12. Wahlperiode 29. 09. 98 Antrag der Abg. Stephanie Günther u. a. Bündnis 90/Die Grünen und Stellungnahme des Ministeriums Ländlicher Raum Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderten Mais Antrag Der Landtag wolle beschließen, die Landesregierung zu ersuchen I. zu berichten, 1. wie viele Hektar gentechnisch veränderter, maiszünslerresistenter Bt- Mais der Firma Novartis 1998 in Baden-Württemberg angebaut wurden; 2. wo sich die Anbauflächen befinden, und ob die Orte für die Öffentlickeit sichtbar gekennzeichnet werden müssen; 3. auf welcher rechtlichen Grundlage und mit welchen Auflagen (Verwendung als Lebensmittel, als Futtermais oder zur Saatguterzeugung, etc.) das Bundessortenamt die Sondergenehmigung erteilt hat; 4. für welche Maissorten und für welche Mengen die Sondergenehmigung erteilt wurde; 5. ob die Ernte auf dem freien Markt verkauft wird, oder ob die Firma Novartis sie abnimmt; 6. ob die unmittelbaren Anlieger des Maisanbaus informiert bzw. wie die umliegenden Maisäcker vor Pollenflug mit manipulierter Erbinformation geschützt wurden, d. h. wie groß der Abstand zu anderen Maisanbauflächen sein muß, und ob dieser Abstand in sämtlichen Fällen eingehalten wird; 7. in welcher Form das Regierungspräsidium Tübingen in die Überwachung der Kulturen bzw. der Ernten und deren Verbleib miteinbezogen ist; Eingegangen: 29. 09. 98 / Ausgegeben: 23. 12. 98 1
8. ob der Landesregierung bekannt ist, daß bereits 1997 maiszünslerresistenter Mais der Firma Novartis in Baden-Württemberg angebaut wurde; wenn ja, auf wieviel Hektar, wo und auf welcher rechtlichen Grundlage; 9. welcher Verwendung dieser Mais zugeführt wurde bzw. werden soll, und ob es seitens der Landesregierung diesbezügliche Empfehlungen gibt; 10. ob in Baden-Württemberg für weitere gentechnisch veränderte Pflanzenarten eine Sonderanbaugenehmigung erteilt bzw. in Aussicht gestellt wurde, und wenn ja, für welche Pflanzen, in welchen Mengen und an welchen Anbauorten; 11. wie die Landesregierung die Gefahr der Übertragung der Antibiotikaresistenz von den gentechnisch veränderten Pflanzen auf Mensch und Tier beurteilt; 12. wie die Landesregierung das Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher auf garantiert gentechnikfreie Nahrung sicherstellen will; 13. ob die Landesregierung plant, bei Produkten, die das HQZ tragen, nicht nur die Anwendung von gentechnischen Verfahren bei der Erzeugung und Herstellung zu untersagen, sondern auch die Verwendung von gentechnisch veränderten Futtermitteln auszuschließen und von den Zeichennutzern einen entsprechenden Nachweis zu verlangen. 29. 09. 98 Stephanie Günther, Buchter, Dr. Schäfer, Dr. Witzel, Walter, Kretschmann Bündnis 90/Die Grünen Begründung Zwar ist für Pflanzenarten, die dem Saatgutgesetz unterliegen, in Deutschland noch keine gentechnisch veränderte Sorte zugelassen, doch hat das Bundessortenamt der Firma Novartis das Inverkehrbringen von Saatgut einiger in Frankreich im Zulassungsverfahren stehender gentechnisch veränderter Maissorten genehmigt. Wie die Umweltschutzorganisation Greenpeace jetzt öffentlich gemacht hat, wird zum Beispiel im badischen Riegel gentechnisch veränderter Bt-Mais angebaut. Diese Entwicklung wirft eine Reihe von Fragen auf, die sowohl die rechtlichen Grundlagen der Sondergenehmigung als auch den Verbraucherschutz betreffen. In einem Brief an die Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Markgräflerland hat das Ministerium Ländlicher Raum mitgeteilt, die Sondergenehmigung beschränke sich ausschließlich auf die Saatguterzeugung. Demgegenüber hat der Eigentümer des Riegeler Bt-Mais- Feldes erklärt, er wolle den Mais als Futtermais verkaufen. Zum zweiten steht