Sport, Behinderung und Inklusion.

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Transkript:

Sport, Behinderung und Inklusion. Skizzen zu einem schwierigen Wechselverhältnis im Lichte der UN- Behindertenrechtskonvention. 1 Stefan Kurzke-Maasmeier, Berlin 1. Einleitung Seit dem 26. März 2009 ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihr Fakultativprotokoll auch für die Bundesrepublik Deutschland verbindliches und unmittelbar anzuwendendes Bundesgesetz. Die Konvention macht auf einer übergeordneten Ebene den Prozess der sozialen Inklusion, der Selbstbestimmung und Teilhabe sowie einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung unumkehrbar. Die UN-BRK stellt durch ihre starke Akzentuierung des Anspruchs auf soziale Inklusion die bisherige fürsorgeorientierte und darin letztlich auf Fremdbestimmung angelegte Wohlfahrtspolitik radikal in Frage. Der Menschenrechtsansatz, der den Menschen mit Behinderungen unmissverständlich als Träger und Subjekt von Rechten versteht, nimmt über den Staat als Garanten des Rechts hinaus auch die Zivilgesellschaft, die Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde oder eines Stadtteils, aber eben auch die Kirchen, ihre karitativen Werke und Einrichtungen in die Pflicht, an der Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaft mitzuarbeiten. 2 Denn der Grund für die Beschränkungen und Behinderungen, Selbstbestimmung und Teilhabe auch umzusetzen, liegt offen zu Tage. Er besteht in der noch völlig unzureichend entwickelten Anstrengung der Gesellschaft, rechtliche, technische, soziale und mentale Barrieren abzubauen und faktische Zugänge zu den Anerkennungsmustern einer Gesellschaft zu ermöglichen. Ein wesentlicher Bereich gesellschaftlicher Teilhabe ist der Sport. Er ist dies auf vielen Ebenen: als mediales Großereignis im Spitzensport mit erheblichem Einfluss auf das innere Selbstverständnis einer Gesellschaft oder als Solidaritäts- und Gemeinschaftsveranstaltung im Breitensport sowie im Rehabilitations- und im sog. Behindertensport, die über die Grenzen von Kulturen, Religionen und Generationen hinaus in vielen Vereinen und Gruppen wirksam sind. Diese positiven Bindungskräfte sind unumstritten auch und gerade für den Sport von Menschen mit Behinderung von hoher Bedeutung. Gleichwohl scheinen v.a. in der medialen Darstellung dessen, was in der Öffentlichkeit als Sport wahrgenommen wird, insbe- 1 Dieser Text basiert auf einem Vortrag des Autors im Rahmen der Auftaktveranstaltung zum Run of Spirit 2012 am 26. Mai im Evangelischen Johannesstift Berlin. Der Autor ist Projektreferent im Paul Gerhardt Stift zu Berlin und war bis April 2012 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Berliner Institut für christliche Ethik und Politik. 2 Vgl. dazu ausführlich: Stefan Kurzke-Maasmeier: Von der Fürsorge zur Selbstbestimmung. Die UN-Behindertenrechtskonvention als Herausforderung für soziale Dienste, soziale Professionen und Gemeinwesen, in: Soziale Arbeit, 59 (2010) 1, S. 2 10. <1

sondere diejenigen Menschen nicht sichtbar zu sein, die auch in anderen Anerkennungsräumen einer Gesellschaft, also im Arbeits- und Wirtschaftsleben, im Bildungssystem oder in der politischen Selbstvertretung eine auffallend geringe Rolle spielen. Es sind zum einen die Menschen mit Behinderungen, die sich im Zuge der genetischen Optimierung heute wieder unverhohlen nach ihrer Daseinsberechtigung fragen lassen müssen. Es sind aber auch die alten und pflegebedürftigen Menschen und es sind schließlich die Ungebildeten, Armen und Fremden, die gerechte Chancen einklagen. Wenn wir also