusammenhang zwischen Geldmengen- und Preisentwicklung hinweist, ein stabilitätsgerechtes Geldmengenwachstum ankündigt und darüber eine ruhige Lohnpolitik erreichen will. Bei geldpolitisch ungeplanten, "finanztechnisch" bedingten Geldmengenerhöhungen kann es nun aber gerade aufgrund der "monetaristischen Propaganda" zu Inflationserwartungen kommen 12). Zudem unterhöhlt die Differenz zwischen angekündigtem und realisiertem Geldmengenwachstum die Glaubwürdigkeit der Notenbank. Aus diesen Gründen bringen Zwischenzielverfehlungen die Bundesbank in Handlungszwang. Nach den Zielüberschreitungen bei der Zentralbankgeldmenge, dem zunächst gewählten Zwischenziel, in den Jahren 1975-78 wurde das Ziel breiter, nämlich als Korridor, definiert. Dieser Übergang zu einer bewußt "unscharfen" Zielvorgabe ab 1979 war ein durch- 12) "Die Behauptung einer engen Verknüpfung von Geldmengenbewegung und Inflation ist kontraproduktiv. Sie trägt dazu bei, daß Inflationserwartungen bei Geldmengenausweitungen erst entstehen, und sie macht es so der Lohnpolitik schwerer, stabilitätsorientiert zu bleiben" (Pohl, R., Flexible Orientierung der Geldpolitik, Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, Berlin 1987, S. 175).

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 11 aus geschickter Schachzug, der kleinere Schwankungen im Bereich der Geldnachfrage entproblematisierte und der Bundesbank größere Freiheiten zu einer diskretionären Politik einräumte. Gleichzeitig konnte mit der Glaubwürdigkeit des Konzepts auch das Anti-Inflations- Instrument der Dämpfung der Inflationserwartungen über angekündigte Geldmengenziele erhalten bleiben 13). Abbildung 5 (Quelle: Deutsche Bundesbank, Geschäftsbericht 1993, S. 69, aktualisiert) Als aber 1986-87 auch dieser Korridor überschritten wurde, wählte man 1988 als neue Zielgröße die Geldmenge M3, die eine geringere Reaktion auf zufällige Störeffekte versprach. Unglücklicherweise zeigten sich gerade danach besonders starke Schwankungen des M3-Kassenhaltungskoeffizienten (vgl. Abbildung 3). Dadurch scheint sich wieder einmal die als "Goodharts Gesetz" bekannt gewordene These zu bestätigen, daß nämlich jeder empirisch scheinbar gesicherte Zusammenhang zwischen makroökonomischen Variablen in dem Moment instabil wird, in dem man ihn zur geldpolitischen Steuerung nutzbar machen will. 13) Vgl. Cukierman, A., Central Bank Strategy, Credibility and Independence - Theory and Evidence, Cambridge, London 1992, S. 214ff.

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 12 Zu beachten ist auch, daß ein Überschreiten des Geldmengenziels eigentlich dazu zwingt, den Zielkorridor ("Trichter") des neuen Jahres nicht beim erreichten faktischen, sondern beim ursprünglich angestrebten Stand der Geldversorgung beginnen zu lassen (vgl. Abbildung 5). Ein solcher Schritt wäre notwendig, um den Inflationsgefahren zu begegnen, die ursprünglich für die Wahl des niedrigen, aber nicht erreichten Geldmengenwachstums ausschlaggebend waren. Tatsächlich wird aber meist das Ziel für das nächstfolgende Jahr vom erreichten Status Quo ausgehend weitergeführt, weil andernfalls zunächst eine Geldmengenkontraktion notwendig wäre. Diese wird wegen der damit verbundenen Beschäftigungseffekte gescheut. Die Formulierung einer neuen Zielgröße auf der Basis eines erhöhten Niveaus setzt aber voraus, daß dieses Niveau der Geldversorgung als nicht stabilitätsgefährdend eingeschätzt wird. Dies wiederum stellt streng genommen einen Widerspruch zum Geldmengenziel des Vorjahres dar. 6. Geldwertstabilität als Ziel und Zwischenziel? Die gegenwärtige Suche nach verläßlicheren Zwischenzielen der Geldpolitik erscheint nicht sehr erfolgreich 14). Damit stellt sich die