Von 0 auf 14: Synergien und Vertrauen in der Kinder- und Jugendarbeit Was ko nnen wir lernen? Konzepte und Modellprojekte in der Arbeit mit Kindern & Familien Udo Rudolph Technische Universität Chemnitz Institut für Psychologie Allgemeine und Biopsychologie
1. Warum: Von 0 auf 14? Dies steht für die Entwicklung von Kindern in diesen Lebensjahren. Beobachtung: Die Ausrichtung unserer Arbeit erfolgt oftmals anhand von Organisationen, Vereinen, Trägern, Strukturen, Ansprechpartnern, und bürokratischen Anforderungen. Idee: Wir besinnen uns (zusätzlich) auf die Entwicklung der Kinder im Zeitverlauf. 2
1. Warum: Von 0 auf 14? Diese Idee kindliche Entwicklung im Zeitverlauf ist eine Medaille, die zwei Seiten hat. Aspekt 1: Die kindliche Entwicklung und ihre Gesetzmäßigkeiten. Das Kind ist nicht ein leeres Gefäß, dass wir mit unserem Wissen anfüllen und das uns alles verdankt. Nein, das Kind ist der Baumeister des Menschen, und es gibt niemanden, der nicht von dem Kind, das er einmal war, gebildet wurde. Maria Montessori 3
1. Warum: Von 0 auf 14? Diese Idee kindliche Entwicklung im Zeitverlauf ist eine Medaille, die zwei Seiten hat. Aspekt 1: Aspekt 2: Die kindliche Entwicklung und ihre Gesetzmäßigkeiten. Die Einbettung der kindlichen Entwicklung in die soziale Welt. 4
Hilft uns hier die Psychologie? Ein Beispiel: Das Konzept der Bindung: John Bowlby (1907 1990) und Mary Ainsworth (1913 1999) Beobachtung 1 (John Bowlby): Die Beeinträchtigung von Mutter-Kind- und Eltern-Kind-Beziehung ist ein ausschlaggebender Vorläufer psychischer Störungen bis ins hohe Alter. Beobachtung 2 (John Bowlby & James Robertson): Kinder, die über lange Zeit krank sind und von ihren Eltern in Krankenhäusern kaum besucht werden, weisen nachfolgend gravierende Entwicklungsstörungen auf. 5 5
Grundannahme: Menschen haben ein angeborenes Bedürfnis ( ein angeborenes Verhaltens- System ), das sie befähigt, enge von intensiven Gefühlen geprägte Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen. Dies gilt für: 1. Mütter und ihre Kinder 2. Väter und ihre Kinder 3. Elternpaare 4. In einer weiter gefassten Form auch für andere Beziehungen zwischen Menschen. 6 6
Dies bedeutet: Kindern geht es gut und sie entwickeln sich gut, wenn sie eine (in den Worten Bowlbys) sichere Bindung zu einer Bezugsperson (oder einigen wenigen Bezugspersonen) haben. Nun gibt es einige MYTHEN zum Konzept der Bindung, die leider weit verbreitet sind... und die wir darum hier ausräumen sollten. Diese Mythen haben wichtige Implikationen für unsere Arbeit. 7 7
Mythos 1: Bindung bedeutet Nähe: Sicher gebundene Kinder suchen stets die Nähe zur Bezugsperson. Sondern: Bindung besteht aus zwei Seiten einer Medaille. Die sichere Bindung des Kindes ist die sichere Basis, von der aus Exploration und somit Lernen überhaupt erst möglich ist. Das sicher gebundene Kind ist neugierig und aufgeschlossen, und nur aufgrund einer sicheren Bindung kann es lernen und wachsen. Bindung ist also ein Konzept, das als Prozess mit unterschiedlichen Kräften zu verstehen ist. 8 8
Mythos 2: Bindung beginnt im Mutterleib. Das wäre ganz ungünstig. Mutter Natur hat es besser gemacht. Wir haben es mit einem angeborenen Verhaltenssystem zu tun, das im Dienste der kindlichen Entwicklung steht. Die Entwicklung dieses Verhaltenssystems umfasst verschiedene Phasen. Dabei verfügt das Neugeborene keineswegs (!) über die kognitiven Voraussetzungen, die es zu einer Bindung im eigentlichen Sinne befähigen würden. 9 9
