Psychischen Gesundheitsschäden nach Unfällen vorbeugen. Betriebsräte-Tagung 2011 Präventionsbereich Heidelberg am 24. und 25. Mai 2011 in Karlsruhe

Ähnliche Dokumente
Grundbedingungen nach Jaspers (1965)

Diagnostik von Traumafolgestörungen bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen

Empfehlungen der gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention und Rehabilitation von psychischen Gesundheitsschäden nach Arbeitsunfällen

Betreuung von Fahrpersonal nach schweren Verkehrsunfällen oder Übergriffen - Praxisbeispiel der Zusammenarbeit eines Städtischen

Die Einbindung des betriebsärztlichen Dienstes in das Rehamanagement des UV-Trägers bei psychischen Erkrankungen nach Arbeitsunfällen

Gesetzliche Unfallversicherung. Entschädigung durch den Unfallversicherungsträger

Unser Auftrag. ist der caritative Dienst für den Menschen als lebendiges Zeugnis der frohen Botschaft Jesu in der Tradition der Orden.

Der Umgang mit Verlusttraumatisierungen. Markos Maragkos Überblick

Belastende Lebensereignisse bei Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen

Workshop zum Reha-Management bei psychischen Belastungen

Trauma und Traumafolgestörung

Betriebsräte-Tagung 2011 Präventionsbereich Heidelberg am 24. und 25. Mai 2011 in Karlsruhe

"... danach ist nichts mehr wie vorher - Erste Hilfe durch traumasensible Beratung. Ulrich Pasch Ambulanz für Gewaltopfer, Gesundheitsamt Düsseldorf

Rehamanagement bei Akut-Berufskrankheiten Berufskrankheiten mit Aufgabezwang

Psychotraumatologie. Mag. Dr. Christian Arnezeder

Notfallpsychologie und Schule. Dr. Wilfried Mairösl Psychologe und Psychotherapeut Notfallpsychologe

Trauma und Krebs. Wie traumatherapeutische Hilfe Heilung unterstützen kann. T , F DW - 20

Posttraumatische Belastungsstörung - Auswirkung auf das Alltagsleben von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Mag.

Kinder und Jugendliche unterstützen - Posttraumatische Belastungen erkennen

Notfallpsychologie. Auslösende Situationen

Der Unterschied zwischen einem Trauma und der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und deren Behandlung in Berlin

Psychosoma4sche Folgen von Verkehrsunfällen

Missbrauch und Life - events

3., vollständig revidierte und aktualisierte Auflage

Alter und Trauma. Prof. Dr. med. Gabriela Stoppe 16. November 2016

Das Drama mit dem Trauma. Behandlung von

Vorwort Was ist Psychiatrie? Heute vorherrschendes Krankheitsmodell in der Psychiatrie... 17

Krisenberatungsstelle

HANDREICHUNG ZU Es gilt allen Kindern Mut zu machen ihr Trauma zu bewältigen. Ihnen dabei beizustehen. Dies lohnt sich. Immer!

Trauma-Ambulanzen im Land Bremen

Kranke Mitarbeiter wieder eingliedern

Gewalterfahrungen und Trauma bei Flüchtlingen

BPtK-Hintergrund. Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen. 22. Juni Seite 1 von 5

Psychische Unfallfolgen

Depression und Angst. Komorbidität

Psychologische Faktoren im Krankheitsverlauf. Myelomtage Heidelberg Patiententag

Allgemeine Angaben der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie

Krisenintervention in Niedersachsen Umgang mit kritischen Ereignissen in Schulen

PSNV in der Leitstelle

Betreuung von (Fahr)personal( nach schweren

Refugio Münster - Vorstellung der Arbeit eines psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge

Gesellschaftliche Trends und Erziehungsverantwortung: Andreas Mattenschlager, Diplom-Psychologe

Trauma im Entwicklungsalter

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) die unsichtbare Verwundung

Arbeitsunfall und psychische Folgen Prävention und Empfehlungen der BG ETEM

Ausbildungsinhalte zum Arzt für Allgemeinmedizin. Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin

Hilfe für Helfer. SvE. Stressverarbeitung nach belastenden Einsätzen

KRISE ALS CHANCE. Christine Calabrese Oberärztliche Leitung/ Akutambulanz (ZDK)

Amoklauf Ein Auslöser für Traumata und psychische Störungen am Beispiel des Zuger Attentats

Was ist ein belastendes Ereignis? Wenn Helden Hilfe brauchen. Top Ten der belastenden Einsätze. Belastender Einsatz. Kommandantenfortbildung 2012

