Wahlfach Recht der Wirtschaft Vorlesung Arbeitsrecht V Dr. Berenice Möller Rechtsanwältin / Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. Jens Jensen Rechtsanwalt / Fachanwalt für Arbeitsrecht Sommersemester 2012
I. Rechtsgrundlagen des Arbeitsrechts 1. Vom BGB zum umfassenden Arbeitnehmerschutzrecht innerhalb der EU 2. Rechtsgrundlagen des Arbeitsrechts 3. Abgrenzung von Arbeits- / freier Dienstvertrag 4. Form des Arbeitsvertrages Auswirkungen und Inhalt des Nachweisgesetzes 5. Besondere Vertragstypen Teilzeitvertrag, befristeter Arbeitsvertrag etc. 6. Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Rangfolge der Rechtsgrundlagen EU-Recht Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) Verordnungen verbindlich und unmittelbare Wirkung EU-Richtlinien keine unmittelbare Wirkung Verfassungsrecht Prägung des Arbeitsrechts durch mittelbare Drittwirkung der Grundrechte Gesetzesrecht Stipulation von Mindestarbeitsbedingungen Oftmals tarifdispositiv, wenn Gesetz es vorsieht (z.b. 622 Abs. 4 BGB) Nicht betriebsvereinbarungsdispositiv, es sei denn Betriebsvereinbarung sieht günstigeren Inhalt vor Tarifverträge Unmittelbare und zwingende Wirkung, 4 Abs. 1 S. 1 TVG TV tritt zurück, wenn Einzelarbeitsvertrag günstigere Bedingungen (sog. Günstigkeitsprinzip ), 4 Abs. 3 TVG
Rangfolge der Rechtsgrundlagen Betriebsvereinbarungen Unmittelbare und zwingende Wirkung, 77 Abs. 4 S. 1 BetrVG BV tritt zurück, wenn Einzelarbeitsvertrag günstigere Bedingungen (sog. Günstigkeitsprinzip ) BVs unterliegen im Gegensatz zu TVs inhaltlicher Billigkeitskontrolle (angemessene Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer) Richterrecht Bundesarbeitsgericht Ersatzgesetzgeber des Arbeitsrechts Richterrecht grds. zwingend, d.h. keine Abbedingung zuungunsten der Arbeitnehmer durch Einzelarbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung, aber gegenüber Tarifrecht nachgiebig Einzelarbeitsvertrag Inhalt des Arbeitsverhältnisses wird im Wesentlichen im Rahmen der von Recht und Gesetz sowie Kollektivverträgen gesetzten Grenzen durch den Arbeitsvertrag gestaltet Begründung und inhaltliche Ausgestaltung erfolgt nach Prinzip der Privatautonomie, 105 GewO
Abgrenzung von Arbeits- / freier Dienstvertrag Arbeitsvertrag Freier Dienstvertrag, 611 ff. BGB Persönliche Abhängigkeit: örtliche, zeitliche und fachliche Weisungsabhängigkeit Eingliederung in die Organisation des AG Weisungsfrei nicht eingegliedert Unternehmerrisiko kein Unternehmerrisiko AN-Schutzvorschriften finden Anwendung In der Regel kein AN-Schutz Risiken bei Scheinselbständigkeit Gesamtsozialversicherung 4 Jahre Rückgriff bei AN wegen AN-Beitrag nur im laufenden AV durch Abzug vom laufenden Arbeitsentgelt für 3 Monate, 28d, 28g, 25 I SGB IV Lohnsteuerhaftung, 42d EStG Voller Arbeitnehmerschutz
Form des Arbeitsvertrages Formfrei zulässig, 105 GewO Inhalt frei vereinbar, 105 GewO Nachweispflicht des AG wesentlicher Vertragsbedingungen, 2 NachwG Schriftform, 2 I 1, 3 NachwG bis 1 Monat nach Beginn des AV nicht für Aushilfen von max. 1 Monat, 1 NachwG Nachweis u.a. von Beginn und Dauer des AV, Arbeitsort, Tätigkeitsbeschreibung, Zusammensetzung und Höhe der Vergütung, Arbeitszeit, Urlaubsdauer, Kündigungsfristen etc. Erfüllungsanspruch des AN Evtl. Schadensersatz nach 280 I BGB, Problem: konkret bezifferbarer Schaden Schriftlicher AV grds. Vermutung auf Vollständigkeit und Richtigkeit
