Kompetenzerwerb im Sportstudium Vermittlung von Sachund

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Transkript:

MICHAEL BRÄUTIGAM, DIRK BLOTZHEIM & JÜRGEN SWOBODA Kompetenzerwerb im Sportstudium Vermittlung von Sachund Selbstkompetenz Die Beschäftigung mit Fragen der Lehrerausbildung hat derzeit Konjunktur (vgl. Terhart, 2000). Gemessen daran, dass mittlerweile eine wahre Flut von Veröffentlichungen zur Lehrerbildung vorliegt, ist der Anteil einschlägiger empirischer Arbeiten noch vergleichsweise gering. Das hier vorgestellte Projekt versteht sich als praxisentwickelnde Forschung. Es geht darum, die eigene Lehre an begründeten Leitbildern zu orientieren, hochschuldidaktisch fundiert anzulegen und die konkrete Praxis des Ausbildungsgeschehens zum Gegenstand empirischer Forschung zu machen. 1 Zum Kompetenzmodell: Überblick und Grundverständnis von Selbstkompetenz Das hier skizzierte Kompetenzmodell gründet sich im Kern auf eine Systematik, wie sie in den Erziehungswissenschaften üblich ist (vgl. Nieke, 2002). Danach werden drei Kompetenzbereiche unterschieden: die Sach-, die Sozial- und die Selbstkompetenz. In das vorgestellte Kompetenzmodell sind Ergänzungen eingearbeitet, die auf zwei Konzepte aus der Sportwissenschaft zurückzuführen sind. Diese sind das DSB-Gutachten zur Sportlehrerausbildung (1977) und die von Scherler (1996) vorgetragenen Überlegungen zu den Bezüglichkeiten im Sportlehrerhandeln. Scherler weist darauf hin, dass das Unterrichten nachhaltig durch die schulischen Bedingungen geprägt ist. Deshalb liegt es auf der Hand, dass der Sportlehrer für die professionelle Bewältigung seiner Unterrichtsaufgaben zusätzlich Schulkompetenz benötigt. Das DSB-Gutachten macht darauf aufmerksam, dass unterschiedliche Kompetenzbereiche auf charakteristische Weise miteinander verbunden sind. Dieses strukturelle Gefüge der verschiedenen Kompetenzen ist in die Konzeption eingepasst. Das Kompetenzmodell hat damit folgenden Zuschnitt (vgl. Abb. 1): Im Mittelpunkt steht die Fachkompetenz. Sie ist die Befähigung dazu, das Fach Sport in Unterricht und Schule professionell vertreten zu können. Die Fachkompetenz setzt verschiedene Teilkompetenzen voraus. Diese sind die Sozial-, die Sach-, die Schul- und die Selbstkompetenz. Insgesamt ergibt sich die Fachkompetenz des Sportlehrers nicht aus der Addition verschiedener Teilkompetenzen, sondern aus ihrem integrativen Zusammenspiel. Die Fachkompetenz baut sich also einerseits über Teilkompetenzen auf, ist aber zugleich auch eine eigenständige, von anderen abgrenzbare Kompetenz. 1

Abb. 1. Kompetenzmodell Das Konstrukt Selbstkompetenz bildet den Schlüssel für das Verständnis des Vorhabens. Es liegt eine Auffassung zugrunde, wonach sich die Selbstkompetenz durch eigene, für sie kennzeichnende Wissensbestände auszeichnet und zudem typische Reflexionsformen aufweist, weil diese an je eigene Wissensbestände geknüpft sind. Das Grundverständnis lautet: Die Selbstkompetenz ist die Fähigkeit, mittels ausgewiesenen Wissens die eigene Realität zum Gegenstand kognitiver Aktivitäten zu machen. Diese Kompetenz nun näher zu bestimmen und auszuweisen, kann gelingen, wenn Anknüpfungspunkte in den vorliegenden Ansätzen zur Professionalitäts- und zur Biographieforschung aufgesucht und in das Kompetenzkonzept eingebunden