Stellungnahme der Bundesärztekammer

Traumatisierung bei Flüchtlingen

Betriebsinterne Erstversorgung und weitere Betreuung nach physischen und/oder psychischen Angriffen auf Busfahrer

Psychiatrische Versorgung für traumatisierte Flüchtlinge

Trauma und Traumafolgestörungen im Betrieb

Posttraumatische Störungen bei Migrantinnen und Migranten

Ärzteforum Davos: Fallbasierte Medizin,

IBO Initiative Burnout Herzlich willkommen zum zweiten IBO Info-Treff Hotel Therme, Bad Teinach,

Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern. Carina Teusch, Kristina Hansmann

Traumatisierte Kinder und Jugendliche Dienstbesprechung für Beratungslehrkräfte aus Grund- und Mittelschulen

Hand buch Notfallpsychologie und Traumabewältigung

Weisser Ring Forbildungsveranstaltung für Opferanwälte Psycho(-Trauma-)Therapie nach dem SGB V

PSYCHOSOZIALE NOTFALLVERSORGUNG (PSNV)

Krisen und Traumata Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene

TRAUMA ALS PROZESSHAFTES GESCHEHEN

Umgang mit Krisensituationen in der Allgemeinärztlichen Praxis Häufige Anlässe

Das Alter hat nichts Schönes oder doch. Depressionen im Alter Ende oder Anfang?

Dissoziative Störungen (F.44) Historie

Stressabbau ist wichtig. Jeder hat sein eigenes Bewertungsschema

Definition Verlauf Ursachen. 1 Einleitung und Begriffsbestimmung »Negative kommunikative Handlungen«... 6

Thema: Gefährdungsbeurteilung für den Einsatzdienst. der Feuerwehren und des Rettungsdienstes

Einführungsvortrag. Psychotherapeutische Akutversorgung ein Bestandteil psychotherapeutischer Versorgung. Dortmund Werner W.

Wege in die berufliche Rehabilitation. Dr. Kerstin Brandt Berufsförderungswerk Berlin- Brandenburg e. V.

Umgang mit traumatisierten Kindern

Inhalt VII. Definition - Verlauf - Ursachen. 1 Einleitung und Begriffsbestimmung з. 2 Definitionen 5

Besonderheiten im therapeutischen Umgang mit traumatisierten Flüchtlingen

Biografiearbeit mit äthiopischen Flüchtlingen in Israel ein Modell für die Flüchtlingsarbeit in der Schweiz?

Charles Figley, 1989

Modul 1 Klassifikationssysteme. Übersicht über Gruppen und Kategorien der ICD-10. Kapitel V Psychische und Verhaltensstörungen (F00- F99)

Trauma: Entstehung Prävention Auswirkungen und Umgang damit

Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) Wirksame Therapiestrategien

Funktionsfähigkeit Emotionale Funktionen

Psychosomatische Rehabilitation

und Trauma- Akuttherapie Ein kurzes Handbuch für die Praxis

PSYCHISCHE KOMORBIDITÄTEN BEI CHRONISCHEN RÜCKENSCHMERZEN

Traum-a Merkmale, Auswirkungen und Empfehlungen im Umgang mit Traumatisierten

Zur Psychodynamik von Kindern, die Opfer und Zeugen von häuslicher Gewalt geworden sind

HERZLICH WILLKOMMEN!

Universitätsklinikum Regensburg PSYCHOONKOLOGIE. Krebs und Psyche wie kann psychoonkologische Unterstützung helfen? Manja Girbig, Dipl.-Psych.

Präventionsmaßnahmen gegen Übergriffe Dritter in Verkehrsunternehmen

ETI. Essener Trauma Inventar. Chiffre/Name: Alter: Untersuchungsdatum:

Safety first Stabilisierung bei PatientInnen mit traumatischen Erfahrungen. Fachtagung am Dorothee Spohn

Hintergrundwissen Trauma. E. L. Iskenius, Rostock

Psychische Extrembelastung und Traumatisierung bei der Arbeit

Das Reha.-Management der DGUV

Psychologische Faktoren im Krankheitsverlauf. Myelomtage Heidelberg Patiententag

Inhalt. Dank 13. Einleitung 15 Ängste in Kindheit und Jugend 15 Angststörungen in Kindheit und Jugend 16 Diagnose nach neurosepsychologischen Aspekten

Definition Frühgeburt

Peer support. wenn Helfer nicht mehr können. Dr. Caroline Kunz

Transkript:

