Wahrscheinlichkeitsrechnung

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KAPITEL 2 EREIGNISSE Bei der Konstruktion eines wahrscheinlichkeitstheoretischen Modells geht man von einer nichtleeren Menge Ω aus und versucht, die beiden folgenden Bedingungen gleichzeitig zu erfüllen: 1) jeder Teilmenge von Ω eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen; 2) einige einfache Rechenregeln zu respektieren, in erster Linie die Additivität. Es zeigt sich, dass man aus mathematischen Gründen (die, kurz gesagt, damit zusammenhängen, dass eine unendliche Menge Ω ausserordentlich kompliziert gebaute Teilmengen haben kann) diesen beiden Anforderungen nicht gleichzeitig genügen kann, zumindest dann nicht, wenn Ω die Kardinalität des Kontinuums hat. Daher die Idee, nicht zu versuchen, jeder Teilmenge A P(Ω) eine Wahrscheinlichkeit zuzuordnen, sondern nur denjenigen Mengen, die einer geeigneten Familie A angehören, die im allgemeinen echt in P(Ω) enthalten sein wird. Falls diese Familie einige naheliegende algebraische Eigenschaften hat, kann man auch die zweite Bedingung erfüllen. Es sind die Eigenschaften einer Algebra und σ-algebra, die sich als die leistungsfähigsten herausgestellt haben. Deren Axiome und elementaren Eigenschaften werden in diesem Kapitel behandelt. Die Dynkin-Systeme und die monotonen Klassen, die hier ebenfalls betrachtet werden, haben dagegen eher den Charakter technischer Hilfsmittel. 1. Algebren Definition. Es seien Ω eine Basismenge und A eine Teilmenge von P(Ω). Man bezeichnet A als (Boolesche) Algebra, wenna den folgenden Axiomen genügt: (A1) Ω A; (A2) A A, B A A B A; (A3) A A A c A. Folgerungen (A4) A; (A5) A A, B A A B A; (A6) A 1,A 2,...,A n A n i=1 A i A und n i=1 A i A.

10 KAPITEL 2: EREIGNISSE Diese drei Eigenschaften sind unmittelbare Folgerungen aus den drei Axiomen. Eigenschaft (A4) folgt aus (A1) und (A3), Eigenschaft (A5) aus der Identität A B =(A c B c ) c, aus (A2) und (A3). Eigenschaft (A6) schliesslich folgt aus (A2) mittels Induktion über n. Äquivalent hierzu ist die bequemere Aussage, dass eine Familie A von Teilmengen von Ω eine Algebra ist, wenn sie das Element Ω enthält und abgeschlossen (stabil) ist unter endlichen Vereinigungen und Komplementierung. Ein Beispiel einer Algebra ist die Familie aller endlichen Vereinigungen von halboffenen Intervallen der reellen Geraden, wie im Folgenden beschrieben. Beispiel. Es bezeichne P die Menge aller halboffenen Intervalle der reellen Geraden von der Form ],a [; [a, b[; [a, + [; <a + ; <a b<+ ; <a < +. Satz 1.1. Die Familie A aller Teilmengen von R, die sich als endliche Vereinigungen von Intervallen aus P schreiben lassen, ist eine Algebra. Zum Beweis dieser Behauptung verifiziert man zunächst ohne weiteres folgende Punkte: 1) das Komplement eines Intervalles von P gehört zu A; 2) Ω = R =], + [ und =[a, a[ gehören zu A; 3) die Vereinigung zweier Elemente von A gehört zu A; 4) der Durchschnitt zweier Intervalle aus P gehört zu A. Daraus folgt: sind A = i I i und B = j J j zwei Elemente von A, soist auch ihr Durchschnitt A B = i,j I i J j ein Element von A. Folglich gehört auch das Komplement A c = i I i c eines Elementes A = i I i von A wieder zu A. Bemerkung. Man beachte, dass sich jedes Element A der gerade behandelten Algebra immer auch als endliche Vereinigung paarweise disjunkter Intervalle von P darstellen lässt. 2. σ-algebren. Die folgende Definition einer σ-algebra basiert auf den drei Axiomen einer Algebra, wobei lediglich das zweite Axiom modifiziert wird: über die endlichen Vereinigungen hinausgehend werden auch abzählbare Vereinigungen zugelassen. Definition. Es seien Ω eine Basismenge und A eine Teilmenge von P(Ω). Man bezeichnet A als σ-algebra, (oder auch σ-körper oder Borel-Körper), wenn A den folgenden Axiomen genügt:

