Begriffsdefinitionen zum Thema Soziale Ungleichheit (HRADIL)

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Transkript:

Begriffsdefinitionen zum Thema Soziale Ungleichheit (HRADIL) Soziale Ungleichheit Soziale Ungleichheit liegt dann vor, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den wertvollen und begehrten Gütern einer Gesellschaft (Einfluss, Wohlstand, Ansehen, Gesundheit, Sicherheit/sichere Anstellung, Integration, Autonomie, gesunde Umwelt) regelmäßig mehr als andere erhalten. ungleiche Verteilung begehrter Güter! Konkrete Erscheinungen sozialer Ungleichheit Konkrete Erscheinungen sozialer Ungleichheit sind Güter, die wie Einkommen oder Bildungsabschluss bei der Erlangung von diesen allgemein als wertvoll und wünschenswert angesehenen gesellschaftlichen Zielen vor- oder nachteilige Lebens- und Handlungsbedingungen mit sich bringen. Wer mehr oder weniger von ihnen besitzt, ist außerdem sozial höher bzw. tiefer gestellt. (HRADIL) nicht einfach nur anders! (s. Fabrikarbeiter Arzt) 1

Dimensionen sozialer Ungleichheit Zusammenfassung konkreter Erscheinungen sozialer Ungleichheiten zu Kategorien: Materieller Wohlstand (Einkommen, Vermögen) Macht Prestige Bildung (in jeder Form in postindustr. Wissens- und Informationsgesellschaft) Da sie entscheidende Nach- bzw. Vorteile bei Verwirklichung der gesellschaftlichen Werte mit sich bringen, gelten sie als Basisdimensionen sozialer Ungleichheit. Weitere wichtige Dimensionen sozialer Ungleichheit in der heutigen Gesellschaft: Arbeitsbedingungen Wohnbedingungen Umweltbedingungen Freizeitbedingungen Nicht als soziale Ungleichheiten gelten: natürliche individuelle momentane zufällige Unterschiede Allerdings wirken diese in der Realität oft mit sozialer Ungleichheit zusammen (Ethnie, Geschlecht, Alter, Generation) vertikale und horizontale Dimensionen sozialer Ungleichheit Soziale Ungleichheit ist nicht identisch mit ungerecht! 2

Ursachen sozialer Ungleichheit Bestimmungsgründe und Mechanismen, die Strukturen und Gefüge sozialer Ungleichheit entstehen und weiter bestehen lassen (Funktionserfordernisse einer Industriegesellschaft, soziale Vorurteile) Determinanten sozialer Ungleichheit Soziale Positionen von Menschen in Beziehungsgeflechten (Beruf, Geschlecht, Alter, Wohnregion, ethnische Zugehörigkeit, Geburtsjahrgang), die an sich keine Besser- oder Schlechterstellung darstellen, aber diese mit hoher Wahrscheinlichkeit nach sich ziehen, indem sie Vor- und Nachteile in Bezug auf die Lebensbedingungen mit sich bringen. Zugeschriebene Determinanten: kaum beeinflussbar Erworbene Determinanten: durch eigenes Zutun erworben (Beruf) zur Ursachenklärung: Theorien sozialer Ungleichheit!! 3

Status Bessere oder schlechtere Stellung eines Menschen im Oben und Unten einer Dimension sozialer Ungleichheit (Wohlstandsstatus, Bildungsstatus) Statusverteilung Das Ergebnis der ungleichen Einstufung einer großen Zahl von Menschen Statusgruppe Anzahl von Menschen mit ähnlich hohem Status Statuskonsistenz Status in verschiedenen Dimensionen ähnlich hoch Statusinkonsistenz Auseinanderklaffen der Status in verschiedenen Dimensionen Vertikale Mobilität Bewegung eines Menschen von Status zu Status 4

Stände, Klassen, Schichten - Lagen, Milieus, Lebensstile Unter Berücksichtigung der Dimensionen, Statusverteilungen und Determinanten sozialer Ungleichheit lässt sich für die gesellschaftliche Entwicklung eine typische Abfolge von Gefügen sozialer Ungleichheit erkennen: Stände Klassen Schichten Soziallagen Stände Gruppierungen innerhalb eines Gefüges sozialer Ungleichheit..., deren Zugehörigkeit in der Regel durch Geburt zustande kommt, deren Existenzbedingungen und Lebensweisen darüber hinaus weitgehend geregelt und in ihren Abgrenzungen von anderen Ständen genau festgelegt sind. Stände in feudalistischer Gesellschaft des Mittelalters (Ständegesellschaft): Adel Geistlichkeit Bürgertum (Stadt) Bauern (Land) 5

