Vorlesung Funktionen/Abbildungen 1 1 Grundlagen Hinweis: In dieser Vorlesung werden Funktionen und Abbildungen synonym verwendet. In der Schule wird eine Funktion häufig als eindeutige Zuordnung definiert. Aber was ist eine Zuordnung, was wird zugeordnet und was bedeutet»eindeutig«? Um das zu klären, müssen wir die Definition etwas präzisieren: Definition 1 (Funktion bzw. Abbildung). Eine Funktion f ist ein Tripel f = (X, Y, Γ f ), wobei X und Y zwei nicht-leere Mengen sind und Γ f X Y mit den Eigenschaften: 1. x X y Y : (x, y) Γ f 2. x X y 1, y 2 Y : ( (x, y1 ) Γ f (x, y 2 ) Γ f ) = (y1 = y 2 ). Γ f heißt der Graph der Funktion f. Beispiel: Sei X = Y = {0, 1} und Γ f = {(0, 0), (1, 1)}, also ( ) f = {0, 1}, {0, 1}, {(0, 0), (1, 1)}. Aus Gründen der Anschaulichkeit werden Funktionen meist anders geschrieben. So kann man für die genannte Funktion auch schreiben: oder f : {0, 1} {0, 1} x x f : {0, 1} {0, 1} mit f(x) := x 1 erstellt aus dem Vorlesungsskript von Philipp Bannasch 1
Weitere Beispiele zur Demonstration der veschiedenen Schreibweisen: f : R R x x 4 + 1 3 x2 + 1 x 1 falls x < 0 f : R R, f(x) = sign(x) := 0 falls x = 0 1 sonst { f : R R + 0, f(x) = x := x falls x < 0 x sonst Die Abbildung f : R R x x heißt Identität, man schreibt auch id R. Falls N eine nicht-leere Teilmenge von M ist, so heißt f Inklusion (Einbettung) von N in M, wenn f : N M x x 2 Bezeichnungen Sei f : X Y eine Funktion. Dann heißt 1. die Menge X Quelle/Definitionsbereich von f, 2
2. die Menge Y Ziel/Zielbereich von f, 3. die Menge f(x) = {y Y x X : f(x) = y} = Im(f) das Bild von f. 4. Für ein beliebiges y Y heißt die Menge f 1 (y) = {x X f(x) = y} das Urbild von y. 5. Falls Y = R, f also eine reellwertige Funktion, dann versteht man unter dem Urbild von Null von f die Menge f 1 (0), also die Menge der Elemente x X mit f(x) = 0. Das Bild von f ist also die Menge der y, die von f»getroffen werden«. Das Urbild zu einem y Y ist die Menge aller x X, welche dieses y als Bild haben (nicht mit der Umkehrfunktion von f zu verwechseln!). 3 Eigenschaften von Funktionen Definition 2 (Injektivität, Surjektivität und Bijektivität). Eine Funktion f : X Y heißt injektiv genau dann, wenn gilt: x 1, x 2 X : f(x 1 ) = f(x 2 ) x 1 = x 2 Eine Funktion f : X Y heißt surjektiv genau dann, wenn gilt: y Y x X : f(x) = y Eine Funktion f : X Y heißt bijektiv genau dann, wenn sie injektiv und surjektiv ist. Beispiele zur Veranschaulichung Die Funktion f : R R, x x 2 ist weder injektiv (da f( 1) = f(1)), noch surjektiv (da f 1 ( 1) = ), also nicht bijektiv. 3
Die Funktion f : R + 0 R, x x 2 ist injektiv, aber nicht surjektiv, also nicht bijektiv. Die Funktion f : R R + 0, x x2 ist nicht injektiv, also nicht bijektiv, aber surjektiv. Die Funktion f : R + 0 R + 0, x x2 ist bijektiv. Zur leichteren Überprüfung einer Eigenschaft versucht man in der Mathematik gern möglichst viele äquivalente Aussagen dieser Eigenschaft zu formulieren. Ein Beispiel sei die folgende Bemerkung 1. Eine Funktion f : X Y ist genau dann surjektiv, wenn Imf = Y. Die Bijektivität lässt sich leicht mittels folgenden Satzes überprüfen: Satz 1. Eine Funktion f : X Y ist genau dann bijektiv, wenn es eine Funktion g : Y X gibt, so dass gilt: x X : g(f(x)) = x und y Y : f(g(y)) = y. Ein solches g heißt auch Umkehrfunktion von f in X. 4
