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Transkript:

5 Inhalt Ein paar Gedanken vorab 7 Basisstoffe Wasser und seine Geheimnisse 13 Wein Aromenwunder, Lösungsmittel, Küchenhelfer 23 Fett kulinarische Physik und Chemie par excellence 33 Zucker Materialforschung für Schleckermäulchen 59 Kohlenhydrate Stärke für Saucen und andere Speisen 75 Hydrokolloide molekulare Küchenhelfer 91

6 Inhalt Mit Lebensmitteln umgehen Das Ei Modellsystem für komplexe Nahrungsmittel 117 Verbindung der Gegensätze Emulsionen und Schäume 133 Gemüse Farben für alle Sinne 141 Rund um die Kartoffel Kochen, Braten und Frittieren 149 Fleisch vom Schlachten zur Reifung 173 Fleisch zubereiten und genießen 199 Sous-vide-Garen Theorie, Methodik, Geschmack 225 Ein paar lose Gedanken danach 243 Anhang 249 Zum Weiterlesen 281 Bild- und Quellennachweis 287 Register 289

Mit Lebensmitteln umgehen 150 Rund um die Kartoffel Kochen, Braten und Frittieren Kartoffeln welch ein profanes Lebensmittel! Das ist vielleicht der erste Gedanke beim Lesen der Kapitelüberschrift. Sind nicht bereits alle Phänomene rund um die Kartoffel beschrieben und durchdekliniert worden? Gibt es nicht Tausende Rezepte, Ratgebersätze und Meinungen zu diesem alten Lebensmittel? Mag sein, dass die tollen Knollen als langweiliges kulinarisches Objekt angesehen werden, aber für die molekulare Lebensmittelphysik erweisen sie sich als wunderbares Modellsystem für ein profundes Verständnis vom Kochen, das dafür mindestens genauso wichtig ist wie etwa Eier bei tierischen Lebensmitteln. Kartoffeln elementare Beilage, elementare Kartoffeltheorie Wie komplex Kartoffeln sind, zeigt der alte Streit, welche Methode die besten und perfektesten Bratkartoffeln ergibt. Zuerst kochen, dann anbraten oder ungekocht mit viel Fett in die Pfanne? Dazu sind in vielen Küchen bereits heiße Diskussionen entbrannt. Selbst in Kochkursen ist häufig von zwei fundamental verschiedenen Methoden die Rede: zuerst kochen, dann schälen, auskühlen lassen und dann erst im Fett braten oder einfach die rohen Kartoffelscheiben in die Pfanne mit heißem Fett werfen und regelmäßig schwenken? Was besser ist, das beantwortet die Kartoffel selbst, denn wie immer in solchen Fragen bestimmt die molekulare Zusammensetzung der Lebensmittel die optimale Zubereitungsart. Wenn die genaue Zusammensetzung der Kartoffel nicht bekannt ist, sprich die Anteile von Wasser, Stärke und Eiweiß, hat der Streit wenig Sinn. Keine Sorge, man muss jetzt nicht ein Taschenlebensmittellexikon mitnehmen, wenn Sie Kartoffeln kaufen, um bei jeder Sorte die Werte nachzuschlagen; Gott sei Dank gibt es ein paar Grundregeln und Fakten, die bei jeder Kartoffelsorte etwa gleich sind. Auch vom kulinarischen Standpunkt aus ist der Streit müßig, denn beide Zubereitungsvarianten funktionieren, bieten allerdings unterschiedliche geschmackliche Nuancen. Das können wir aber nur verstehen, wenn wir ein wenig physikalische Warenkunde betreiben und mit einem tieferen Blick in die Knollen schauen. Woraus also bestehen Kartoffeln? Ein Blick in Standardwerke der Lebensmittelchemie gibt folgende grobe Antwort: 15 % Kohlenhydrate (Stärke) 2 % Proteine 0,1 % Fett 2 % Ballaststoffe 78 % Wasser Diese mittleren Mengenangaben lassen bereits eine ganze Menge über das Garverhalten von Kartoffeln erahnen. Die wichtigsten Inhaltsstoffe sind Stärke, Proteine und Wasser. Allerdings unterscheiden sich die Werte bei den einzelnen Kartoffelsorten. Und das ist schon die erste Schwierigkeit bei der richtigen Auswahl der Zubereitungsmethode. Andere Fakten und Tücken kennen wir aus unserer täglichen Kartoffelpraxis: Salz verringert die Kochzeit, kalkhaltiges Wasser macht sie hart, ebenso wenn wir Kartoffeln in säurehaltigen Brühen kochen, etwa im Sauerkraut. Und selbst die knusprigsten Pommes werden kurze Zeit nach dem Frittieren labberig. Ist das Garen von Kartoffeln doch komplizierter als gemeinhin angenommen? Spannende Fragen, und genau die richtigen, um das Wissen um Zucker, Stärke, Ionen und Hydrokolloide zu vertiefen.

