I. Räumliche Geltung

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Transkript:

PROF. DR. HENNING RADTKE Strafrecht AT Zu 9 (Die Geltung des [nationalen] Strafrechts) Vorbemerkung Das materielle Strafrecht (aber auch Strafverfahrensrecht) ist Teil der jeweiligen nationalen Rechtsordnung. Insoweit unterscheidet sich das materielle Strafrecht nicht vom materiellen Zivilrecht. Anders als im Zivilrecht wenden aber deutsche Strafgerichte im Rahmen ihrer Strafgewalt lediglich deutsches Strafrecht an. Im Zivilrecht kann sich dagegen die Situation ergeben, dass aufgrund der Regelungen des Internationalen Privatrechts (z.b. im EGBGB) deutsche Zivilgerichte ausländische Zivilrechtsvorschriften anwenden, wenn es sich um Sachverhalte mit Auslandsbezug handelt (etwa die Scheidung zweier türkischer Staatsangehöriger, die ihren ständigen Aufenthalt in Deutschland haben). Die für die räumliche Geltung des deutschen materiellen Strafrechts einschlägigen 3 ff. StGB lassen dagegen eine (unmittelbare) Anwendung ausländischer Strafrechtsnormen durch deutsche Strafgerichte nicht zu. Dessen ungeachtet stellt sich für das Strafrecht nicht anders als für das Zivilrecht die Frage, an welche sachlichen Kriterien die Anwendbarkeit oder anders formuliert die Geltung deutschen Strafrechts geknüpft werden soll. Die Notwendigkeit der Antwort auf eine solche Frage zeigt sich insbesondere an Fällen mit Auslandsbezug; man braucht in Saarbrücken nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, dass ein deutscher Staatsbürger auf dem benachbarten französischen Territorium eine Straftat zum Nachteil eines anderen deutschen Staatsbürgers begeht. Die Regelungen über die räumliche Geltung des deutschen StGB finden sich wie bereits erwähnt in den 3-9 StGB. I. Räumliche Geltung Als sachliche Kriterien für die Anwendbarkeit (die Geltung legitimierende Anknüpfungspunkte) deutschen Strafrecht sieht das StGB vier verschiedene Anknüpfungsfaktoren vor: den Begehungsort der Tat (1.a), die Staatsangehörigkeit des Täters (1.b), den auf die Bewahrung (wichtiger) Inlandsrechtgüter zielenden Schutzzweck des Tatbestan-

des (1.c) sowie den Schutz weniger universal bedeutsamer Rechtsgüter (2.) und ergänzend die sog. Stellvertretende Strafrechtspflege. 1.) Personalitäts- und Territorialitätsprinzip a) Territorialitätsprinzip (Gebietsgrundsatz) Den wohl am unmittelbarsten einleuchtenden Anknüpfungspunkt für die Ausübung von Strafgewalt durch einen Staat bildet der Gebietsgrundsatz. Der Strafgewalt des jeweiligen Staates unterliegen sämtliche Straftaten, die auf seinem Staatsgebiet verübt werden. 3 StGB normiert dieses Prinzip für das deutsche Strafrecht. Es gilt für alle Straftaten, die im Inland begangen werden. 3 StGB muss stets zusammen mit 9 StGB gelesen werden, weil es 9 StGB ist, der die Voraussetzungen eines inländischen Tatorts formuliert. Unter Verzicht auf Details bei bestimmten Beteiligungsformen lässt sich sagen, dass ein inländischer Tatort vorliegt, wenn der Täter entweder die tatbestandsmäßige Handlung im Inland vollzogen hat oder alternierend der Erfolg einer (möglicherweise im Ausland vollzogenen) Handlung sich im Inland realisiert hat. Wiederum ein Beispiel aus dem deutsch-französischen Grenzgebiet. Wenn der Täter den Abzug seines Gewehrs auf französischem Territorium betätigt, also die Tathandlung vollzieht, das abgefeuerte Geschoß aber das auf deutschem Staatsgebiet stehende Opfer tödlich trifft, handelt es sich gemäß 9 StGB um einen inländischen Erfolgsort, so dass gemäß 3 StGB deutsches Strafrecht Anwendung findet (möglicherweise aber auch französisches Strafrecht durch französische Gerichte, so dass sich strafverfahrensrechtlich das Problem des Doppelbestrafungsverbotes [ne bis n idem] stellt). Bei bestimmten Tatbestandstypen (insbesondere solchen, die keinen [rechtsgutsbezogenen] Verletzungs- oder Gefährdungserfolg voraussetzen) bereitet die Handhabung von 9 StGB erhebliche Schwierigkeiten (ausführlich B. Heinrich, GA 1999, S. 72 ff.). In praktischer Hinsicht stößt das Gebietsprinzip mit seiner Regelung in den 3 und 9 StGB derzeit im wörtlichen Sinne an seine Grenzen bei der Frage des Strafanwendungsrechts hinsichtlich der Verfolgung strafbarer Inhalte im Internet (z.b. die inkriminierten Inhalte [ etwa Pornographie] werden in den USA eingespeist, ein deutscher Service- Provider vermittelt aber deutschen Nutzern den Zugang zu den strafbaren Inhalten; zu diesen Fragen Radtke, JuRPC, Web.Dok. 77/1999 Abs.1-7). 2

