5 Mechanische Eigenschaften

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Transkript:

5 Mechanische Eigenschaften Lernziel: Die mechanischen Eigenschaften von Werktstoffen legen fest, für welche Anwendungen sie eingesetzt werden können. Ein Konstrukteur braucht Werkstoffkennwerte, auf deren Grundlage er Bauteile auslegen kann. Ein Werkstoffhersteller muss wissen, was zu tun ist, um die mechanischen EigenschaftenvonWerkstoffenzuverbessern. Vor diesem Hintergrund verschaffen wir uns zunächsteinen Überblick über die verschiedenenmechanischeneigenschaften eines Werkstoffs. Wir behandeln dann die Elastizität von Werkstoffen und lernen den Elastizitätsmodul E und den Schubmodul G kennen. Wir behandeln dann die Kristallplastizität, die wir auf der Grundlage von Versetzungen diskutieren, die sich oberhalb einer kritischen Spannung, der Fließspannung R p, ausbreiten und vermehren. Wir besprechen dann das Kriechen und die Spannungsrelaxation, Phänomene die mit plastischer Verformung bei hoher Temperatur verbunden sind. Dann beschäftigen wir uns mit Rissen und führen die Spannungsintensität K ein. Dabei diskutieren wir Rissausbreitung sowohl unter statischen als auch unter dynamischen Belastungsbedingungen. Es folgen Betrachtungen zu inneren Spannungen in Werkstoffen, zur Gummielastizität und zur Viskosität von Flüssigkeiten und Gläsern. Dann besprechen wir mechanische und mikrostrukturelle Aspekte der Dämpfung und behandeln mehrachsige Belastungszustände und Werkstoffanisotropie. Abschließend betrachten wir mit der Härtemessung, dem Kerbschlagversuch und dem Näpfchenziehversuch technische Prüfverfahren, die für die vergleichende Beurteilung von Werkstoffen, für die Werkstoffauswahl und für die Beurteilung von Fertigungsverfahren wichtig sind. 5.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizität Die Qualität der Strukturwerkstoffe hängt vor allem von ihren mechanischen Eigenschaften ab. Durch genormte Prüfverfahren erhält der Konstrukteur Zahlenangaben über Elastizitätsmodul, Zug-, Schwing- und Zeitstandfestigkeit oder Dehnung beim Bruch (Abschn. 1.5; Literatur zu Kap. 1). Diese Prüfverfahren allein geben aber noch keinen Hinweis auf die Möglichkeit zur Verbesserung der Eigenschaften und auf die Ursachen von Fehlerscheinungen. Dazu sind Kenntnisse über die mikroskopischen Ursachen der mechanischen Eigenschaften notwendig. Folgende Forderungen werden im Allgemeinen an einen Strukturwerkstoff gestellt: - Festigkeit (hohe Belastbarkeit ohne plastische Verformung), - Sicherheit (hohe Bruchzähigkeit), - Leichtigkeit (geringes spezifisches Gewicht), - chemische Beständigkeit (Kap. 7). 5.1