Kartoffelkochen eine Basiswissenschaft für sich Warum können Kartoffeln aber derartig vielfältige Phänomene zeigen? Die Anzahl der Inhaltsstoffe ist doch nicht so hoch, und das bisschen Fett dürfen wir (jedenfalls in den meisten Fällen) vernachlässigen dann bleiben lediglich Proteine, Stärke und Wasser. Schon bei der Stärke beginnen, bei genauerem Hinsehen, die Schwierigkeiten. Wie bereits im Kapitel Stärke (Seite 75) gesehen, müssen wir zwischen Amylose und Amylopektin unterscheiden. Deren thermisches Verhalten unterscheidet sich in vielen Details, die wir während des Kartoffelkochens erfahren. In welchem Verhältnis kommen die beiden Stärketypen in Kartoffeln vor? Je nach Sorte finden sich Amylopektin : Amylose mit etwa 3 : 1 bis 4 : 1. Ein Großteil der Stärke liegt also als hoch verzweigtes Riesenmolekül vor, Amylopektin, der Rest als langes, helixartig verwundenes Molekül. Allerdings spielen beim Kartoffelkochen auch lösliche Ballaststoffe eine ganz entscheidende Rolle, besonders die Pektine in den Zellwänden, die wir aus dem Kapitel Hydrokolloide bereits kennen (Seite 110). Offenbar befinden sich Hydrokolloide in der Kartoffel. Pflanzenzellen Aufbau, Struktur und molekulare Eigenschaften 151 Eine weitere Rolle spielen die Proteine in der Kartoffel. Ohne deren Präsenz wäre eine gekochte Kartoffel eine müde Angelegenheit. Ihr Zusammenhalt wäre nicht gewährleistet, zumindest nicht nach den rüden Kochprozessen, denen die Knolle im täglichen Leben ausgesetzt wird: Kochen, Braten, Frittieren. Wie immer beteiligen sich Proteine als Netzbildner und halten die Stärke im Zaum. Dominiert die Stärke, also ist, gemessen am Proteinanteil, viel davon enthalten, lässt sich dies leicht sehen: die Kartoffel zerkocht und zerfällt in mehlige Stärketrümmer. Das wird uns später noch genauer beschäftigen. Doch zunächst einmal müssen wir zu einem Ausflug in die Welt der Pflanzen und deren strukturellen Aufbau aufbrechen, um genauer zu verstehen, was beim Kochen von Kartoffeln überhaupt abläuft. Pflanzenzellen Aufbau, Struktur und molekulare Eigenschaften Auch in Kartoffeln sind die Zellwände aus Cellulose aufgebaut und werden von weiteren Makromolekülen, den Hemicellulosen, den Pektinen und sogar dem Holzstoff Lignin weiter stabilisiert. Pflanzenzellen sind also von Natur aus harte Gebilde, die äußeren Einflüssen wie Mit Lebensmitteln umgehen Schematische Skizze des prinzipiellen Aufbaus der Zellwand. Zwischen zwei Lamellen befinden sich harte Cellulosefibrillen sowie Hemicellulosemoleküle und die Pektine. Die Zellwand ist durch den hierarchischen Aufbau extrem stabil. Die Cellulosefibrillen sind nicht wasserlöslich. Pektin Cellulosefibrillen Hemi cellulose wasserlösliche Proteine Zellmembran Zellmembran