Teilzeitarbeitsvertrag Informationspflicht des AG von AN und AN- Vertretung über entspr. Arbeitsplätze, 7 II, III TzBfG Anspruch auf Teilzeitarbeit, 8 TzBfG In Betrieb mit mehr als 15 AN Entscheidung, 8 IV, V TzBfG schriftliche Zustimmung des AG schriftliche Ablehnung mind. 1 Monat vorher, anderenfalls Zustimmungsfiktion, 8 V 2 TzBfG Antrag des AN formfrei zulässig mind. 6 Monate Betriebszugehörigkeit Geltendmachung mind. 3 Monate vor Reduzierung der Arbeitszeit Verhandlungspflicht, 8 III 1 TzBfG Obliegenheit, deren Verletzung weder die Fiktion der Zustimmung noch die Verwirkung des Rechts zur Folge hat, das Angebot des AN abzulehnen (BAG v. 18.02.2003) Bestätigung des Zugangs der Ablehnung vom AN Ablehnung aus betrieblichen Gründen möglich (3-Stufen-Prüfung des BAG) Vollzeitrückkehrmöglichkeit, 9 TzBfG bevorzugte Berücksichtigung, sofern gleiche Eignung und keine entgegen-stehenden betrieblichen Gründe
Befristeter Arbeitsvertrag AV endet mit Fristablauf oder Zweckwegfall Sachgrundbefristung, 14 I TzBfG Informationspflicht des AG, 18, 20 TzBfG nur vorübergehender Bedarf Schriftform vor (!) Beginn der Tätigkeit, 14 IV TzBfG Zulässigkeit ohne Sachgrund, 14 TzBfG bis 2 Jahre bei Neubeschäftigung, 14 II TzBfG - dreimalige Verlängerung möglich - zuvor kein befristetes oder unbefristetes AV bei demselben AG Befristung im Anschluss an Ausbildung oder Studium Beschäftigung zur Vertretung eines anderen AN Eigenart der Arbeitsleistung Erprobung in der Person liegende Gründe haushaltsrechtlich bestimmte Gründe Befristung auf gerichtlichen Vergleich - Abweichung durch Tarifvertrag bis 4 Jahre bei Existenzgründern, 14 IIa TzBfG bei Mehrfachbefristung nur letzter AV maßgeblich; Anforderung an Grund steigt, je länger die Befristung Altersbefristung ab 52-jährigem AN, 14 III TzBfG
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz Ziel des Gesetzes Umsetzung der Vorgaben der EU Schutz der Beschäftigten - persönlicher Anwendungsbereich - Benachteiligungsverbot / zulässige unterschiedliche Behandlung Pflichten des Arbeitgebers - Maßregelungsverbot Rechte der Beschäftigten - Beschwerde- / Leistungsverweigerungsrecht - Entschädigung und Schadensersatz Schutz vor Benachteiligung im Zivilverkehr Rechtsschutz - Beweislast - Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Die Stellenausschreibung Diskriminierungsfreie Stellenausschreibung, 11 AGG Verbot jeder benachteiligenden Stellenausschreibung (intern / extern) Neutrale, nur tätigkeitsbezogene Anforderungen - Vermeidung z.b. geschlechtsbezogener Ausschreibung - Vermeidung auch mittelbarer Diskriminierung wie Berufsanfänger, Rentner zum Nebenerwerb, junge dynamische Führungskraft, erfahrener alter Hase Zulässigkeit von Mindestanforderungen an das (Höchst-)Alter und die Berufserfahrung Bewerbungsunterlagen Keine Anforderung von Lichtbildern oder persönlichen Daten, die Rückschlüsse auf Alter, Herkunft etc. zulassen Haftungsrisiko mindern durch Selektive Ausschreibung / Nutzung adressatengerechter Medien Einschaltung eines Headhunters ohne Stellenausschreibung Zeitliche Befristung der Stellenausschreibung Überwachungspflicht des Arbeitgebers bei der Stellenausschreibung Zurechnung jeder Pflichtverletzung eines Personalvermittlers, auch der Bundesagentur für Arbeit (BAG v. 5.,02.2004 8 AZR 112/03)
