Notfallpsychologie Psychischen Gesundheitsschäden nach Unfällen vorbeugen Betriebsräte-Tagung 2011 Präventionsbereich Heidelberg am 24. und 25. Mai 2011 in Karlsruhe
Großschadensereignisse Patong Beach, Phuket Foto: New York Times
Großschadensereignisse Foto: Malteser Dortmund Foto: AP/Archiv
Gewaltstraftaten Raub, räuberische Erpressung Vergewaltigung gefährliche und schwere Körperverletzung Vergiftung erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme Foto: Polizei Niedersachsen
Verkehrsunfälle Foto: Stefan Mühlmann, THW Nürnberg
Ausgangslage und Bedarf Jahr für Jahr erleben etwa 4,5 Mio. Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ein psychisch erschütterndes Ereignis. Großschadenereignisse 1% Verkehrsunfälle 63% Gewaltstraftaten 25% Arbeitsunfälle 11% 0 10 20 30 40 50 60 70
Ausgangslage und Bedarf In Deutschland erleiden jedes Jahr ca. 1,5 Mio. Personen einen Arbeitsunfall. Jeder 7. Betroffene (14%) entwickelt psychische Probleme, die mit dem Arbeitsunfall zusammenhängen (Frommberger, 2004). Jährlich werden in mehr als 2000 Fällen isolierte psychische Traumata als Arbeitsunfall anerkannt. Das sind 5 bis 6 dieser Fälle pro Tag!
Ausgangslage und Bedarf Fälle mit der Verletzungsart Schockzustände erlebnisreaktiver/psychischer Art (Schlüsselzahl 86) und dem verletzten Körperteil Gesamter Mensch (Schlüsselzahl 019) im Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 registrierte AU 862 978 1108 1299 1322 1411 1519 1897 Zuwachs zum Vorjahr + 116 + 130 + 191 + 23 + 89 + 108 + 378 (DGUV)
Der psychische Schock Denken abgeschaltet roboterhaftes Agieren, Dumpfheit, geistige Abwesenheit, Trance Fühlen abgeschaltet Empfindungslosigkeit ( Das fühlt sich unwirklich an. ) Realitätsverlust, Erleben der Situation wie in einem Film Motorik abgeschaltet Erstarren zur Salzsäule Starren auf das Schreckliche Motorische Überaktivierung Ablaufen einer kraftvollen archaischen Fluchtreaktion selten Angriffsverhalten Motorische Unteraktivierung Schwächeanfall, Kraftlosigkeit, bleierne Schwere Totstellreflex Später treten Erinnerungslücken auf.
Traumabegriff und -formen Objektives Ereignis: Person erlebt ein Ereignis als unmittelbar Betroffener oder als Zeuge und wurde mit lebensbedrohendem Ereignis, schwerer Verletzung oder einer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit konfrontiert Subjektives Erleben: Person erlebte intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen psychisches Trauma ohne organische Verletzungen körperliches und psychisches Trauma
Mögliche psychische Störungen Akute Belastungsreaktion F43.0* Anpassungsstörungen F43.2 Posttraumatische Belastungsstörung F43.1 Persönlichkeitsänderungen F62.0 Depressive Episode F32 Angststörungen (Phobien) F40, F41 * = Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V (F) der WHO
Akute Belastungsreaktion Die akute Belastungsreaktion ist eine normale Reaktion auf eine unnormale Situation; sie ist keine Krankheit. Bei Betroffenen mit einer gesunden Ausgangspersönlichkeit das sind ca. 75 Prozent klingen die Beschwerden nach 5 bis 10 Tagen ab.