Mit Lebensmitteln umgehen 152 Rund um die Kartoffel Kochen, Braten und Frittieren OH OH O HO O HO O O OH OH n Links: die Monomereinheit der Cellulose. Celluloseketten bestehen aus bis zu 10 000 dieser Einheiten. Sie sind lang und sehr stabil. Rechts: einfaches Modell unlöslicher Cellulosen. Die einzelnen Ketten sind quer miteinander verbunden (rote Linien). Bei modifizierten Cellulosen, etwa der als Hydrokolloid verwendeten Methylcellulose, wird die Struktur so verändert, dass die Ketten sich nicht mehr querverbinden können. Dadurch werden die einzelnen Ketten bedingt wasserlöslich. Regen, Sonneneinstrahlung, Hitze und anderen Widrigkeiten trotzen müssen. Für ein derart weites Spektrum von Natureinflüssen müssen Materialeigenschaften wie Elastizität, Zähigkeit und Hitzebeständigkeit des Zellgerüsts genau eingestellt werden. Dies kann nur durch einen molekularen Verbund und dessen Zusammenwirken auf molekularer Ebene geschehen. Hier nutzt die Natur die Synergie von genau ausgewählten Eigenschaften bestimmter Polysaccharide. Kein Wunder also, dass sich im Zellgerüst der Pflanzen gleich mehrere Makromoleküle befinden, die ihre mechanischen und thermischen Eigenschaften gegenseitig verstärken. Allein die Zellwand von Pflanzenzellen ist somit ein komplexes Gebilde, bei dem jede Größenskala eigene Eigenschaften hat. Cellulose können wir zwar ein wenig erweichen, zerstören oder gar in Wasser lösen können wir sie allerdings kaum zumindest bei normalen haushaltsüblichen Kochprozessen. Das Molekül ist sehr ähnlich wie lineare Stärke (Amylose) aufgebaut, aber die einzelnen Cellulosemoleküle sind an vielen Stellen quervernetzt. Dadurch erhält man große, sehr steife Molekülverbände, die praktisch wasserunlöslich sind (Abbildung oben). Indem sich die Kettenmoleküle nahezu parallel ausrichten und untereinander chemisch verbinden, entstehen sehr steife Molekülverbände, die sich wiederum zu Fasern zusammenlagern. Diese Cellulosefasern bilden sehr stabile und belastbare Überstrukturen, deren Abmessungen und Größenordnung über die der einzelnen Polysaccharide hinausgehen. Der Nachteil ist, dass sie nicht besonders gut zusammenhalten. So sind weitere Moleküle notwendig, um die Fasern zu verbinden, damit ein starker molekularer Verbund entsteht. Dieses Netz stellen Hemicellulosen und Pektine bereit. Hemicellulosen sind ebenfalls Polysaccharide, deren Grundbausteine verschiedene Zucker moleküle sein können, etwa Glucose, Mannose oder Galaktose, aber auch die in vielen anderen Polysacchariden vorkommenden Uronsäuren. Es handelt sich um Homopolymere, deren Molekülkette aus nur einem Baustein besteht. Hemicellulosen können aber auch Heteropolymere bzw. Copolymere sein (siehe Seite 106). Teile der sehr langen Hemicelluloseketten lagern sich an den Cellulosefasern an, etwa durch eine starke physikalische Adsorption. So kann eine Hemicellulosekette mehrere Cellulosefasern miteinander verbinden. Auf die gleiche Art wirken die Pektine. Allerdings sind Pektinmoleküle meist Copolymere mit Blockstruktur (siehe Seite 106). Eine solche Abfolge von Monomerbausteinen ist, etwa wie bei Alginaten, in der Lage, zweiwertige Ionen, z. B. Calciumionen, einzubauen, um so starke ionische Bindungen einzugehen (siehe Seite 107). Die extrem beständigen Bindungen vernetzen die Pektinmoleküle untereinander sehr