über Inklusion sprechen, dann ist das keine behindertenpolitische Spezialdisziplin, sondern die Frage danach, wie personale, kulturelle und lebensweltliche Verschiedenheit als das Qualitätsmerkmal einer Gesellschaft von rechtlich Gleichen garantiert und weiterentwickelt werden kann. Zurück zu der Frage, wie der Sport für die Gruppe von Menschen mit Behinderungen als kultureller Motor der Inklusion wirksam ist, oder vielmehr: noch wirksamer werden muss. Denn noch immer ist vielerorts Normalität, was der körperbehinderte Sportler Gunter Beitz wie folgt beschreibt: Tatsächlich habe ich mich dann im schon relativ reifen Athletenalter von 18 Jahren bei meiner ersten Teilnahme an einem Behindertensportfest auch zum ersten Mal wirklich behindert gefühlt. [...] Als Behinderter unter Behinderten wurde ich stigmatisiert! Noch heute frage ich mich manchmal bei allen positiven Entwicklungen [...], ob der Integration behinderter Menschen durch den Behindertensport nicht auch ein Bärendienst erwiesen wird. 3 Diese biografische Notiz beschreibt eindrücklich, warum wir mit dem Thema Inklusion und Sport heute so viele Mühen haben. Die in Deutschland besonders gründlich gelungene Separierung von Menschen mit und ohne sogenannte Beeinträchtigung in unterschiedliche Sportsysteme, ist nicht kurzerhand, auch nicht durch die Ratifizierung einer UN Konvention aufzulösen, aber es sind Anfänge gemacht. Die inklusive Kraft des Sports ist riesig. Um sie voll zu entfalten, muss er selbst inklusiv werden, so Bundessozialministerin Ursula von der Leyen. 4 2. Zum schwierigen Wechselverhältnis von Sport und Behinderung drei Diagnosen In diesem Text können aus Raumgründen nicht auf alle möglichen Facetten und unterschiedlichen Ebenen des Spitzen- und Breitensports, vor allem in seiner Bedeutung für Menschen mit Behinderungen eingegangen werden. Deshalb sollen an dieser Stelle ein paar wenige Aspekte herausgehoben werden, die zur Beleuchtung des Zusammenhangs von Sport, Behinderung und Inklusion von Bedeutung zu sein scheinen. Diese Diagnosen sind an einigen Stellen bewusst zugespitzt, damit sichtbarer wird, wie weit der Weg der noch ist, auf dem sich der Sport befindet, damit er zukünftig wirklich als inklusive Veranstaltung gelten kann. Erste Diagnose: Sport als exklusive Veranstaltung?! Zunächst einmal fällt ins Auge, dass insbesondere im Bereich des Spitzen- und Leistungssports das allseits ausgerufene normative Ideal der Inklusion offenbar überhaupt keine Wirksamkeit entfaltet. In kaum einer anderen gesellschaftlichen Sphäre scheint die Zementierung von Sonder- und Parallelwelten so offensichtlich wie im Sport. Auf die olympischen Spiele folgen an gleichem Ort, aber ohne die annähernde ähnliche Aufmerksamkeit die Paralympics, eher versteckt wird schließlich noch über die Special Olympics, also die Spiele der Men- 3 Gunter Beitz: Integration versus Ausgrenzung, in: Arbeitskreis Kirche und Sport in Berlin-Brandenburg/Informationsstelle für den Sport behinderter Menschen (Hg.), Ethische Aspekte des Sports von Menschen mit Behinderungen, Berlin 1998, S. 79 94., 81 4 Ursula von der Leyen: Die inklusive Kraft des Sports Geleitwort, in: Florian Kiuppis/ Stefan Kurzke-Maasmeier (Hrsg.): Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention. Interdisziplinäre Zugänge und politische Positionen. Stuttgart 2012. <2

