2. Aus behindertenpolitischer Sicht ergibt sich folgende Bewertung:

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Transkript:

Anmerkungen zu dem die Behindertenpolitik betreffenden Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 3.12.2015 Dr. Harry Fuchs, Düsseldorf 1. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder haben zu den Bund-Länder- Finanzbeziehungen zur Vorbereitung der Besprechung mit der Bundeskanzlerin folgendes beschlossen: "Im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist auch über einen Transferweg für die weitere Entlastung der Kommunen um 5 Mrd. Euro p. a. ab 2018 zu entscheiden. Dieser soll eine zielgenaue Entlastung der Kommunen gewährleisten und die Voraussetzungen für eine sachgerechte Fortentwicklung der Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung im Sozialbereich schaffen. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob und wie die Länder bei der Eingliederungshilfe, den Hilfen zur Erziehung und anderer Sozialleistungen, die in der Finanzierungsverantwortung der Länder liegen, beschränkte Gesetzgebungskompetenzen erhalten können und die Finanzierungsverantwortung für die Eingliederungshilfe vollständig dezentral bei Ländern und Kommunen verbleiben kann." 2. Aus behindertenpolitischer Sicht ergibt sich folgende Bewertung: 2.1 Satz 1 enthält zunächst die Absichtserklärung, über den Transferweg der bereits früher beschlossenen Entlastung der Kommunen erst im Rahmen der Neuordnung der Bund- Länder-Finanzbeziehungen zu entscheiden. Die Entkoppelung der im Koalitionsvertrag begründeten kommunalen Entlastung vom Inkrafttreten eines Bundesteilhabegesetzes wird nunmehr auch durch die Bindung der Klärung des Transferweges an die Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleichs vollzogen. Die im ersten Halbsatz des zweiten Satzes angestrebte zielgenaue Entlastung der Kommunen ist mit Blick auf die bundesweit uneinheitliche Finanzierung der Sozialhilfe in den Ländern eher zu erreichen, als mit der Bindung an die Entwicklung des Teilhaberechts. 2.2 Die im zweiten Halbsatz des zweiten Satzes angestrebte "sachgerechte Fortentwicklung der Aufgaben- und Finanzverantwortung im Sozialbereich" enthält zwei Aspekte, die folgerichtig im dritten Satz vertieft werden: a) Begründung einer (erweiterten) Gesetzgebungslegitimation für den Sozialbereich b) vollständige Dezentralisierung der Finanzierungsverantwortung für die Eingliederungshilfe bei den Ländern und Kommunen. 2.3 Der Prüfauftrag zur Erweiterung der Gesetzgebungslegitimation umfasst noch - die Eingliederungshilfe - die Hilfe zur Erziehung - andere Sozialleistungen, während die Neuregelung der Finanzverantwortung sich allein auf die Eingliederungshilfe beschränkt. 1