Pektin kann an manchen Stellen, ganz wie Alginat, starke Netz - werke mit Calciumionen bilden. Diese Netzwerke lassen sich nicht so einfach lösen. Daher sind z. B. beim Marmeladekochen lange Osmosezeiten notwendig, um genügend Pektinmoleküle aus den Zellwänden der Früchte zu lösen, damit die Marmelade geliert. Pflanzenzellen Aufbau, Struktur und molekulare Eigenschaften 153 Ca 2+ Mit Lebensmitteln umgehen Ca 2+ stark und geben den Zellwänden Elastizität, aber keine Sprödigkeit. Dabei ist ganz entscheidend, wie viel Calcium den Pektinketten, sofern sie Galacturonsäureeinheiten im Molekül besitzen, angeboten wird. Viel Calcium führt daher zu sehr engmaschigen und stark vernetzen Strukturen, die nur mit hohem Energieaufwand wieder aufgelöst werden können. Bei weniger Calcium hingegen sind die Netzwerkstrukturen lockerer und weicher. Für die Stabilisierung der Zellstruktur mit Pektinen ist also entscheidend, wie viele zweiwertige Ionen in der Frucht bzw. in dem Gemüse vorhanden sind. So erfüllen Spurenelemente und Mineralien wichtige physikalische Aufgaben in den Pflanzenzellen, bevor wir davon als Esser profitieren. Diese Tatsachen können wir sogar beim Kochen berücksichtigen und der Natur ein paar Tricks abschauen, wie wir Gemüse oder gar Pommes eine ganz andere Textur verleihen.

Mit Lebensmitteln umgehen 154 Rund um die Kartoffel Kochen, Braten und Frittieren Die physikalische Hierarchie der Netzwerke in den Zellwänden Die Hierarchie in der Netzwerkbildung kann in einem stark vereinfachten Bild zusammengefasst werden, das die physikalischen Zusammenhänge deutlich macht. Glycoprotein Cellulosefibrillen Eggbox - Strukturen mit Ca 2+ -Ionen Hemicellulose Pektin verzweigt Pektin linear Die steifen Cellulosefasern wirken dabei als länglicher, fibrillärer Füllstoff, der eine hohe Belastbarkeit garantiert. Die flexibleren Netzwerkmoleküle, die Hemicellulosen und Pektine, wirken als elastische Matrix, die für Zusammenhalt und Flexibilität sorgt. Außerdem sind in dieses Netzwerk Glycoproteine (also Proteine, die nicht nur Aminosäuren einbauen, sondern auch diverse Zucker) als weitere Stabilisatoren eingebaut, aber diese lassen wir in diesem Zusammenhang außer Acht. Nur etwas darf nicht vergessen werden: Die molekularen Zwischenräume sind im Allgemeinen nicht leer, sondern mit Wassermolekülen gefüllt. Dies ist möglich, weil alle in der Zellwand vorkommenden Moleküle zu einem Großteil hydrophil sind. So sind Pektine gut und Hemicellulosen je nach Aufbau mehr oder weniger wasserlöslich, und selbst auf der Oberfläche der Cellulosefasern können sich Wassermoleküle anlagern. Diese Wasserlöslichkeit hat eine ganze Reihe von Konsequenzen für das Kochen von Gemüse, auch von Kartoffeln. Das komplexe Zusammenwirken der verschiedenen Zellwandbestandteile. Pektine, Cellulosefasern und Hemicellulosen lagern sich zu einem mechanisch multifunktionalen System zusammen. Diese unterschiedliche Anbindung der Moleküle und Strukturelemente ist für die Belastbarkeit der Pflanzenzellen verantwortlich. Der Zellaufbau und die Konsequenzen für das Kartoffelkochen Der Aufbau der Zellwände liefert uns viele Hinweise, wie wir Kartoffeln zubereiten können. Vor allem aber geben uns die eher theoretischen Erkenntnisse Tricks und Tipps für gewisse Kochtechniken. Schon die Antwort auf die Frage, was der Unterschied zwischen festkochenden und mehligen Kartoffeln ist, ergibt sich nun wie von selbst. Die Zellwände und der Proteinanteil weisen den Weg.