Anpassungsstörungen nach belastendem Lebensereignis, nach schwerer körperlicher Krankheit Beginn i.d.r. innerhalb eines Monats nach Ereignis (max.3 Monate) Dauer der Symptome nicht länger als 6 Monate (längere depressive Reaktion bis 2 Jahre) Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens
Posttraumatische Belastungsstörung Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß obligate psychopathologische Symptome: unwillkürliche Erinnerungen Träume Flashbacks optionale psychopathologische Symptome Emotionaler Rückzug, Gefühlsabstumpfung Vermeidung von Reizen, die Erinnerungen wachrufen köntnen Schlafstörungen Reizbarkeit, Wutausbrüche Konzentrationsstörungen
Posttraumatische Belastungsstörung Risikofaktoren biografische Belastungen niedriges Bildungsniveau schlecht funktionierendes soziales Umfeld vorbestehende psychische Störung Traumaintensität fehlende Anerkennung des subjektiven Leids Verlauf üblicherweise degressiv auch auch atypische Verläufe mit Symptomausweitung Einzelfälle mit mehrjähriger Latenzzeit zwischen Unfall und Posttraumatischer Belastungsstörung denkbar
Posttraumatische Belastungsstörung Bei durchschnittlich 25 Prozent der von einem psychischen Trauma Betroffenen entwickelt sich ohne geeignete notfallpsychologische Unterstützung eine posttraumatische Belastungsstörung mit Krankheitswert. Die Notfallpsychologie befasst sich mit der Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsstörungen nach psychisch erschütternden Ereignissen.
Wie soll betroffenen Personen geholfen werden? Warten, bis Betroffener das Trauma selbst verarbeiten kann und auf die Selbstheilungskräfte vertrauen? Allen Betroffenen muss jede nur denkbare psychologische Hilfe so schnell wie möglich angeboten werden? Empfehlungen der gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention und Rehabilitation von psychischen Störungen nach Arbeitsunfällen
Betreuungsphasen und Handlungsverantwortliche Extremerlebnis Erstbetreuung Stabilisierung und Weiterbehandlung Betrieb Erstbetreuer D-Arzt Betriebsarzt Traumatherapeut A B C D E Prävention möglicher Störungen und Stabilisierungsmaßnahmen/ probatorische Sitzungen Primär- prävention Akutinter- vention/ Erstbetreuung Weiterbe- handlung Prävention Rehabilitation
Phase 1: Akutintervention/Erstbetreung besonders wirksam: Einsatz eines betrieblichen Konzepts (Unterstützung und Beratung durch die BG möglich) überbetriebliche Lösungen für KMU (Nutzen von branchenspezifischen Netzwerken etc.) Informationsveranstaltungen der BG nutzen Erstbetreuer ausbilden
Phase 1: Akutintervention/Erstbetreung Aufgaben und Einsatz von Erstbetreuern: persönliche Kontaktaufnahme mit Betroffenen in möglichst zeitlicher Nähe zum Ereignis Auffangen der Schockreaktion durch Anwesenheit und Beruhigung Übergabe an das soziale Umfeld bei Bedarf Übergabe an fachspezifische Dienste (D-Ärzte, BGen, betriebliche Netzwerke)
Phase 2: Prävention möglicher Störungen/Stabilisierungsphase frühzeitige professionelle Intervention, um Chronifizierungen zu vermeiden falls notwendig, stabilisierende psychotherapeutische Sitzungen spätestens vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis anbieten Steuerung des Heilverfahrens durch die BG Modellverfahren der Landesverbände (Einbindung von Psychotherapeuten im bglichen Heilverfahren bei psychischen Gesundheitsschäden) Therapeutennetzwerk der BGen nutzen
Phase 3: Weiterbehandlung diagnostische Abklärung und Behandlungsnotwendigkeit nach probatorischen Sitzungen Einschaltung eines beratenden Facharztes, ggf. auch der Psychotraumatologischen Ambulanzen der BG-Unfallkliniken Genehmigung und Einleitung einer geeigneten Psychotherapie grds. Genehmigung als Kurzzeittherapie mit 10 Sitzungen stationäre Behandlung möglich nach Indikationsstellung und Auswahl geeigneter Kliniken
Teilhabe am Arbeitsleben Wichtige Aufgabe des Rehamanagements einer BG: Ausrichtung erforderlicher Reha-Abklärungen und Qualifizierungsmaßnahmen unmittelbare Reintegrationsbemühungen auf das konkrete psychische Störungsbild wichtig: Vertrauen! Berücksichtigung der persönlichen Befindlichkeiten Betriebliche Arbeits- und Belastungserprobung Leistungs- und Eignungsdiagnostik besondere Berufsfindungsmaßnahmen
Fazit Rehabilitation von psychischen Gesundheitsstörungen gewinnt für die UV-Träger zunehmend an Bedeutung Akutintervention sollte mit der betrieblichen Erstbetreuung einsetzen mit allen geeigneten Mitteln ist der verursachte Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mindern hohe Anforderungen an Betriebe und UV-Träger
Foto: DPA
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