Interview mit Frau In Sun Kim über den interkulturellen Hospizdienst Dong Ban Ja

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Transkript:

1 Interview mit Frau In Sun Kim über den interkulturellen Hospizdienst Dong Ban Ja Ute Siebert: Vielen Dank, dass Sie heute für ein Interview zu Verfügung stehen! Könnten Sie uns über den interkulturellen Hospizdienst Dong Ban Ja erzählen, Ihre Arbeit und wie Sie auf die Idee kamen, den Hospizdienst zu gründen? In Sun Kim: Im Jahr 2005 hatte eine Gruppe koreanischer Frauen in Berlin die Idee, ein koreanisches Hospiz zu gründen. Wir sind 1966 als koreanische Krankenschwestern nach Deutschland gekommen, weil hier damals schon ein Mangel an Pflegepersonal herrschte. Der Grund für die Idee zum Hospiz war, dass die Menschen ja älter werden und eventuell hier sterben. Dann brauchen sie ein Hospiz, denn in deutsche Einrichtungen wollen sie oft nicht gehen wegen der kulturellen Unterschiede, auch wegen Sprachbarrieren und dem Essen, der Verpflegung. Deswegen haben die Frauen gedacht, es ist sinnvoll, so etwas für Koreaner zu gründen. Daraufhin habe ich gesagt, nur für Koreaner alleine lohnt es sich nicht weil die Gruppe zu klein ist. In Berlin gibt es Menschen aus fast 200 verschiedenen Ländern und mit diesen Menschen müssen wir zusammenarbeiten. Die Gruppen sollten nicht jede für sich alleine kämpfen, wir können zumindest für Menschen aus Ostasien insgesamt etwas tun. Ich stellte damals auch fest, dass dieses Projekt nicht nur für Andere da ist, sondern auch ein Thema für mich persönlich war. Ich habe mich selbst gefragt: Wo möchtest du sterben? Kannst du dir vorstellen, ohne weiteres in Deutschland unter die Erde zu kommen? Oder möchtest du nach Korea? Diese Frage konnte ich mir selbst nicht beantworten. Und ich habe mir gesagt, vielen Migranten geht es so, und deshalb ist diese Arbeit sehr wichtig. Bis 2009 haben wir mit einiger Kraft und eigenen Mitteln gearbeitet, aber irgendwann ging das nicht mehr. So musste ich eine große Organisation suchen, die uns unterstützt. Der Humanistische Verband nahm unser Projekt auf und wir konnten weiterhin unsere Arbeit tun. Wir haben nur einen ambulanten Hospizdienst gegründet. Ein stationäres Hospiz würde uns nicht viel bringen, da nur wenige Leute Bedarf daran haben. Wir betreuen mittlerweile Menschen aus 14 Ländern. Die Migranten aus dem ostasiatischen Raum sind mehr oder weniger kollektiv denkende Menschen. Sie möchten in der Familie bleiben. Und wenn eine größere Familie nicht da ist, wünschen sie sich eine Ersatzfamilie. Dann fühlen sie sich wohl. Individualismus ist für sie immer noch etwas Fremdes, auch wenn sie schon lange hier leben. Deswegen sind stationäre Hospize nicht gut für sie, wo sie weit weg von der Familie und isoliert in Einzelzimmern untergebracht sind. Ute Siebert: Sie haben auch auf Ihrer Website geschrieben, dass Menschen die migriert sind, gerne zuhause in ihrer Wohnung sterben wollen und nicht noch einmal umziehen wollen.

