Eine Kritik des Konzepts der sogenannten Salutogenese Zum Gesundheits-Begriff vor dem Hintergrund des traditionellen chinesischen Denkens. HORST TIWALD www.horst-tiwald.de 10. Mai 2005 I. Dem traditionellen chinesischen Denken folgend gehe ich nicht von einem Kontinuum aus, dessen Pole (wie im Modell der Salutogenese von ANTONOWSKY) Krankheit und Gesundheit bilden würden. Dem Modell der Salutogenese liegt nämlich aus meiner Sicht der Gedanke zu Grunde, dass der Mensch auf diesem Kontinuum durch Eigenaktivität gleichsam einen Regler hin und her schieben könne. Durch dieses Bewegen entstehe dann eine Genese. In Richtung des negativen Pols entstehe dann mehr Krankheit, während ein Bewegen in Richtung auf den positiven Pol hin mehr Gesundheit erzeuge. Dies sei dann die sog. Salutogenese. Aus meiner Sicht müsse man vielmehr, wenn man schon seinem Denken ein derartiges mechanistisches Modell unterlegt, zumindest von zwei Schiebern auf diesem Kontinuum ausgehen, die auch unabhängig voneinander in die eine oder in die andere Richtung geschoben werden können. In meinem Denk-Modell kann nämlich zur gleichen Zeit die Krankheit und die Gesundheit zunehmen.
2 Es ergeben sich dann, in diesem modifizierten mechanistischen Gedanken-Modell verbleibend, vier unterschiedliche Prozesse des Verhältnisses von Krankheit und Gesundheit: die Krankheit wird stärker und die Gesundheit verfällt: die Krise wird nicht überwunden; die Krankheit wird stärker und die Gesundheit wird stärker: die Krise kann überwunden werden; die Krankheit wird schwächer und die Gesundheit wird stärker: die Krise wird überwunden; die Krankheit wird schwächer und die Gesundheit wird schwächer: es ist fraglich, ob die Krise überwunden werden kann. Man kann also schwer krank und kerngesund sein und gerade deswegen nicht sterben. Man kann ebenso nur schwach gesund und nur leicht krank sein, aber trotzdem wegen des Krankseins sterben. So gibt es: Verhalten und Verhältnisse, welche krank machen; und es gibt Verhalten und Verhältnisse, welche die Gesundheit fördern. Beides kann zur gleichen Zeit der Fall sein. Im Extrem kann sogar die selbe Maßnahme: sowohl die Krankheit verschlechtern; als auch die Gesundheit fördern. Dies scheint absurd, es ist aber so. So meint mancher Raucher nicht zu Unrecht, seine Kohärenz zur Welt, den Sinn des Lebens und seine eigene Balance zu verlieren, die ihn als Gesundheit am Leben hält, wenn er das seine Lunge krank machende Rauchen plötzlich aufgeben würde.
3 II. In Unternehmen wird, wenn überhaupt, dem Modell der Salutogenese folgend versucht, mit Gesundheitsförderung den krankmachenden Verhalten und Verhältnissen im Unternehmen gegen zu steuern. Der Betrieb und seine Mitarbeiten bleiben dann, wenn in diesem Sinne wirksame Gesundheitsförderung betrieben wird, oft trotz ihrer sich verschlechternden Krankheit am Leben. Der mechanistische Gedanke eines Kontinuums zwischen Krankheit und Gesundheit vernebelt diese häufige Tat-Sache. Man muss also in zwei Richtungen denken und darf nicht auf einem Kontinuum von Gesundheit und Krankheit die krankmachenden Prozesse im Unternehmen mit Gesundheitsförderung kosmetisch ausbalancieren wollen. Man sollte nicht Gesundheit und Krankheit gegeneinander ausspielen.: Wer gegen Krankheiten vorsorgt oder sie bekämpft, der hat nicht unbedingt auch schon etwas für die Gesundheit getan. Und wer etwas für die Gesundheit getan hat, hat nicht unbedingt damit auch schon die Krankheit wirksam bekämpft oder vorgesorgt. Man muss die Probleme dort lösen, wo sie sind. Man sollte daher: einerseits Maßnahmen gegen die Krankheit ergreifen; und andererseits die Gesundheit stärken.
4 In beiden Bereichen gibt es allerdings die Dimensionen des physischen, psychischen, sozialen, ökonomischen usw. III. In einem nicht-mechanistischen Gedanken-Modell würde es hinsichtlich der Gesundheit kein positives Werden, es würde also keine Genese von Gesundheit geben. Gesundheit wäre vielmehr die Grundausstattung des Menschen, die da ist und nicht werden muss oder könnte. Man kann im Leben bloß seinen Kredit Gesundheit verspielen. Dieses Vernachlässigen und Schwächen der Gesundheit ist allerdings ein Werden. Es gibt also bloß eine Genese der Gesundheits- Schwächung. Dies ist aber mit dem Wort Salutogenese nicht gemeint. Das Freilegen der Gesundheit als ein Revitalisieren, als ein Freischaufeln der sog. Selbstheilungskräfte ist allerdings ein Werden. Hier kann der Mensch etwas tun. Er kann die Gesundheit wieder freilegen, indem er in festgefahrenen Dimensionen wieder beweglicher wird, damit seine Gesundheit wieder, die Krankheit bekämpfend, fließen kann. Dies wäre ein wesentlicher Aspekt des Modells der traditionellen chinesischen Medizin, welche den gehemmten Fluss der Gesundheit als bewegliche Lebendigkeit wieder frei legen möchte.
5 Die Krankheit ist dagegen in beide Richtungen ein Werden. Im Bekämpfen kann sie weniger, im Begünstigen schlimmer werden.