werden. Professionstheorien stellen Ansprüche und Merkmale pädagogischer Professionalität heraus (vgl. Bauer, 1998). Sie gehen der Frage nach, welche Befähigung Lehrer benötigen, wenn sie den Anforderungen ihres Berufs gerecht werden wollen. Vor allem der strukturtheoretische Ansatz (vgl. Oevermann, 2002) konzentriert sich auf die Entzifferung der Strukturlogik des beruflichen Lehrerhandelns und macht deutlich, mit welchen Antinomien, Widersprüchen und Spannungen das Berufsfeld des Lehrers durchsetzt ist (vgl. Helsper, 2002). In der Konsequenz wird u.a. gefolgert, dass für das professionell angelegte Lehrerhandeln eine Legitimations- und Begründungsbasis in Form von wissenschaftlichem Wissen benötigt wird. Für diesen Typ von Wissen gilt: Rezepturen und direkte praktische Handlungsanleitungen lassen sich daraus nicht entnehmen. Was der Lehrer tut und tun muss, geschieht unter Berufung auf diesen theoretisch geordneten Wissens- und Begründungsbestand. Erst wenn er über dieses Wissen verfügt, kann er sich darauf berufen. Dies erfordert die Fähigkeit, berufswissenschaftliches Wissen zu aktivieren und in reflexiven Prozessen zur Begründung des berufspraktischen Handelns verwenden zu können. Diese Fähigkeit ist gemeint, wenn im Rahmen der Selbstkompetenz eine besondere Dimension, nämlich die der metakognitiven Kompetenz, ausgewiesen wird. 2 BRÄUTIGAM, BLOTZHEIM & SWOBODA: Kompetenzerwerb im Sportstudium

Neben den Professionstheorien lassen sich Hinweise für eine Ausdifferenzierung der Selbstkompetenz aus den Befunden der Biographieforschung gewinnen. Die Biographieforschung hat mittlerweile Versuche unternommen, die Verknüpfung von Biographie und Professionalität herauszuarbeiten (vgl. Kraul, Marotzki & Schweppe, 2002). Dabei wird deutlich, dass sich in das berufliche Handeln des Lehrers lebensgeschichtlich erworbenes Wissen maßgeblich einspielt. Dies führt zu der Forderung, dass sich ein Lehrer eben dieses Wissens bewusst werden muss, wie er ebenso über die Wirkungsweisen und Mechanismen aufgeklärt sein muss, nach denen biographische Erfahrungen sein berufliches Handeln prägen. Wenn der Lehrer lernt, sein biographisches Wissen als eine Ressource zu verstehen, erschließt sich für ihn ein erhebliches Potenzial für die Bewältigung seiner beruflichen Aufgaben. Professionell gelingt das, wenn er dazu in der Lage ist, diese Ressource nicht unkritisch, sondern reflektiert in sein berufliches Handeln einzubringen, außerdem erkennt, dass diese Ressource entwickelbar und modifizierbar ist, und schließlich imstande ist, diese Entwicklungsmöglichkeiten aktiv zu nutzen. Diese Fähigkeit, die eigenen Ressourcen auf die professionelle Bewältigung beruflicher Anforderungen hin auszulegen und im Beruf weiterzuentwickeln, ist im Kompetenzmodell als biographische Kompetenz aufgenommen. 2 Untersuchungsfrage und Vorgehen: Das Seminar Trainieren im Sportunterricht Die spezifische Fragestellung ist eingegrenzt auf diejenigen Elemente des Modells, die als Sachkompetenz und als Selbstkompetenz verstanden werden. Die zentrale Fragestellung lautet: Wie kann es gelingen, Sach- und Selbstkompetenz auszubilden, und dies so zu tun, dass die Schnittstellen und Übergänge zwischen den beiden Kompetenzbereichen für die Vermittlung konstruktiv genutzt werden? Dieser Frage ist im Rahmen einer konkreten Seminarveranstaltung zum Thema Trainieren im Sportunterricht nachgegangen worden. Der experimentelle Charakter dieser Veranstaltung bestand unter anderem darin, dass ausgewählte Instrumente und Arbeitsformen in die Seminarinszenierung eingebaut wurden, von denen erste Antworten auf die genannte Fragestellung erwartet werden konnten. 