Beweis. Es müssen zwei Richtungen gezeigt werden. Zuerst die Hinrichtung ( = ): Sei f bijektiv. Dann gilt für alle y Y : f 1 (y), da f surjektiv. Da f außerdem injektiv ist, gilt, dass für jedes y Y genau ein x X existiert mit der Eigenschaft f(x) = y. Setze nun also g : Y X mit g(y) := x mit f 1 (y) = {x} für jedes y Y. g ist ebenfalls bijektiv und erfüllt die geforderten Eigenschaften. Nun die Rückrichtung ( =): Sei also g eine geeignete Abbildung zu f, welche die beiden Eigenschaften erfüllt. Wir müssen zeigen, dass daraus die Bijektivität von f folgt. Zuerst die Injektivität: Angenommen f wäre nicht injektiv. Dann exisitieren x 1 x 2 X mit f(x 1 ) = f(x 2 ). Es folgt x 1 = g(f(x 1 )) = g(f(x 2 )) = x 2. Das ist ein Widerspruch. f ist also injektiv. Bleibt zu zeigen, dass f auch surjektiv ist. Sei y Y beliebig. Dann ist für jedes y Y g(y) ein eindeutig bestimmtes Element aus X, weil g ja eine Funktion, also eine eindeutige Zuordnung ist. Außerdem erfüllt dieses g(y) laut Voraussetzung die Eigenschaft: f(g(y)) = y. Folglich ist f surjektiv. Bemerkung 2. Statt g(f(x)) schreibt man auch häufig auch: (g f)(x). 4 Verknüpfung von Funktionen Wir wollen die Operation noch an weiteren Beispielen üben. Zunächst benötigen wir aber noch zwei weitere Definitionen: Definition 3. Es seien X und Y zwei Mengen. Dann sind definiert Abb(X, Y ) := { f f : X Y ist Abbildung } Bij(X, Y ) := { f Abb(X, Y ) f ist bijektiv } Definition 4 (Komposition von Funktionen). Es seien X, Y, Z drei nicht-leere Mengen, f Abb(X, Y ) und g Abb(Y, Z). Dann wird die Komposition von f und g wie folgt definiert: (g f) : x g(f(x)) Abb(X, Z). 5
Bemerkung 3. Mit Hilfe dieser Definition lässt sich der Satz?? auch folgendermaßen formulieren: Satz. Eine Funktion f : X Y ist genau dann bijektiv, wenn es eine Funktion g : Y X gibt, so dass gilt: g f = id X und f g = id Y Für konkrete Mengen Y, können für Funktionen f, g : X Y auch noch andere Verknüpfungen definiert werden. Definition 5 (Addition und Multiplikation von Funktionen). Es seien X, Y = R f, g Abb(X, R) reellwertige Funktionen. Dann definiere: und (f + g) Abb(X, R) mit (f + g)(x) := f(x) + g(x) (f g) Abb(X, R) mit (f g)(x) := f(x) g(x) Beispiele I Komposition definiert: Seien X := Z, Y := N, Z := Q und seien folgende Abbildungen f : Z N mit z z und g : N Q mit n 1 n + 1. Dann ist g f : Z Q mit z 1 z + 1. Seien X, Y, Z drei nicht-leere Mengen. f Abb(X, Y ) und θ f definiert als θ f : Abb(Y, Z) Abb(X, Z) mit g g f 6
Beispiele II Addition/Multiplikation definiert als: Sei X = {, } und Y = R. Weiter seien f, g : X R f( ) := 0 f( ) := 1 g( ) := 2 g( ) := 1 Dann sind (f + g)( ) = f( ) + g( ) = 2 (f + g)( ) = f( ) + g( ) = 2 (f g)( ) = f( ) g( ) = 0 (f g)( ) = f( ) g( ) = 1 Bemerkung 4. Ganz analog lassen sich natürlich auch Verknüpfungen für Funktionen definieren, wenn Y = N, Y = Q, Y = Z ist. Allerdings müssen die Verknüpfungen eine Bedeutung in der Zielmenge haben. So ist etwa eine Addition auf der Zielmenge Y = {, } nicht ohne Weiteres sinnvoll, denn was sollte + sein? 5 Einschränkung/Restriktion von Funktionen Es kommt vor, dass man Aussagen über die Funktion nicht auf dem ganzen Definitionsbereich treffen möchte. So haben wir bereits gesehen, dass nicht injektiv ist, die Funktion g : R R, mit x x 2 g : R + 0 R, mit x x 2 jedoch schon. So haben die beiden Funktionen, obwohl sie sich so ähnlich sehen, doch grundlegend verschiedene Eigenschaften. Wir können aber eine Beziehung zwischen ihnen herstellen, indem wir die Funktion g einschränken. Definition 6. Seien X und Y zwei nicht-leere Mengen und f Abb(X, Y ). Ferner sei M X eine nicht-leere Teilmenge von X. Die Funktion h : M Y, mit h(x) := f(x) für alle x M heißt Einschränkung von f auf M, geschrieben: f M. Linksstehendes Diagramm veranschaulicht die Situation. i bezeichne hierbei die Inklusion von M in X. 7