Der Gebietsgrundsatz unterwirft sämtliche Täter unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit der deutschen Strafgewalt, wenn und soweit sie Straftaten im Inland begangen haben, 3 StGB. Das Territorialitätsprinzip wird ergänzt durch das sog. Flaggenprinzip; 4 StGB. Als deutsches Staatsgebiet gelten insoweit auch Schiffe oder Luftfahrzeuge, die berechtigt sind, unter deutschen Hoheitszeichen zu fahren bzw. zu fliegen. b) Personalitätsprinzip Einen weiteren Anknüpfungspunkt nationaler Strafgewalt bildet das (aktive oder passive) Personalitätsprinzip. Dieses Prinzip knüpft die Strafgewalt an die Staatsangehörigkeit entweder der Täter (aktiv) oder der Opfer (passiv) an. In seiner aktiven Variante besagt es, dass eigene Staatsbürger der inländischen Strafgewalt auch bei der Begehung von Auslandstaten (also kein inländischer Tatort isv. 3, 9 StGB) unterworfen sind; in der passiven Variante wird die jeweilige nationale Strafgewalt auf durch Ausländer begangene Auslandstaten erstreckt, wenn das Opfer der Straftat Inländer ist. Das Personalitätsprinzip spielt im geltenden deutschen Strafanwendungsrecht in seinen beiden Varianten lediglich noch eine untergeordnete Rolle. Das aktive Personalitätsprinzip findet sich noch in 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB und in 5 Nr. 8 und 9 StGB. Auf das passive Personalitätsprinzip stützt sich deutsche Strafgewalt in 7 Abs. 1 StGB im Falle von Auslandstaten mit einem deutschen Opfer, wenn und soweit die Tat auch nach dem Recht des Tatortstaates mit Strafe bedroht ist oder (selten) dieser keinerlei Strafgewalt unterliegen sollte. c) Schutzprinzip In seinem Grundgedanken dem passiven Personalitätsprinzip nicht unähnlich knüpft das Schutzprinzip die deutsche Strafgewalt an die Beeinträchtigung inländischer Rechtsgüter durch Auslandtaten an. Dabei kann es einerseits um eher kollektive inländische Interessen wie etwa den Bestand des Staates selbst gehen, andererseits aber auch um hervorgehobene individuelle inländische Interessen bzw. Rechtgüter (etwa 5 Nr.6-9 StGB). Die Ausdehnung deutscher Strafgewalt auf Auslandstaten ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit nach dem Tatortrecht ist im Hinblick auf die spezifische Schutzrichtung bei Staatsschutzdelikten ( 5 Nrn. 1-5 StGB) unumgänglich, bezüglich des Schutzes individueller inländischer Rechtsgüter wird gelegentlich über den Wortlaut von 5 3

StGB hinaus eine der inländischen Strafvorschrift vergleichbare Strafbarkeit nach dem Recht des Tatortes verlangt (siehe Jakobs, AT, 2.Aufl., 5/8 m.w.n.). 2. Weltrechtsprinzip (Universalprinzip) 6 StGB normiert als weitere Möglichkeit der Begründung deutscher Strafgewalt das sog. Weltrechtsprinzip. Bezüglich des in der Vorschrift genannten Kanon von Straftatbeständen findet das deutsche Strafrecht auch dann auf Auslandstaten Anwendung, obwohl anders als bei dem passiven Personalitätsprinzip und dem Schutzprinzip eine Anknüpfung in Gestalt der Beeinträchtigung inländischer Interessen, Rechtsgüter oder Rechtsgutsträger vollständig fehlt. Dieses Strafanwendungsprinzip erweist sich wegen des völkerrechtlichen Prinzips der Nichteinmischung dann als problematisch, wenn weder der Tatortstaat noch der durch die Tat in seinen Interessen (im Sinne des Schutzprinzips) betroffene Staat die Ausübung ihrer Strafgewalt anstreben. Nach derzeit noch überwiegender Auffassung erfordert daher die auf 6 StGB gestützte deutsche Strafgewalt, dass ein völkerrechtliches Verbot der Strafverfolgung der Auslandstat im Inland nicht entgegensteht und ein die Verfolgung im Inland legitimierenden inländischer Anknüpfungspunkt vorliegt (etwa Aufenthalt des ausl. Täters im Inland); Nachw. bei Lackner/Kühl, StGB, 6 Rdn. 1). Allerdings sind die Dinge im Hinblick auf die zögernde Ausbildung eines Völkerstrafrecht (Jugoslawien und Ruanda-Gerichtshof der UN) derzeit im Fluss. Der Bundesgerichtshof hielt bis vor kurzem an der Notwendigkeit eines inländischen Anknüpfungspunktes für die Strafverfolgung fest, lässt aber in neuesten Entscheidungen erste Absetzbewegungen erkennen. Die Aufnahme der in 6 StGB recht kasuistisch aufgeführten Straftatbestände, für die das Weltrechtsprinzip gilt, beruht regelmäßig auf bilateralen oder multilateralen Übereinkommen, durch die sich die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, die betroffenen universalen Interessen durch Strafrecht unabhängig von einem inländischen Tatort zu schützen. 3. Sog. Stellvertretende Strafrechtspflege Die sog. Stellvertretende Strafrechtspflege regelt 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB. Wie 5, 6 StGB geht es auch bei der stellvertretenden Strafrechtspflege um die Anwendung deutschen Strafrechts auf Auslandstaten. Abweichend vom Weltrechtprinzip ( 6 StGB) 4