2. σ-algebren 11 (T1) Ω A; (T2) ist (A n )(n =1, 2,...) eine Folge von Elementen aus A, sogehört auch die Vereinigung n=1 A n zu A; (T3) A A A c A. Man kann also sagen, dass eine σ-algebra eine Familie von Teilmengen von Ω ist, die Ω enthält und die unter abzählbaren Vereinigungen und Komplementierung abgeschlossen ist. Die beiden folgenden Eigenschaften sind unmittelbare Folgerungen aus den drei Axiomen; zum Beweis vergleiche man den Nachweis der entsprechenden Eigenschaften für Algebren: (T4) A; (T5) ist (A n )(n =1, 2,...) eine Folge von Elementen aus A, sogehört auch der Durchschnitt n=1 A n zu A. Bemerkung. Jedeσ-Algebra ist auch eine Algebra. In der Tat genügt es, von zwei Elementen A und B von A ausgehend die Folge A 1 = A, A 2 = B und A n = für n 3 zu betrachten. Aus Axiom (T2) folgt, dass die Vereinigung A B = n=1 A n zu A gehört. Damit ist Axiom (A2) nachgewiesen. Beispiele. Für jede nichtleere Menge Ω sind sowohl die zweielementige Familie {Ω, } als auch die Potenzmenge P(Ω) σ-algebren. Letztere σ- Algebra wird man immer dann auf Ω zugrunde legen, wenn diese Menge endlich oder abzählbar ist. Im Gegensatz zur Situation bei den Algebren (man vergleiche Satz 1.1) ist es bei nichttrivialen σ-algebren schwieriger, eine explizite Beschreibung aller ihrer Elemente anzugeben. Satz 2.1 (von einem Mengensystem erzeugte σ-algebra). Es sei C eine Familie von Teilmengen von Ω. Dann existiert genau eine σ-algebra σ(c) mit den folgenden Eigenschaften: (i) σ(c) C; (ii) ist T irgendeine σ-algebra, die C umfasst, so enthält sie auch σ(c). Die σ-algebra σ(c) wird als die von C erzeugte σ-algebra bezeichnet. Beweis. Wir zeigen zunächst, dass jeder Durchschnitt einer nichtleeren Familie von σ-algebren wiederum eine σ-algebra ist. In der Tat: ist (T i )eine nichtleere Familie von σ-algebren von Ω, dann ist die Menge Ω in jeder dieser σ-algebren enthalten und somit auch in deren Durchschnitt i T i.ebenso zeigt man, dass die Axiome (T2) und (T3), die ja für jede der σ-algebren T i erfüllt sind, auch für deren Durchschnitt gelten. Nun ist zu bemerken, dass die Familie der σ-algebren, die C enthalten, nicht leer ist, da immerhin P(Ω) zu dieser Familie gehört. Daher kann man die Familie aller derjenigen σ-algebren betrachten, die C enthalten; dies ist wiederum eine σ-algebra gemäss dem ersten Teil dieses Beweises. Sie hat