3 Methoden zum Erwerb von Sach- und Selbstkompetenz Die entwickelten und erprobten Methoden sind bei aller Unterschiedlichkeit durch drei gemeinsame Kennzeichen bestimmt: Es handelt sich um Einzelarbeit, es besteht die Verpflichtung, Arbeitsergebnisse zu verschriften, und es geht immer um die Re-Analyse und die Reflexion der eigenen Arbeitsergebnisse. (1) Die berufsbiographische Erzählung dient vornehmlich zur Vermittlung und zum Erwerb von biographischer Kompetenz. Hierzu sind mit Studierenden narrative Interviews (vgl. Schütze, 1987) durchgeführt worden. Die Interviewtranskripte sind 3

den jeweiligen Studierenden für eine anschließende angeleitete Eigenauswertung erneut zur Verfügung gestellt worden. Die Auswertungsergebnisse waren schriftlich zu dokumentieren. Auf diese Weise sollen die Studierenden nicht nur Kenntnisse über eine wissenschaftliche Methode gewinnen, die es ihnen ermöglicht, die eigene Biographie zu rekonstruieren, sondern sie sollen auch aus Geschichten lernen (Baacke & Schulze, 1979), und zwar aus ihrer eigenen. Die Selbstauswertung erschließt ihnen die Chance, sich aus der Perspektivität der eigenen Sichtweise zu lösen, und sich somit einer selbstkritischen Reflexion zu unterziehen (vgl. Klingen, 2002). Es handelt sich bei der Methode um eine Form der Fallarbeit (vgl. Schierz & Thiele, 2002), bei der man sich quasi selbst zum Fall macht. (2) Die evaluative Selbstdokumentation zielt vor allem auf die Vermittlung und den Erwerb von metakognitiver Kompetenz ab. Studierende bearbeiten vorgegebene Aufgaben- und Problemstellungen, dokumentieren ihre Arbeitsergebnisse und setzen sich anschließend mit ihren Arbeitsdokumentationen erneut auseinander. Die Bearbeitung eigener Arbeitsergebnisse bietet folgende Chance: Auf der Basis selbstgewonnenen Wissens über sich selbst geht es um die Betrachtung der eigenen Wissensbestände aus der Distanz (Selbstdistanz), die perspektivenreiche Auseinandersetzung mit den eigenen Kenntnissen (Selbstreflexion) und um eine bewertende Stellungnahme (Selbstkritik). (3) Der Lern- und Studienreport zielt auf die Nahtstelle zwischen Sach- und Selbstkompetenz. Er dokumentiert als eine Art Tagebuch die konkreten Arbeits- und Aneignungsprozesse der Studierenden während des Seminars aus ihrer Sicht. Der Lern- und Studienreport enthält Ausführungen über die eigenen biographischen Voraussetzungen, über die subjektiven Prozesse der Erschließung und Bearbeitung der Seminarthemen, den individuellen Lernfortschritt und zum persönlichen Ertrag, den das Seminar gebracht hat. 4 Erste Ergebnisse in drei Thesen These 1: Das Grunddilemma des Sportstudiums oder: von der Nachhaltigkeit biographischer Erfahrungen. Die Daten zeigen: Biographischen Vorerfahrungen ist eine ausgeprägte Wirkungsmächtigkeit zuzuschreiben. Sie fungieren als ein zentraler Filter für die Rezeption und Verarbeitung von Lehrangeboten und beeinflussen in maßgeblicher Weise die Ausbildung beruflicher Kompetenzen. Dieser Befund obwohl in den Daten vielfältig erkennbar soll zumindest an einem Fall belegt werden. Aus einem narrativen Interview mit Johannes können drei ihn prägende Lebensereignisse rekonstruiert werden: Zum Ersten die von seinem Vater gegen seinen Willen initiierte Auswanderung aus der seinerzeit kommunistischen Heimat, zum 4 BRÄUTIGAM, BLOTZHEIM & SWOBODA: Kompetenzerwerb im Sportstudium