Mythos 2: Bindung beginnt im Mutterleib. Die Bindungstheorie unterscheidet 4 Phasen mit verschiedenen Merkmalen. Die folgenden Zeitangaben sind als Anhaltspunkte zu verstehen: 1. Vorphase bis zum Alter von 6 Wochen 2. Person-unterscheidende Phase Ab etwa 6. Woche bis etwa 7. Monat 3. Phase der eigentlichen Bindung Ab etwa 7. Monat bis etwa 24. Monat 4. Ziel-korrigierte Partnerschaft Ab etwa 2-3 Jahren 10
Mythos 3: Bindung ist ein kindliches Merkmal. Eine solche Auffassung wird den Tatsachen nicht gerecht. Zum einen haben wir schon gesehen, dass Bindung ein entwicklungspsychologischer Prozess ist, der sich über Jahre erstreckt. Bindung ist viel weniger etwas, was in einem Menschen geschieht, sondern vielmehr etwas, was zwischen Menschen geschieht. Durch das, was zwischen Kind und Bezugspersonen geschieht, entwickelt das Menschenkind Schemata oder Konzepte, die seine Erwartungen, Gefühle und Verhaltensweisen lenken. 11
Mythos 4: Bindung ist da oder sie ist nicht da, und wenn sie nicht da ist, dann muss sie halt her. Sondern: Am nützlichsten ist es vielmehr, den Entwicklungsprozess der Bindung einmal probeweise mit der Entwicklung der Sprache beim Kind zu vergleichen. Nicht jedes Kind lernt zum gleichen Zeitpunkt sprechen, und erst recht nicht die gleichen Wörter in der gleichen Reihenfolge. Was früh nicht erworben wurde, kann womöglich etwas später auch nachgeholt werden. Ebenso wie bei der Sprachentwicklung gibt es aber sensible Zeitfenster, und diese gänzlich zu verpassen, hat gravierende negative Konsequenzen. 12
Mythos 5: Es gibt Bindungstypen. Ja, die Bindungsforschung unterscheidet verschiedene Typen oder Grundmuster der Bindung. Aber: Das heißt nicht, dass alle Kinder, die irgend jemand einem Typ zuordnet, alle gleich sind. Vielmehr sollen diese Grundmuster eine grobe Orientierung bieten und bedeutet nicht, dass wir einen Menschen oder ein Kind definitiv in eine und nur eine Schublade tun. 13
Mythos 6: Sichere Bindung ist ein Selbstzweck, also ein Wert an sich. Dies ist tatsächlich eine naheliegende Idee: Die sichere Bindung dient der Sicherheit des Kindes. Dies ist aber allenfalls die Spitze des Eisbergs. Sichere Bindung ermöglicht Exploration und somit die Entdeckung der Umwelt und der eigenen wachsenden Möglichkeiten. Das Kind erwirbt Kenntnisse und Fertigkeiten, es erweitert seine Ressourcen. Die emotionale Entwicklung ist eine der größten Errungenschaften einer sicheren Bindung. Dies betrifft das Sprechen einer emotionalen Sprache. 14
3. Implikationen für unsere Konzepte und Modelle Das Zeitfenster nach der Geburt ist enorm wichtig. Frühe Hilfen sind eine hervorragende Idee. Bindung als wichtigste Determinante gelungener Entwicklung ist ein Verhaltenssystem. Dieses System ist die Familie sowie eine zunehmende Zahl an Bezugspersonen und nicht alleine das Kind. Gelungene Bindungsprozesse sind Voraussetzungen für die kognitive und emotionale Entwicklung des Kindes. 15
3. Implikationen für unsere Konzepte und Modelle Bis zum 3. Lebensjahr kann die Rolle der engen Bezugspersonen nur unterschätzt werden. So wie Bindung und Vertrauen zwischen Eltern und Kind wichtig sind, so gilt dies auch für diejenigen, die mit diesen Familien arbeiten, Hebamme, Kinderärztin, Jugendamt, LehrerInnen, LerntherapeutInnen, SozialpädagogInnen... Die psychologische Situation, in der dies geschieht, sollten alle Beteiligten kennen. Hierzu braucht es Bildung, Schulung, und Weiterbildung. Die möglichen HelferInnen sind zahlreich aber ihre Vernetzung kann besser werden. Es gibt hervorragende Vorbilder in den Kommunen, und wir können alle voneinander lernen. 16
Kontakt: Was ko nnen wir lernen? www.huckepack-kinderförderung Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 17