3.3. Übertragung und Gegenübertragung als interaktionelle Inszenierung

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Nehmen wir zur Illustration dieses Satzes ein humorvolles Beispiel aus Devereux' reichem Fallmaterial. Da haben wir unter Fall427 den folgenden Witz: Eine Hausfrau aus Nebraska sagt zu ihrem Mann: owenn einer von uns stirbt, ziehe ich nach Los Angeles." Der Mann könnte nun gegenüber seiner Frau ausschließlich auf den manifesten Inhalt ihrer Außerung reagieren und auf die darin enthaltene Unlogik hinweisen, nämlich, dass es ja auch sle sein könnte, die als erste stirbt. Ließe er diese Außerung jedoch tiefer in sich einfließen, so dass sie sein Unbewusstes erreicht und dort Widerhall findet, so würde er Arger empfinden, aber vielleicht zunächst nicht genau wissen, warum er diesen Arger verspürt. Eine genauere Analyse dieser Empfindung könnte ihn dann die implizite (unbewusste) Botschaft der Außerung seiner Frau verstehen lassen, die da heißt: >Ich wünschte, Du wärest tot, so dass ich nach Los Angeles ziehen könnte" (ebd., S. 339). 3.3. Übertragung und Gegenübertragung als interaktionelle Inszenierung Das dargestellte Konzept eines diagnostisch instrumentellen Gebrauchs der Gegenübertragung steht noch deutlich in der Freudschen Tradition, den Analytiker als einen neutralen Beobachter anzusehen. Übertragung wird bei diesem Verständnis weiterhin als ein Einbahnstraßenphänomen betrachtet, das vom Patienten ausgeht und von ihm allein verursacht wird. Die Gegenübertragung ist vom Analysanden induziert und wird in der Deutung ausschließlich auf dessen intrapsychische Problematik zurückgeführt. Indem jedoch die Psychoanalytiker in den folgenden Jahrzehnten zunehmend bereiter wurden, sich von den unbewussten Kommunikationsvorgängen in der analytischen Situation >stören< und >irritieren< zu lassen, entdeckten sie, dass sich die Übertragungsvorgänge nicht nur als einfühlbare Prozesse darstellten, sondern sich im Hier-undletzt zwischen Analysand und Analytiker mitunter so ge- 119

stalteten, dass sie den Analytiker zu einer aktiven Rollenübernahme herausf orderten. Bei Sandler, Dare und Holder (1,973) wird bereits auf diese Beobachtung hingewiesen: >Wir kamen zu dem Schluss, dass man die Übertragung nicht auf die illusionäre Apperzeption einer anderen Person (...) zu beschränken braucht, sondern dass dazu (zu den Übertragungsphänomenen) auch die unbewussten (oft subtilen) Versuche gehören, Situationen mit anderen herbeizuführen oder zu manipulieren, die eine verhüllte Wiederholung früherer Erlebnisse und Beziehungen sind. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei solchen Übertragungs-Manipulationen und -Provokationen im Alltagsleben die Person, auf die sie sich richten, entweder zu verstehen gibt, dass sie diese Rolle nicht akzeptiert oder, bei eigener unbewusster Neigung in derselben Richtung, sie tatsächlich annimmt und sich dementsprechend verhält< (Sandler, Dare, Holder 7973, S. 43). Der Analytiker ist also nicht nur ein passives, ausschließlich reagierendes Instrument, sondern man entdeckt, dass sich zwischen Analytiker und Analysand mitunter eine Szene entfaltet, die zwar mit der Ubertragungsdynamik des Analysanden in ursächlichem Zusammenhang steht, die aber erst durch die Mitspielbereitschaft des Analytikers aktuelle Realität gewinnt. Damit sich solch eine Übertragungs- Gegenübertragungsszene herstellen kann, ist es notwendig, dass der Analytiker die vom Analysanden an ihn herangetragene runbewusste Rollenzuweisung,, (Sandler) annimmt. Es entsteht dadurch ein,handlungsdialog", bei dem der Analytiker ein stückweit "mitagiert< (Klüwer). Mitagieren, das bis dahin als ein unverzeihlicher Kunstfehler des Analytikers galt, wird nun in einem anderen Licht gesehen und erscheint unter dieser neuen Perspektive als partiell durchaus erwünscht. Die Übertragung wandelt sich dabei von einer intrapsychischen Macht zu einer interaktionellen Macht, und die 120