Zweiten das aus verschiedenen Gründen ambivalente Vater-Sohn-Verhältnis und zum Dritten die damalige Zugehörigkeit von Johannes zu einer Elite-Sportschule. Die in diesen Kontexten gemachten Erfahrungen bestimmen maßgeblich seine biographische Selbstkonstruktion. Dies ist zunächst noch wenig überraschend. Bedeutsam ist jedoch vor allem die Erkenntnis, dass sich diese biographische Selbstkonstruktion entscheidend in Johannes berufliches Leitbild einspielt: So wie er sich in seiner biographischen Selbstkonstruktion als Helden ausweist, der die schwierigsten Anforderungen des Lebens zu meistern imstande ist, so konstruiert er sich analog dazu als lebendes Modell für Schüler. In seinem Selbstentwurf ist er schon jetzt ein Elite-Lehrer, fachlich auf hohem Niveau und prädestiniert dazu, den Schülern ein optimales Vorbild zu liefern. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die biographische Selbstkonstruktion von Johannes durch das Sportstudium nicht maßgeblich transformiert wird. Es ist vielmehr umgekehrt: Die im Studium gemachten Erfahrungen reproduzieren seine biographische Selbstkonstruktion und verfestigen sie. Angebote des Studiums werden vor diesem Hintergrund zwar rezipiert, erhalten ihren Ort aber tendenziell im Vorhinein zugeteilt und zwar im vorgegebenen Rahmen der bereits ausgebildeten biographischen Selbstkonstruktion. These 2: Die erfolglosen Bemühungen um die Ausbildung metakognitiver Kompetenz oder: von der Tendenz zur additiven Zusammenstellung verfügbarer Wissensbestände. Das Verfahren der evaluativen Selbstdokumentation zielt auf die metakognitive Kompetenz. Die Grundidee besteht darin, von einem Wissen über das Wissen und von einem Wissen über die Regulation kognitiver Prozesse auszugehen und dieses Wissen zweiter Ordnung Metakognition zu nennen. Diese Grundidee ist in eine Arbeitsaufgabe eingebracht worden. Was haben nun die Studierenden aus dieser Aufgabe gemacht? Die überwiegende Mehrzahl der Studierenden aktiviert verfügbares Wissen eher nach dem Steinbruchprinzip und stellt dieses auf einer Ordnungsebene gleichsam als Horizontal-Wissen zusammen. Es besteht die Tendenz zu einer additiven Zusammenstellung verfügbarer Wissensbestände. Zusammenhänge werden nicht hergestellt, Begründungen bleiben aus, übergeordnete und untergeordnete Ebenen werden nicht unterschieden. Bei der Suche nach möglichen Erklärungen können die eigenen Befunde erste Hinweise geben, wenn man die in der Wissensverwendungsforschung entfaltete Erkenntnis vom Differenzverhältnis zwischen wissenschaftlichem Theoriewissen und praktischem Handlungswissen zugrunde legt (vgl. Dewe, Ferchhoff & Radtke, 1992). Die Daten zeigen folgendes Muster: Zur Bearbeitung der Arbeitsaufgaben greifen die Studierenden auf ihr praktisches Handlungswissen zurück. Die instrumentelle, rezeptologische Wissensverwendung spricht offensichtlich dafür, dass sich bei der gedanklichen Beschäftigung mit Unterricht ein entscheidender Maßstab 5