2 In Sun Kim: Genau. Zum Sterben für zwei Tage an einen anderen Ort zu gehen, das geht für diese Menschen nicht. Ute Siebert: Und was meinen Sie mit Ersatzfamilie? In Sun Kim: In Berlin zum Beispiel gibt es 34 koreanische evangelische Gemeinden. Jede Gemeinde hat nicht mehr als 100 Mitglieder - oft sind es nur 40 50 Mitglieder, dann fühlen sie sich wohl. Dann ist es wie Zuhause in Korea: Großvater, Onkel, Neffen und so weiter, wenn die ganze Großfamilie zusammensitzt, sind es etwa 50 Leute. Das ist noch übersichtlich, aber auch nicht zu eng, und so fühlen sie sich gut. Ich glaube das ist bei Migranten aus der Türkei ähnlich, sie fühlen sich wohl in der Großfamilie. Ute Siebert: Und wenn jetzt ein Mitglied aus solch einer Gemeinde schwer erkrankt, kommen Mitglieder aus der Gemeinde zu ihm nachhause und kümmern sich um ihn oder sie? Frau Kim: Natürlich! Sie bringen Essen mit, dann plaudern sie und es ist lebendig um den Kranken herum. Deswegen ist es nicht gut für diese Menschen, alleine und isoliert in einem Krankenhauszimmer zu liegen. Im Hospiz ist es noch schlimmer, da denken sie: Oh, dann bin ich ja total alleine. Und da muss man auch bei den Einrichtungen über andere Modelle nachdenken, wenn sie dort tatsächlich Migranten als Patienten haben wollen. Ute Siebert: Geht es um Modelle, die familiärer sind und um Einrichtungen, wo es auch eine Küche zur Zubereitung von Essen durch die Angehörigen gibt? Wo es genug Platz für die Angehörigen gibt, die zu Besuch kommen? In Sun Kim: Ja, genau! Und dass auch Kinder und Jugendliche als Besucher willkommen sind. Wenn ich in ein deutsches Hospiz gehe, dann sagt man dort: Hier muss alles ganz leise sein, bitte nicht stören. Aber uns Migranten stört so etwas nicht. Im Gegenteil, je lauter und lebendiger es ist, desto wohler fühlen sie sich. Das ist eine ganz andere Mentalität. Ute Siebert: Arbeiten Sie vor allem mit Ehrenamtlichen aus den entsprechenden Ländern, aus denen die Patienten kommen? In Sun Kim: Ja, unsere Ehrenamtlichen haben auch eine Dolmetscherfunktion, kennen sich in verschiedenen Religionen aus und sind Experten für die jeweilige Kultur. Sie wissen zum Beispiel, auf was man bei einem buddhistischen Patienten achten muss. Und wenn er stirbt, welche buddhistische Nonne angerufen werden muss, die dann für den Sterbenden betet und ihn wäscht. Wenn der Patient gestorben ist, darf niemand den Körper anfassen, bis die Reinkarnation stattgefunden hat. Wichtig ist

auch zu wissen, welche Einstellung zum Sterben ein Patient hat aus kultureller Sicht. Das ist sehr wichtig, finde ich. 3 Ute Siebert: Was bedeutet für Sie eine kultursensible Pflege und Sterbebegleitung? Haben Sie noch ein Beispiel? In Sun Kim: Wenn jemand mich zum Beispiel als sterbende Patientin pflegen würde, dann wäre es wichtig, dass die Pflegenden meinen Werdegang kennen. Also, wie ich gelebt habe, und meine Einstellung, meine Werte und meine Religion. Auch wenn sie nicht alle Details kennen, wissen die Pflegenden dann zumindest, dass ich in Berlin Theologie studiert habe, und dass ich in Korea in einer Gesellschaft mit schamanistischen Wurzeln, Buddhismus und Atheismus groß geworden bin. Das heißt, ich bin offen für die Werte der verschiedenen Religionen, das ist für mich keine komplizierte Sache. Aber ich möchte gerne eine Seebestattung haben, im fließenden Wasser. Ich will nicht irgendwo fest unter der Erde begraben werden. Und ich