Klassen jene Gruppierungen innerhalb von Gefügen der sozialen Ungleichheit genannt, die aufgrund ihrer Stellung innerhalb des Wirtschaftsprozesses anderen Gruppierungen über- oder unterlegen sind (Besitz oder Nichtbesitz von Produktionsmitteln, Machtposition auf dem Arbeitsmarkt), woraus ihnen bessere oder schlechtere Lebensbedingungen erwachsen. In der frühindustrielle Gesellschaften treten sich neue Klassen gegenüber: Industriearbeiter Kapital- und Fabrikbesitzer M. Webers Klassenbegriff Gruppierung von Menschen, die sich aufgrund ihres Besitzes (Besitzklasse) oder/und der Verwertbarkeit ihrer Leistungen (Erwerbsklasse) für die Erzielung von Einkommen und Einkünften innerhalb einer gegebenen Wirtschaftsordnung... jeweils in etwa gleicher Lage innerhalb der Struktur sozialer Ungleichheit befindet. Der komplexere Klassenbegriff von MARX: Als Klasse nur verstanden, Menschen, die sich in einer bestimmten ökonomisch bedingten Lebenslage befinden (Klasse an sich) und gleichzeitig darauf aufbauend auch zu einer gemeinsamem Bewusstseinslage kommen und sich zu gemeinsamen politischen Aktionen entschlossen haben (Klasse an und für sich). 6

(Soziale) Schichten In entwickelten Industriegesellschaften basiert soziale Ungleichheit nicht nur auf Besitztümern, sondern Bildung, Qualifikation, Beruf, Einkommen und Arbeitsbedingungen sind ebenso wichtig. (Wichtigsten berufsnahen Statusdeterminanten!) Gruppierungen von Menschen mit ähnlich hohem Status innerhalb einer berufsnahen Ungleichheitsdimension werden als Schichten bezeichnet. (Einkommensschichten, Berufsschichten, Bildungsschichten) Statusgruppierungen, gebildet in Bezug auf mehrere berufsnahe Dimensionen, werden soziale Schichten genannt. Schichtungsgesellschaft Gesellschaften, in denen die Struktur der Ungleichheit v.a. bestimmt ist durch diese berufsnahen Dimensionen, werden als Schichtungsgesellschaft bezeichnet. 7

Lebenslagen und soziale Lagen In postindustriellen Gesellschaften arbeitet die Mehrzahl nicht mehr in der industriellen Produktion, sondern im Dienstleistungsbereich, abgesehen von Problemgruppen ist das Wohlstandsniveau hoch und ein hohes Maß an Freizeit gegeben. Über die berufsnahen Ungleichheitsdimensionen hinaus werden weitere Dimensionen zu wichtigen Dimensionen der Ungleichheit (gesunde Umwelt) Lagebegriff: bezogen auf komplexe Konstellation von Ungleichheiten Soziale Lage meint die Situation einer Bevölkerungsgruppe, deren Lebensbedingungen maßgeblich durch eine bestimmte soziale Position (Determinante) geprägt werden. In einer bestimmten sozialen Lage befinden sich: Studierende Höhere Angestellte, Beamte Facharbeiter Arbeitslose Hausfrauen einbezogen auch Menschen, die nicht (mehr) im Arbeitsleben stehen. Lebenslage die Gesamtheit ungleicher Lebensbedingungen eines Menschen, die durch das Zusammenwirken von Vor- und Nachteilen in unterschiedlichen Dimensionen sozialer Ungleichheit zustande kommen (Einkünfte, Freizeit, Wohnung, Integration in die Gemeinde, Arbeitsbedingungen, Qualifikation) 8

Soziales Milieu Gruppen Gleichgesinnter..., die gemeinsame Werthaltungen und Mentalitäten aufweisen und auch die Art gemeinsam haben, ihre Beziehungen zu Mitmenschen einzurichten und ihre Umwelt in ähnlicher Weise zu sehen und zu gestalten. (Psychologisch tiefsitzende gruppentypische Werthaltungen wie Konservatismus, Liberalität) 9

Lebensstil Die Art und Weise, wie die einzelnen ihr Alltagsleben organisieren; der regelmäßig wiederkehrende Gesamtzusammenhang der Verhaltsweisen, Interaktionen, Meinungen, Wissensbestände und bewertenden Einstellungen eines Menschen (sich schnell ändernde Verhaltens- und Meinungsroutinen); abhängig von den jeweils verfügbaren Ressourcen, aktuellen Lebenszielen, Moden und Zeitgeist, von der momentanen Lebensform und persönlichen Entscheidungen. Gemeinsamkeiten bedingen Lebensstilgruppierungen Trotz relativ großer Freiheit der Gestaltung des Alltagslebens innerhalb einzelner Klassen, Schichten, sozialen Lagen entscheidende Prägefaktoren: Alter Bildung Geschlecht Lebensform Berufsposition Einkommen 10

Chancenungleichheit Über- oder unterdurchschnittliche Chance bestimmter Bevölkerungsgruppen (Arbeiterkinder, ausländische Jugendliche, Mädchen) bei der Erlangung derjenigen Güter, die für die Verwirklichung angesehener gesellschaftlicher Ziele vorteilhaft sind (höhere Bildungsabschlüsse) Proportionale Chancengleichheit (Proporzmodell) Bevölkerungsgruppen sind entsprechend ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung an weiterführenden Bildungseinrichtungen vertreten. Leistungsbezogene Chancengleichheit (Leistungsmodell) Die Auslese in Bezug auf weiterführende Bildungsgänge erfolgt nach Fähigkeit und Leistung. BILDUNG ALS BASISDIMENSION SOZIALER UNGLEICHHEIT Quelle: Hradil, S.: Soziale Ungleichheit in Deutschland. Opladen 2001 11