2.4 Nach Art. 84 Abs. 1 GG haben die Länder bereits bisher das Recht, in allen Bereichen der Gesetzgebung, die sie als eigene Angelegenheit ausführen, das Verwaltungsverfahren und die Behördeneinrichtung abweichend von Bundesgesetzen zu regeln 1. Demgegenüber besteht eine Gesetzgebungskompetenz der Länder zum materiellen Recht nur insoweit, als den Ländern in den Sozialgesetzen ausdrücklich eine entsprechende Legitimation dazu eingeräumt wird. Auf diesem Hintergrund soll offensichtlich geprüft werden, inwieweit den Ländern künftig eine vom Bundesrecht abweichende Regelungskompetenz im materiellen Bereich des sozialen Rechts (SGB VII, SGB XII, BVG) übertragen werden kann. Dies entspricht erkennbar den Forderungen einiger Bundesländer, insbesondere des Freistaates Bayern, künftig nicht nur die Finanzierungsverantwortung tragen zu müssen, sondern auch die Höhe der Kosten unmittelbar beeinflussen zu können. Dieses Ziel kann schon dadurch erreicht werden, dass den Ländern die Verantwortung für die Regelung der Leistungsgestaltung und die Leistungsvergütung übertragen wird, ohne dass in das - weiter bundeseinheitlich definierte - Leistungsrecht eingegriffen wird. In der Lebenswirklichkeit behinderter Menschen ist dies heute bereits Praxis. Die Leistungsgestaltung ist bereits heute in den Ländern, aber auch den Kommunen - im Einzelfall bei gleicher Beeinträchtigung der Teilhabe und völlig gleichem individuellen Bedarf an Teilhabeleistungen - in den Leistungsvereinbarungen ( 76 Abs. 1 SGB XII) höchst unterschiedlich. Gleiches gilt für die Vergütungen ( 76 Abs. 2 SGB XII) mit z.b. unterschiedlichen Zahl an Fachleistungsstunden und unterschiedlich hohen Maßnahmepauschalen bei völlig gleichem Leistungsbedarf und -aufwand. Dies ist die Ursache dafür, dass behinderte Menschen bei völlig gleichen Bedingungen völlig unterschiedliche Lebensbedingungen und ungleiche Leistungen erfahren, je nach dem, in welchem Bundesland oder in welcher Kommune sie wohnen. Mit der angestrebten Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz der Länder im Bereich des materiellen Rechts wird eine weitere Verfestigung der Unterschiede in der Teilhabequalität der behinderten Menschen, aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen strukturstarken und strukturschwachen Kommunen und Regionen verbunden sein. 2.5 Die offensichtlich angestrebte erweiterte Gesetzgebungskompetenz der Länder für das materielle Recht konterkariert alle Bestrebungen des SGB IX, bundesweit gleiche Lebensbedingungen für alle behinderte Menschen unabhängig von der Zuständigkeit oder Leistungsverpflichtung eines Leistungsträgers zu schaffen. Sie ist auch mit der UN- Behindertenrechtskonvention nicht zu vereinbaren, weil sie die Zugänglichkeit (Art. 9) zu den bedarfsgerechten Hilfen erschwert und die Ungleichheit behinderter Menschen vertieft. 2.6 Eine teilweise Föderalisierung des materiellen Rechts wird - weil ausschließlich durch die Finanzverantwortung begründet - sowohl die Auseinandersetzung über den individuellen Leistungsbedarf im Einzelfall verschärfen, wie auch statt der von den behinderten Menschen und ihren Organisationen geforderten Individualisierung/Personenzentrierung die Pauschalierung der Leistungen mit ständig kleiner werdender Finanzausstattung zu Lasten behinderter Menschen vorantreiben. 1 vergl. Dazu Fuchs/Welti/Shaffaei 2014, " Inklusionsstärkungsgesetz Nordrhein-Westfalen", Gutachten im Auftrag der SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen 2