einspielt, nämlich der: Wenn die Praxis des anstehenden Unterrichts in den Grundzügen skizziert ist, ist der geforderte Anspruch erfüllt und die Aufgabenstellung befriedigend gelöst. Es stellt sich dann allerdings die Frage, ob Studierende überhaupt von der Erfordernis überzeugt sind, dass für die Begründung von Unterrichtsentwürfen wissenschaftliches Theoriewissen heranzuziehen ist. These 3: Die Weiterentwicklung von Sach- und Selbstkompetenz oder: von der Notwendigkeit zum Reflexionszwang. Mit dieser These wird die Ebene der Darstellung von Ergebnissen verlassen und eine Konsequenz formuliert: Studierende seien zur Reflexion verbindlich aufzufordern. Das Wort Reflexionszwang ist dem Lern- und Studienreport eines Studenten entnommen, der damit die aus seiner Sicht positiven Auswirkungen des Reports für seinen Lernzuwachs begründet. Dieses Dokument ist der Ausgangspunkt dafür, die These zu erläutern und zu begründen. In dem Report ist folgendes Grundproblem augenfällig: Werden in der Veranstaltung Vorkenntnisse und Vorerfahrungen des Studenten angesprochen, führt diese Erkenntnis des Studenten zu zwei ganz unterschiedlichen Alternativen: in einigen Fällen zu einer engagierten, auch kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung mit den folgenden Lehrangeboten; in anderen Fällen ist genau dieser Umstand, dass Vorkenntnisse identifiziert werden, der Anlass, weitere Bemühungen um die Erschließung und Reflexion dargebotener Informationen einzustellen. Wendet man diesen Befund konstruktiv, erweist sich das einfache Plädoyer für eine Teilnehmerorientierung im Studium, verbunden mit dem Hinweis, man solle Studierende mit ihren Vorkenntnissen dort abholen, wo sie sich befinden, als bei weitem zu vordergründig. Es reicht nicht, die Vorkenntnisse der Studierenden zu treffen und einzubeziehen. Vielmehr: Wenn Lernen eintreten soll, müssen sich die Studierenden zunächst selbst ein differenziertes und umfassendes Bild von ihren eigenen Voraussetzungen machen, sich also intensiv mit ihrem fachlichen und biographischen Wissen, ihren eigenen Lern- und Arbeitsgewohnheiten und ihren Grundorientierungen und Ansprüchen auseinandersetzen. Genau dies ist gemeint, wenn von der Notwendigkeit zur Verpflichtung auf die Re-Analyse eigener Arbeitsergebnisse, oder noch deutlicher: vom Reflexionszwang, gesprochen wird. 5 Zusammenfassender Ausblick Die vorgetragenen Befunde sind vorläufig und sowohl theoretisch als auch empirisch nicht abgesichert. Sie sagen noch gar nichts über die Gründe und Hintergründe aus. Um diese Frage nach den Ursachen einer Beantwortung näher zu bringen, wird eine Folgeveranstaltung mit dem gleichen Thema Trainieren im Sportunterricht durchgeführt, und es ist zu erwarten, anschließend etwas mehr darüber zu wissen, wie es zu den hier vorgestellten Ergebnissen kommt. Vermutungen gehen 6 BRÄUTIGAM, BLOTZHEIM & SWOBODA: Kompetenzerwerb im Sportstudium