zu befürchten, daß über Pollenflug in die umliegenden Maisfelder gegen den Willen der Eigentümer gentechnisch verändertes Erbgut hineingetragen wird. Und schließlich führt die fehlende Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Futtermittel und die lückenhafte Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel zu einer zunehmenden Verunsicherung der Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich in ihrer überwiegenden Mehrheit gegen den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelherstellung aussprechen. Im Zusammenhang mit dem Herkunfts- und Qualitätszeichen Baden-Württemberg hat sich die Landesregierung gegen die Zulassung zur Zeichennutzung von Produkten ausgesprochen, die mit Anwendung von gentechnischen 2
Verfahren erzeugt oder hergestellt werden. Nach Ansicht der Grünen muß sich diese Regelung auch auf die Futtermittel beziehen, nachdem eine Auswirkung von gentechnisch veränderten Futtermitteln auf die tierischen Produkte nicht ausgeschlossen werden kann. Stellungnahme*) Mit Schreiben vom 30. November 1998 Nr. Z(23) 0141.5/237 F nimmt das Ministerium Ländlicher Raum im Einvernehmen mit dem Ministerium für Umwelt und Verkehr und dem Sozialministerium zu dem Antrag wie folgt Stellung: Zu 1.: Nach einer Medieninformation der Firma Novartis wurden 1998 sieben Tonnen maiszünslerresistentes Bt-Maissaatgut an deutsche Saatguthändler ausgeliefert. Dies entspricht etwa 350 Hektar Anbaufläche bundesweit. Da keine Meldepflicht besteht, liegen der Landesregierung darüber hinaus keine Informationen vor. Zu 2.: Die Anbauflächen mit transgenem Mais sind der Landesregierung nicht bekannt, zumal eine Meldepflicht für den Anbau nicht besteht. Ebensowenig besteht eine Kennzeichnungspflicht für transgene Maisflächen. Zu 3.: Im Rahmen der Regelung zum Inverkehrbringen von Saatgut nicht zugelassener Sorten gemäß 3 Abs. 2 Saatgutverkehrsgesetz (SaatG) hat das Bundessortenamt der Firma Novartis den Vertrieb von Saatgut einiger in Frankreich im Zulassungsverfahren stehender gentechnisch veränderter Maissorten mit Zünslertoleranz genehmigt. Voraussetzung für die Vertriebsgenehmigung ist die Genehmigung zum Inverkehrbringen nach Gentechnikrecht. Diese lag in allen Fällen vor, und zwar gemäß Entscheidung der Europäischen Kommission (97/98/EG) vom 23. Januar 1997. Mit der Genehmigung des Bundessortenamtes wurde unter Hinweis auf Artikel 1 Abs. 3 der genannten Entscheidung der Kommission die Auflage erteilt, daß das Saatgut zu kennzeichnen ist mit dem Vermerk gentechnisch verändertes Erzeugnis, das sich selbst gegen den Maiszünsler schützt und gegenüber dem Herbizid Glufosinatammonium eine erhöhte Toleranz aufweist. Außerdem wurde die Genehmigung mit der Auflage verbunden, daß derjenige, dem die Genehmigung erteilt wurde, systematische Aufzeichnungen über alle Eingänge und Ausgänge des Saatgutes zu machen hat, denen zu entnehmen sind: Die Angaben entsprechend 1 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 der Saatgutaufzeichnungsverordnung (Datumsangaben, Lieferant, Empfänger, Gewicht), die Art, die Bezeichnung der Sorte und, falls das Saatgut einer Kategorie zugehört, auch die Kategorie. Die Aufzeichnungen sind zum Zweck der Nachprüfung zwei Jahre aufzubewahren. Mit weiteren Auflagen, z. B. hinsichtlich der Verwendung als Lebensmittel oder für Futterzwecke etc., war die Sondergenehmigung des Bundessortenamtes nicht verbunden. Zu 4.: Im Rahmen des Verfahrens besteht keine Pflicht der Firma, Angaben über Mengen und Sorten zu machen. Die Landesregierung hat daher keine Kenntnis hierüber. *) Der Überschreitung der Drei-Wochen-Frist wurde zugestimmt. 3