So lebt z.b. Hamburg dies zur Begrenzung der Sozialhilfeausgaben seit Anfang 2014 modellhaft. Die bisherige ambulante Einzelbetreuung in Form personenzentrierter Hilfen für psychisch kranke Menschen (PPM) und das Komplexangebot Betreutes Wohnen (BeWO) wurden sukzessive durch ambulante Sozialpsychiatrie (ASP) ersetzt. Im Rahmen einer Budgetvereinbarung wird - nach Auffassung der fachlichen Experten weitgehend unabhängig vom wirklichen individuellen Bedarf der Betroffenen - eine Jahrespauschale festgelegt, die alle Bedarfe abdecken soll: "Was die bedarfsgerechte Hilfe ist, darüber gibt der Gesamtplan eine grobe Orientierung, die Verantwortung bei der Ausgestaltung der Hilfen liegt letztendlich aber beim Leistungsanbieter" 2. 3. Aus finanzpolitischer Sicht ist anzumerken: 3.1 Bleibt es bei dem vorliegenden Beschluss zieht sich der Bund vollständig aus der Finanzierung der Eingliederungshilfe, d.h., der Leistungen für behinderte Menschen zurück, die künftig allein bei den Ländern und Kommunen liegen würde. 3.2 Damit übernehmen die Länder vollständig alle Lasten und Risiken, die sich bundesweit aus der demographischen Entwicklung behinderter Menschen für die Teilhabeleistungen der Sozialhilfeträger ergeben. 3.3 Die Entwicklung dieser Lasten und Risiken ist hochdynamisch und nicht wirklich durch Leistungskürzungen (vergl. oben Ziffer 2.5) zu begrenzen. In dem für die SPD-Fraktion im Landtag von Nordrhein-Westfalen dazu erstellten Gutachten haben die Autoren belegt, dass die Entwicklung weit überwiegend durch die nicht beeinflussbare Entwicklung der Fallzahlen begründet ist 3. Die diskutierte Entlastung der Kommunen im Umfang von 5 Mrd. EUR reicht gerade aus, die mit der Entwicklung der Fallzahlen verbundenen Mehrausgaben bis 2020 auszugleichen. 3.4 Die beabsichtigte Verlagerung der Finanzverantwortung für die Eingliederungshilfe ist für die Länder weder kurz-, noch mittel- noch langfristig vorteilhaft, weil der damit angestrebte fiskalische Vorteil allein auf der nicht nachvollziehbaren und auch nicht begründbaren Unterstellung basiert, dass man durch die gleichzeitig übertragene Gesetzgebungslegitimation die Ausgabenseite so begrenzen könne, dass die mit der demographischen Entwicklung verbundenen Mehrkosten zumindest ausgeglichen werden können. Diese Unterstellung ist mit Blick auf die Dynamik der nicht beeinflussbaren Fallzahlentwicklung irreal und selbst durch drastische Leistungskürzungen nicht zu rechtfertigen. 3.5 Eine langfristige und nachhaltige Entlastung der Länder und Kommunen ist nur durch die vollständige Verlagerung der Finanzverantwortung für die staatlichen Leistungen zur Teilhabe auf den Bund zu erreichen, die in mehreren Stufen über einen mittelfristigen Zeitraum durch Verlagerung des materiellen Rechts aus der Sozialhilfe in das soziale Entschädigungsrecht erreicht werden könnte. 3.6 Für die Länder kommt der vorliegende Beschluss jedenfalls einer "Black Box" mit langfristen und in der Zeitschiene regelmäßig ansteigende Folgebelastungen gleich. 3.7 Letztlich entspricht der Beschluss der Konferenz der Regierungschefinnen und 2 Wörtliches Zitat aus Jörg Siebels 2014: "Hamburg prescht voran - Widerstand formiert sich" in kompass, Ausgabe 2/2014 S. 15 3 Fuchs/Greß/Welti/Shafaei 2015, "Inklusion in NRW weiterentwickeln", S 45ff 3

Regierungschefs der Länder fast wortgleich dem Positionspapier des schon vor mehr als einem halben Jahr 2015 als Verhandlungsgrundlage für die Bund-Länder-Gespräche zum neuen Finanzausgleich eingebrachten Positionspapier des Finanzministeriums 4. Obwohl die Position des Finanzministers damit schon längere Zeit bekannt war, sind die fachpolitischen, aber auch fiskalpolitischen Wirkungen - auch für die fachpolitische Öffentlichkeit - nicht wahrnehmbar diskutiert wurden. Jedenfalls ist es nicht gelungen eine fachpolitisch, wie auch finanzpolitisch eine Lösung zu erreichen, die den Lebensbedürfnissen behinderter Menschen, den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, aber auch den fiskalpolitischen Interessen der Länder und Kommunen besser gerecht wird. Dies darf einmal mehr als Beleg dafür gelten, dass Teilhabepolitik und Teilhaberecht eher als randständiges Politikfeld angesehen wird, dessen Wirkungen von den Finanzpolitikern erkennbar nur als monetäres Problem, nicht aber hinsichtlich der Auswirkungen auf die Lebenssituation behinderte Menschen annähernd sachgerecht beurteilt werden. Der Einfluss der Sozialpolitik scheint in diesen Zusammenhängen ohnehin marginalisiert zu sein. Stand Januar 2016 4

4 Vergl. Der Tagesspiegel vom 1.5.2015 "Wolfgang Schäuble rückt vom Koalitionspapier ab". 5