in folgende Richtungen: (1) Es fehlen in der Ausbildung Veranstaltungen, in denen die Strukturlogik des Lehrerhandelns thematisiert und aufgearbeitet wird. (2) Durch die in Lehrveranstaltungen übliche Bevorzugung einer darstellenden Präsentation von Wissensangeboten kommt es zu einer folgenreichen Vernachlässigung derjenigen Arbeitsformen, bei denen der Umgang und die Verwendung von Theoriewissen thematisiert, eingeübt und korrigiert werden. (3) Durch eine übertriebene Konzentration der Ausbildungsbemühungen auf die Einlösung des Anspruchs nach Praxisrelevanz werden die ausgeprägten Erwartungen der Studierenden nach Rezeptwissen und Handlungsanleitungen eher verstärkt und die notwendige Auseinandersetzung mit der Praxis im Primat des Theoretischen (Helsper, 2000, S. 170) verhindert. In der Folge wird die theoretische Reflexion schulischer Praxis als unwichtig und überflüssig abgetan und mit dem Argument zurückgewiesen: das bringt nichts. Und (4): Durch eine Ausbildung, über deren Wirkungen so gut wie nichts bekannt ist, wird dafür gesorgt, dass nicht selten das Gegenteil von dem herauskommt, was eigentlich angestrebt ist. Literatur Baacke, D. & Schulze, T. (Hrsg.). (1979). Aus Geschichten lernen. Zur Einübung pädagogischen Verstehens. München: Juventa. Deutscher Sportbund (Hrsg.). (1977). Sportlehrerausbildung. Analyse und Reform. Frankfurt: Haßmüller. Dewe, B. & Ferchhoff, W. & Radtke, F.-O. (1992). Das Professionswissen von Pädagogen. In B. Dewe, W. Ferchhoff & F.-O. Radtke (Hrsg.), Erziehen als Profession. Zur Logik professionellen Handelns in pädagogischen Feldern (S. 70-91). Opladen: Leske & Budrich. Helsper, W. (2000). Antinomien des Lehrerhandelns und die Bedeutung der Fallrekonstruktion Überlegungen zu einer Professionalisierung im Rahmen universitärer Lehrerausbildung. In E. Cloer, D. Klika & H. Kunert (Hrsg.), Welche Lehrer braucht das Land? Notwendige und mögliche Reformen der Lehrerbildung (S. 142-177). Weinheim: Juventa. Helsper, W. (2002). Lehrerprofessionalität als antinomische Handlungsstruktur. In M. Kraul, W. Marotzki & C. Schweppe (Hrsg.), Biographie und Profession (S. 64-102). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Klingen, P. (2002). Die biographische Selbstreflexion als hilfreiches Lernprinzip innerhalb der 2. Phase der Lehrerausbildung im Fach Sport. In F. Brauweiler & P. Klingen (Hrsg.), Berufsschulsport (S. 103-116). Bielefeld: Bertelsmann. Kraul, M., Marotzki, W. & Schweppe, C. (Hrsg.). (2002). Biographie und Profession. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Nieke, W. (2002). Kompetenz. In H.-U. Otto, T. Rauschenbach & P. Vogel (Hrsg.), Erziehungswissenschaft: Professionalität und Kompetenz (S. 13-27). Opladen: Leske & Budrich. Oevermann, U. (2002). Professionalisierungsbedürftigkeit und Professionalisiertheit pädagogischen Handelns. In M. Kraul, W. Marotzki & C. Schweppe (Hrsg.), Biographie und Profession (S. 19-63). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Scherler, K. (1996). Sportlehrer/-innen heute: Selbstbezüge des Unterrichtens. Körpererziehung, 46 (5), 165-172. Schierz, M. & Thiele, J. (2002). Hermeneutische Kompetenz durch Fallarbeit. Überlegungen zum Stellenwert kasuistischer Forschung und Lehre an Beispielen antinomischen Handelns in sportpädagogischen Berufsfeldern. Zeitschrift für Pädagogik, 48 (1), 30-47. Schütze, F. (1987). Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien. Erzähltheoretische Grundlagen. Teil 1. Merkmale von Alltagserzählungen und was wir mit ihrer Hilfe erkennen können. Hagen: Studienbrief der Fernuniversität Hagen. Terhart, E. (Hrsg.). (2000). Perspektiven der Lehrerbildung in Deutschland. Weinheim: Beltz. 7