162 5. Mechanische Eigenschaften a a HO 2 NH3 HS 2 SO 2 K=a K = a+ chem. Reaktion SRK Abbildung 5.1. Zugspannung σ, Spannungsintensität K, Spannungsintensität in chemischer Umgebung K SRK (Spannungsrisskorrosion, Abschn. 7.4) Die Beanspruchung wird durch eine mechanische Spannung σ [MPa] aufgebracht, die kontinuierlich zunehmend, konstant oder periodisch wechselnd auf den Werkstoff wirkt (Zug-, Kriech-, Ermüdungsversuch, Abschn. 13.4). Falls die Probe einen scharfen Anriss der Länge a enthält, wird die Beanspruchung durch die Spannungsintensität K = σ πa [Pa m] gekennzeichnet. Schließlich wirken oft chemische Faktoren aus der Umgebung auf den Werkstoff ein (Spannungs(riss)korrosion SRK, Abschn. 7.4). Die Beanspruchung wird durch K SRK = σ πa [Pa m] beschrieben, wobei die chemischen Bedingungen in der Oberfläche und insbesondere im Rissgrund genau beschrieben werden müssen (Abb. 5.1). Die Formänderung bei Einwirken einer mechanischen Spannung kann elastisch, viskoelastisch, kristall-plastisch oder viskos (glas-plastisch) erfolgen (Tab. 5.1). Die beiden zuletzt genannten Mechanismen haben gemeinsam, dass eine bleibende Formänderung auftritt, beruhen aber auf völlig verschiedenen Elementarprozessen. Der kristall-plastische Mechanismus dominiert bei Metallen, der viskose Mechanismus bei Kunststoffen und keramischen Gläsern bei erhöhter Temperatur, während elastische Formänderung in allen Werkstoffen bei - bezogen auf den jeweiligen Schmelzpunkt (Abschn. 4.1) - tiefer Temperatur auftritt. Bei der Beurteilung der mechanischen Eigenschaften spielen folgende Arten der Beanspruchung eine Rolle: die Höhe der Spannung, die Belastungsgeschwindigkeit, die Dauer der Belastung, die Anzahl und die Frequenz periodischer Lastwechsel, die Temperatur sowie die chemische Umgebung des Werkstoffs. In der Technik werden die Prüfbedingungen so ausgewählt, dass sie ein klares Bild über das Verhalten unter den jeweiligen speziellen Betriebsbedingungen geben, denen der Werkstoff ausgesetzt ist (Kap. 13). Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der mechanischen Eigenschaften spielt die Anisotropie, die Richtungsabhängigkeit.Isotrope mechanischeeigenschaften zeigen alle Werkstoffe mit Glasstruktur und vielkristalline Werkstof-

5.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizität 163 Tabelle 5.1. Formänderungen bei mechanischer Beanspruchung; T kf Schmelztemperatur, T g Glasübergangstemperatur Art der Form- zeitab- rever- verfes- Streck- Beispiele änderung hängig sibel tigend grenze Bemerkungen elastische + alle Werkstoffe verformung Kristall- + + Metalle, plastizität 0 <T <T kf Kriechen + + + Metalle, T>0, 3 T kf Thermoplaste, T>0, 5 T kf Keramik, T>0, 9 T kf viskoelastische + + Gummi, Kunststoffe, Verformung Beton, Fe-C-Legierungen, ferromagnetische Legierungen viskoses + Glas, Thermoplaste bei Fließen T>T g,flüssigkeiten für m = 1, (5.60) Binghamsches + + feuchter Ton, Pasten Fließen fe mit regelloser Verteilung der Orientierungen kleiner Kristalle. Anisotrop sind die Einkristalle, Vielkristalle mit bevorzugter Orientierung der Kristalle (Kristallanisotropie), Korngrenzen oder Teilchen einer zweiten Phase (Gefügeanisotropie, Faserverstärkung) sowie Kunststoffe mit bevorzugter Orientierung der Molekülfäden. In den zuletzt genannten Werkstoffen misst man in jede Richtung verschiedene mechanische Eigenschaften. Für die technische Anwendung gibt es jeweils günstige und ungünstige Orientierungen im Werkstoff zur Richtung der Beanspruchung. Für isotrope Werkstoffe können zur Festlegung der mechanischen Beanspruchung drei Hauptrichtungen (1, 2, 3) in einem orthogonalen Koordinatensystem festgelegt werden. Einachsiger Zug oder Druck führt bezogen auf eine im Winkel α zur Spannung σ = F/A liegende Ebene zu Normalspannungen σ N und Schubspannungen τ. Letztere erreicht bei α =45 den höchsten Wert (Abb. 5.2 b). Aus der Behandlung der Bindung von Atomen in festen Stoffen (Abschn. 2.2, (2.6)) folgt, dass in der Umgebung der Gleichgewichtslage die Verschiebung der Atome direkt proportional der Spannung ist und dass die Größe der Proportionalitätskonstanten durch die Krümmung der Potentialkurve bestimmt wird. Für größere elastische Formänderungen (>1%) treten häufig messbare Abweichungen von der Linearität auf. Bei Belastung von Molekülgerüsten im Gummi tritt von Anfang an keine lineare Beziehung auf, da die Elastizität