schen mit einer geistigen Behinderung berichtet, die Deaflympics, die Weltspiele der gehörlosen Menschen, sind möglicherweise nur noch Experten bekannt. Die verbandlichen Strukturen im Sport sind auch und vor allem in Deutschland streng zwischen dem regulären und dem sogenannten Behindertensport getrennt. Zwar ist der Deutsche Behindertensportverband Mitglied im DOSB, dem Deutschen Olympischen Sportbund, aber zum Stichwort Inklusion finden sich in den Verlautbarungen des DOSB nur marginale Mitteilungen. Auch der Deutsche Behindertensportverband selbst geht in der Debatte eher zaghaft vor, denn der normative Anspruch der Inklusion würde radikal weiter gedacht bedeuten, dass alle besondernden Strukturen ihre Legitimität früher oder später einbüßen müssen. Inklusion im Sport stellt uns deshalb letztlich vor die Frage: warum eigentlich Behindertensport? 5 Kooperationen zwischen Sportverbänden für behinderte und nichtbehinderte Athleten bleiben die Ausnahme, sie sind aber heute schon möglich. So können sich etwa körperbehinderte Sportschützen in der Bundesliga mit Schützen ohne Behinderung messen. Auch der Rollstuhlbasketball ist seit vielen Jahren prinzipiell offen für Menschen ohne Behinderung nur scheinen das die wenigsten zu wissen. In England, Kanada und Skandinavien ist der Inklusionsdiskurs bekanntlich weiter. Seit über zwanzig Jahren diskutieren Sportverbände das Thema Inklusion, zum Teil werden Inklusionshindernisse durch Fachverbände mit Sanktionen bedroht. Die norwegischen Behindertensportverbände haben sich schon vor 14 Jahren in die verschiedenen allgemeinen Sportverbände hinein aufgelöst ein Schritt der mit Blick auf die Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention als absolut konsequent bezeichnet werden kann. Exklusion nicht Inklusion ist, so scheint es, ein geradezu typische Eigenart des Sports, ja ein Teil seiner immanenten Strukturlogik. Ein grundlegendes Muster des Sports ist der Wettbewerb, der sich durch Verdrängung, durch das Recht des Stärkeren, durch Kampf und durch körperliche Überlegenheit auszeichnet. Daneben tritt das Element des Wettbewerbs und des Leistungsvergleichs, das von relativ gleichen Startbedingungen der Beteiligten ausgeht, was für Menschen mit Behinderung bereits eine unüberwindbare Hürde sein kann. Schließlich ist zu fragen, ob nicht über die Binnendimension des spielerischen Sports hinaus auch die mediale Darstellung bestimmter Hochleistungssportarten und die Inszenierung des makellosen Athletenkörpers eine Sportkultur fördern, die Teilhabe beinahe unmöglich macht. Ganz zu schweigen von der ökonomischen Verwertungsprozedur einiger weniger, eben exklusiver Sportarten, die einen enormen Platz in der öffentlichen, auch politischen Wahrnehmung beanspruchen. Kurz gesagt: Ist der traditionelle Sport also durch seine grundlegenden Funktionsbedingungen und die begleitenden Vermarktungsstrategien prinzipiell inklusionsuntauglich? Zweite Diagnose: Chancengleichheit besteht nicht absolut Es braucht wenig Fantasie, um zu erkennen, dass die traditionellen sportlichen Aktivitäten eine gleichberechtige Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung kaum möglich machen. In vielen Fällen werden bereits durch physische Funktionsstörungen solche Barrieren errichtet, die jede Form der Chancengleichheit ausschließen. Oder aber es führen kognitive Einschränkungen dazu, dass sportartspezifische Bewegungsabläufe nicht nachvollzogen und Sportregeln nicht angemessen verstanden werden können. Inklusion wird so zu einer unerreichbaren Utopie. Die Frage ist: wollen wir diese unbequeme Situation dadurch lösen, dass 5 Vgl. dazu ausführlich den gleichlautenden Artikel von Rainer Schmidt in: Kiuppis/Kurzke-Maasmeier, Sport im Spiegel der UN- Behindertenrechtskonvention, a.a.o., S. 259 272. <3

