(Wilfried Rehfeld, Kommentar Gesundheit in der Erwachsenenbildung, Vortrag zur Veranstaltung Arbeits und Gesundheitsschutz vor neuen Herausforderungen, 18.04.20116, Berlin) Arbeits und Gesundheitsschutz hat in den Branchen Industrie, Handel und Verwaltung gute Paten, vielfältige gewerkschaftliche Aktivitäten und es gibt entsprechend wichtige Untersuchungen und Forschungsprojekte zur Bewertung und Entwicklung der Gesundheitsvorsorge. Der Bereich Bildung vor allem die Weiterbildung hat hier allerdings noch Nachholbedarf. Um so verdienstvoller ist diese Tagung der GEW mit der Böckler Stiftung. Sie kann dazu beitragen, vom burnout zum burnin im Bildungsbereich zu gelangen. Zu 1. Allgemeiner Überblick Mit den Vorträgen von Frau Prof. Dr. Karin Lohr und Dr. Karin Becker haben wir einen umfassenden, kritischen und aktuellen Überblick über die Einflussfaktoren auf die Gesundheit der Beschäftigten im Bildungsbereich erhalten. Mit meinem Kommentar gehe ich auf die besonderen Bedingungen in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung ein. Zu 2. Gesellschaftlicher Wandel und Weiterbildung Die Weiterbildung ist, wie alle Bereiche der Bildung, konfrontiert mit aktuellen politischen, sozialen und ökologischen Herausforderungen, die auch die Arbeitsbedingungen in den Bildungseinrichtungen beeinflussen. Zielgruppen der Weiterbildung ( Erwachsene ) sind durch ihre beruflichen, persönlichen und sozialen Bezüge besonders herausgefordert: Migration Industrie 4.0
Neues Lernen mit neuen Medien und Modularisierung der Inhalte Rolle der Lehrenden Ökologische Einflussfaktoren auf die Zukunft Demographischer Wandel Employability gegen Emanzipation und Solidarität Betriebswirtschaft dominiert Pädagogik Zu 3. Von der Pädagogik zur Betriebswirtschaft Vom Lernziel zur Zielvereinbarung Qualitätsmanagement, Arbeitsorganisation und ökonomisch orientierte Personalentwicklung wird schon im Pädagogikstudium wichtiger bewertet als die Pädagogik KoFinanzierung, Kennziffern, Projektmanagement und Ausschreibungsprosa dominieren den Arbeitsalltag Veränderung der pädagogischen Profession zur Dominanz betriebswirtschaftlicher Kompetenzen (vgl. Anforderungen in Stellenausschreibung im Zeitverlauf 1990/2000/2010) Zu 4. Prekarisierung Die Einstellungspolitik von Einrichtungen der Weiterbildung hat sich in den vergangenen Jahren vom unbefristeten Beschäftigungsverhältnis zur befristeten projektorientierten Tätigkeit verschoben. Die Veränderungslinie heißt: hauptberufliche pädagogische Tätigkeit Teilzeit Werkvertrag Honorar Ehrenamt.
durch die Projektorientierung werden Planungshorizonte für die Beschäftigten eingeengt sowohl inhaltlich wie zeitlich die Bezahlung orientiert sich in der Weiterbildung vielfach am Mindestlohn und nicht an tariflich und sozial abgesicherten Standards (Schein)Selbständigkeit kennzeichnet das Arbeitsverhältnis mit allen Konsequenzen für die Beschäftigten: Einkommensausfall bei Kursausfall und Krankheit sowie im Falle der Mutterschaft Verpflichtung zur eigenständigen Kranken, Renten und Sozialversicherung mit der Konsequenz, auch den Arbeitgeberbeitrag zu bezahlen Zu 5. Projektitis Durch den Abbau der Regelfinanzierung für Weiterbildung in vielen Bundesländern sind die Einrichtungen vielfach dazu übergegangen, Projekte einzuwerben und dies auf Länder, Bundes und Europaebene. Jede Projektlinie hat ihre eigene Logik und Sprache und muss entsprechend der Projektvorgaben und Formalia beantragt, bearbeitet und ausgewertet werden. Zielvereinbarungen mit Zeit, Ergebnis und Finanzierungsvorgaben bestimmen den Arbeitsalltag. Die Projektlinien bestimmen die Themenstellung und beschneiden damit die Programmgestaltung der Bildungseinrichtungen. Bis in die Projektsprache hinein verändern sich die Programme der Bildungseinrichtungen. Die Halbzeit der Projekte bestimmt den weiteren Arbeitsablauf, da spätestens dann die Neuakquise von Projekten notwendig wird. Parallel muss für jedes Projekt die KoFinanzierung sichergestellt werden. Betriebswirtschaftliche Steuerung steht vor pädagogischer Reflektion. 6. Trends
Weiterbildung befasst sich mit der aktuellen Entwicklung, den Perspektiven sozialer, ökologischer und ökonomischer Politik. Beschäftigte in der Weiterbildung müssen aktuelle Trends aufgreifen und in Bildungsprogramme umsetzen. Ziel der Bildungsarbeit sollte die Stärkung gesellschaftlicher Beteiligung sein. Um dies zu gewährleisten, müssen Bildungseinrichtungen und ihre Beschäftigten auch auf sich selbst achten und neue Rahmenbedingungen berücksichtigen, u.a.: Veränderungen der Zielgruppen und ihre Ansprüche Neue Lernzeiten, modelle und Lernorte Lernen in regionalen und Netzwerkzusammenhängen Lehrende als Berater und Beraterinnen Qualitätssicherung Kompetenzbilanzierung und Potentialberatung 7. Beschäftigte Die Heterogenität in der Weiterbildung umfasst nicht nur die Vielfalt der Träger, Einrichtungen (berufliche Bildung, Zweiter Bildungsweg, politische Bildung, Familienbildung, interkulturelle Bildung, kreative Bildung,...), sondern auch die Vielfalt der Inhalte, Finanzierungsformen und Lernformate. Besonders zu beachten ist allerdings die Heterogenität der Beschäftigungsverhältnisse. Für 2006 hält das WSF, Kerpen, fest: 410.000 freiberuflich Beschäftigte, 130.000 ehrenamtlich Beschäftigte, 90.000 Festangestellte, insgesamt 650.000 Lehrende in der Weiterbildung bei 1,35 Millionen Beschäftigungsverhältnissen auf jede/jeder Lehrende kommen somit durchschnittlich auf 2,1 Beschäftigungsverhältnisse.