164 5. Mechanische Eigenschaften nicht auf direkter Wechselwirkung benachbarter Atome beruht, sondern auf Streckung und Scherung von Molekülketten. Nichtlineare Elastizität finden wir auch im grauen Gusseisen und Beton. Dort hat sie wiederum eine andere Ursache, nämlich feinverteilte Mikrorisse (Abschn. 9.6 und 8.6). Die lineare Beziehung zwischen Spannung und Dehnung wird als Hookesches Gesetz bezeichnet. Sie wird als gute Näherung für viele mechanische Berechnungen verwendet. Eine phänomenologische Beschreibung der Beziehung zwischen Spannung und Dehnung in irgendeinem festen Stoff kann durch ein verallgemeinerteshookeschesgesetz gegeben werden. Eine an einen würfelförmigen Körper angreifende Kraft kann in folgende neun Komponenten zerlegt werden ((5.1), Abb. 5.2 a). Drei Komponenten sind reine Zugspannungen (σ xx, σ yy, σ zz ), die anderen sechs sind Schubspannungen, von denen aber nur drei unabhängig sind (da τ ij = τ ji ). Das verallgemeinerte Hookesche Gesetz kann daher in der Form von sechs unabhängigen Spannungen geschrieben werden: σ xx = C 11 ε xx + C 12 ε yy + C 13 ε zz + C 14 γ xy + C 15 γ xz + C 16 γ yz, σ yy = C 21 ε xx + C 22 ε yy + C 23 ε zz + C 24 γ xy + C 25 γ xz + C 26 γ yz, σ zz = C 31 ε xx + C 32 ε yy + C 33 ε zz + C 34 γ xy + C 35 γ xz + C 36 γ yz, τ xy = C 41 ε xx + C 42 ε yy + C 43 ε zz + C 44 γ xy + C 45 γ xz + C 46 γ yz, τ xz = C 51 ε xx + C 52 ε yy + C 53 ε zz + C 54 γ xy + C 55 γ xz + C 56 γ yz, τ yz = C 61 ε xx + C 62 ε yy + C 63 ε zz + C 64 γ xy + C 65 γ xz + C 66 γ yz. (5.1) Für die Spannung σ, Dehnung oder Stauchung ε, Scherung γ werden die AchsenimRaummitx, y, z bezeichnet. σ xx ist die Spannung, die auf der x-fläche in x-richtung wirkt, also senkrecht zu dieser Fläche. τ xy wirkt ebenfalls in der x-fläche, aber in der y-richtung, die in dieser Fläche liegt, deshalb handelt es sich um eine Schubspannung. Für die elastischen Konstanten C wird das übliche Bezeichnungssystem verwendet. Die sechs Komponenten der Spannung werden über je sechs Konstanten mit der elastischen Verformung verknüpft. C ij,i,j =1,...,6sind die Materialeigenschaften, die Ursache σ mit Wirkung ε verknüpfen. Daraus folgen 21 elastische Konstanten, da C ij = C ji ist. Die Symmetrieeigenschaften realer Kristalle reduzieren jedoch häufig die große Zahl der Konstanten. So benötigt man für die technisch wichtigen, kubischen Kristalle, aus denen die meisten metallischen Werkstoffe bestehen, nur noch drei, nämlich C 11, C 12 und C 44, da alle anderen Konstanten entweder gleich null sind oder in Beziehung zueinander stehen. In einem völlig isotropen Material reichen zwei Konstanten zur Kennzeichnung des elastischen Verhaltens aus. In der Praxis