12 KAPITEL 2: EREIGNISSE die beiden Eigenschaften (i) und (ii) und ist gemäss Konstruktion eindeutig bestimmt. Beispiele. 1) Falls die Familie C selbst eine σ-algebra ist, so stimmt sie mit der von ihr erzeugten σ-algebra überein. 2) Ist A eine Teilmenge von Ω, so ist die von der aus dem einzigen Element A bestehenden Familie {A} erzeugte σ-algebra nichts anderes als {,A,A c, Ω}. 3) Sind A und B zwei disjunkte Teilmengen von Ω, so besteht die von der zweielementigen Familie {A, B} erzeugte σ-algebra aus den acht (nicht notwendigerweise verschiedenen) Mengen, A, B, A + B, A c, B c, A c B c,ω. Definition. Man bezeichnet als Borel-σ-Algebra der reellen Geraden R die von der Familie der abgeschlossenen und beschränkten Intervalle { [a, b] :a b} erzeugte σ-algebra. Diese σ-algebra wird mit B 1 bezeichnet. Ihre Elemente heissen Borelmengen der Geraden. Man kann sich leicht davon überzeugen (siehe Aufgabe 6), dass die Borelσ-Algebra auch von vielen anderen Familien von Teilmengen der reellen Geraden R erzeugt werden kann. Definition. Man bezeichnet als Borel-σ-Algebra des R n die von den abgeschlossenen Rechtecken {(x 1,x 2,...,x n ):a i x i b i,i=1, 2,...,n} erzeugte σ-algebra; sie wird mit B n notiert. Definition. Alsmessbaren Raum bezeichnet man jedes Paar (Ω, A), bestehend aus einer nichtleeren Menge Ω und einer σ-algebra A von Teilmengen von Ω. In diesem Kontext werden die Elemente von A als Ereignisse bezeichnet. Beispiele. 1) Das Paar (Ω, P(Ω)) ist ein messbarer Raum. Dies ist der messbare Raum, den man immer der Menge Ω zuordnet, wenn Ω höchstens abzählbare Kardinalität hat. 2) Das Paar (R n, B n ) ist ein messbarer Raum. 3. Dynkin-Systeme. Die Dynkin-Systeme stellen ein Werkzeug dar, mit dessen Hilfe man nachweisen kann, dass eine gegebene Familie von Teilmengen eine σ-algebra ist. Wie in Satz 3.1 ausgeführt werden wird, genügt es, von einem Dynkin-System auszugehen und nachzuweisen, dass dieses unter endlichen Durchschnitten abgeschlossen ist. Wir werden

3. DYNKIN-SYSTEME 13 Dynkin-Systeme im wesentlichen dann benutzen, wenn es darum geht, die Unabhängigkeit von Familien von Ereignissen zu untersuchen. Beim ersten Durchlesen sollte es genügen, die Definition und die beiden folgenden Sätze zur Kenntnis zu nehmen. Definition. Es sei Ω eine Basismenge und D eine Familie von Teilmengen von Ω. Man bezeichnet D als Dynkin-System, wenn es den folgenden Axiomen genügt: (D1) Ω D; (D2) A D, B D, A B A \ B D; (D3) ist (A n )(n =1, 2,...) eine Folge von paarweise disjunkten Elementen von D, sogehört auch deren (disjunkte) Vereinigung A n zu D. Anders gesagt, ein Dynkin-System von Ω ist eine Familie von Teilmengen, die Ω als Element enthält und die unter echter Differenz und abzählbarer disjunkter Vereinigung abgeschlossen ist. Satz 3.1. Jede σ-algebra ist ein Dynkin-System. Ein Dynkin-System D ist genau dann eine σ-algebra, wenn sie zusätzlich unter endlichen Durchschnitten abgeschlossen ist, wenn sie also auch noch folgendem Axiom genügt: (I f ) A D, B D A B D. Beweis. Der erste Teil der Behauptung ist offensichtlich wahr. Es bleibt zu zeigen, dass jedes Dynkin-System, das unter endlichen Durchschnitten abgeschlossen ist, auch eine σ-algebra ist. Gehen wir also von einem solchen System D aus. Zunächst einmal sind die Axiome (T1) und (T3) erfüllt, da ja speziell A c =Ω\ A gilt. Andererseits ist D unter endlichen Vereinigungen abgeschlossen, denn mit A und B aus D gehören auch der Durchschnitt A B und die echte Differenz A \ A B zu D, und damit auch die disjunkte Vereinigung A B = ( A \ (A B) ) + B. Ist nun (A n ) eine Folge von Elementen aus D, so gehören auch alle endlichen Vereinigungen B n = A 1 A n zu D. Man kann also schreiben A n = n=1 (A n \ B n 1 ), n=1 (wobei B 0 = sein soll), was zeigt, dass auch diese (abzählbare) Vereinigung zu D gehört. Genauso wie bei σ-algebrenkannmansichdavonüberzeugen, dass es zu jeder Familie C von Mengen ein eindeutig bestimmtes Dynkin-System gibt, das C umfasst und das in jedem C umfassenden Dynkin-System enthalten ist. n=1

