Analyse der Einflussfaktoren auf Tiergerechtheit, Tiergesundheit & Leistung von Milchkühen im Boxenlaufstall

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Transkript:

Ländlicher Raum 6/2004 1 Cornelia Mülleder - Susanne Waiblinger - Josef Troxler Analyse der Einflussfaktoren auf Tiergerechtheit, Tiergesundheit & Leistung von Milchkühen im Boxenlaufstall Die Nachfrage nach Produkten aus tiergerechter Haltung steigt zunehmend, und damit verbunden auch die Bereitschaft für Lebensmittel von tiergerecht gehaltenen Tieren mehr zu bezahlen (Wildner, 1998). Der Vorteil tiergerechter Haltungssysteme besteht neben der höheren Verbraucherakzeptanz in der Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens der Tiere (Waiblinger et al., 2004). Daraus folgt eine Stabilisierung der Produktionsleistung und ein ökonomischer Vorteil durch einerseits geringere Produktionskosten aufgrund gesünderer Tiere und andererseits durch höhere Preise der Produkte (Sundrum et al., 1994). Ein hoher Standard in der Tiergerechtheit ist daher im Interesse aller Beteiligten (Landwirte, Konsumenten und Nutztiere) anzustreben. Die Verwirklichung dieses Zieles setzt das Wissen um die Ursachen von Problemen und ihrer Vermeidung voraus. Auf dem Praxisbetrieb wirken eine Vielzahl von Faktoren in komplexen Wechselwirkungen auf Wohlbefinden, Gesundheit und Leistung der Tiere ein. Derzeit liegen allerdings hauptsächlich Informationen über den Einfluss einzelner Faktoren auf das Tier vor (Waiblinger et al., 2001). Über die Auswirkung einzelner stallbaulicher Gegebenheiten besteht bereits beachtliches Wissen. Zum Beispiel wurde gezeigt, dass die Oberflächenqualität der Liegeboxenböden das Liegeverhalten und die Zahl von Hautläsionen an Karpal- und Tarsalgelenken beeinflussen (Oertli et al., 1995). Bodentyp (Leonard und O Farrell, 1994) und Platzangebot (Leonard et al., 1996) wirken sich unter anderem auf das Auftreten von Lahmheiten aus. Doch ein grundsätzlich tiergerecht gestalteter Stall garantiert noch nicht das Wohlbefinden der Tiere. Managementfaktoren können die Tiere auf zahlreiche Weise beeinflussen. So kann das Wohlbefinden der Tiere in gleichen Haltungssystemen durch unterschiedlich gutes Management genauso weit variieren wie in verschiedenen Systemen (Sandøe et al., 1997). Die Art der Eingliederung neuer Tiere in die Herde oder Maßnahmen bei brünstigen Kühen stellen Beispiele für Managementmaßnahmen dar, die Gesundheit und Wohlbefinden von Milchkühen beeinflussen (Menke et al., 1999).