6 Reellwertige Funktionen 6.1 Beispiele für Klassen reellwertiger Funktionen Sei f : R R eine reelle Funktion. Man unterscheidet unter Anderem: konstante Funktionen f(x) := c mit c R. lineare Funktionen f(x) := mx mit m R. affine Funktionen f(x) := mx + n. ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 2 f(x) := a 0 + a 1 x + a 2 x 2 + + a n x n mit a i R und n N. rationale Funktionen 3 f(x) := p(x) q(x) wobei p und q ganzrationale Funktionen sind. Exponentialfunktionen f(x) := e x oder f(x) := a x mit a R +. trigonometrische Funktionen f(x) := sin x (oder cos x, tan x, cot x). 6.2 Eigenschaften In vielen Anwendungsgebieten der Mathematik werden Funktionen benötigt, die bestimmte Eigenschaften aufweisen, oder gegebene Funktionen werden auf diese untersucht. Beispielsweise kann die Betrachtung des Monotonieverhaltens bestimmter Funktionen Aufschluss geben, wo Extrema angenommen werden und Ähnliches. Wir wiederholen daher die folgende, aus der Schule bekannte Definition: Definition 7 (Monotonie). Es sei D eine Teilmenge von R. Eine Funktion f : D R heißt genau dann streng monoton wachsend auf D, wenn gilt: x 1, x 2 D : x 1 < x 2 = f(x 1 ) < f(x 2 ) f heißt (schwach) monoton wachsend auf D, wenn gilt: x 1, x 2 D : x 1 < x 2 = f(x 1 ) f(x 2 ) Analog heißt f [streng] monoton fallend, wenn gilt: f ist [streng] monoton wachsend. 2 Wichtig! Polynomfunktionen sind keine Polynome. Siehe Algebra-Vorlesung. 3 mit f : (R \ q 1 (0)) R 8
Unmittelbar aus der Definition der Monotonie erhält man folgende Aussage: Bemerkung 5. Jede streng monotone Funktion f : R R ist injektiv. Oft ist es auch interessant, wie groß beziehungsweise klein Funktionswerte einer gegebenen Funktion überhaupt werden können. Hier hilft der Begriff der Beschränktheit. Definition 8 (Beschränktheit). Eine Funktion f : R R heißt nach oben beschränkt, falls: s R x R : f(x) s und nach unten beschränkt, falls s R x R : f(x) s. Weiterhin heißt f beschränkt, falls f sowohl nach oben als auch nach unten beschränkt ist. Beispiel Die Funktion f : R R mit f(x) := x 2 ist nach unten, nicht jedoch nach oben beschränkt. 9
7 Zusatz Bevor wir weitere wichtige Eigenschaften von reellwertigen Funktionen, wie zum Beispiel Stetigkeit oder Differenzierbarkeit betrachten, ist es sinnvoll den Blick kurz auf ein paar bestimmte Funktionen zu richten. 7.1 Folgen Definition 9. Sei M eine nicht-leere Menge. Eine Abbildung a : N M heißt Folge. Notation: Man schreibt statt a häufig auch (a n ) mit n N oder kürzer (a n ) n N. Für die Folgenglieder schreibt man a n mit a n := a(n) für alle n N. Bemerkung 6. Insbesondere spricht man bei reellwertigen Folgen (M R) auch von monton wachsenden (fallenden) Folgen und beschränkten Folgen. Beispiele für Folgen 1. (a n ) n N\{0} mit a n := 1 n 2. die Fibonacci-Folge 1, 1, 2, 3, 5, 8, 13,... (b n ) n N mit b 0 := 1, b 1 := 1 und b n := b n 1 + b n 2 für n 1 3. (c n ) n N mit c n := ( 1) n. Besonders interessant bei der Betrachtung von Folgen ist das Verhalten im Unendlichen. Bei einigen Folgen wie b n werden die Folgewerte sehr groß, bei anderen wie c n springen die Werte hin und her. Manchmal laufen die Folgewerte aber für große n gegen einen bestimmten Wert wie zum Beispiel a n gegen Null. Definition 10 (Grenzwert). Für eine reellwertige Folge (a n ) n N heißt g R genau dann Grenzwert der Folge, wenn gilt Man schreibt auch ε > 0 n ε N n N : n > n ε = g a n < ε. g = lim n a n. Besitzt eine Folge einen Grenzwert, so heißt sie (gegen diesen Grenzwert) konvergent, andernfalls divergent. 10