Frage, ob die Bundesbank nicht auch dem Beispiel anderer Länder folgen und auf die Ankündigung und Verfolgung von Geldmengenzielen verzichten sollte 15). Wie auch immer definierte Geldmengenaggregate sind der Reflex von mikroökonomischen Portfolioentscheidungen des privaten Sektors, die teilweise gesamtwirtschaftlich irrelevant sind, teilweise selbst auf Art und Ausgestaltung der Zwischenzielsteuerung reagieren. Die Geldmengenstrategie unterliegt damit der allgemeinen "Lucas-Kritik": Das Wirtschaftssystem funktioniert bei Kenntnis praktizierter wirtschaftspolitischer Steuerungskonzepte anders als ohne sie. Gleichwohl sind die befürchteten Folgen von Zielverfehlungen der Geldmengenpolitik (Inflationserwartungen, Reputationsverluste der Notenbank) in der Bundesrepublik weitgehend ausgeblieben. Wie ist dies zu erklären? Die Vorstellung, Zielverfehlungen beim Geldmengenwachstum würden zwangsläufig dem Ansehen einer Zentralbank schaden und (zusätzliche) Inflationserwartungen schüren, folgt einem zu mechanischen Denken. Nimmt man den Anspruch einer Unterstellung rationaler Erwartung ernst, so werden kluge Marktakteure wissen, daß Ankündigungen von Geldmengenzielen gleichsam nur symbolische Handlungen darstellen, die als Selbstverpflichtung der Notenbank zu interpretieren sind, der Wahrung der Geldwertstabilität oberste Priorität zu geben. Deshalb wird nicht schon die Verfehlung des symbolischen Zwischenziels des Geldmengenwachstums, sondern erst die Zulassung substantieller Inflationssteigerungen als "Täuschungsversuch" seitens der Notenbank bewertet. Unter der allgemeinen Bedingung 14) Siehe etwa Issing, O. u.a., Zinsgewichtete Geldmengenaggregate und M3 - Ein Vergleich, Kredit und Kapital, 26, 1993, S. 1-21. 15) Vgl. Friedman, B. M., Monetary Policy Without Quantity Variables, American Economic Review, Papers and Proceedings, 78, 1988, S. 440-445.

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 13 unvollkommener Information, die eine Unterscheidung zwischen Zieländerungen der Notenbank und zufälligen Störungen in der Geldmengenentwicklung schwierig macht, ist ein graduelles, an den Ergebnissen der Geldpolitik orientiertes Lernen für die Wirtschaftssubjekte die beste Strategie 16). Die Inflationserwartungen werden somit eher durch die realisierte Preisentwicklung und weniger durch (faktische oder angekündigte) Geldmengenzahlen beeinflußt (vgl. Abbildung 4). Das Endziel der Geldwertstabilität wird insoweit auch zum Zwischenziel der Geldpolitik, weil die realisierte Preisentwicklung die Inflationserwartungen und damit die monetären Marktbedingungen der jeweils nächsten Periode prägt. Es empfiehlt sich deshalb, das Geldmengensteuerungskonzept überhaupt aufzugeben, weil dann auch mögliche Irritationen durch selbst erzeugte Glaubwürdigkeitskeitsdefizite im Transmissionsbereich der Geldpolitik entfallen. "Überschießende" Geldmengenzahlen im Jahresverlauf können leicht Zinserhöhungserwartungen und damit verbunden Unruhe auf den Devisenmärkten hervorrufen. Die eingangs erwähnten Einwände gegen eine direkte Orientierung der Geldpolitik am Preisniveau erscheinen heute kaum noch als stichhaltig. In Wahrheit praktizierte die Bundesbank auch stets ein Preisniveauziel, indem sie im Rahmen der Festsetzung des geplanten Geldmengenwachstums zunächst eine "unvermeidliche" Inflationsrate als Zielgröße festlegte und seit 1985 eine Geldentwertung von ca. 2 vh als Norm anstrebt. Auch bei der Feinsteuerung innerhalb des Korridors spielt (neben dem Wechselkurs) die laufende und erwartete Preisentwicklung die entscheidende Rolle: Allein davon hängt es ab, ob die Bundesbank die obere oder untere Hälfte des Zielbandes ansteuert 17). Das aber heißt, daß nicht der behauptete langfristige Konnex von der Geldmenge zum Preisniveau die Richtschnur ihres Verhaltens ist, sondern daß sie mit zinspolitischen Mitteln auf die Entwicklung der Preise reagiert. Trotz anhaltender Zielüberschreitung des Geldmengenkorridors (vgl. Abbildung 5) verfolgt sie seit Mitte 1992 eine Politik schrittweiser Zinssenkungen, schlicht weil der Rückgang der Inflationsrate dies erlaubt (vgl. Abbildung 6) 18). Die Reputation der Bundesbank ist (noch) so geartet, daß sie im Hinblick auf ihren Willen zur Geldwertstabilität keine "Krücken" wie Geldmengenziele benötigt. Ihre Politik könnte sich leicht auf die Ankündigung eines Zielwertes oder -korridors für die Inflationsrate beschränken und sie könnte wie bisher auch eine Vielzahl monetärer und realer Variablen (von der Geldmengenentwicklung bis zu den Lohnstückkosten) als Indikatoren für die Notwendigkeit von zinspolitischen Korrekturen im Jahresverlauf benutzen. Bei außergewöhnlichen Preisniveaubewegungen (etwa infolge von Steuer- oder Importpreiserhöhungen) hätte sie deutlich zu machen, ob sie dies als - geldpolitisch hinzunehmenden - Preisniveaueffekt oder aber als Auslöser inflatorischer Fehlentwicklungen betrachtet. Auch dies bedeutet keine Abweichung 16) Vgl. Cukierman, A., Central Bank Strategy..., a.a.o., S. 6. 17) Vgl. Deutsche Bundesbank, Geldpolitische Aufgaben und Instrumente, Sonderdrucke der Deutschen Bundesbank, Nr. 7, 6. Aufl., Frankfurt 1993, S. 104ff., 111. 18) Vgl. Deutsche Bundesbank, Überprüfung des Geldmengenziels 1994, Monatsbericht 8/1994, S. 19-28.

Ziele und Zwischenziele der Geldpolitik 14 Abbildung 6: Geldmarktzinsen und Verbraucherpreise in der Bundesrepublik Deutschland (Quelle für Grundzahlen: Deutsche Bundesbank) 10 9 8 7 6 5 Tagesgeld Diskontsatz Lombardsatz 4 3 Inflationsrate 2 92.1 92.7 93.1 93.7 94.1 94.7 zur bisherigen geldpolitischen Praxis. Ist die interne Geldwertstabilität gesichert, könnte die Wahrung des externen Gleichgewichts i.s. der Konstanthaltung des DM-Kurses gegenüber dem Durchschnitt der EWS- Währungen ein zweites, jedoch nachgeordnetes Ziel der Bundesbank bilden. Diese Rangfolge ist zu beachten, weil ansonsten dem EWS der nominale Stabilitätsanker entzogen würde und in der Bundesrepublik berechtigte Zweifel daran bestehen, ob Finanz- oder Einkommenspolitik anstelle der Geldpolitik in der Lage wären, die Preisstabilität zu sichern. Bei steigenden Inflationsraten wird die Bundesbank zu einer restriktiven Zinspolitik übergehen und damit unter den gegenwärtigen Bedingungen eine Währungskrise im EWS auslösen (vgl. oben Abschnitt 2). Für dieses Problem gibt es keine zufriedenstellende Lösung. Der beste Weg wäre noch eine rasche und nachhaltige DM-Aufwertung bei Devisenmarktanspannungen, die von einem Drang in die D-Mark geprägt sind. Im Falle der Abbildung 1 hieße dies z.b. eine Aufwertung nach e 0, so daß sich die Zinsparitätslinie ZP nach D verschiebt, der Auslandszins konstant bleiben kann und der restriktive Effekt der Aufwertung im inländischen Gütermarkt bei Gültigkeit der Gleichgewichtslinie GM' eine Zinserhöhung über i 0 hinaus unnötig macht. Denkbar wäre natürlich auch der Übergang zu einer Europäischen Währungsunion, der das Problem beseitigt, indem er die Wechselkurse abschafft. Dieses Projekt ist jedoch selbst außerordentlich fragwürdig und umstritten; die hierbei auftretenden Folgeprobleme dürften so gravierend sein 19), daß in der Retrospektive die aktuelle Debatte um ein adäquates Zwischenziel der nationalen Geldpolitik als vergleichsweise unbedeutend erscheinen wird. 19) Vgl. Spahn, H.-P., Die ECU-Wirtschaft - Ein Modell zu den Konsequenzen der Europäischen Währungsunion. Kredit und Kapital, 25, 1992, S. 469-490.