Das Einstellungsgespräch Fragerechte und Auswahlentscheidung Fragerechte Bisher bestehende Schranken des Fragerechts Zusätzliche wichtige Einschränkungen durch AGG - Behinderung, wenn diese nicht wesentliche und entscheidende Voraussetzung für die Tätigkeit ist - Lebensalter, Ausnahme: 10 Nr. 1-3 AGG Festlegung von diskriminierungsfesten Auswahlkriterien für Einstellung / beruflichen Aufstieg - Auch soft skills wie Teamfähigkeit, Belastbarkeit sind zulässige Anknüpfungspunkte - Vorsicht: Messbarkeit? Führung des Einstellungsgesprächs durch (mindestens) 2 Unternehmensvertreter Dokumentation des Einstellungsgesprächs und seines Ergebnisses Auswahlentscheidung Auswahlentscheidung anhand der zuvor festgelegten Kriterien und ihre Dokumentation Vorstehend genannte Hinweise gelten auch für den beruflichen Aufstieg
Rechte des Benachteiligten Beschwerde bei vom Arbeitgeber eingerichteter Beschwerdestelle, 13 AGG Prüfung der Bescheidung Rechte des Betriebsrats nach BetrVG Leistungsverweigerungsrecht, 14 AGG Bei keinen oder offensichtlich ungeeigneten Schutzmaßnahmen des Arbeitgebers kein Verlust des Arbeitsentgelts Maßregelungsverbot, 16 AGG Inanspruchnahme von Rechten nach dem AGG bei der Weigerung, benachteiligende Weisungen auszuführen Sonstige von Zeuginnen und Zeugen Sonstige Ansprüche Unterlassungsansprüche, 1004 BGB Schadensersatzansprüche, 823, 826 BGB
Schadensersatz und Entschädigung Angemessene Entschädigung bei Einstellung, 15 AGG Obergrenze von 3 Monatsgehältern, wenn auch keine Einstellung bei benachteiligungsfreier Auswahl, 15 Abs. 2 S. 2 AGG Keine Höchstgrenze für Bestqualifizierte - Ermessen des Arbeitsgerichts: Entschädigung soll abschreckende Wirkung auf Arbeitgeber haben und in angemessenem Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen Schadensersatz bei Einstellung Entgelt bis zum nächst zulässigen Kündigungstermin ggf. abzüglich anderweitigen Verdienstes Abfindung Schadensersatz bei Beförderung Unterschiedsbetrag zwischen dem tatsächlichen und dem hypothetischen Verdienst Zeitraum: e.a. zeitlich begrenzte, a.a. Endlosschaden (so auch LAG Berlin-Brandenburg v. 26.11.2008 15 Sa 517/08) Schadensersatz bei Entlassung? Vorrang des Kündigungsschutzgesetzes vor dem AGG Schriftliche Geltendmachung innerhalb von 2 Monaten, es sei denn TV längere Ausschlussfrist, 15 IV S. 1 AGG Schadensersatzansprüche nach 823 ff. BGB
Beweislast Glaubhaftmachung der Benachteiligung Beweislastverteilung, 22 AGG Grundsatz: Nachweis der anspruchsbegründenden Tatsachen durch den Anspruchsteller Beweislastumkehr nur dann, wenn der Anspruchsteller Tatsachen glaubhaft macht, die eine Benachteiligung wegen eines in 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen - Nachweis der ungünstigeren Behandlung im Vergleich zu einer anderen Person - Glaubhaftmachung von Indizien ( beweist ), die eine Benachteiligung wegen eines in 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen - Quotenbeweis (= Statistikbeweis), d.h. Unterrepräsentation einer Gruppe ausreichend? (LAG Köln v. 13.6.2006 9 Sa 1508/05; LAG München v. 7.8.2008 3 Sa 1112/07; LAG Berlin- Brandenburg, Urt. v. 12.2.2009 2 Sa 2070/08; a.a. LAG Baden-Württemberg v. 18.6.2007 4 Sa 14/07, LAG Berlin-Brandenburg 26.11.2008 15 Sa 517/08, das statistische Nachweise für berücksichtigungsfähig hält, da anderenfalls eine verdeckte Diskriminierung bei Beförderungen ( gläserne Decke ) nicht ermittelbar wäre - Gericht muss die Kausalität zwischen unterschiedlicher Behandlung und Nachteil für überwiegend wahrscheinlich halten - Andere Partei trägt die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen haben.