Wiederholung nimmt die Gestalt einer Wiederinszenierung an. Was sich aktuell inszeniert ist im Grunde die Externalisierung eines inneren Konfliktes, aufgeteilt auf zwei Personen. Und solange beide Personen diese transpersonale Schöpfung durch ihr Agieren und Mitagieren aufrechterhalten, bleibt die Einheit des inneren Konflikts erhalten, allerdings, wie Körner betont, als eine Einheit im Widerspruch. Körner: "Sie bilden eine Einheit, weil sie einander >antworten.r, aufeinander hinweisen, vor allem aber, weil sie getrennt darstellen, was eigentlich zusammengehört. Ubertragung und Gegenübertragung sind "Spaltungsprodukte" eines einzigen intrapsychischen, ehemals interpersonalen Konflikts... In der Ubertragungsbeziehung trennt der Patient also zwei Seiten eines inneren Konfliktes und hält sie doch zusammen< (Körner 1,990,5.98f.). Wenn nun der Analytiker als Teilnehmer an der gemeinsamen Inszenierung mitwirkt, wie findet er aus dieser Verwicklung wieder heraus? Während des Agierens und Mitagierens befinden sich Analytiker und Analysand in einer Beziehung, die einer frühkindlichen Mutter-Kind-Dyade vergleichbar ist, die gelebt, aber nicht reflektiert werden kann. Diese dyadische Beziehung ist wichtig, damit sich ein inneres problematisches Beziehungsschema in der Beziehung zu einer anderen Person äußerlich darstellen kann.,rdyaden sind aber nicht entwicklungsfähig. In ihnen kann sich nur wiederholen, was immer schon geschehen ist< (Körner'1.990, S. 100). Einen Ausweg aus dem dyadischen Agieren in der Mutter- Kind-Matrix bietet die präödipale Triangulierung (Abelin 1971), bei der das Kind die nicht verwickelte dritte Person, den Vater, entdeckt und aus dessen Blickwinkel heraus sich als getrennt und eigenständig gegenüber der Mutter erlebt. Dieser Wechsel von dyadischer zu triadischer Beziehungsform markiert einen wichtigen Entwicklungsschritt, indem durch ihn dem Kind ermöglicht wird, die primäre, duale Beziehung zu verlassen. Einen ähnlichen Wechsel muss der Analytiker vollziehen, um den Wiederholungskreislauf in der Ubertragungs- 121

Gegenübertragungsdyade mit dem Patienten zu überwinden. Er muss sich einen Beobachtungsstandpunkt außerhalb der Dyade suchen, gleichsam einen >exterritorialen Haltepunkt" (Thomä 1981, S. 65), von dem aus er die entstandene Interaktion in den Blick nimmt und deutet. Indem er vom mitagierenden Teilnehmer zum Beobachter wechselt, übernimmt er die Rolle des triangulierenden Vaters, der dazu verhilft, die Übertragungsbeziehung zu verlassen. Von diesem oexzentrischen Standpunkt,. aus ist ein freier Blick auf die entstandene Szene möglich, und indem der Analysand dem Analytiker in dieser Perspektivenveränderung folgt, hat auch er den für die Weiterentwicklung notwendigen Wechsel in den triadischen Raum vollzogen. Von dieser neu gewonnenen Position aus kann der Analysand den Analytiker aus der ihm zugewiesenen Übertragungsrolle entlassen und ihn als eine davon unterschiedene Person entdecken. Ging es in den ersten beiden Gegenübertragungskonzepten von 1910 und 1950 um ein Verstehen des intrapsychischen Erlebens im Patienten, so richtet sich im dritten, interaktiven Modell das Interesse auf das Verstehen einer interaktiven Szene, an deren Entstehen und Ausprägung beide, Analytiker und Analysand - wenn auch unterschiedlich - beteiligt sind. Die Bedeutung der gemeinsamen szenischen Schöpfung steht hierbei im Zentrum der Aufmerksamkeit. Individuelles Verhalten von Analytiker und Analysand wird hier jeweils zu einem Partikel, das erst im Gesamt einer gemeinsamen Handlung ihren Sinn erhält. Indem der Analytiker sein empathisches Verstehen erweitert zu einem szenischen Verstehen, kann solch ein interaktives "Rollenspiel< als eine mit einer verborgenen, unbewussten Bedeutung ausgestatteten Szene in den Blick genommen, mit lebensgeschichtlichen Erfahrungen in einen Zusammenhang gebracht und dadurch unter einer neuen Sinnperspektive verstanden werden. 't22