Satz. Die Folge (a n ) aus Beispiel 1 konvergiert gegen den Grenzwert g = 0. Beweis. Sei ε > 0 beliebig gewählt. Setze 4 n ε := 1 ε. Dann folgt für n > nε 1 ε : g a n = 0 a n = a n = 1 n < 1 n ε 1 1/ε = ε 7.2 Stetigkeit Nach diesem kurzen Abstecher in das weite Gebiet der Folgen wollen wir uns nun einer weiteren Eigenschaft zuwenden, die reellwertige Funktion haben können: dem Stetigkeitsbegriff. Man nennt Funktionen f : R R stetig, wenn sie keine Sprünge enthalten, wenn man sie also mit einem Bleistift ohne Absetzen von links nach rechts durchzeichnen könnte. Diese Beschreibung ist sehr schön und anschaulich. Da sich aber Fähigkeiten im Umgang mit dem Bleistift schlecht beweisen lassen und individuell sehr unterschiedlich sind, benötigen wir eine etwas weniger anschauliche, aber formalere Definition. Definition 11 (Stetigkeit). Ein Funktion f : R R heißt genau dann stetig in einem Punkt x 0 R, wenn gilt: ε > 0 δ > 0 x R : Ist f in jedem x 0 R stetig, so heißt f stetig auf R. Anschaulich lässt sich das folgendermaßen darstellen: x x 0 < δ = f(x) f(x 0 ) < ε in allen x stetige Funktion 4 sind die Gaußklamern furs aufrunden. bei x = 3 unstetige Funktion 11
Aufgrund der charakteristischen Variablenbezeichunung, wird diese Definition von Stetigkeit auch als ε δ-kriterium bezeichnet. Dies ist jedoch bei weitem nicht die einzige Stetigkeitsdefinition. Eine weitere Möglichkeit die Stetigkeit einer Funktion f an einer Stelle x 0 zu definieren, besteht beispielsweise darin, Grenzwerte von Folgen zu verwenden. Definition 12 (Folgenstetigkeit). Eine Funktion f : R R heißt folgenstetig an der Stelle x0 R, wenn für jede Folge (x n ) n N gilt: lim x n = x 0 = lim f(x n) = f(x 0 ). n n Bemerkung 7. Es lässt sich beweisen, dass diese beiden Definitionen in R äquivalent sind. Jedoch gibt es Räume, in denen das nicht der Fall ist. Ebenso gibt es noch strengere Definitionen von Stetigkeit in dem Sinne, dass nur bestimmte stetige Funktionen diese strengeren Bedingungen erfüllen. Das alles ist aber Teil der Analysis-Grundvorlesungen. 7.3 Differenzierbarkeit Auch wenn dieser Teil wahrscheinlich in der Vorlesungzeit nicht mehr geschafft wird, soll er hier der Vollständigkeit halber und als ein zentraler Begriff der Analysis angeführt werden. Definition 13 (Differenzierbarkeit). Eine Funktion f : R R heißt an der Stelle x 0 differenzierbar, falls für alle Folgen (h n ) n N mit lim n h n = 0 der Grenzwert f(x 0 + h n ) f(x 0 ) lim n h n existiert und dieser für alle solche Folgen (h n ) gleich ist. Man schreibt dann f f(x 0 + h) f(x 0 ) f(x 0 + h n ) f(x 0 ) (x 0 ) := lim := lim h 0 h n h n und nennt f (x 0 ) den Wert der Ableitung von f an der Stelle x 0 oder aber auch den Anstieg von f an der Stelle x 0. Der Wert f (x 0 ) kann geometrisch als der Anstieg einer Tangenten betrachtet werden, die man im Punkt (x 0, f(x 0 )) an den Graphen von f anlegt. Per Konstruktion ist dies dann der Anstieg einer Sekanten, die durch den Punkt (x 0, f(x 0 )) und einen Stützpunkt (x, f(x )) verläuft, wobei x 0 und x unendlich dicht beieinander liegen. Bemerkung 8. Aus der Definition der Differenzierbarkeit der Funktion f kann man ohne Weiteres folgern, dass sie stetig ist. Die Umkehrung gilt aber im Allgemeinen nicht. Die Betragsfunktion f : R R, f(x) := x ist hier ein einfaches Gegenbeispiel. Sie ist in x 0 = 0 stetig, aber nicht differenzierbar. 12