Ländlicher Raum 6/2004 2 Die Mensch-Tier-Beziehung schließlich stellt einen zentralen Faktor für eine tiergerechte Milchkuhhaltung dar, da sie nicht nur direkt über die Mensch-Tier-Interaktionen auf die Tiere wirkt, sondern die Beziehung des Landwirtes zu den Tieren auch seine Entscheidungen in Stallbau und Management und damit indirekt das Wohlbefinden der Tiere beeinflusst (Waiblinger, 2004). Negative Erfahrungen mit dem Menschen etwa führen zu größerer Furcht vor ihm mit der Folge von chronischer und akuter (in Anwesenheit von Menschen) Erhöhung des Stresshormonspiegels, Leistungseinbussen und erhöhtem Verletzungsrisiko für Mensch und Tier durch Ausweich- und Abwehrreaktionen (Rushen et al., 1999; Breuer et al., 2003). Entsprechend war in Praxisuntersuchungen die Milchleistung signifikant niedriger, wenn die Melker häufiger negatives Verhalten den Kühen gegenüber zeigten (Waiblinger et al., 2002), und eine Untersuchung in Australien wies auch einen Zusammenhang mit dem Besamungserfolg nach (Hemsworth et al., 2000). Die Einstellung der Betreuer gegenüber den Kühen und zum Umgang mit den Tieren war dabei ein deutlicher Prädiktor für das Verhalten der Melker und stand darüber hinaus ebenfalls mit der Milchleistung in Zusammenhang (Waiblinger et al., 2002). Auf dem Praxisbetrieb wirken diese Faktoren jedoch nicht einzeln auf das Tier ein, sondern in einem komplexen Zusammenspiel. Es ist vorstellbar, dass sich Einflussfaktoren in ihrer Wirkung sowohl potenzieren als auch abschwächen können oder gegenseitig überlagern. Bisher gab es jedoch nur wenige epidemiologische Studien, die versuchten, die relative Bedeutung verschiedener Einflussfaktoren auf einzelne Indikatoren der Tiergerechtheit zu bestimmen. Chesterton et al. (1989) identifizierte in einer Fallstudie auf Milchviehbetrieben in Neuseeland 13 Variablen und ihren relativen Beitrag zum Auftreten von Lahmheiten, wobei das Ausmaß der Geduld des Landwirtes beim Treiben der Kühe und der Zustand des Treibweges die zwei wichtigsten Faktoren waren. Ziel des Forschungsprojektes Um zu Aussagen über die verschiedenen auf die Milchkühe wirkenden Einflussfaktoren im Boxenlaufstall zu erhalten, führte das Institut für Tierhaltung und Tierschutz an der Veterinärmedizinischen Universität Wien das Forschungsprojekt 1267 Analyse der Einflussfaktoren auf Tiergerechtheit, Tiergesundheit und Leistung von Milchkühen im Boxenlaufstall auf konventionellen und biologischen Betrieben unter besonderer

Ländlicher Raum 6/2004 3 Berücksichtigung der Mensch-Tier-Beziehung in Kooperation mit dem Institut für Biochemie und dem Institut für Ernährung durch. Ziel des Projektes war es, die komplexen Einflüsse der Umweltbedingungen auf die Kühe zu untersuchen und dadurch zu Informationen über die relative Bedeutung von Faktoren aus Stallbau, Management und Mensch-Tier-Beziehung für Tiergerechtheit der Haltung, Tiergesundheit und Leistung von Milchkühen im Boxenlaufstall zu erlangen. Die Frage der Bedeutung der Mensch-Tier-Beziehung relativ zu und im Zusammenhang mit den Faktoren aus Stallbau und Management für Tiergesundheit und Tiergerechtheit nahm dabei eine besondere Stellung ein, da hierüber noch kaum Wissen vorhanden ist. Datenerhebung Aus allen ober- und niederösterreichischen Zuchtverbandsbetrieben mit einer Herdengröße zwischen 21 bis 60 Fleckviehkühen erfolgte eine zufällige Auswahl von 80 Milchviehbetriebe mit Liegeboxenlaufstall. Die Erhebungen fanden in den Wintermonaten 2002 und 2003 statt. Im Rahmen eines Betriebsbesuches an zwei aufeinanderfolgenden Halbtagen wurden