Notfallpsychologie Psychischen Gesundheitsschäden nach Unfällen vorbeugen Betriebsräte-Tagung 2011 Präventionsbereich Heidelberg am 24. und 25. Mai 2011 in Karlsruhe

Großschadensereignisse Patong Beach, Phuket Foto: New York Times

Großschadensereignisse Foto: Malteser Dortmund Foto: AP/Archiv

Gewaltstraftaten Raub, räuberische Erpressung Vergewaltigung gefährliche und schwere Körperverletzung Vergiftung erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme Foto: Polizei Niedersachsen

Verkehrsunfälle Foto: Stefan Mühlmann, THW Nürnberg

Ausgangslage und Bedarf Jahr für Jahr erleben etwa 4,5 Mio. Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ein psychisch erschütterndes Ereignis. Großschadenereignisse 1% Verkehrsunfälle 63% Gewaltstraftaten 25% Arbeitsunfälle 11% 0 10 20 30 40 50 60 70

Ausgangslage und Bedarf In Deutschland erleiden jedes Jahr ca. 1,5 Mio. Personen einen Arbeitsunfall. Jeder 7. Betroffene (14%) entwickelt psychische Probleme, die mit dem Arbeitsunfall zusammenhängen (Frommberger, 2004). Jährlich werden in mehr als 2000 Fällen isolierte psychische Traumata als Arbeitsunfall anerkannt. Das sind 5 bis 6 dieser Fälle pro Tag!

Ausgangslage und Bedarf Fälle mit der Verletzungsart Schockzustände erlebnisreaktiver/psychischer Art (Schlüsselzahl 86) und dem verletzten Körperteil Gesamter Mensch (Schlüsselzahl 019) im Jahr 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 registrierte AU 862 978 1108 1299 1322 1411 1519 1897 Zuwachs zum Vorjahr + 116 + 130 + 191 + 23 + 89 + 108 + 378 (DGUV)

Der psychische Schock Denken abgeschaltet roboterhaftes Agieren, Dumpfheit, geistige Abwesenheit, Trance Fühlen abgeschaltet Empfindungslosigkeit ( Das fühlt sich unwirklich an. ) Realitätsverlust, Erleben der Situation wie in einem Film Motorik abgeschaltet Erstarren zur Salzsäule Starren auf das Schreckliche Motorische Überaktivierung Ablaufen einer kraftvollen archaischen Fluchtreaktion selten Angriffsverhalten Motorische Unteraktivierung Schwächeanfall, Kraftlosigkeit, bleierne Schwere Totstellreflex Später treten Erinnerungslücken auf.

Traumabegriff und -formen Objektives Ereignis: Person erlebt ein Ereignis als unmittelbar Betroffener oder als Zeuge und wurde mit lebensbedrohendem Ereignis, schwerer Verletzung oder einer Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit konfrontiert Subjektives Erleben: Person erlebte intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen psychisches Trauma ohne organische Verletzungen körperliches und psychisches Trauma

Mögliche psychische Störungen Akute Belastungsreaktion F43.0* Anpassungsstörungen F43.2 Posttraumatische Belastungsstörung F43.1 Persönlichkeitsänderungen F62.0 Depressive Episode F32 Angststörungen (Phobien) F40, F41 * = Internationale Klassifikation psychischer Störungen ICD-10 Kapitel V (F) der WHO

Akute Belastungsreaktion Die akute Belastungsreaktion ist eine normale Reaktion auf eine unnormale Situation; sie ist keine Krankheit. Bei Betroffenen mit einer gesunden Ausgangspersönlichkeit das sind ca. 75 Prozent klingen die Beschwerden nach 5 bis 10 Tagen ab.

Anpassungsstörungen nach belastendem Lebensereignis, nach schwerer körperlicher Krankheit Beginn i.d.r. innerhalb eines Monats nach Ereignis (max.3 Monate) Dauer der Symptome nicht länger als 6 Monate (längere depressive Reaktion bis 2 Jahre) Anpassungsstörung mit vorwiegender Störung des Sozialverhaltens

Posttraumatische Belastungsstörung Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß obligate psychopathologische Symptome: unwillkürliche Erinnerungen Träume Flashbacks optionale psychopathologische Symptome Emotionaler Rückzug, Gefühlsabstumpfung Vermeidung von Reizen, die Erinnerungen wachrufen köntnen Schlafstörungen Reizbarkeit, Wutausbrüche Konzentrationsstörungen

