Tätigkeitschwerpunkte, Ressourcen und Belastungen der sozialen Arbeit in der Onkologie Ergebnisse einer aktuellen DVSG-Befragung Christoph Kowalski, Holger Adolph, Anika Nitzsche Münster, 06. November 2015
Damit das besser in die Sitzung passt 1. Hintergrund: DKG und Sozialdienst in zertifizierten Zentren 2. Bisherige Ergebnisse: Beratungsquoten, Wertschätzung Sozialdienst, zukünftige Entwicklungen 3. Interdisziplinarität, Multiprofessionalität Kooperation 4. Ergebnisse der Mitgliederbefragung 2015: Tätigkeitsinhalte, Belastungen, Ressourcen
1. Hintergrund / warum interessiert das die DKG: Angebot zur sozialdienstlichen Beratung für jede Patientin ist Anforderung an alle DKG-zertifizierten Organkrebszentren Anforderungen regeln u. a.: -Qualifikation: Sozialarbeiter/-pädagoge -Ressourcen: mind. eine Person steht dem Zentrum zur Verfügung; namentliche Benennung -Räumlichkeiten vorhalten -Jedem Patienten muss die Möglichkeit eines Gespräches ort- und zeitnah angeboten werden. Das Angebot muss niederschwellig erfolgen., s. http://www.krebsgesellschaft.de/deutsche-krebsgesellschaft-wtrl/deutschekrebsgesellschaft/zertifizierung/erhebungsboegen/organkrebszentren.html Beratungsquote muss dokumentiert werden (jeweils eine Kennzahl entitätsübergreifend), es gibt keine Sollvorgabe
2. Was wissen wir: Inanspruchnahme von PO/SD am höchsten in Brustkrebszentren, sehr gering bei Haut, Prostata, KHT (Vortrag DGMS) Organkrebszentrum Beratungsquote Sozialdienst (13/14), Median Brustkrebszentrum (n=273) 88,3 % 70,1 % Darmkrebszentrum (n=257) 79,3 % 59,1 % Prostatakrebszentrum (n=91) 58,4 % 17,1 % Gynäkologisches Krebszentrum (n=102) 63,0 % 46,9 % Lungenkrebszentrum (n=37) 53,2 % 30,8 % Pankreaskrebszentrum (n=52) 63,1 % 45,5 % KHT-Zentrum (n=12) 52,0 % 19,2 % Hautkrebszentrum (n=41) 27,6 % 17,0 % Neuroonkologisches Zentrum (n=12) 55,9 % 11,7 % Beratungsquote Psychoonkologie (13/14), Median Kowalski C, Ferencz J, Weis I, Adolph H, Wesselmann S. Social service counseling in cancer centers certified by the German Cancer Society. Social Work in Health Care. 2015; DOI: 10.1080/00981389.2014.999980. Singer S, Dieng S, Wesselmann S. Psycho-oncological care in certified cancer centres - a nationwide analysis in Germany. Psychooncology. 2013;22(6):1435-7.
2. Was wissen wir: Inanspruchnahme von PO/SD am höchsten in Brustkrebszentren, sehr gering bei Haut, Prostata, KHT (Vortrag DGMS) Organkrebszentrum Beratungsquote Sozialdienst (13/14), Median Brustkrebszentrum (n=273) 88,3 % 70,1 % Spannweite: 1-99%!!! Darmkrebszentrum (n=257) 79,3 % 59,1 % Prostatakrebszentrum (n=91) 58,4 % 17,1 % Gynäkologisches Krebszentrum (n=102) 63,0 % 46,9 % Lungenkrebszentrum (n=37) 53,2 % 30,8 % Pankreaskrebszentrum (n=52) 63,1 % 45,5 % KHT-Zentrum (n=12) 52,0 % 19,2 % Hautkrebszentrum (n=41) 27,6 % 17,0 % Neuroonkologisches Zentrum (n=12) 55,9 % 11,7 % Beratungsquote Psychoonkologie (13/14), Median Kowalski C, Ferencz J, Weis I, Adolph H, Wesselmann S. Social service counseling in cancer centers certified by the German Cancer Society. Social Work in Health Care. 2015; DOI: 10.1080/00981389.2014.999980. Singer S, Dieng S, Wesselmann S. Psycho-oncological care in certified cancer centres - a nationwide analysis in Germany. Psychooncology. 2013;22(6):1435-7.
Frage: Welche Krankenhausmerkmale sind neben Zentrumsart mit Beratungsquote assoziiert wo gelingt PO/SD-Beratung am besten? Kandidaten: Fallzahl (analog zur Mindestmengendiskussion); Zeit seit Erstzertifizierung; Trägerschaft; Lehrstatus; Zahl der Zertifikate; Urbanität des Standorts; Deutschland/Ausland Zur Berücksichtigung der Datenstruktur (= 1.073 Zentren IN 443 Kliniken/Standorten) sind Mehrebenenmodelle erforderlich CAVE: keine Individualdaten, sondern auf Zentrumsebene aggregierte Daten ICCs Nullmodell: Quote SD 0,248; Quote PO 0,464
Quote SD Quote PO Intercept 81,49** 66,31** Zertifikat (Ref: Brust) Darm -3,70* -7,32** Prostata -23,59** -33,73** Gyn -16,79** -7,73** Haut -43,20** -27,09** Lunge -26,82** -16,75** Pankreas -14,78** -10,12** Kopf-Hals -20,53** -21,89** Neuro -11,23* -29,04** Zertifiziert seit 0,42 0,86* Primärfälle 0,01-0,01 Ausland (Ref: Deutschland) -39,84** -15,74* Zertifikate pro Klinik -0,46-1,16 EW (Ref: 20Tsd-100Tsd) <20.000 0,49-8,24* >100.000-1 Mio. -1,64-3,64 >1 Mio. -3,75-3,85 Lehrstatus (Ref: kein) Akad. LehrKH -0,83-0,83 Uniklinik -1,33-9,73* ICC 0,238 0,473 Effekt des Screenings oder der Personalsituation?
Vorgriff auf die Mitgliederbefragungsergebnisse
Was wissen wir noch? Z. B.: Arbeit der Sozialdienste wird allgemein wertgeschätzt, beispielsweise durch Fachexperten in den Auditberichten (Masterarbeit Vesely): Aber gelegentlich negative Aussagen zur Zahl der Mitarbeiter Vermutung: hohes Arbeitsaufkommen für diesen Eindruck verantwortlich
Was wissen wir außerdem? Adolph et al. 2014: 418 befragte Sozialarbeiter
Wichtige Fragen aus meiner Sicht: Wird der Bedarf an sozialdienstlicher Beratung (in den Organkrebszentren) gedeckt? Wie können wir den Bedarf messen? Wie kann es gelingen, die Wirksamkeit der Sozialen Arbeit darzustellen? Gibt es ausreichend Personal und kann dieses belastungsarm und ressourcenreich arbeiten? Was sind überhaupt die Tätigkeitsinhalte der Sozialdienstmitarbeiter? Wichtig für die da draußen ( Gesunde, Angehörige, Politik, Forschung) Darstellung der eigenen Tätigkeit
Wider 2013: Da komplexe soziale Probleme nicht nach der Logik der Disziplinen funktionieren, ist Interdisziplinarität unabdingbare Voraussetzung für deren Lösung. Wider, D.: Soziale Arbeit und Interdisziplinarität - Begriff, Bedingungen und Folgerungen für die Soziale Arbeit. Sozial Aktuell 2013 (4): 10-13.
4. Endlich Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung 2015 A. Tätigkeitsschwerpunkte: was tut die Soziale Arbeit im Gesundheitswesen, unterscheiden sich die Tätigkeitsschwerpunkte nach Onkologie und nicht- Onkologie? B. Belastungen und Ressourcen: Wie sind die großen Belastungen am Arbeitsplatz in den Sozialdiensten ausgeprägt Arbeitsaufkommen, Work- Life-Balance; wie die Ressourcen Sozialkapital, Entscheidungsspielraum ist Burnout ein Problem? Gibt es Vergleiche mit anderen Berufsgruppen?
1. Jahreshälfte 2015: Befragung der DVSG-Einzelmitglieder, die in der praktischen Versorgungsarbeit tätig sind Kooperation zwischen DVSG, DKG, IMVR RR: 324/507 = 63,9 % Stichprobe vermutlich repräsentativ für DVSG, nicht aber für Sozialdienste in Kliniken (Alter!) Zwei Schwerpunktthemen: Belastungen/Ressourcen und Tätigkeitsinhalte (Basis: Produkt- und Leistungsbeschreibung der Klinischen Sozialarbeit)
A. Tätigkeitsschwerpunkte: was tut die Soziale Arbeit im Gesundheitswesen, unterscheiden sich die Tätigkeitsschwerpunkte nach Onkologie und nicht-onkologie?
Anteil der Sozialarbeiter, die in dem genannten Zentrum arbeiten (Mehrfachnennungen möglich) Darmkrebszentrum Brustkrebszentrum Onkologisches Zentrum Andere krebsspezifische Institution Gynäkologisches Krebszentrum Pankreaskarzinomzentrum Prostatakrebszentrum Onkologisches Spitzenzentrun (von der Deutschen Lungenkrebszentrum Hautkrebszentrum Neuroonkologisches Zentrum Kopf-Hals-Tumorzentrum Weiß nicht, ob ich in einem zertifizierten Zentrum 0,0% 5,0% 10,0% 15,0% 20,0% 25,0%
Vereinzelt deutliche Unterschiede.
Faktorenanalyse Produkt- und Leistungskatalog Hauptkomponentenanalyse, rotierte Lösung, Varimax, für onkologische Patienten 7 Faktoren Bilden die sieben Dimensionen aus dem PuL ziemlich exakt ab, nur Suchtberatung und praktische Hilfen fallen heraus
Befragungsergebnisse B. Belastungen und Ressourcen Wie sind die großen Belastungen am Arbeitsplatz in den Sozialdiensten ausgeprägt Arbeitsintensität, Work-Life-Balance; wie die Ressourcen Sozialkapital, Entscheidungsspielraum ist Burnout ein Problem? Gibt es Vergleiche mit anderen Berufsgruppen? Könnte auch auf etwaige belastungsinduzierte Versorgungsunterschied Hinweise geben. Warum Arbeitsintensität? Allgemeiner Trend zur Verdichtung der Arbeit Warum Entscheidungsspielraum? Hohe Autonomie/Entscheidungsspielraum mildern neg. Folgen der Arbeitsintensität ab Warum Work-Life-Balance? In vielen Branchen permanente Erreichbarkeit längst üblich oder Arbeit wird im Kopf mit nach Hause genommen Warum Sozialkapital? Maß für gutes Betriebs klima (gegenseitige Unterstützung, Vertrauen etc.), mindert sonstige Belastungen Warum Burnout/Emotionale Erschöpfung? DAS Maß für negative Folgen der Erwerbsarbeit in Dienstleistung / helfenden Berufen
Burnout (Emotionale Erschöpfung, Schaufeli et al. 1996) Was denken Sie, wie ist das bei Sozialarbeitern ausgeprägt?
Mittelwert Emotionale Erschöpfung: Höhere Werte = größere Erschöpfung 0 1 2 3 4 5 6 DVSG gesamt (316) Onkologisches Zentrum (42) Brustkrebszentrum (46) Darmkrebszentrum (48) Gyn. Krebszentrum (20) Hautkrebszentrum (8) Lungenkrebszentrum (11) Prostatakrebszentrum (14) Neuroonkologisches Zentrum (6) Pankreaskarzinomzentrum (14) Kopf-Hals-Tumorzentrum (5) Onk. Spitzenzentrum (13) Nur in 1 Zentrum (43) in 2 und mehr, aber nicht CCC, OZ (30) in 2 und mehr, aber in CCC, OZ (33) Vergleich: U-BIKE 2003 (954) U-BIKE Ärzte (159) U-BIKE Pflege (555) 1,83 1,81 2 2,01 1,9 2,6 2,24 2,47 1,97 2,54 1,84 1,77 1,71 2,32 1,79 2,06 2,49 2,11
Arbeitsintensität (Richter et al. 2000)
Mittelwert Arbeitsintensität 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 DVSG gesamt (315) Onkologisches Zentrum (41) Brustkrebszentrum (45) Darmkrebszentrum (47) Gyn. Krebszentrum (20) Hautkrebszentrum (8) Lungenkrebszentrum (11) Prostatakrebszentrum (13) Neuroonkologisches Zentrum (6) Pankreaskarzinomzentrum (14) Kopf-Hals-Tumorzentrum (5) Onk. Spitzenzentrum (13) Nur in 1 Zentrum (43) in 2 und mehr, aber nicht CCC, OZ (30) in 2 und mehr, aber in CCC, OZ (32) Vergleich: U-BIKE 2003 (972) U-BIKE Ärzte (160) U-BIKE Pflege (570)
Tätigkeitsspielraum (Richter et al. 2000)
Mittelwert Tätigkeitsspielraum 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 DVSG gesamt (317) Onkologisches Zentrum (40) Brustkrebszentrum (46) Darmkrebszentrum (49) Gyn. Krebszentrum (20) Hautkrebszentrum (8) Lungenkrebszentrum (12) Prostatakrebszentrum (13) Neuroonkologisches Zentrum (6) Pankreaskarzinomzentrum (14) Kopf-Hals-Tumorzentrum (5) Onk. Spitzenzentrum (13) Nur in 1 Zentrum (42) in 2 und mehr, aber nicht CCC, OZ (31) in 2 und mehr, aber in CCC, OZ (32) Vergleich: U-BIKE 2003 (948) U-BIKE Ärzte (158) U-BIKE Pflege (579)
Work-Life-Balance (Geurts et al. 2005)
Mittelwert Negative Work-Life-Interference 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 DVSG gesamt (313) Onkologisches Zentrum (41) Brustkrebszentrum (47) Darmkrebszentrum (49) Gyn. Krebszentrum (21) Hautkrebszentrum (8) Lungenkrebszentrum (11) Prostatakrebszentrum (13) Neuroonkologisches Zentrum (6) Pankreaskarzinomzentrum (14) Kopf-Hals-Tumorzentrum (5) Onk. Spitzenzentrum (12) Nur in 1 Zentrum (41) in 2 und mehr, aber nicht CCC, OZ (31) in 2 und mehr, aber in CCC, OZ (32) Vergleich: Mikro-Nano 2010 (357) Niedergelassene Hämato-Onkol (157)
Sozialkapital (Pfaff et al. 2004)
Mittelwert Sozialkapital 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4 DVSG gesamt (321) Onkologisches Zentrum (42) Brustkrebszentrum (48) Darmkrebszentrum (49) Gyn. Krebszentrum (20) Hautkrebszentrum (8) Lungenkrebszentrum (12) Prostatakrebszentrum (14) Neuroonkologisches Zentrum (6) Pankreaskarzinomzentrum (14) Kopf-Hals-Tumorzentrum (5) Onk. Spitzenzentrum (13) Nur in 1 Zentrum (42) in 2 und mehr, aber nicht CCC, OZ (32) in 2 und mehr, aber in CCC, OZ (33) Vergleich: U-BIKE 2003 (948) U-BIKE Ärzte (157) U-BIKE Pflege (556)
Take-Home-Message 1. Deutliche Unterschiede in den Beratungsquoten zwischen Zentren(-typen), mit unseren Zahlen nicht zu erklären: unterschiedliche Bedarfe oder unterschiedliche Zugangschancen? 2. Produkt- und Leistungsbeschreibung gibt einen sehr guten Überblick über die Tätigkeit der Sozialen Arbeit in der Onkologie und darüber hinaus, wenige deutliche Unterschiede in den Tätigkeitsschwerpunkten zwischen Onko und nicht-onko als Mittel zur Selbstdefinition ist PuL ohnehin unentbehrlich 3. Analyse der Belastungen und Ressourcen zeigt vergleichsweise unbedenkliche Ergebnisse für die Soziale Arbeit, allerdings relativ hohe Erschöpfungsquoten bei Sozialarbeitern, die in mehr als einem Zentrum tätig sind, die nicht zugleich OZ oder CCC sind