Zu 5.: Die Genehmigung zum Inverkehrbringen nach 3 Abs. 2 SaatG erstreckt sich auf den Vertrieb als Saatgut. Das Saatgut ist entsprechend der unter Nr. 3. genannten Auflage zu kennzeichnen. Das Erntegut wird auf dem freien Markt verkauft. Verarbeitete Produkte, die aus dem Erntegut hergestellt werden, dürfen nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1139/98 des Rates vom 26. Mai 1998 als spezifisch gekennzeichnete Lebensmittel in den Verkehr gebracht werden. Ein Teil wird innerbetrieblich als Silomais, Corn Cob Mix (CCM = gehäckselter Maiskolben) oder Körnermais verwertet. Bei innerbetrieblicher Nutzung entfällt die Kennzeichnung. Zu 6.: Für die Anbauer von gentechnisch verändertem Mais gibt es in bezug auf die Nachbarn derzeit keine gesetzliche Regelung über Informationspflichten und Einhaltung von Grenzabständen. Die Züchtungsfirma empfiehlt, beim Versuchsanbau den bei der Saatgutvermehrung üblichen Mindestabstand von 200 m einzuhalten. Zu 7.: Für die Zulassung und Überwachung von gentechnisch veränderten Produkten im Lebensmittel- und Futtermittelbereich gelten folgende Zuständigkeitsregelungen: Produkt Genehmigungsbehörde Überwachungsbehörde gentechnisch veränderte Robert Koch-Institut Regierungspräsidium Futtermittel und in Berlin Tübingen gentechnich verändertes (für Baden-Württemberg) Saatgut gentechnisch. veränderte Europäische untere Lebensmittel- Lebensmittel (nach Novel Kommission überwachungsbehörde Food-Verordnung) Die unterschiedlichen Zuständigkeiten im Überwachungsbereich werden wie folgt begründet: Nach 31 Gentechnikgesetz in Verbindung mit 3 Gentechnik-Zuständigkeitsverordnung ist in Baden-Württemberg das Regierungspräsidium Tübingen für den Vollzug des Gentechnikgesetzes zuständig. Da die Novel Food-Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Januar 1997 neben dem Gentechnikgesetz als Rechtsnorm unmittelbar und ohne rechtliche Umsetzung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gilt, finden hier die Vorschriften der Gentechnik-Zuständigkeitsverordnung keine Anwendung. Zuständig für die Überwachung der Novel Food-Verordnung sind deshalb die unteren Lebensmittelüberwachungsbehörden. Im konkreten Fall des Bt-Maises der Firma Novartis liegt eine Genehmigung zum Inverkehrbringen nach dem europäischen Gentechnikrecht der in Frankreich zuständigen Zulassungsbehörden mit europaweiter Wirkung vor. In der Sicherheitsbewertung kommen die französischen Behörden zu dem Schluß, daß Gefahren für Menschen, Tiere, Pflanzen und die sonstige Umwelt nicht zu erwarten sind. Diese Auffassung wird auch von der Zentralen Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS) und dem Robert Koch-Institut die an dem Zulassungsverfahren beteiligt waren vertreten. Außer einer Kennzeichnungspflicht wurde die Genehmigung nicht mit weiteren Auflagen versehen. 4
Sofern die Kennzeichnungsvorschriften eingehalten werden, bestehen daher keine rechtlichen Einwände, daß der gentechnisch veränderte Mais wie jedes andere Saatgut auch in den freien Handel gelangen kann. Eine Informationspflicht der für die Überwachung zuständigen Behörden über Anbau und Verbleib gentechnikrechtlich zugelassener Pflanzen gibt es daher nicht. Zu 8.: Im Wirtschaftsjahr 1996/97 hat das Bundessortenamt der Firma Novartis auf der gleichen gesetzlichen Grundlage und mit den gleichen Auflagen, wie unter Nr. 3 geschildert, für gentechnisch veränderte Maissorten eine Vertriebsgenehmigung (gemäß 3 Abs. 2 SaatG) erteilt. Flächengröße und Standort sind der Landesregierung, wie bereits in Nr. 2 und 4 dargelegt, nicht bekannt. Zu 9.: Zur Verwendung des Erntegutes wird auf Nr. 5 verwiesen. Diesbezügliche Empfehlungen seitens der Landesregierung gibt es nicht. Zu 10.: Nach Auskunft des