möchte einen kleinen feierlichen koreanischen Abschied haben. Und was das Essen anbelangt, möchte ich, wenn möglich, koreanisches Essen. Was die Sprache betrifft, würde ich später vielleicht mehr deutsch sprechen als koreanisch, oder einen Mischmasch. Wenn das eine Pflegende oder eine Ehrenamtliche vom ambulanten Hospizdienst weiß, weiß sie auch, dass sie mit mir offen über meinen baldigen Tod sprechen kann. Aber wenn es sich um eine andere Koreanerin handeln würde, die total traditionell koreanisch geblieben ist, dann darf man nicht sagen: Sie werden bald sterben. Was wünschen Sie, eine Erdbestattung oder eine Seebestattung? Das ist ein Tabuthema, bis zum Schluss. Sowas, das ist kultursensibel. Ute Siebert: Es geht also darum, individuell auf den Menschen einzugehen, entscheidende Informationen über ihn in Erfahrung zu bringen und ihn kennenzulernen. Das heißt für ein Palliativ-Team und Hospizbetreuer, in der Anamnese genau nachzufragen, damit es nicht zu einer klischeehaften Behandlung kommt. Indem man z.b. sagt: Ah, das ist eine Koreanerin, die kann wahrscheinlich kaum deutsch und die ist sicher Buddhistin In Sun Kim: Genau. Aber ich kenne die Realität: Das Pflegepersonal hat oft gar nicht die Zeit für solche Gespräche und ist überfordert. Doch wenn wir eine optimale Sterbebegleitung wollen, müssen wir auch daran arbeiten, dass es mehr Zeit für den einzelnen Patienten gibt und sich generell der Ruf des Berufs der Krankenpflege verbessert. Ute Siebert: Arbeiten Sie als interkultureller Hospizdienst mit einem ambulanten Palliativpflegeteam zusammen? In Sun Kim: Ich rufe bei Bedarf einen Palliative Care-Arzt an. Für manche koreanischen Patienten wäre es vielleicht am besten, einen koreanischen Arzt zu bekommen, aber die gibt es hier kaum. Überhaupt

gibt es unter den Palliative Care-Ärzten sehr wenige Migranten. Dann schaue ich also nach einem sensiblen deutschen Arzt. Und es gibt auch einige koreanische Hausärzte, meist Internisten, dann gehen wir lieber zu denen. Sie können auch das Morphium verschreiben und verabreichen, und den Totenschein können sie auch ausstellen. In unserem Hospizdienst haben wir selbst Mitglieder mit einer Palliative Care-Ausbildung: Unsere Ehrenamtlichen sind oft lange Krankenschwestern gewesen, sie sind also selbst Fachfrauen. Deswegen haben wir mit der Versorgung und Betreuung von Menschen, die zuhause sterben wollen, bisher kaum Probleme gehabt. 4 Ute Siebert: Und Sie arbeiten in ganz Berlin? In Sun Kim: Ja. Natürlich gibt es Schwerpunkte, viele Migranten ostasiatischer Herkunft leben z.b. in Wilmersdorf. Aber es auch viele Patienten, zum Beispiel Vietnamesen, die in einer deutschen Demenz- WG oder einem deutschen Heim liegen, und da einfach hilflos sind. Sie können keine optimale Pflege erhalten. Oft können sie sehr schlecht Deutsch, und es gibt sehr wenige vietnamesische Ärzte, das gleiche gilt für japanische Patienten. Wenn wir von ihnen erfahren, suchen wir sie auf. Es wäre sehr gut, wenn die Palliative Care Ärzte sich auch eine weitere Sprache aneignen. Vielleicht gibt es junge Ärzte, die bereit sind, vietnamesisch zu lernen. Denn Vietnamesen sind eine große Gruppe in Berlin! Ute Siebert: Werden Sie von deutschen Einrichtungen manchmal um Hilfe gebeten? Oder suchen deutsche Pflegende und Betreuer bei Ihnen Rat? In Sun Kim: Ja, nur leider passiert das selten. Wir wünschen uns natürlich, dass wir öfter von deutschen