Leider liegen keine aktuellen Erhebungen über Zahlen und Strukturen der Beschäftigten und ihrer Arbeitsverhältnisse in der Weiterbildung vor. Obwohl die 4. Säule des Bildungswesens in Deutschland als wichtiger Bildungsbereich angesehen wird ( Sonntagsrede ), ist es leichter, die Anzahl und Ausstattung von Tennisplätzen zu ermitteln, als belastbare Auskünfte über die Arbeitsbedingungen in der Weiterbildung zu erhalten. 8. Praxisbeispiele aus der Weiterbildung Um die sozialen, finanziellen und gesundheitlichen Belastungen der Arbeit abzufedern, haben Bildungseinrichtungen/Bildungsverbünde eigene Konzepte zur Gesundheitsunterstützung entwickelt oder sie haben sich der kommunalen Gesundheitsfür/vorsorge angeschlossen. Beispiele hierfür finden sich unter: VHS München https://www.mvhs.de Bildungswerk Stenden www.bildungswerkstenden.de DGBBildungswerk NRW www.dgbbildungswerknrw.de Bergische Volkshochschule www.bergischevhs.de dialogbildungswerk Greven e.v. www.dialogbildungswerk.de In einigen Bildungseinrichtungen wird das Qualitätsmanagement zur Gesundheitssicherung genutzt. Alle Parameter des QMVerfahrens lassen sich auf die Relevanz für die Gesundheit der Beschäftigten hin überprüfen. Insbesondere gilt dies für : Leitung, Mitarbeiterorientierung, Ressourceneinsatz, Prozesssteuerung, Kundenorientierung und gesellschaftliche Verantwortung. 9. Politische Forderungen
Prekäre Arbeit abschaffen, tarifliche Beschäftigungen ermöglichen und die soziale Absicherung der Honorarkräfte ausbauen. Die Vergabepolitik an die Einhaltung tariflicher Vorgaben orientieren und nicht der günstigste Anbieter erhält den Zuschlag für die Durchführung einer Qualifizierung. Verbindliche Strukturen fördern, ausbauen und hinreichend finanzieren, Projektitis beenden. Öffentlich verantwortete und frei zugängliche Bildungsberatung sicherstellen. Die Verknüpfung sprachlicher und ökonomischer Kompetenz mit der Beteiligungskompetenz st wesentlicher Bestandteil gelingender Intergration. Öffentliche Verantwortung Sicherstellen und bundeseinheitliche Regelungen entwickeln, Aufhebung des Kooperationsverbotes. 10. Gewerkschaftliche Forderungen Verhandlung über Länderfinanzierung für WB: z.b. 1% des Bildungsetats für Weiterbildung einfordern Die Vergabe von Bundesmitteln auch der BA an tarifliche Bezahlung des Personals binden; Entscheidungsträger in BA beeinflussen
Einhaltung des Mindestlohns überprüfen; Mindesthonorare einfordern und weiter entwickeln Weiterbildung als Ware im politischen Raum thematisieren; Bildung ist keine Ware sondern Grundrecht! Dazu braucht es Ressourcen. Und sichere Strukturen Mitgestaltung der Debatte um einen Bildungsbegriff, der berufliche Kompetenzförderung, persönliche Entwicklung und gesellschaftliche Teilhabe verbindet Regionale Aktivitäten zur Vernetzung von Bildungsbereichen mit diskutieren und gestalten Modelle zur Gefährdungsanalyse entwickeln und Betriebsräte / Personalräte dazu qualifizieren GESUNDHEITVORSORGE IN TARIFLICHEN VEREINBARUNGEN VERANKERN