Alt, süchtig - und wie erreichbar? Sucht im Alter die stille Katastrophe?

Ähnliche Dokumente
Realität im Krankenhaus heute: frühzeitige/zu frühe Entlassung:

Berliner Gesundheitspreis 2006

Gut behandelt in Bremen? Fachtag zur gesundheitlichen Versorgung im Alter

Vorstellung des Projektes zur Versorgung von Menschen mit psychischer Erkrankung im Rahmen des. NetzWerkes psychische Gesundheit

BFLK Pflegefachtag Psychiatrie des Landesverbandes Berlin Brandenburg Berlin, den 10. Mai 2012

Koordinierte Versorgung

Menschen mit Demenz im Krankenhaus Versorgung im Fokus des demografischen Wandels

Sozialdienst und Psychologischer Dienst

Alkohol, Medikamente, Partnerschaft: Frauen als Betroffene und Mitbetroffene Karin Mohn, Universität Dortmund

Jenseits des Suchtprinzips. Das Projekt Sucht im Alter

Definition Verlauf Ursachen. 1 Einleitung und Begriffsbestimmung »Negative kommunikative Handlungen«... 6

Risiko und Schutzfaktoren in der Altersentwicklung

AG: WEGE AUS DER SUCHT Sucht und psychische Belastungen - Wege zum gesunden Betrieb Rickling

Inhalt VII. Definition - Verlauf - Ursachen. 1 Einleitung und Begriffsbestimmung з. 2 Definitionen 5

Sucht im Alter Erkennen Reagieren - Helfen

Grußwort Demenz im Blick, Haus der Ärzteschaft, Düsseldorf, Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein:

Förderung der Umsetzung demenzsensibler Versorgungskonzepte Das Unterstützungsprogramm. Dr. Susanne Angerhausen, Cornelia Plenter

Wege aus der Abhängigkeit

6CIGUMNKPKM HØT UWEJVMTCPMG /GPUEJGP

Westfälische Kliniken Warstein und Lippstadt. R. Holzbach. Lippstädter Modell. Stationäre Behandlung von Medikamentenabhängigen

Workshop C: psychiatrische und somatische Begleiterkrankungen von Suchtkranken und deren Therapie

Die Geriatrische Klinik als Motor für eine regionale Weiterentwicklung der Versorgung gerontopsychiatrisch erkrankter Menschen. Dr.

Ansätze für eine demenzsensible Versorgung im Akutkrankenhaus Dr. Susanne Angerhausen

Der Umgang des Hausarztes mit depressiven Erkrankungen

R. Holzbach I LWL - Kliniken Lippstadt und Warstein

Suchtprobleme. stationären Altenpflege

Historische Aspekte aktuelle Entwicklungen

Ambulante Rehabilitation von Suchterkrankungen. Klinik Hohe Mark. Psychiatrie Psychotherapie Psychosomatik

SZH SOZIALTHERAPEUTISCHES UND SUCHTMEDIZINISCHES ZENTRUM HAMBURG WEITERE ANGEBOTE UNTER

Ambulanter Alkoholentzug

Ambulante Rehabilitation

Kooperation und Verantwortung in der Versorgung: Anforderungen an die Reform des Psychotherapeutengesetzes aus unterschiedlichen Perspektiven

ZUSAMMENARBEIT PSYCHIATRIEPRAXIS UND SUCHTMEDIZIN FORUM FÜR SUCHTFRAGEN, DR. MED. CLAUDINE AESCHBACH, BASEL

Fachveranstaltung. Sucht im Alter Herzlich Willkommen

Ein bisschen Spaß muss sein? - Alkohol im Alter. Sucht im Alter

Ambulanter Alkoholentzug

Sucht tut weh. Suchtmedizinische Abklärung und Behandlung

Sucht Alter Pflege. Eine besondere pflegerische Anforderung mit geringer Tradition in der Altenpflege. Andreas Kutschke

Palliativstation Klinikum Mittelmosel, St. Josef- Krankenhaus in Zell

KomPP Nordhessen. Kompetenznetz Pflege & Pharmakotherapie

Sucht, Komorbidität und psychotherapeutische Behandlung:

Auszug. aus dem Demographiebericht für den Kreis Borken. zum Themenfeld. Gesundheit im Alter

Abhängigkeitslinie. Klinik für Psychose und Abhängigkeit Spezialisiert auf die Therapie von Sucht mit Komorbidität