Pflegenden kontaktiert werden. Manchmal stellen wir uns auch in Einrichtungen vor und sagen den Pflegenden dort, dass sie uns anrufen können, wenn sie Sterbende aus ostasiatischen Ländern haben. Damit diese Menschen nicht einsam sterben müssen. Aber für die Vernetzung bleibt den Pflegenden meist zu wenig Zeit. Ute Siebert: Worauf legen Sie bei der Arbeit Ihrer Ehrenamtlichen am meisten wert? In Sun Kim: Ich finde Selbstreflexion und Biografie-Arbeit sehr wichtig. Darin sollten sie geschult sein. Bei der Selbstreflexion sollten sie sich über eigene Denkmuster und Vorurteile bewusst sein, zum Beispiel, was fällt mir ein wenn ich Deutscher oder Türke höre? Damit wir lernen, uns gegenseitig vorurteilslos zu begegnen. Auch die Eigenreflexion ist sehr wichtig: Was bedeutet für mich selbst Tod und Sterben? Kann ich denn überhaupt als Hospizbegleiter arbeiten? Und sie sollten auch genug über Religionen und Kulturen wissen. Für Ostasien ist wichtig zu wissen, dass dort die konfuzianische Prägung sehr verbreitet ist. Zentral ist der hohe Stellenwert des Familienzusammenhalts und hierarchische Strukturen in der Familie, die Älteren haben mehr zu sagen. Auch sollten die Ehrenamtlichen Bescheid wissen über verschiedene Arten der Kommunikation. In

Deutschland kommuniziert man direkter, aber viele Asiaten wollen indirekter kommunizieren. Auch das Maß an körperlicher Nähe oder Distanz kann von einer Kultur zur anderen unterschiedlich sein. 5 Ute Siebert: In Deutschland hört man oft, dass Schwerkranke sich oft nutzlos und als Last für Andere empfinden. Haben Sie das bei Menschen aus Ostasien auch festgestellt? In Sun Kim: Das habe ich seltener bei dieser Gruppe erlebt. Meist sind sie mit ihrem Schicksal mehr einverstanden. Das gilt besonders für Menschen buddhistischen Glaubens. Sie glauben an die Reinkarnation: Auch wenn sie im aktuellen Leben etwas Schlechtes erlebt haben, sind sie trotzdem dankbar, weil sie dadurch eine Chance auf ein besseres nächstes Leben haben. Deswegen hadern und jammern sie nicht so, sie sind eher zufrieden und beten. Man muss aber auch sagen, dass sich in Korea die Einstellung zu Krankheit und Schwerkranken langsam ändert. Wenn man in einer leistungsorientierten Gesellschaft aufwächst, dann fühlt man sich als Kranker eher nutzlos und schlecht. Das ist auch im Christentum weit verbreitet. Korea ist mittlerweile sehr leistungsorientiert, deswegen wollen viele Menschen dort keine Schwäche und Krankheit haben. Das Schlimmste ist für sie, wenn sie anderen zur Last fallen. Lieber wünschen sie sich, auf der Stelle zu sterben und niemandem zur Last zu fallen. Aber ich frage: Wieso Last? Ich sage immer, wir sind vom Anfang des Lebens bis zu seinem Ende voneinander abhängig. Wir sind nicht jeder einzeln für sich! Alleine könnten wir gar nicht leben. Durch meine Mutter bin ich auf die Welt gekommen, allein ging das ja nicht. Und von klein auf bis zum Ende des Lebens müssen Menschen füreinander da sein. Wir Menschen sind ein Netzwerk! Ute Siebert: Das nehme ich als schönes Schlusswort. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen und dem interkulturellen Hospizdienst weiterhin viel Kraft und Erfolg. Ute Siebert, 2015-2016 Dr. phil. Ute Siebert Interkulturelle Kompetenzen & Diversity Beratung, Coaching, Supervision Interkulturelle Organisationsentwicklung Tel.: 030-605ß 8256 Mobil: 0171-429 5141 Mail: kontakt@siebert-interkulturell.de Web: