Jugendforensik aus Sicht von Jugendpsychiatrie und Erwachsenenforensik Angebot für eine Zusammenarbeit 03.11.2011 Marc Graf Forensisch-Psychiatrische Klinik Klaus Schmeck Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik Warum braucht es eine Jugendforensik? Delinquente Jugendliche zeigen gehäuft psychische Störungen Bei ausgeprägtem Schweregrad einer psychischen Störung (z.b. Psychose) und gleichzeitig schwerwiegendem delinquentem Verhalten sind Massnahmevollzugsinstitutionen nicht geeignet / nicht bereit, solche Jugendlichen aufzunehmen UN-Kinderrechtskonvention: keine Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen für Erwachsene Notwendig zur Förderung von kinder- und jugendspezifischer Entwicklung (z.b. Schule, Peer-Gruppe etc.) 2 1
Psychische Störungen im Jugendstrafvollzug 19% Prävalenz psychischer Störungen im Jugendstrafvollzug (weiblich) 30% Prävalenz psychischer Störungen im Jugendstrafvollzug (männlich) 81% 70% Psychische Störung/klinisch auffällig Klinisch unauffällig Psychische Störung/klinisch auffällig Klinisch unauffällig Cauffman et al. 2004 N = 18 607 Modellversuch in Massnahmevollzugsinstitutionen 2
Psychische Auffälligkeiten von Jugendlichen in Massnahmevollzugsinstitutionen 40 Normpopulation (D&USA) MAZ Stichprobe Klinisch auffälliger Bereich Häufigkeiten (%) 30 20 10 79% der Stichprobe erreichten Ergebnisse im klinisch auffälligen Bereich 23% der Stichprobe hatten einen T-Wert über 70 (PR > 98) 0-45 -50-55 -60-65 -70-75 -80 >80 T-Wertepunkte N = 294 Modellversuch zur Abklärung und Zielerreichung in stationären Massnahmen 5 Fallbeispiel 16jähriger Junge Unterdurchschnittlich intelligent Körperlich kräftig, etwas verwachsen Wenig durchsetzungsfähig, zurückhaltend, wird in seiner Jugendhilfeeinrichtung gehänselt Bleibt äusserlich angepasst, bis er unvorhergesehen explodiert und seinen Peiniger würgt Verlegung in eine vom Bund anerkannte Einrichtung zur Umsetzung von Massnahmen Dort gleiches Verhaltensmuster bis zur 2. Explosion: Tod des Opfers durch Würgen kann nur durch Eintreffen der Polizei verhindert werden 6 3
Jugendforensik - ein sehr spezialisiertes Gebiet der Medizin seltene Krankheitsfälle (niedrige Inzidenz/Prävalenz) hohe Komplexität und hoher Schweregrad einer Krankheit komplexer multidisziplinärer Behandlungsbedarf hohe Kosten für Infrastruktur/Behandlung Hochspezialisierte Ausbildung 7 Jugendforensik an der Schnittstelle von Jugendpsychiatrie und Forensik Zwei Modelle: Jugendforensik als Abteilung einer Kinder- und Jugendpsychiatrischen Klinik Notwendigkeit, spezifische forensische Expertise zu etablieren Abteilung einer Forensischen Klinik Notwendigkeit, spezifische jugendpsychiatrische Expertise zu etablieren 8 4
Gründe für eine Jugendforensik aus erwachsenenforensischer Sicht Differenzierte Behandlung jugendlicher Straftäter Andere diagnostische und therapeutische Konzepte Andere Ausrichtung: Förderung der Persönlichkeitsentwicklung Mehr integrativer, systemischer Ansatz (multimodale Therapie) Andere Rahmenbedingungen: Engere Zusammenarbeit zwischen Therapie, Pädagogik, Eltern und Behörden Fokus «Riskmanagment» Wirkliche Höchstdauer der Intervention 9 Was kann die Erwachsenen- von der Jugendforensik lernen? Entwicklungspsychologie (Pfade zur Delinquenz) Umgekehrt: Resilienz Riskmanagment Integrative, hochindividualisierte Angebote 10 5
Was kann die Jugend- von der Erwachsenenforensik lernen? Risikobeurteilung Deliktorientierte Therapie Spezifisch forensische Diagnosen wie Paraphilien, schwerwiegende Persönlichkeitsstörungen Umgang mit Rollenkonflikten 11 Jugendforensischen Abteilung R3 FPK UPK Basel Hochintensive (hoher Personalschlüssel), integrative forensische Therapie in einer psychiatrischen Universitätsklinik mit niedrigem bis mittlerem Sicherheitsstandard durch bauliche Massnahmen für psychisch schwer kranke jugendliche Straftäter, integriert in eine Forensische sowie Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik, inklusive der dazugehörigen Ausbildung, Forschung und Lehre. dito Kriseninterventionen und stationäre Begutachtungen Keine Verwahrungsinstitution! 12 6
«Schweizerische (oder zumindest konkordatliche) Forensikplanung» Lösungen müssen zwischen Justiz- und Gesundheitsdepartementen gefunden werden (teilw. noch andere involviert, Bsp. bei Vormundschaftsbehörden). Konkordate ohne Finanzkompetenz Eng verbunden mit Frage nach «Spitzenmedizin» und Universitätslandschaft Plattform Schweizerische Gesellschaft für Forensische Psychiatrie SGFP für Leiter der Forensischen Institutionen 13 DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT Marc Graf Forensisch-Psychiatrische Klinik marc.graf@upkbs.ch Klaus Schmeck Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik klaus.schmeck@upkbs.ch www.upkbs.ch 14 7