Bundesortenamtes wurde für weitere gentechnisch veränderte Pflanzenarten eine Genehmigung zum Inverkehrbringen von Saatgut nicht zugelassener Sorten gemäß 3 Abs. 2 SaatG weder erteilt noch in Aussicht gestellt. Zu 11.: Der von der Firma Novartis entwickelte Mais mit integriertem Schutz gegen den Maiszünsler enthält ein Antibiotika-(Ampicillin-)Resistenzgen. Zur Frage der Gefährdung durch Antibiotika-Resistenzgene wird auf den Sachverstand der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) hingewiesen. Die ZKBS kommt in ihrer Stellungnahme zur Ampicillinresistenz zu dem Ergebnis, daß die Wahrscheinlichkeit eines horizontalen Gentransfers von Pflanzenmaterial auf Mikroorganismen als sehr gering einzustufen ist und eine Kette von sehr unwahrscheinlichen Einzelereignissen voraussetzen würde. Die ZKBS kommt zu dem Schluß, daß, ausgehend von der Tatsache der heute schon sehr weiten Verbreitung des Resistenzgens in verschiedenen Bakteriengattungen, die Wahrscheinlichkeit, wonach es durch den Novartis-Mais zu einer Ausweitung der Resistenz mit zusätzlichem Gefährdungspotential für Mensch oder Tier kommt, als äußerst gering einzuschätzen ist. Auch nach Auskunft des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) wurden die potentiellen Gefahren der Verwendung des Ampicillin-Resistenzgens bei der Herstellung der transgenen Maispflanzen im Rahmen des Genehmigungsverfahrens u. a. von den wissenschaftlichen Ausschüssen der Europäischen Kommission für Lebensmittelund Futtermittel bewertet, mit dem Ergebnis, daß keine Gefährdung von Mensch und Tier zu befürchten ist. Gleichwohl haben sich die zuständigen Gremien dafür ausgesprochen, daß künftig bei der Entwicklung transgener Pflanzen, die als Lebens- oder Futtermittel Verwendung finden, der Einsatz solcher Markergene vermieden werden sollte. Die Integration neuer Gene soll ausschließlich auf die Gene beschränkt werden, die für die gewünschten neuen Eigenschaften erforderlich sind. Zu 12.: Aufgrund der Ersten Verordnung zur Änderung der Neuartige Lebensmittelund Lebensmittelzutaten-Verordnung vom 13. Oktober 1998 (BGBl. I S. 3167) ist bei den als ohne Gentechnik gekennzeichneten Lebensmitteln 5
die Gentechnikfreiheit des Lebensmittels i. S. der Verordnung zu garantieren. Die amtliche Lebensmittelüberwachung wird solche Produkte im Rahmen der üblichen Probenuntersuchungen (durch Stichproben, Proben in Verdachtsfällen) und ggf. einer Überprüfung der Herstellungsunterlagen kontrollieren. Zu 13.: Nach den aktuellen Bestimmungen für das Herkunfts- und Qualitätszeichen für Agrarprodukte aus Baden-Württemberg (HQZ) sind Lebensmittel von der Zeichennutzung ausgeschlossen, die mit Anwendung von gentechnischen Verfahren erzeugt und hergestellt wurden und nach der Novel Food-Verordnung oder den anderen Kennzeichnungsnormen der Europäischen Union oder des Bundes in bezug auf gentechnische Veränderungen von Lebensmitteln zu kennzeichnen sind. Um die Verwendung gentechnisch veränderter Futtermittel ausschließen zu können, ist es erforderlich, daß diese auch entsprechend gekennzeichnet sind. Dazu bedarf es EU-gemeinschaftlicher Kennzeichnungsvorschriften, die bisher noch nicht erlassen sind. Die Landesregierung hat bereits im Januar 1997 über eine Bundesratsinitiative entsprechend der Novel Food-Verordnung die Kennzeichnung gentechnisch veränderter Futtermittel gefordert (siehe Stellungnahme zum Antrag der Abg. Birgit Kipfer u.a. SPD Drucksache 12/1456 vom 7. Mai 1998). Die Agrarministerkonferenz hat diese Forderung in ihrer Sitzung vom 15. bis 17. September 1998 in Jena neu in einem Beschlußvorschlag an die Bundesregierung gerichtet. Gerdi Staiblin Ministerin für den ländlichen Raum 6