Einflussfaktoren aus den Bereichen Stallbau, Management und Mensch-Tier-Beziehung sowie tierbezogene Indikatoren für Tiergerechtheit (Verhalten, Tiergesundheit, NNR-Aktivität) erfasst. Zur Erfassung der stallbaulichen Einflüsse erfolgte eine genaue Erhebung und Messung der Anordnung, Dimension, Gestaltung und Ausführung des Liege-, Lauf- und Fressbereichs am Betrieb. Die Erfassung von Managementfaktoren und der Einstellung der Landwirte fand mittels Befragung der Landwirte statt. Zur Beurteilung der Fütterung erfolgte eine Beurteilung und Trockensubstanzbestimmung des Grundfutters sowie eine Rationsberechnung aufgrund der Angaben der Landwirte. Zudem war das Verhalten der Melker zu den Tieren während der Abendmelkung erhoben worden. Für die Beurteilung der tierbezogene Indikatoren wurde die Lahmheitsprävalenz (=Anteil lahmer Tiere am Besuchstag), die Schäden am Integument, die Körperkondition und die Verschmutzung der Tiere erhoben. Weiters fand eine Direktbeobachtung des Sozialverhalten und des Aufsteh-/Abliegeverhalten der Tiere statt. Als Maß für die Furcht vor Menschen wurde die Ausweichdistanz der Kühe vor einer fremden Person gemessen. Zur Erhebung der chronischen Stressbelastung der Tiere war die basale Aktivität der Nebennierenrinde durch Messung der Kortisolmetaboliten im Kot nach der Methode Palme und Möstl (1997) ermittelt worden. Zusätzlich wurden Betriebs-, Herden- und Einzeltierdaten wie Anzahl und Alter der Tiere, Milchleistung, Zellzahl, Zwischenkalbezeit, Besamungsindex und Non-Return-Rate erhoben

Ländlicher Raum 6/2004 4 bzw. von der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Rinderzüchter (ZAR) zur Verfügung gestellt. Zur Analyse der komplexen Einflüsse und relativen Bedeutung der Einflussfaktoren wurden mulitivariate Analysen, sogenannte Regressionsbäume, mit dem Statistik Programm S- PLUS, Version 6.1 Professional, gerechnet. Ergebnisse Beschreibende Daten Die untersuchten Betriebe unterschieden sich deutlich sowohl in den Einflussfaktoren wie auch in den tierbezogenen Indikatoren (Tab. 1). Beim Stallbau stellte sich die Gestaltung der Liegeboxen als zentraler Problembereich dar: bei einer Gesamtbewertung der Liegeboxen (Bestbewertung 6) lag der Median der Betriebe nur bei 2 (Spannweite 0 5). Zusätzlich zeigte es sich, dass 25% der Betriebe weniger als eine Liegebox je Tier hatten. Auch die tierbezogenen Indikatoren wiesen auf deutliche Probleme in Bezug auf die Tiergesundheit und Tiergerechtheit hin: Auf der Hälfte der Betriebe waren mindestens 36% der Kühe am Tag des Betriebsbesuches lahm, der Anteil lahmer Kühe in der Herde reichte von 0-77%. Über die Hälfte der Tiere auf den Betrieben wiesen Veränderungen an den Sprung- oder Karpalgelenken auf. Aber auch beim Aufsteh-/ Abliegeverhalten zeigte der Großteil der Tiere (durchschnittlich 90% der Tiere beim Aufstehen und 83% beim Abliegen) auf den Betrieben Schwierigkeiten. Tab. 1: Darstellung tierbezogener Parameter auf den untersuchten 80 Betrieben. Tierbezogener Parameter Median Minimum Maximum Mitt (+SW) % lahme Tiere 36 0 77 % hgr lahme Tiere 4 0 43 BCS dünn 8 0 55 BCS dick 29 0 96 % Tiere mit Schäden Karpalgelenk 88 26 100 % Tiere mit Schäden Sprunggelenk 54 0 100 % Tiere mit Schäden Hüftbeinregion 8 0 50 % Tiere mit Schäden Hinterbeinregion 7 0 41