14 KAPITEL 2: EREIGNISSE Man bezeichnet dies als das von C erzeugte Dynkin-System und notiert es als D(C). Satz 3.2. Es sei C eine Familie von Teilmengen von Ω, dieunter endlichen Durchschnitten abgeschlossen ist. Dann gilt D(C) =σ(c). Beweis. Da jede σ-algebra ein Dynkin-System ist, gilt sofort die Inklusion D(C) σ(c). Um die umgekehrte Inklusion nachzuweisen, genügt es zu zeigen, dass D(C) aucheineσ-algebra ist. Wegen des vorigen Satzes ist also nur noch nachzuweisen, dass D(C) unter endlichen Durchschnitten abgeschlossen ist. Sei also A irgendein Element von D(C), mit dem wir die Familie I(A) aller Teilmengen B von Ω definieren, für die B A D(C) gilt. Diese Familie I(A) ist ein Dynkin-System, da sie Ω enthält und sowohl unter echter Differenzbildung, als auch unter abzählbarer disjunkter Vereinigung abgeschlossen ist. Wenn nun aber E zu C gehört, so gilt F E C für jedes F C; damit hat man aber auch C I(E) und D(C) I(E) für alle E C. Die letzte Inklusion kann man auch so lesen: für jedes A D(C) und jedes E Cgilt A E D(C). Daraus folgt die Inklusion C I(A) und D(C) I(A) für jedes A D(C). Das besagt aber insbesondere, dass D(C) unter endlichen Durchschnitten abgeschlossen ist. 4. Monotone Klassen. Auch diese sind, wie die Dynkin-Systeme, technische Hilfsmittel. Für deren Verständnis kann man sich, im Rahmen dieses Buches, darauf beschränken, die Definition und die beiden folgenden Sätze zur Kenntnis zu nehmen. Definition. Eine nichtleere Famlie M von Teilmengen einer Menge Ω heisst monoton, wennfür jede monotone Folge (A n ) von Elementen von M (also für jede aufsteigende oder absteigende Folge von Elementen von M) gilt: lim n A n M. Man sagt auch, dass M unter monotonen Grenzübergängen abgeschlossen ist. Ebenso wie bei σ-algebren und Dynkin-Systemen verifiziert man, dass jeder Durchschnitt von monotonen Klassen wieder eine monotone Klasse ist und dass es zu jeder gegebenen Familie C von Teilmengen von Ω genau eine monotone Klasse gibt, die C enthält und die ihrerseits in jeder C umfassenden monotonen Klasse enthalten ist. Diese bezeichnet man als die von C erzeugte monotone Klasse und schreibt dafür M(C). Satz 4.1. Jede σ-algebra ist eine monotone Klasse. Jede monotone Algebra ist eine σ-algebra.

4. MONOTONE KLASSEN 15 Beweis. Der erste Teil der Behauptung ist offensichtlich. Zum Beweis des zweiten Teils betrachte man eine monotone Algebra A und eine Folge (A n )(n =1, 2,...) von Elementen von A. Danngehört gemäss Axiom (A2) jede endliche Vereinigung B n = n i=1 A i wiederum zu A. Wegen B n i=1 A i hat man dann aber auch i=1 A i A, denna ist ja auch eine monotone Klasse. Der folgende Satz spielt für monotone Klassen die gleiche Rolle, welche Satz 3.2 für die Dynkin-Systeme spielte. Satz 4.2. Falls A eine Algebra ist, so gilt σ(a) =M(A). Wenn also eine monotone Klasse eine Algebra A enthält, so enthält sie auch die von A erzeugte σ-algebra σ(a). Beweis. Gemäss vorigem Satz genügt es zu zeigen, dass M = M(A) eine σ-algebra ist. Betrachten wir also für jedes A M mit A c M die Familie K(A) aller Teilmengen B mit B c M und A B M. Jedesolche Familie ist nichtleer, denn A gehört sicher dazu. Wenn andererseits B und B c zu M gehören, so sind die Aussagen B K(A) und A K(B) äquivalent. Wir zeigen nun, dass K(A) eine monotone Klasse ist. Dazu nehmen wir eine monotone Folge (B n ) von Elementen aus K(A). Dann gilt (lim n B n ) c = lim n B c n M und A lim n B n = lim n A B n M. Da andererseits die Inklusion A M gilt und A eine Algebra ist, gehört das Komplement A c zu M, sobald A zu A gehört. Somit umfasst die Familie K(A) diealgebraa, dajab c und A B zu A gehören, also auch zu M. Da aber M die von A erzeugte monotone Klasse ist, besteht die Inklusion M K(A). Für jedes B M gilt B c M. Man kann also die monotone Klasse K(B) betrachten. Für jedes A A gilt B K(A) und folglich A K(B). Daher hat man A K(B) und M K(B). Da diese Inklusion für jedes B M gilt, genügt M den Axiomen (A2) und (A3). Es handelt sich also um eine monotone Algebra und somit auch um eine σ-algebra.