Ambulante Soziotherapie 37a SGB V

Gesundheitspolitisches Forum. Verbesserung der medizinischen Versorgung von Patienten in Thüringer Alten- und Pflegeeinrichtungen

Mobile Rehabilitation als neue Versorgungsform

Demenz und Pflege. Die Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.v. Birgit Wolff

KBV-Vertragswerkstatt: Spezifische geriatrische Versorgung

Ethische Aspekte bei der sozialmedizinischen Beurteilung in der stationären Rehabilitation Abhängigkeitskranker: Fallbeispiele

Die Notwendigkeit der Verzahnung - Perspektive Stationär -

Psychische Störungen in der hausärztlichen Versorgung

die Menschen stehen im Mittelpunkt: ein inklusives Gesundheitssystem muss auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen eingehen.

10. Landespsychotherapeutentag. Statement zur Zukunft der psychotherapeutischen Versorgung im Gesundheitssystem. Berlin,

Die Behandlung psychischer Erkrankungen in Deutschland

Palliative Care Kompetenzzentrum. Palliative Care Kompetenzzentrum. Akutspital Psychiatrie Geriatrie Palliative Care

Förderung der Umsetzung demenzsensibler Versorgungskonzepte

Annahmen zur Versorgung psychisch kranker Menschen im Jahr 2020:

Suchthilfe in München

4 Das Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in der Versorgung... 55

Menschen mit demenziellen Einschränkungen im Krankenhaus

Sucht im Alter. Das +50-Konzept der AHG Klinik Wigbertshöhe

Konzept zur stationären Behandlung Medikamentenabhängiger Lippstädter Modell

Vernetzung von Suchthilfe und Altenhilfe Wie kann diese (noch besser) gelingen?


Psychische Störungen bei jungen Erwachsenen in Schleswig-Holstein

Therapeutische Arbeit mit Drogenabhängigen mit einem integrativen Ansatz. Dr. med. Thomas Kuhlmann Psychosomatische Klinik Bergisch Gladbach

Wohnortnahe Versorgungsangebote für f geriatrische Patienten durch Vernetzung schon vorhandener Strukturen

Forderungen der DGPPN zur Bundestagswahl 2017

Strategien für eine gute gesundheitliche Versorgung älterer Menschen in Bremen

Gesund älter werden Herausforderungen einer präventiven Versorgungsgestaltung

Rehabilitation depressiver Störungen aus der Sicht der Versorgungsforschung

Geriatrische Rehabilitation

GERIATRIENETZWERK OSTSACHSEN. Görlitzer Geriatriezentrum am städtischen Klinikum Görlitz

Woher kommen, wohin gehen die Klienten?

IHRE PERSPEKTIVE BEI SIGMA: GESUNDHEITS- UND KRANKENPFLEGER/IN

Herzlich willkommen! Fachstelle für Suchthilfe und Prävention Diakonisches Werk Eschwege/Witzenhausen

Qualifizierter Entzug in Sachsen-Anhalt Erfassung des Behandlungsangebotes ein UPDATE

Psychologische Faktoren im Krankheitsverlauf. Myelomtage Heidelberg Patiententag

Ausbildungsinhalte zum Arzt für Allgemeinmedizin. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin

LWL-PsychiatrieVerbund. Integrierte Versorgung in der Psychiatrie. Strategische Ausrichtung des LWL-PsychiatrieVerbundes

Krankenhäuser in Sachsen vor den Herausforderungen des demografischen Wandels. Krankenhausforum Sachsen am in Leipzig

Spezielle Interventionsformen im Fall von Suchterkrankungen

INFORMATIONEN FÜR DIE PRAXIS

Sucht im Alter. Therapeutische und pflegerische Aspekte im Umgang mit Betroffenen und Angehörigen

Demografischer Wandel auch in Zukunft gut versorgt?