Ländlicher Raum 6/2004 5 % Tiere mit sonstigen Schäden 19 0 65 agonistische Interaktionen/Kuh/Stunde 1,82 0,44 5,08 % Tiere mit Schwierigkeiten beim Aufstehen 90 29 100 % Tiere mit Schwierigkeiten beim Abliegen 83 33 100 Ausweichdistanz (m) 0,21 0,00 0,73 % Tiere, die sich berühren ließen 18 0 83,0 Kortisolmetabolitenkonzentration (nmol/kg) 77 30 157,0 Milchleistung (kg) 4581 10343 6772 (±1021) Zwischenkalbezeit (d) 340 430 386 (±19,6) Tiergesundheit Für die Tiergesundheit erwies sich eine optimale Gestaltung und Dimension der Liegeboxen am bedeutendsten: insbesondere eine über die gesamte Liegefläche mehrere Zentimeter hohe Stroheinstreu konnte das Auftreten von Lahmheiten und Veränderungen an den Sprung- und Karpalgelenken deutlich verringern. Die optimale Lage des Nackenriegels (Nackenriegeldiagonale > 1,94 Meter) erwies sich zur Vermeidung von Lahmheiten ebenfalls als wichtig. Weitere stallbauliche Gegebenheiten wie planbefestigte Laufgänge, das Angebot eines Auslaufes, ein Flächenangebot von mindestens 8,6m² je Tier und das Vorhandensein von mindestens einer Liegebox für jedes Tier zeigten sich als wichtige Faktoren zur Vermeidung von Lahmheiten. Aber auch Managementfaktoren und die Mensch-Tier- Beziehung nahmen Einfluss auf die Tiergesundheit und stellten insbesondere für den Zellzahlgehalt die bedeutendsten Einflussfaktoren dar. Maßnahmen zur Eingliederung von Kalbinnen (vorher Kontakt zu trockenstehenden Tieren, Fixierung der Kühe), ein über mehrere Stunden dauernder Kontakt des Muttertieres zum Kalb sowie Maßnahmen, die die Bedürfnisse der Kühe berücksichtigen (Angebot von Bürste, Zugang zu einer Weide, Benutzung einer Abkalbebox und Krankenbox, Klauenpflege etc.), waren dabei wesentliche Managementfaktoren zur Vermeidung von Lahmheiten. Eine deutlich ablehnende Einstellung der Landwirte zu negativem Verhalten gegenüber den Kühen (wie Anschreien der Kühe) sowie neutrale vokale und positive taktile Interaktionen der Melker mit den Tieren standen ebenfalls mit einem geringeren Anteil von lahmen Tieren in Zusammenhang. Für den Zellzahlgehalt waren weniger stallbauliche Gegebenheiten entscheidend als vielmehr Managementmaßnahmen und vor allem die Mensch-Tier-Beziehung. Insbesondere die Einstellung der Betreuer gegenüber den Kühen (zu negatives Verhalten ablehnend,

Ländlicher Raum 6/2004 6 allgemein positive Einstellung) war hier wesentlich. Als Managementfaktoren zeigten vor allem Maßnahmen, die das Wohlbefinden der Tiere fördern (Bürste, Leckstein,...) sowie abruptes Trockenstellen, die Benutzung einer Krankenbox und das Fixieren oder aus der Herde Entfernen brünstiger Tiere positive Effekte auf den Zellzahlgehalt. Milchleistung und NNR-Aktivität Sowohl die Milchleistung als auch die chronische Stressbelastung waren weniger durch stallbauliche Gegebenheiten (hier war vor allem eine gute Bewertung der Liegeboxen und Gesamtbewertung des Stalles, Tandemmelkstand, mindestens zwei räumlich verteilte Tränken bedeutend) als durch eine gute Mensch-Tier-Beziehung und durch tierbezogene Parameter wie die Körperkondition der Tiere und den Zuchtwert der Tiere beeinflusst. Schäden am Integument wiesen deutliche Zusammenhänge mit der chronischen Stressbelastung auf. Managementfaktoren wie Maßnahmen, die die Bedürfnisse der Kühe berücksichtigen, sowie das Fixieren der Tiere im Fressgitter nach dem Melken, Problemerkennung und lösung sowie das Vorhandensein von Rationsberechnungen bzw. Grundfutteranalysen führten zu einer Steigerung der Milchleistung. Verhalten der Tiere Das Sozialverhalten war ebenfalls überwiegend von der Mensch-Tier-Beziehung und dem Management, weniger durch den Stallbau (wie klar getrennter Fress-, Liegebereich, große Durchgangsbreite) beeinflusst. Managementfaktoren, die zur Verminderung agonistischer Auseinandersetzungen führten, waren Maßnahmen