Die Logik des Sozialen Verschiebebahnhofes

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Transkript:

Die Logik des Sozialen Verschiebebahnhofes I.) Der Lösungsstil des Arztes ist personenzentriert und lösungsorientiert, geht individuell aus vom einzelnen Patienten, auch arbeitslosen Patienten: Wenn ein Individuum in einer Massnahme zur beruflichen Reintegration oder Förderung nicht zurecht kommt und Krankheitssymptome entwickelt, sind für den Arzt 3 Ursachen abzuklären: 1.) Das Problem liegt in der Massnahme selbst. Hierfür spricht, wenn der Arbeitslose mit Beginn der Massnahme in der Praxis erscheint und mit deren Beendigung nicht mehr kommt. Liegt das Problem in der Massnahme, ist ausschliesslich die Behörde für die Lösung zuständig. 2.) Das Problem liegt in der Einstellung des Arbeitslosen. Fehl-Einstellung und Fehl-Förderung ( bis zu Massnahmen ohne reale Förder-Perspektive ) können sich gegenseitig bedingen. Auch in diesem Fall ist ausschliesslich die Behörde für die Lösung des Problemes in der Massnahme zuständig. 3.) Das Problem kann in der Gesundheit liegen. Dann sind 2 Fälle mit verschiedener Zuständigkeit möglich: A.) Der Arbeitslose ist aufgrund einer in der Behörde verkannten Erkrankung/Behinderung nicht imstande a.) gerade diese Massnahme auszuführen, b.) 3 Stunden Tätigkeit generell auszuführen. Dann ist für die Lösung des Problemes in der Massnahme die Behörde mit ihrem medizinischpsychologischen Dienst zuständig. B.) Eine akute Erkrankung kann die Massnahme-Fähigkeit beeinträchtigen. Dann kommen die Kranken

i.d.r. ohne Aufforderung in die Praxis und dieser Fall macht erfahrungsgemäss keine 5 % der Fälle aus. Zusammenfassung: Ausschließlich bei der unter 3.) B.) aufgeführten kleinen Gruppe primär Erkrankter mit sekundärer Maßnahme-Unfähigkeit sehe ich die Notwendigkeit ein Problem der Arbeitsverwaltung in die Kassenversorgung zu verlagern. Logische Schlussfolgerung: Wegen der sehr geringen Zahl dieser Fälle, dürften wir eigentlich keine Probleme in und mit Maßnahmen der Arbeitsverwaltung in der Kassenarzt-Praxis haben. ***************** II.) Die Logik der Arbeitsverwaltung/HARTZ-IV-Behörden ist nicht einzelfall- und lösungsorientiert sondern geprägt durch die Exekutierung politisch geprägter und zentral vorgegebener Bundesvorschriften: Am Anfang steht hier kein Individuum, das individuell in den Arbeitsmarkt integriert werden soll. Am Anfang steht hier eine Vorgabe aus dem Arbeitsministerium, welche über die BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT bis in die HARTZ- IV-Behörden exekutiert wird und statistisch eng begleitet wird. Beispiel: Das 50-plus-Programm soll über 50- jährige Langzeitarbeitslose zumindestens motivieren. Diese Zielgruppe hat eventuell zuvor von der BUNDES- AGENTUR FÜR ARBEIT langjährig keine realen Vermittlungsvorschläge mehr erhalten. Man war aber nicht untätig: Unter Kenntniss des lokalen Arbeitsmarktes ist längst informelle Einigung fixiert auf Rente und Versorgung. Wenn ein Individuum dann in einer Maßnahme nicht zurecht kommt, gelten andere Gesetze als unter I. ) Jetzt gilt:

