Prof. Dr. Jürgen Rath Besonderer Teil III: Delikte gegen Rechtsgüter der Allgemeinheit. Vollrausch a StGB

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Transkript:

Vollrausch - 323 a StGB Schutzzweck Überwiegende Auffassung Es soll der generellen Gefährlichkeit schuldausschließender Rauschzustände für beliebige Rechtsgüter entgegengewirkt werden. Andere Auffassung Verhinderung einer mehr oder weniger konkreten Gemeingefährlichkeit des Rausches und der hieraus resultierenden Rauschtaten. Deliktsstruktur (nach h. M.) 1. Unrecht ist bereits das (vorsätzliche oder fahrlässige) Sich- Berauschen (abstraktes Gefährdungsdelikt) 2. Bestraft wird jedoch erst, wenn der Täter in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht, für die er wegen seiner (möglichen in dubio pro reo) Schuldunfähigkeit nicht verantwortlich ist. 3. Die Rauschtat ist objektive Bedingung der Strafbarkeit. Objektiv bedeutet: Unabhängigkeit von a) Vorsatz und Fahrlässigkeit sowie b) Schuld (zu Einschränkungen unten) Regelungshintergrund Das Delikt soll denjenigen erfassen, der die elementare Gemeinschaftspflicht verletzt, sich im sozialen Miteinander selbst kontrollierbar zu halten bzw. sich nicht zur Gemeingefahr zu machen. Grundelemente 1. actio präcedens (a. p.) 2. actio subsequens (a. s.) Herbeiführung der (nicht ausschließbaren) Schuldunfähigkeit die Rauschtat Anwendungsbereich der actio libera in causa und des 323 a StGB Fallkonst. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. a. p. vors. vors. fahrl. fahrl. vors. fahrl. (-) a. s. vors. fahrl. vors. fahrl. (-) (-) (-) rechtl. Einordnung. vors. alic fahrl. alic vors. Vollrausch fahrl. Vollrausch straflos - 1 -

Meinungsstand zur actio libera in causa Meinung 1: Meinung 2: Unzulässige Konstruktion Argumente: - Wortlaut des 20 StGB - Schuldgrundsatz Zulässige Konstruktion Lösungsmodelle: (sehr vereinfachende Darstellung!) a) Ausnahmemodell: Argument 1: Einschränkende Auslegung des 20 StGB in Orientierung an 17 Satz 2 StGB und an 35 I 2 Fall 1 StGB (kaum vertretbar: Umkehrschluss geboten!). Argument 2: Rechtsmissbrauchsgedanke (sehr problematisch) b) Tatbestandsmodell: Sich-Berauschen (u. s. w.) ist bereits ein unmittelbares Ansetzen zur Rauschtat (sehr problematisch) Angeblich unproblematische Fallkonstellationen: - Fahrlässigkeitsdelikt (Fehlen der Grenze des 22 StGB sehr problematisch) - Delikte mit besonderer Handlungsbeschreibung (sehr problematisch: Ausnahme lässt sich nicht beschränken) c) Orientierung an 25 I Fall 2 StGB Täter macht sich zu seinem eigenen Werkzeug (sehr problematisch: Personenzahl stimmt nicht) Prüfungsschritte 1. Prüfung der Rauschtat Feststellung der Schuldunfähigkeit Eingreifen einer alic-fallgruppe (wenn Tb-Modell, dann:) 2. (neue) Prüfung der Rauschtat im Modus der alic nach dem Tb-Modell Wenn (+) oder (-): 3. Prüfung des 323 a StGB - 2 -

- Konkurrenzen: Ist z. B. 223 StGB im Modus der fahrlässigen alic ( 229 StGB) begangen, dann Idealkonkurrenz zwischen 229 und 323 a StGB i. V. m. 223 StGB, weil nur so das Vorliegen des 223 StGB zum Ausdruck kommt. Rausch Definition: Ein Zustand, der nach seinem ganzen Erscheinungsbild als durch den Genuss von Rauschmitteln hervorgerufen anzusehen ist. 1. Alkoholrausch tendenziell ab 3,0 %0 in einer Gesamtabwägung Anwendung des 20 StGB entweder krankhafte seelische Störung oder tiefgreifende Bewusstseinsstörung 2. Andere berauschende Mittel Drogen Medikamente Kausalität zwischen Rauschmittel und Rausch ist nicht durch das Mitwirken anderer Faktoren ausgeschlossen etwa: Alkoholunverträglichkeiten oder Affektzustände In solchen Mitwirkungsfällen sind Vorsatz- und Fahrlässigkeit besonders genau zu prüfen. Vorsatz und Fahrlässigkeit Objektive Bedingung der Strafbarkeit: Rauschtat Bezugsgegenstände insbesondere: die persönlichkeitsbeeinträchtigenden Wirkungen des Alkohols eventuelle Mitwirkungsfaktoren (genaue Prüfung) Mögliche Prüfungsstandorte: 1. als Tatbestandsannex 2. (korrekter) nach der Schuldprüfung (hinsichtlich des Sich- Berauschens) - 3 -