5.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizität 165 z F, zz zy N a x zx xz yz xy xx yx yy y b F F N F 0 90 A N = FA / 0 = FN/ A = F/ A = A /sin 0 Abbildung 5.2. a Normalspannungen σ ij und Schubspannungen τ ij, die auf einen festen Stoff wirken können; σ beliebige Spannung, die auf das dargestellte Volumenelement wirkt. b Zerlegung einer Zugspannung σ in eine Schub- und eine Normalspannung (τ, σ N ), die auf eine Ebene wirken, deren Lage durch α gekennzeichnet ist a d 0 d 1 l 1 0< 0,5 l 0-3 + - 1 - - 2 b - 1 =- 2 =- 3 = p Abbildung 5.3. Definition der elastischen Moduln. +σ Zugspannung, σ Druckspannung, τ Schubspannung, σ 1 = σ 2 = σ 3 hydrostatischer Druck, gemessen wird die relative Längenänderung, Änderung des Durchmessers oder der Betrag der Scherung abhängig der Spannung von werden bevorzugt vier elastische Konstanten benutzt, die so definiert sind, dass sie leicht gemessen und in Rechnungen angewandt werden können. Der Elastizitätsmodul (auch Young s modulus) ist das Verhältnis von einachsiger Spannung zu Dehnung oder Stauchung in derselben Richtung. Das entspricht der Steigung im elastischen Teil der Spannungs-Dehnungs-Kurve (Abb. 5.6 b): E = σ ε. (5.2) In Einkristallen oder in anisotropen Verbundwerkstoffen ist der Elastizitätsmodul in unterschiedlichen Richtungen verschieden, die daher zusätzlich als Index angegeben werden (Tabelle 5.3): Das Verhältnis

166 5. Mechanische Eigenschaften E max 1 (5.3) E min ist ein Maß für die elastische Anisotropie. Der Schubmodul ist das Verhältnis von Schubspannung zu Schubverformung oder Scherung (Abb. 5.3): Für kleine Scherungen γ gilt: G = τ γ, γ a b. (5.4) γ tan γ, 2γ ε. (5.5) Die Querkontraktionszahl (Poissonsche Zahl) ist das Verhältnis von Änderung des Durchmessers zu Änderung der Länge (Tabellen 5.2 und 5.3): ν = ε quer ε längs. (5.6) DiesesVerhältnishängt vonder relativenvolumenänderung ΔV/V deswerkstoffes unter Spannung ab: Tabelle 5.2. Elastische Konstanten einiger Werkstoffe mit quasi-isotroper Struktur Werkstoff E G ν GPa GPa W 360 130 0,35 α-fe, Stahl 215 82 0,33 Ni 200 80 0,31 Cu 125 46 0,35 Al 72 26 0,34 Pb 16 5,5 0,44 Porzellan 58 24 0,23 Kieselglas 76 23 0,17 Flintglas 60 25 0,22 Plexiglas 4 1,5 0,35 Polystyrol 3,5 1,3 0,32 Hartgummi 5 2,4 0,20 Gummi 0,1 0,03 0,42

5.1 Mechanische Beanspruchung und Elastizität 167 Tabelle 5.3. Anisotropie der elastischen Konstanten einiger Metallkristalle (in GPa) E 111 E 100 G 111 G 100 E G Cu 194 68 74 31 125 46 Al 77 64 29 25 72 27 α-fe 290 120 118 61 215 84 quasiisotrop für regellose Verteilung der Kristallite ΔV V = ε 1 + ε 2 + ε 3 =0 ν =0, 5, ΔV V = ε 1 + ε 2 + ε 3 > 0 0 <ν<0, 5. (5.7) Denkbar sind die Fälle ΔV/V =0mitν =0, 5 (Weichgummi: ν 0, 49) und ΔV/V = ε mit ν =0(Kork:ν =0, 08). Für alle wichtigen Werkstoffe liegt die Querkontraktionszahl etwa zwischen diesen Extremfällen (0, 20 < ν < 0, 35). Eine Vergrößerung der Atomabstände in einer Richtung unter Zugspannung wird in Metallen nur teilweise durch Annäherung der Atome in der Querrichtung kompensiert, so dass eine gewisse Volumenvergrößerung auftritt. Die meisten Metalle liegen bei ν = 1/3. Nur bei weichem Gummi bleibt das Volumen unter Spannung fast konstant. Für plastische Verformung (Abschn. 5.9) kann mit ν = 0, 5 gerechnet werden, während für elastische Verformung 0 <ν 0, 5 gilt (5.7). Schließlich kann ein Stoff durch hydrostatischen Druck belastet werden. Das Verhältnis des Druckes p zur relativen Volumenänderung definiert der Kompressionsmodul K = p ΔV/V. (5.8) Die Kompressibilität κ =(1/V )( V/ p) ist bei konstanter Temperatur umgekehrt proportional zum Kompressionsmodul. Da in völlig isotropen Werkstoffen nur zwei elastische Konstanten auftreten, müssen für diesen Fall Beziehungen zwischen den oben definierten Moduln bestehen: K = E 3(1 2ν), G = E 2(1 + ν), E G = 9 3+(G/K). (5.9)