erfordert stellvertretende Strafrechtspflege jedoch grundsätzliche eine Strafbarkeit des Verhaltens nach dem Recht des (ausländischen) Tatortes und eine inländischen Anknüpfungspunkt dergestalt, dass der ausländische Täter in Deutschland festgenommen worden sein muss (betroffen). Darüber hinaus bedarf es einer nach dem jeweiligen Auslieferungsrecht Auslieferungsfähigkeit der Tat. Von diesem Auslieferungsrecht hat der ausländische Staat jedoch keinen Gebrauch gemacht. In einer solchen Konstellationen wird dann stellvertretend die Strafgewalt durch den deutschen Staat (aber auf der Grundlage des deutschen StGB) ausgeübt; zu einem solchen Fall BayObLG, JR 1998, S. 472. II. Zeitliche Geltung Auf die mit der zeitlichen Geltung des materiellen Strafrechts verbundenen Rechtsfragen braucht im Rahmen dieses papers lediglich knapp eingegangen zu werden. Fundamental für die zeitliche Geltung des Strafrechts ist das Rückwirkungsverbot als Teil des Gesetzlichkeitsprinzips (dazu 7 IV. der Vorlesung). Das auf der Ebene des Verfassungsrechts (Art. 103 Abs. 2 GG) angesiedelte Rückwirkungsverbot wird auf der Ebene des einfachen Rechts in 2 StGB aufgenommen und inhaltlich näher konkretisiert. Der Grundsatz der zeitlichen Geltung des materiellen Strafrechts findet sich in 2 Abs. 1 StGB; die strafrechtlichen Sanktionen richten sich nach dem Gesetz, welches zur Zeit der Begehung der Tat galt. Von diesem Grundsatz macht 2 Abs. 3 StGB eine Ausnahme, wenn nach der Beendigung der einschlägigen Straftat aber vor der gerichtlichen Entscheidung über die Straftat eine dem Täter bezüglich der Sanktionen günstigere gesetzliche Regelung in Kraft tritt ( mildeste Gesetz ; sog. Meistbegünstigungsklausel). Bei einer solchen nachträglichen des für die jeweilige Straftat einschlägigen Straftatbestandes ist das Gericht auf der Grundlage von 2 Abs. 3 StGB gehalten, das zur Tatzeit geltende Gesetz und das zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltende Gesetz miteinander zu vergleichen und im Rahmen einer Gesamtwürdigung das für den Täter mildere Gesetz zu ermitteln (dazu knapp einführend Lackner/Kühl, 2 Rdn. 4 mit zahlr. Nachw.). Zu den Fragen des Rückwirkungsverbots allgemein einführend Roxin, Strafrecht AT 1, 3. Aufl., 1997, 5 Rdn.51-66. 5