Vorsätzliche oder fahrlässige rechtswidrige Straftat im Sinne des 11 I Nr. 5 StGB Handlung: z. B.: Nicht bei sachbeschädigendem Umfallen in Trunkenheit Tatbestandsmäßigkeit: bei Unterlassungsdelikten Handlungsfähigkeit genau prüfen der Vorsatz eines Schuldunfähigen wird natürlicher Vorsatz genannt auch rauschbedingte Tatbestandsirrtümer sind beachtlich ( 16 I 1 StGB) Rechtswidrigkeit Schuld Fehlen eines Rechtfertigungsgrundes (hinsichtlich der Rauschtat nicht hinsichtlich des Sich-Berauschens) Fehlende Schuldfähigkeit Fallgruppen a) Schuldunfähigkeit ist sicher ausgeschlossen b) Schuldfähigkeit ist sicher ausgeschlossen c) Schuldunfähigkeit ist nicht auszuschließen (Geltung des Grundsatzes idpr) Voraussetzungen (h. M.): aa) Zustand des 20 StGB nicht auszuschließen bb) Grenze des 21 StGB ist sicher erreicht (Rsprg.: starke Indizwirkung ab 2,0 %o) d) Hauptstreitfall: Zustand des 20 StGB ist möglich Zustand des 21 StGB ist möglich Zustand der Schuldfähigkeit ist möglich Bewertung: Keine Anerkennung dieser Fallkonstellation in Bezug auf 323a StGB aa) Rausch unterhalb der Schwelle des 21 StGB schwer möglich bb) Ohne 21 StGB als Untergrenze fehlt es an der hinreichenden Deliktsbestimmtheit cc) Möglichkeit Schuldfähigkeit passt nicht zur Deliktsstruktur - 4 -

Sonstige wichtige Aspekte: kein Wegfall des Vorsatzschuldvorwurfs (durch Erltaubnistatumstandsirrtum) kein Eingreifen eines Entschuldigungsgrundes rauschbedingte Defizite in der subjektiven Fahrlässigkeit sind irrelevant rauschbedingte Irrtümer, insbesondere Verbotsirrtümer, sind irrelevant Ausnahme: Wenn Irrtum auch ohne Rausch unvermeidbar gewesen wäre ( infolge des Rausches ) Deliktseinschränkung? Notwendigkeit einer (subjektiven) Verantwortlichkeit hinsichtlich der Rauschtat? Ansatz: Schuldprinzip Argumente gegen Einstufung der Rauschtat als (unrechtsunabhängige) objektive Bedingung der Strafbarkeit: a) Sich-Berauschen sei sozial üblich und weitgehend toleriert b) h. M. könne Strafrahmenbindung des 323 a II StGB nicht erklären c) h. M. könne nicht erklären, weshalb die Art der Rauschtat zur Herabstufung als Ordnungswidrigkeit führen kann ( 122 OWiG) Einschränkende Konzeptionen (Wahrscheinliche) gemeinsame Grundgedanken: es muss eine bestimmte Schuldbeziehung zur Rauschtat bestehen der Rausch muss eine unrechts- und schuldrelevante konkrete Gefährlichkeit aufweisen 1. Fahrlässigkeit bezüglich der Rauschtat erforderlich 2. Vorhersehbarkeit bezüglich zumindest vergleichbarer Rauschtat 3. Verschulden bezüglich der durch den Rausch begründeten Gefahr, Strafbares zu tun (allerdings wird eine dahingehende Vorhersehbarkeit i. d. R. als selbstverständlich angenommen) - 5 -

Zur Kritik dieser Einschränkungen: Die erheblichen Deliktseinschränkungen werden dem durch den Vollrausch begründeten erheblichen Gemeingefahr nicht gerecht Verschwimmen der Grenze zur Zurechnungsfigur der alic Beteiligung 323 a StGB Rauschtat Täterschaft ( 25 I Fall 2, II StGB) Teilnahme nicht möglich (eigenhändiges Delikt) Meinung (1): uneingeschränkt möglich Meinung (2): nicht möglich: Schutz von Gastgebern und wirten Kritik: hinreichender Schutz durch Prüfung der objektiven Zurechnung Geltung der allgemeinen Grundsätze Geltung der allgemeinen Grundsätze ( 26, 27, 29 StGB: limitierte Akzessorietät) Zusatz zu 21 StGB Bitte, wiederholen Sie die Einschränkungen zu Anwendung des 21 StGB, die sich zum Teil am Modell des 323 a StGB und zum Teil am Modell der alic orientieren. - 6 -