beim Eingliedern von Kalbinnen und bei brünstigen Tieren (fixieren oder aus Herde raus) sowie Trennung der trockenstehenden Tiere von der Herde. Neutrales und positives Verhalten der Melker stand ebenfalls mit geringerer Anzahl Auseinandersetzungen zwischen den Tieren in Zusammenhang. Auf das Aufsteh- und Abliegeverhalten hatte insbesondere die tatsächlich nutzbare Länge der Liegebox (d.h. für den Kopfschwung nutzbarer Kopfbereich keine Behinderung durch Bretter oder Nasenriegel) einen Effekt: bei sehr kurzer tatsächlich nutzbarer Liegeboxenlänge (<2,3 Meter) zeigte jedes Tier Schwierigkeiten beim Aufstehen und Abliegen. Aber auch bei Liegeboxenlängen >2,3 Meter traten nach wie vor Schwierigkeiten beim Aufstehen/ Abliegen auf die je nach sonstiger Gestaltung der Liegebox noch höher lagen oder reduziert werden konnten: bei längerer Liegeboxenlänge und einer Nackenriegeldiagonale von mindestens > 1,9 Meter konnten zumindest manche Aufsteh- /und Abliegevorgänge ohne Schwierigkeiten ausgeführt werden jedoch waren dadurch Schwierigkeiten beim Aufstehen/ Abliegen nicht gänzlich verhindert worden. Empfohlene

Ländlicher Raum 6/2004 7 Liegeboxenlängen, bei denen mit wenig Schwierigkeiten beim Aufstehen und Abliegen zu rechnen wäre, kamen auf den Betrieben kaum vor. Für das Abliegen erwies sich zusätzlich eine Liegeboxenbreite von mindestens 1,18 Meter (=lichte Weite; Innenmaß) als günstig. Tierbezogene Parameter wie Lahmheiten und Schäden am Integument hingen mit einer Verlängerung der Karpalstütze beim Aufstehen und Abliegen zusammen. Bei einer Einstreuhöhe von kleiner als 14 Zentimeter legten sich die Tiere nur unter mehrmaligen Trippeln ab, was als Verzögerung des Abliegevorganges gewertet werden kann. Bedeutung der Mensch-Tier-Beziehung Die Mensch-Tier-Beziehung erwies sich als ein zentraler Einflussfaktor. Mit Ausnahme der Schäden an den Sprunggelenken und dem Aufsteh- und Abliegeverhalten stellte sich die Mensch-Tier-Beziehung als bedeutender Faktor für Tiergerechtheit, Tiergesundheit und Leistung dar. Dabei wirkt sich eine gute Mensch-Tier-Beziehung zum einen direkt über (stressfreieren) Umgang mit den Tieren positiv aus und zum zweiten indirekt über Stallbauund Managemententscheidungen. So zeigte sich, dass eine positivere Einstellung der Betreuer gegenüber den Tieren, eine höhere Kontaktintensität und -qualität sowie geringerer Anteil an negativen Interaktionen mit den Kühen beim Melken mit stärker an den Bedürfnissen der Tiere ausgerichteten Stallbau sowie Management in Zusammenhang stand. Ebenso konnte festgestellt werden, dass bei einer Einstellung der Betreuer, die regelmäßigen Kontakt zu den Tieren für wichtig erachtet und negatives Verhalten ablehnt, und bei ruhigem Verhalten der Melker der Besamungserfolg auf den Betrieben höher war. Die Förderung einer guten Mensch-Tier-Beziehung ist daher von wesentlicher Bedeutung für gesunde, leistungsstarke Tiere und einer tiergerechte Haltung. Schlussfolgerungen Ein Großteil der untersuchten Liegeboxenlaufställe wies deutliche Problembereiche auf. Einflussfaktoren aus Stallbau, Management und der Mensch-Tier-Beziehung waren dabei bedeutend. Im Sinne einer Optimierung der Situation auf den Betrieben müssen daher alle Einflussbereiche berücksichtigt werden, um das Wohlbefinden und die Gesundheit der Tiere zu fördern und eine gute Leistung zu erzielen. Die Ergebnisse dieser Studie stellen die Wechselwirkungen der Einflussfaktoren dar und schaffen damit eine Grundlage für eine einzelbetriebliche Schwachstellenanalyse und gezielte Beratung der Landwirte.