Besondere Bedeutung hat die Frage des Rückwirkungsverbots und damit der zeitlichen Geltung des Strafrechts im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung, d.h. insbesondere der strafrechtlichen Verfolgbarkeit von Straftaten auf dem Gebiet der e- hemaligen DDR während der Zeit ihres Bestehens, erlangt. Im Einigungsvertrag sind zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR Sonderregelungen darüber getroffen worden, die für das Strafrecht in Art. 315 Abs.1 4 EGStGB (Einführungsgesetzbuch zum Strafgesetzbuch) umgesetzt worden sind. Ohne insoweit auf Einzelheiten eingehen zu können, gilt auch für die angesprochenen DDR-Alttaten im Grundsatz die Regelung des 2 StGB, der allerdings durch die genannten Vorschriften des EGStGB modifiziert wird. Wer sich für diese Fragen des Umgangs mit DDR-Alttaten interessiert sei zur Einführung auf die Darstellung bei Lackner/Kühl, 2 Rdn. 11-33 verwiesen; ausführliche Hinweise zu weiterführender Literatur bezüglich zahlreicher Einzelfragen der Behandlung der angesprochenen Straftaten bei Wessels/Beulke, Strafrecht AT Rn. 78. III. Tendenzen der Internationalisierung des Strafrechts Im Vergleich zum Zivilrecht und einigen Bereichen des Öffentlichen Rechts handelt es sich bei dem Strafrecht um den Teil der nationalen Rechtsordnung, der am wenigstens stark durch Recht und Rechtssetzung auf internationaler oder supranationaler Ebene beeinflusst ist. In der letzten Zeit sind jedoch Tendenzen zu einer Internationalisierung auch des Strafrechts nicht mehr zu übersehen. Diese Tendenzen mit Auswirkungen für die deutsche Strafrechtspflege entwickeln sich auf zwei Ebenen. 1. Europäisches Strafrecht Ungeachtet aller Bestrebungen einer Rechtsvereinheitlichung oder Rechtsangleichung in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dürfte bis zur Ausbildung eines einheitlichen europäischen materiellen Strafrechts noch geraume Zeit vergehen. Eine große Hürde auf dem Weg zu einer solchen Vereinheitlichung bilden nicht nur die gravierenden Unterschiede in den Strafrechtstraditionen der Mitgliedsstaaten, sondern auch das Gemeinschaftsrecht selbst. Nach ganz überwiegend vertretener Auffassung enthält der EU-Vertrag auch in der Gestalt des Amsterdamer Vertrages keine eigene Rechtssetzungskompetenz der EU auf dem Gebiet des Strafrechts. Dennoch nimmt das EU-Recht 6

Einfluss auf das jeweilige nationale Strafrecht der Mitgliedsstaaten; insbesondere durch den Erlass von Richtlinien auf den Rechtsgebieten mit Rechtssetzungskompetenzen der Gemeinschaft. Durch das Gemeinschaftsrecht sind die Mitgliedsstaaten zur Umsetzung der Richtlinien verpflichtet. Eine solche Umsetzung kann, wenn und soweit die EU- Richtlinie verbotene Verhaltensweisen normiert (z.b. Verbot des Insiderhandels an Wertpapierbörsen; Kartellverbot), in den Mitgliedsstaaten zu dem Erlass von Strafgesetzen führen, um das auf Gemeinschaftsrecht beruhende Verbot effektiv durchzusetzen (so etwa bzgl. des verbotenen Insiderhandels durch einen Straftatbestands im Wertpapierhandelsgesetz WpHG). Darüber hinaus gibt es mittlerweile erste Bemühungen um die Schaffung eines noch sehr rudimentären Europäischen Strafgesetzbuches. Eine Gruppe von Strafrechtswissenschaftlern aus verschiedenen europäischen Ländern hat das Corpus Juris -Projekt strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften umgesetzt; dazu Delmas-Marty, Corpus Juris der strafrechtlicher Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, 1998 (in der deutschen Übersetzung mit einer Einführung von U. Sieber). Welche Entwicklung die Europäisierung des Strafrechts nehmen wird, ist derzeit nicht sicher zu prognostizieren. Ausführlich Hecker, Europäisches Strafrecht, 2005 Ambos, Internationales Strafrecht, 2006 2. Völkerstrafrecht Die zweite Entwicklungslinie der Internationalisierung des Strafrechts verläuft auf der Ebene des Völkerstrafrechts. In der Tradition der Internationalen Militärgerichtshöfe nach dem Ende des 2. Weltkrieges sind in den letzten Jahren bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in zwei Fällen auf der Grundlage von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates sog. Ad-hoc-Gerichtshöfe bezüglich der Bürgerkriege in Ruanda und Ex-Jugoslawien eingerichtet worden. Auf der Ebene des materiellen Rechts sind die (inhaltlich nicht sehr präzise bestimmten) Tatbestände Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen den Frieden mittlerweile Teil des Völkergewohnheitsrechts geworden. Anders als nach der deut- 7

schen Verfassungslage wird im Völkerstrafrecht strafbegründendes Gewohnheitsrecht für legitim gehalten. Ein entscheidender Schritt in der Entwicklung des Völkerstrafrechts dürfte mit der Schaffung eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofs auf der Grundlage des Rom-Statuts verbunden sein (dazu ausführlich und informativ K. Ambos, ZStW 111 [1999], S. 175 ff. sowie als Lehrbücher Werle, Völkerstrafrecht, 2004 und Ambos, Internationales Strafrecht, 2006). 8