168 5. Mechanische Eigenschaften Daraus folgt, dass nur dann ν =0, 5 erreicht wird, wenn K = wird, und dass das Verhältnis E/G für die meisten Werkstoffe bei 2,6 liegt. Da die elastischen Konstanten von der Stärke der atomaren Bindung abhängen und die mittleren Atomabstände (infolge der Asymmetrie der Gitterschwingungen) mit der Temperatur zunehmen, nehmen diese Konstanten mit zunehmender Temperatur ab (Abb. 5.4). Diese Temperaturabhängigkeit ist für Metalle und Keramik verhältnismäßig gering. Bei Kunststoffen kann E beim Erwärmen von z.b. 20 auf 60 CumeineGrößenordnung abnehmen. Eine Ausnahme bildet die Gummielastizität, für die kennzeichnend ist, dass E in einem mittleren Temperaturbereich mit steigender Temperatur zunimmt (Abb. 5.30 a). Bei der Beurteilung der Elastizitätsmoduln von Stoffen, die aus mehreren Atom- oder Molekülarten zusammengesetzt sind, muss zwischen Mischphasen, Verbindungen und Phasengemischen unterschieden werden. Abb. 5.5 zeigt für Mg-Sn-Legierungen die gemessenen Elastizitätsmoduln im Zusammenhang mit dem Zustandsdiagramm. In der Regel wird E eines Kristalls durch Zumischen einer zweiten Atomart etwas erniedrigt oder erhöht. Können sich Verbindungen bilden, so hängt E der Verbindung von der Art der Bindung ab. Sehr stabile hochschmelzende Verbindungen, z.b. Boride, Karbide, Oxide haben auch sehr hohe Elastizitätsmoduln. Wichtige technische Eigenschaften sind die auf die Dichte bezogenen Elastizitätsmoduln, besonders wenn wie in der Bau- oder Flugzeugtechnik das Werkstoffgewicht eine große Rolle spielt. Werte für E/ϱ für einige Werkstoffe sind in Tabelle 5.4 zusammengestellt. Die Elastizitätsmoduln von faserverstärkten Werkstoffen werden in Abschn. 11.2 behandelt. 350 E-Modul /GPa 300 250 200 150 Mo MgO Fe 100 Al 50 Mg 0 250 500 750 1000 1250 1500 Temperatur / C Abbildung 5.4. Temperaturabhängigkeit des E-Moduls einiger metallischer und keramischer Stoffe (vgl. Polymere Abb. 10.5 b)

5.2 Zugversuch und Kristallplastizität 169 Temperatur / C E-Modul /GPa 70 60 50 40 1000 750 +S 500 +S + 250 + 0 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Mg c /Masse-% Sn Sn Schmelze +S Abbildung 5.5. Beziehung zwischen E-Modul und Zustandsschaubild von Mg-Sn-Legierungen Tabelle 5.4. Verhältnis von Elastizitätsmodul zu Dichte Werkstoff E ϱ E/ϱ GPa kg m 3 MN m kg 1 Diamant 1200 2260 531 SiC 500 3500 141 Si 3N 4 320 3200 100 W 360 19300 19 Fe 215 7860 27 Al 72 2710 27 Mg 45 1740 26 PE 2 950 2,1 EP 5 1200 4,2 Gummi 0,1 1500 0,07 5.2 Zugversuch und Kristallplastizität 5.2 5.2.1 Makroskopische Betrachtung der Plastizität Das plastische Verhalten eines Werkstoffes unter einachsiger statischer Belastung wird im Zug- und Druckversuch 1 ermittelt (Abb. 1.7). Die Spannungs- Verformungs-Kurven können für verschiedene Werkstoffe sehr verschieden aussehen. Die Kurven geben bei normalem Verlauf drei wichtige Hinweise: bei σ = 0 Beginn der elastischen Verformung, bei R p Beginn der plastischen Verformung, bei R m >R p Bruch der Probe. 1 Neue Normbezeichnungen siehe Anhang A.5

http://www.springer.com/978-3-540-71857-4