16 KAPITEL 2: EREIGNISSE ERGÄNZUNGEN UND ÜBUNGEN 1. Wie würde man den Begriff der von einer Mengenfamilie erzeugten Algebra definieren? 2. Man betrachte eine dreielementige Menge Ω = {a, b, c}. Wiesieht die von der Teilmenge {a, b} erzeugte σ-algebra aus? 3. Die Menge Ω bestehe aus den fünf Elementen a, b, c, d, e. Man betrachte die beiden Familien F 1, F 2 von Teilmengen von Ω: F 1 = {, {a }, {b, c, d, e }, Ω }; F 2 = {, {a }, {b }, {a, b }, {c, d, e }, {a, c, d, e }, {b, c, d, e }, Ω }. a) Man zeige, dass F 1 und F 2 σ-algebren sind. b) Man konstruiere die Boolesche Algebra F 3, die von der aus den beiden Teilmengen {a } und {c, d } bestehenden Familie erzeugt wird. c) Man zeige, dass F 3 eine σ-algebra ist. d) Man konstruiere die von F 2 F 3 erzeugte σ-algebra F 4 4. Es sei Ω eine Menge und Π = (A n ) n 1 eine (abzählbare) Partition von Ω, d.h. eine Familie von Teilmengen von Ω, für die gilt: A n für jedes n, A n =Ω, A i A j = für alle i j. n 1 Man sagt, eine σ-algebra A auf Ω sei durch die Partition Π erzeugt, wenn alle Elemente von Π auch Elemente von A sind und wenn andererseits jedes Element von A eine endliche oder abzählbare Vereinigung von Elementen aus Π ist, d.h. wenn gilt: { } A = A n : T P(N ). n T a) Man zeige, dass jede σ-algebra A auf einer abzählbaren Menge Ω durch eine Partition, wie beschrieben, erzeugt wird. b) Gibt es eine σ-algebra mit abzählbar unendlich vielen Elementen? 5. Es sei A 1,..., A n eine Familie von n (n 1) Teilmengen einer nichtleeren Menge Ω. Man beschreibe die von {A 1,...,A n } erzeugte Algebra A und gebe eine Abschätzung (nach oben) für die Mächtigkeit von A. 6. Man zeige, dass die Borel-σ-Algebra B 1 von R durch jede der nachfolgend aufgeführten Familien erzeugt wird, wobei a und b reelle Zahlen mit <a b< sind:

ERGÄNZUNGEN UND ÜBUNGEN 17 a) C 1 = { ]a, b[ }; b) C 2 = { [a, b[ }; c) C 3 = { ]a, b] }; d) C 4 = { [a, + [ }; e) C 5 = { ],a[ }; f) C 6 = { ]a, + [ }; g) C 7 = { ],a] }; h) C 8 = {endliche Vereinigungen von nach rechts halb-offenen Intervallen, d.h. zu P gehörend} (vgl. Satz 1.1); i) C 9 = { offene Teilmengen der Geraden }; j) C 10 = {abgeschlossene Teilmengen der Geraden}; diese Aufzählung ist keineswegs erschöpfend! 7. Es bezeichne C die Klasse aller ein-elementigen Teilmengen einer nichtleeren Menge Ω. Man zeige, dass die von C erzeugte σ-algebra genau dann die Potenzmenge P(Ω) von Ω ist, wenn Ω höchstens abzählbar ist. 8. Es wurde bereits festgestellt, dass der Durchschnitt von zwei σ- Algebren wieder eine σ-algebra ist; im Gegensatz dazu ist die Vereinigung von zwei σ-algebren nicht notwendig wieder eine σ-algebra. Man gebe ein Beispiel dafür an, dass die Vereinigung zweier σ-algebren keine σ-algebra ist.

18 KAPITEL 2: EREIGNISSE