Posttraumatische Belastungsstörung Risikofaktoren biografische Belastungen niedriges Bildungsniveau schlecht funktionierendes soziales Umfeld vorbestehende psychische Störung Traumaintensität fehlende Anerkennung des subjektiven Leids Verlauf üblicherweise degressiv auch auch atypische Verläufe mit Symptomausweitung Einzelfälle mit mehrjähriger Latenzzeit zwischen Unfall und Posttraumatischer Belastungsstörung denkbar

Posttraumatische Belastungsstörung Bei durchschnittlich 25 Prozent der von einem psychischen Trauma Betroffenen entwickelt sich ohne geeignete notfallpsychologische Unterstützung eine posttraumatische Belastungsstörung mit Krankheitswert. Die Notfallpsychologie befasst sich mit der Vorbeugung und Bewältigung posttraumatischer Belastungsstörungen nach psychisch erschütternden Ereignissen.

Wie soll betroffenen Personen geholfen werden? Warten, bis Betroffener das Trauma selbst verarbeiten kann und auf die Selbstheilungskräfte vertrauen? Allen Betroffenen muss jede nur denkbare psychologische Hilfe so schnell wie möglich angeboten werden? Empfehlungen der gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention und Rehabilitation von psychischen Störungen nach Arbeitsunfällen

Betreuungsphasen und Handlungsverantwortliche Extremerlebnis Erstbetreuung Stabilisierung und Weiterbehandlung Betrieb Erstbetreuer D-Arzt Betriebsarzt Traumatherapeut A B C D E Prävention möglicher Störungen und Stabilisierungsmaßnahmen/ probatorische Sitzungen Primär- prävention Akutinter- vention/ Erstbetreuung Weiterbe- handlung Prävention Rehabilitation

Phase 1: Akutintervention/Erstbetreung besonders wirksam: Einsatz eines betrieblichen Konzepts (Unterstützung und Beratung durch die BG möglich) überbetriebliche Lösungen für KMU (Nutzen von branchenspezifischen Netzwerken etc.) Informationsveranstaltungen der BG nutzen Erstbetreuer ausbilden

Phase 1: Akutintervention/Erstbetreung Aufgaben und Einsatz von Erstbetreuern: persönliche Kontaktaufnahme mit Betroffenen in möglichst zeitlicher Nähe zum Ereignis Auffangen der Schockreaktion durch Anwesenheit und Beruhigung Übergabe an das soziale Umfeld bei Bedarf Übergabe an fachspezifische Dienste (D-Ärzte, BGen, betriebliche Netzwerke)

Phase 2: Prävention möglicher Störungen/Stabilisierungsphase frühzeitige professionelle Intervention, um Chronifizierungen zu vermeiden falls notwendig, stabilisierende psychotherapeutische Sitzungen spätestens vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis anbieten Steuerung des Heilverfahrens durch die BG Modellverfahren der Landesverbände (Einbindung von Psychotherapeuten im bglichen Heilverfahren bei psychischen Gesundheitsschäden) Therapeutennetzwerk der BGen nutzen

Phase 3: Weiterbehandlung diagnostische Abklärung und Behandlungsnotwendigkeit nach probatorischen Sitzungen Einschaltung eines beratenden Facharztes, ggf. auch der Psychotraumatologischen Ambulanzen der BG-Unfallkliniken Genehmigung und Einleitung einer geeigneten Psychotherapie grds. Genehmigung als Kurzzeittherapie mit 10 Sitzungen stationäre Behandlung möglich nach Indikationsstellung und Auswahl geeigneter Kliniken

Teilhabe am Arbeitsleben Wichtige Aufgabe des Rehamanagements einer BG: Ausrichtung erforderlicher Reha-Abklärungen und Qualifizierungsmaßnahmen unmittelbare Reintegrationsbemühungen auf das konkrete psychische Störungsbild wichtig: Vertrauen! Berücksichtigung der persönlichen Befindlichkeiten Betriebliche Arbeits- und Belastungserprobung Leistungs- und Eignungsdiagnostik besondere Berufsfindungsmaßnahmen

Fazit Rehabilitation von psychischen Gesundheitsstörungen gewinnt für die UV-Träger zunehmend an Bedeutung Akutintervention sollte mit der betrieblichen Erstbetreuung einsetzen mit allen geeigneten Mitteln ist der verursachte Gesundheitsschaden zu beseitigen oder zu bessern, seine Verschlimmerung zu verhüten und seine Folgen zu mindern hohe Anforderungen an Betriebe und UV-Träger

Foto: DPA

- Vielen Dank! -