S3-Leitlinie alkoholbezogene Störungen Akutbehandlung: Schnittstellen & Kooperation. Grundlagen

Integrierte Versorgung Depression DAK-HMK Modell. Ingeborg Behling-Hass, Nervenärztin Harburg Hans-Peter Unger, Ltd.Arzt, Asklepios Klinik Harburg

Studien zur Versorgung in der Allgemeinmedizin

28. Heidelberger Kongress Abstinenz als modernes Therapieziel!?

Komorbide depressive Störungen in der Ambulanten Reha Sucht

Diversität in Alters- und Pflegeheimen

Digitalisierung und ärztliche Betreuung in der Pflege

Versorgungssituation und Gesundheitspolitik aktueller Stand, Ziele, Perspektiven

Sozialpsychiatrische Hilfen in Stuttgart Geschichte, Gegenwart und Zukunft Zum 60. Geburtstag von Dr. Klaus Obert

Abklärung, Entzugsplanung, Therapie Psychiatrie

Geriatrische Versorgung und soziale Teilhabe Dr. Matthias Meinck

Innere Medizin Akutgeriatrie

CURRICULUM. Pflegeexperte Demenz für die Station. für ein Fortbildungsseminar. Dipl.-Gerontologe Eckehard Schlauß

foederatio Paedo-medicorum helveticorum fpmh Ärztliche Union für Kinder und Jugendliche Union des Médecins d Enfants et d Adolescents

Transkript:

Alt, süchtig - und wie erreichbar? Sucht im Alter die stille Katastrophe? Fachtag AGJ Katholische Akademie Freiburg 12. September 2012 Dr. Friedemann Hagenbuch

Sucht im Alter die stille Katastrophe? 1. Zur Situation älterer suchtkranker Menschen 2. Fallbeispiele 3. Persönliche Erfahrungen 4. Grundfragen und Vorurteile 5. Hilfen in der Betreuung suchtkranker Älterer 6. Perspektiven

1. Situation älterer-suchtkranker Menschen Anteil der Altersgruppe 65 Jahre und darüber an der Gesamtbevölkerung in Deutschland bis zum Jahr 2030 in % 30 25 20 15 10 5 (Quelle: Statistisches Bundesamt und GSF, Kiel, 2000) 0 1997 2005 2015 2025

1. Situation älterer suchtkranker Menschen Häufigkeit von Abhängigkeitserkrankungen Allgemeinbevölkerung: 4 7 % Altersheime: >10 % abhängig, v.a. Medikamente 2-3% Alkoholabhängige (ca. 400.000?) 2-3% Medikamentenabhängige (ca. 1,5 Mio.?)?? Drogenabhängige BRD - Krankenhaus- Alkoholintoxikationen 2000 vs. 2009 Plus 112 %, Publikumsjoker

Charakteristisch für die Altersmedizin sind Patienten, die multimorbid sind und einen chronischen Krankheitsverlauf haben. Seit 1985 300% Anstieg der Patientenzahl mit > 4 Krankheiten (Szecsenyi 2012) Übersicht über die häufigsten chronischen Erkrankungen für über 65-Jährige (Daten aus den USA): Im somatischen Bereich: Arthrosen 38,7 % Hypakusis 36,8 % Hypertonie 30,6 % KHK 30,2 % Orthopädische Behinderung 16,7 % Katarakt 13,9 % Chron. Sinusitis 11,1 % Tinnitus 9,9 % Diabetes mellitus 9,6 %

Im psychiatrischen Bereich (Hirsch, 2007): Depressive Störungen 10-25 % Demenzen 10-14% 50 % aller Heimbewohner haben eine demenzielle Erkrankung Angststörungen 5-10% Suchterkrankungen 4-7 % Zusammenfassend handelt es sich um Schmerzsyndrome, Kreislauferkrankungen, Beeinträchtigungen der Sinnesorgane, demenzielle, Angst- und depressive Störungen und Suchterkrankungen. Maximum: 1 Patient - 27 Diagnosen PIA ZfP 5/2012

Wie steht es um die ärztliche Versorgung alter Menschen? Zu viele Medikamente 20 % der über 70-Jährigen erhalten >13 Wirkstoffe. Wenn mehrere Ärzte verordnen, fehlt die Abstimmung Kaum Leitlinien für die Behandlung alter und multimorbider Menschen Grundsatz Reha vor Pflege ist nicht umgesetzt. Es gibt keine flächendeckende geriatrische Rehabilitation. Forschung ohne Ältere Aus-, Weiterbildung der Ärzte wird dem demografischen Wandel nicht gerecht Wesentliche Ergebnisse des 6. Altenberichts der Bundesregierung, DÄB, 2011

2. Fallbeispiele Frau H..eine typische ambulante Situation Herr Prof. P. und seine co-abhängige Ehefrau Suchterkrankung unbekannt, obwohl bereits vorhanden Herr M. 67j. depressiver Alkoholiker und sein hilfloser Nervenarzt Suchterkrankung bekannt