1.) Ein Problem durch eine Maßnahme ist nicht möglich: Die HARTZ-IV-Behörde tut genau das, was Gesetzgeber und Bundesregierung vorgeben. Da ihre Massnehmen genau hierfür von der BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT QM-zertifiziert erarbeitet und vorgegeben sind, kann weder in Zielen noch Ausführungen ein Fehler liegen. Somit können die Massnahme weder ein Problem sein, noch eines bei Menschen ihrer Zielgruppe verursachen. 2.) Ein Problem kann nicht darin liegen, dass ungeeignete und dann überforderte Teilnehmer für eine Massnahme ausgewählt wurden. Die Argumentations-Figur ist folgende: Die Mitarbeiter/innen der HARTZ-IV-Behörden sind von der BUNDESAGEN TUR FÜR ARBEIT in QM-zertifizierten Schulungsmassnahmen so ausgebildet, dass sie die Massnahme-Teilnehmer unter Berücksichtigung des medizinisch-psychologischen Aspektes korrekt auswählen. Daraus folgt dann auch: A.) Die Vorstellung beim medizinisch-psychologischen Dienst aufgrund von Problemen in Massnahmen ist nicht mehr vorgesehen und erfolgt nicht mehr. Wenn die Massnahme selbst und die Teilnehmerauswahl als Ursache des Problemes ausgeschlossen sind bleibt nur noch: 3.) Ein Problem in einer Massnahme kann nur noch beim Langzeitarbeitslosen selbst liegen. Folglich bleibt nur als Reaktion auf ein Problem bzw. dann Versäumniss: A.) Der Langzeitarbeitslose wird sanktioniert ( gesperrt ), wobei zusätzlich gilt B.) Der Langzeitarbeitslose geniesst ein Informations-Recht bei seiner HARTZ-IV-Behörde: Es wird nur dann nicht sanktioniert, wenn er/sie krank ist, d.h. das Versäumniss krankheitsbedingt ist. D.h. es muß umgehend eine Arbeits-

unfähigkeitsbescheinigung des Kassenarztes nach dem gelben Muster 1A (7.2008 ) vorgelegt werden. Dieses ist nur in der Arztpraxis erhältlich... Zusammenfassung: Probleme mit Massnahmen der HARTZ- IV-Behörden können somit ausschliesslich 2 stren streng getrennte Ursachen in dem Arbeitslosen selbst haben salopp ausgedrückt: Er muss entweder faul oder krank sein Problem-Kaskade infolge dieser für uns Ärzte neuen Logik: 1.) Ignoriert wird bei der Forderung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach dem gelben Muster 1A (7.2008 ): die Krankenkassen als Vertragspartner von uns Kassenärzten, lehnen diesen Vordruck für Alg-II-Bezieher ab: A.) Alg-II-Bezieher sind laut Gesetz ohne Krankengeldanspruch. Was soll der Vorgang somit laut Krankenkassen mangels jeglicher Konsequenz bei ihnen? B.) Auf dem Muster 1A (7.2008 ) steht zur Vorlage bei der Krankenkasse bzw. zur Vorlage beim Arbeitgeber. Arbeitgeber haben Alg-II-Bezieher aber auch nicht... Die schon geäußerte These, die HARTZ-IV- Behörde sei auch ein Arbeitgeber gewährt allenfalls interessanten Einblick in Tiefenschichten des Selbstverständnisses eines Sozialsystemes, das selbst nur von Arbeitslosigkeit Anderer zu leben scheint 2.) Ignoriert wird bei dieser Forderung der HARTZ-IV- Behörden nach dem gelben Muster 1A (7.2008 ): A.) Solche Krankmeldung ist reine Bürokratie für Krankenkassen und Ärzte, während sie die Statistik der Arbeitsverwaltung selbst verbessert: arbeits-

unfähig Geschriebene sind arbeitssuchend und somit aus der brisanten Arbeitslosenstatistik! B.) Der Weg realer beruflicher Reintegration wird hier viel zu schnell verlassen und wir haben nur noch Sozialen Verschiebebahnhof einer Arbeitsverwaltung/HARTZ-IV-Behörde, die sich abgewandt hat von existentieller Not und Ziel Arbeitsloser: den eigenen Lebensunterhalt wieder selbst zu verdienen, Haus, private Altersversorgung etc. noch zu erhalten und Kindern optimale Ausbildung zu bieten- statt sie auch hartzen zu sehen ( Jugendunwort des Jahres 2009 war m.e. hochbedenklich: hartzen ). 3.) Ignoriert wird, daß es keine reine Information gibt. Jede Information hat auch Wegweiser-Funktion : Praktisches Ende und Folge aus dem Sozialen Verschiebebahnhof : Als Folge der Systemlogik vor die Wahl gestellt faul oder krank zu sein und im ersten Falle sanktioniert und gesperrt zu werden, ist bei Finanznot der Weg in die Arztpraxis vorprogrammiert bei all zu oft noch mehr überforderten, in die Enge getriebenen, gedemütigten und schließlich tatsächlich krank gemachte Menschen Und wir niedergelassenen Ärzte haben schliesslich alle Probleme in und mit Massnahmen einer Menschen stigmatisierenden Arbeitsverwaltung/Arbeitspolitik in der Kassenarztpraxis. ************************** Dr. med. K.-J. Klees Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Schloß-Straße 18 66953 Pirmasens Vortrag 11.08.10 im Krankenhaus Pirmasens für Ärztliche Kreisvereinigung Pirmasens und KV Vorstand Dr.med. G. Gerhard