3.4. Zusammenfassung Sigmund Freud verstand unter "Gegenübertragung" dag Pendant zur Ubertragung des Patienten in der Person des Analytikers, also dessen neurotische Reaktion auf die Übertragung des Patienten. Da die Gegenübertragung als eine unheilvolle Verstrickung in die Beziehung zum Patienten ein Hindernis für die therapeutische Arbeit darstellte, war es Freud wichtig, dass die Gegenübertragung, wann immer sie auftritt, kontrolliert und überwunden wird. Indem weitere Forschungsarbeiten deutlich gemacht haben, dass die Gegenübertragung auch ein nützliches Diagnoseinstrument sein kann, ist Freuds Gegenübertragungsverständnis nicht völlig überholt und bedeutungslos geworden. Dass Gegenübertragungsgefühle auch Ausdruck von neurotischen Tendenzen im Analytiker sein können und nicht ausschließlich auf unbewusste Konflikte im Analysanden zurückzuführen sind, bleibt als eine Möglichkeit nach wie vor bestehen und muss bei einer introspektiven Analyse von Gegenübertragungsgefühlen jedesmal mit in Betracht gezogen werden. Freuds Konzept ist nur insofern überholt, als es nur diese eine Möglichkeit einer negativen Reaktion betont und nicht die positiven Chancen der Gegenübertragung als eines hilfreichen Diagnoseinstrumentes hinzunimmt. Mit Paula Heimann, Heinrich Racker u.a. geschieht dann in den fünfziger jahren die entscheidende Wende, und man beginnt die Gegenübertragung in einem neuen, positiven Licht zu sehen. Indem sich der Analytiker in die Objekte der inneren Repräsentanzenwelt des Analysanden konkordant oder komplementär einfühlt, kann er mit Hilfe seiner Gegenübertragungsgefühle einen lebhaften Eindruck von den bestehenden inneren Konfliktspannungen im Patienten gewinnen. Dabei wird die Gegenübertragung gleichsam zu einem Resonanzkörper, der mit den psychischen Konstellationen im Unbewussten des Analysanden mitschwingt. Die Introspektion dieser Gefühle lässt den Therapeuten dann den intrapsychischen Konflikt im Analysanden verstehen. Bereits in den siebziger jahren haben dann Autoren (2.8. 123

Sandler et al.) darauf aufmerksam gemacht, dass sich Übertragungsprozesse nicht nur als ein intrapsychisches Erleben im Analysanden ausdrücken, sondern sich mitunter auch auf der Handlungsebene ereignen, wobei der Analytiker durch einen Akt unbewusster Manipulation seitens des Analysanden zur Übernahme einer bestimmten Rolle gedrängt wird, so dass sich eine Situation des Agierens und Mitagierens von Analysand und Analytiker im Hier-und- etzt der analytischen Sitzung herstellt. Aus dieser szenischen Verwicklung kann sich der Analytiker nur befreien, indem er aufgrund von irritierenden Gefühlen diesen unbewussten Inszenierungsvorgang erspürt und durch einen Positionswechsel aus der Teilnehmerrolle in die exzentrische Beobachterposition einen gemeinsamen Verstehensprozess einleitet, der die entstandene Szene als einen externalisierten inneren Konflikt zu erkennen und zu deuten vermag. Es wird im Folgenden zu untersuchen sein, ob solch eine interaktive Forrn der Darstellung eines Übertragungsvorganges im Hier-und-Jetzt nur ein Spezifikum des analytischen Settings ist, oder ob sich derartige Inszenierungen auch in einem supervisorischen Setting ereignen, was den Supervisor dann in ganz anderer Weise fordern und herauifordern würde als die Analyse einer Übertragung im Arbeitsfeld. 't24

Kapitel 4 Übertragungsanalyse in der Supervision (ll): Übertragungen im Hier-und-Jetzt der Supervision Die Analyse einer Übertragung im Arbeitsfeld weist dem Supervisor durchgehend die Rolle eines empathischen Begleiters zu, der in den Übertragungsvorgang nicht verwickelt ist und den Supervisanden dabei unterstützt, sich mit einer im Berufsfeld aktualisierten schmerzlichen Beziehungssituation auseinanderzusetzen. Eine Übertragung, die sich im Hier-und-Jetzt der Supervision ereignet, ist eine sehr viel kompliziertere Situation, die sowohl vom Supervisor als auch vom Supervisanden u.a. eine..ich-spaltung verlangt, um sich sowohl auf der Ebene der lfbertragungsbeziehung - also der inneren Objekte - als auch auf der äußeren Ebene, d.h. in den Rollen von Supervisor und Supervisand zu begegne.n. Das folgende Praxisbeispiel wird verdeutlichen, wie eine Ubertragung als eine interaktionelle Inszenierung im Hier-und-f etzt der Supervision sich herstellt und welche Anforderungen an das methodische Vorgehen dies für den Supervisor mit sich bringt. 125