3. Persönliche Erfahrungen...die stille Katastrophe! Hilflose Helfer Mangelnde Sensibilität Wenig Fachwissen Fehleinschätzungen und Vorurteile Erhöhtes Risiko und Folgekosten

4. Grundfragen und Vorurteile Sucht- und Psychotherapie ist nur was für junge Menschen.nur 1,5% der > 60 - jährigen erhalten Psychotherapie (Lehr in DÄB Heft 26/2012) Diagnostische Sensibilität für die Abhängigkeitsproblematik und ein entsprechendes Bewusstsein für die Dimension Suchterkrankung. Warum wollen Sie als Behandler überhaupt eine Entzugsbehandlung des Heimbewohners? Behandlungsziel? Ist Abstinenz um jeden Preis Ziel Ihrer Bemühungen? Die Frage der Substitution was können Sie dem Betroffenen statt des Suchtmittels anbieten? Sinnvoll altern aber wie?

5. Hilfen Grundsätzlich: Sensibilität entwickeln Hinschauen statt Augen zu Empathisch ansprechen Strategie? Zeichen einer möglichen Suchtentwicklung: Zunahme des Alkohol- bzw. Medikamentenkonsums Veränderung im Persönlichkeitsbild Gewichtsverlust Vernachlässigung des äußeren Erscheinungsbildes Morgendliches Zittern Übelkeit, Appetitlosigkeit, Mundgeruch Verhaltens- und Reaktionsänderungen Neu auftretende Stimmungsschwankungen, vor allem morgens

Achtung: Große Ähnlichkeiten zwischen alkoholbedingten und alterstypischen Veränderungen. Solche alterstypischen Veränderungen und Verhaltensweisen können sein: Schlaflosigkeit Gedächtniseinschränkungen Infektanfälligkeit Fehlernährung Vermehrte Selbsttötungsgedanken

Therapeutische Besonderheiten bei der Betreuung dieser Patientengruppe: 1. Relativierung des Abstinenzprinzips. 2. Förderung der Ressourcen (Frage der Perspektive des Therapeuten). Entwicklung im Kreativ- und Hobbybereich. 3. Förderung der Tagesstrukturierung, z.b. Anbindung an ambulante Seniorenprogramme. 4. Angebote im religiösen Bereich, Berücksichtigung der Dimensionen wie Lebenssinn, Schuld, Tod, durch seelsorgerliche Angebote. 5. Im Alter ist nicht mehr alles möglich. 6. Psychohygiene persönliche Entlastung finden

6. Perspektiven: Die Verbesserung der Versorgungssituation für diese Patienten muss vom ambulanten Bereich ausgehen. Verbesserte geriatrische und suchtmedizinische Qualifikation der Ärzteschaft, z.b. durch entsprechende Fortbildung, Qualitätszirkel, Supervision. Leitlinien für die Behandlung älterer multimorbider Patienten. ( gibt keine S3 Leitlinien für diese Pat.) Stationäre Altenhilfe: Kontinuität der ärztlichen Versorgung und vor allem Koordination der unterschiedlichen ärztlichen Leistungen durch einen Arzt.

6. Perspektiven Gezielter Einsatz der Pflegeplanung und Pflegedokumentation als weitere zentrale Aufgabe. Die Gabe von Psychopharmaka darf nur nach exakter ärztlicher Verordnung und nicht als beliebige Bedarfsarznei erfolgen. Effektivere Zusammenarbeit zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und den betreuenden Hausärzten, z.b. durch Haus-, bzw. Heimbesuche mit Teilnahme des Pflegepersonals. Bei Versagen der ambulanten Behandlungsmöglichkeiten Einweisung ins Krankenhaus.

6. Perspektiven: Wanted: Angebote für ältere - substituierte Drogenabhängige Herstellung von Informationsbriefen an Mitarbeitende in entsprechenden Einrichtungen und Heimbewohner. Im Weiteren muss die Thematik Eingang finden in die Ausbildungspläne, z.b. der Altenpflege, Medizinstudium. Entwicklung von Selbsthilfegruppen, Aufsuchende Arbeit durch Beratungsstellen Zusammenarbeit mit Suchtberatungsstelle, Selbsthilfegruppe, Seelsorger und Seniorenbüro.