Ländlicher Raum 6/2004 8 Literatur: BREUER, K., HEMSWORTH, P.H. & COLEMAN, G.J., 2003. The effect of positive or negative handling on the behavioural and physiological responses of nonlactating heifers. Appl. Anim. Behav. Sci. 84: 3-22. CHESTERTON, R.N., PFEIFFER, D.U., MORRIS, R.S. & TANNER, C.M., 1989. Environmental and behavioural factors affecting the prevalence of foot lameness in New Zealand dairy herds - a case control study. N.Z. Vet.J., 37: 135-142. HEMSWORTH, P.H., COLEMAN, G.J., BARNETT, J.L. & BORG, S., 2000. Relationships between human-animal interactions and productivity of commercial dairy cows. Journal of Animal Science 78: 2821-2831. LEONARD, F.C. & O`FARRELL, K, 1994. Effect of different housing conditions on behaviour and foot lesions in Friesian heifers. Vet. Rec. 134: 490-494. LEONARD, F.C., O`CONNELL, J.M. & O`FARRELL, K.J., 1996. Effect of overcrowding on claw health in first-calved Friesian heifers. Brit. Vet. J. 152: 459-472. MENKE, C., WAIBLINGER, S., FÖLSCH, D.W. & WIEPKEMA, P.R:, 1999. Social behaviour and injuries of horned dairy cows in loose housing systems. Animal Welfare 8: 243-258. OERTLI, B., TROXLER, J. & FRIEDLI, K., 1995. Der Einfluss einer Kunststoffmatte als Bodenbelag in den Liegeboxen auf das Liegeverhalten von Milchkühen. Aktuelle Arbeiten zur artgemässen Tierhaltung, Vol. 370, KTBL, Darmstadt, Giessen, pp. 118-127. RUSHEN, J., DE PASILLÉ, A.M. & MUNKSGAARD, L., 1999. Fear of people by cows and effects on milk yield, behaviour and heart rate at milking. J. Dairy Sci.82: 720-727. PALME, R. & MÖSTL, E., 1997. Measurement of cortisol metabolites in faeces of sheep as a parameter of cortisol in concentration in blood. Int. J. Mammal. Biol. 62, Supp. II: 192-197. SANDØE, P., MUNKSGAARD, L., BÅDSGÅRD, N.P. & JENSEN, K.H., 1997. How to manage the management factor - assessing animal welfare at the farm level. In: Livestock farming systems - more than food production. Proc 4 th Intern. Symposium on Livestock Farming Systems. EAAP Publ. No. 89. SUNDRUM, A., ANDERSSON, R. & POSTLER, G., 1994. Tiergerechtheitsindex - 200, 1994. Ein Leitfaden zur Beurteilung von Haltungssystemen. Köllen Druck + Verlag GmbH, Bonn. WAIBLINGER S., KNIERIM, U. & WINCKLER, C., 2001. Development of an on-farm welfare assessment system in dairy cows using an epidemiological approach. Acta Agricult. Scand. Suppl. 30: 73-77.

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