man das unterschiedliche Leistungsvermögen von Menschen mit Behinderung von vornherein als Kriterium der Bewertung gelten lässt? Können und sollen wir den Chancenlosen durch Verschiebungen im Reglement oder durch neue Klassifizierungen zu Chancen verhelfen, die bei genauerer Betrachtung also im Lichte harter Wettkampfregeln gar keine sind? Chancengleichheit besteht nicht absolut, sondern ist immer orientiert an festgelegten Kriterien. Deshalb ist die Trennung von Trainingsgruppen etwa in solche für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Frauen und Männer, Menschen mit und Menschen ohne Behinderungen nicht per se diskriminierend. Im Vordergrund steht, dass die Trainingsmethoden auf die jeweilige Zielgruppe ausgerichtet und so gleiche Startbedingungen hergestellt werden. Freilich: hier ist zunächst vom Wettkampfsport die Rede, der nicht dasselbe ist wie das zweckfreie Spiel oder der Rehabilitationssport, aus dem wichtige Bereiche des Behindertensports historisch gewachsen sind. Aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es einen Unterschied macht, ob ich eine Läufergruppe mit Sportlern mit einer geistigen Behinderung trainiere oder aber eine gemischte Trainingsgruppe begleite; die methodischen Anforderungen an eine heterogene Gruppe sind in jedem Fall höher. Das bedeutet nicht, dass ein solches Training einer Gruppe mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen nicht möglich oder nicht wünschenswert wäre. 6 Auf die Durchlässigkeit im Sport für Menschen mit Behinderungen ist bereits hingewiesen worden. Neben dem erwähnten Rollstuhlbasketball ist etwa auch das Rollstuhlhockey ein Beispiel dafür, wie Menschen ohne Behinderungen in den Sport von Menschen mit Behinderungen integriert und Grenzen aufgehoben werden können. Andererseits bestehen Möglichkeiten die Grenzen für Menschen mit Behinderungen zum allgemeinen Sport hin zu öffnen. Neben den genannten Sportschützen treten auch im Judo immer wieder Menschen mit Sehbehinderungen in unteren Ligen gegen Sportler ohne körperliches Handicap an. Aufgabe des Verbandsportes könnte es sein, solche Grenzüberschreitungen auch in anderen Sportarten zu forcieren, freilich wird das vor allem bei solchen Sportarten funktionieren, bei denen Einschränkungen kompensiert werden können. Die Frage der Kompensation ist jedoch alles andere als unumstritten. Das zeigt das Beispiel der wohl berühmtesten Hilfsmittel für Inklusion in den Spitzensport: die Spezialbeinprothesen des Südafrikaners Oscar Pistorius. Als er ab 2007 mit diesen Karbonprothesen zur Konkurrenz der nichtbehinderten Spitzensportler aufschloss, wurde er durch den Leichtathletik- Weltverband im Januar 2008 wegen der vermeintlichen Vorteile durch die Federtechnik der Prothesen von allen relevanten Wettkämpfen ausgeschlossen. Pistorius wehrte sich juristisch und errang vor dem Internationalen Sportgerichtshof eine Aufhebung des Urteils. Der Gerichtshof konnte keinen technischen Vorteil durch die Prothesen erkennen, auch weil, so die Urteilsbegründung, den Vorteilen in der Geraden Nachteile in der Kurve und beim Starten gegenüberstehen. Gemeinsam mit dem sehbehinderten Leichtathleten Jason Smyth gelang es Pistorius als erstem Sportler mit Behinderung überhaupt, sich für Leichtathletik- Weltmeisterschaften zu qualifizieren, er erreichte das Halbfinale und qualifizierte sich für die Olympischen Spiele 2012 in London. 7 6 Vgl. zu diesem Absatz insbesondere: Frank Martin Brunn: Was bedeutet Selbstbestimmung im Sport? Eine semiotische Beschreibung in ethischer Absicht, in: Kiuppis/Kurzke-Maasmeier, Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention, a.a.o., S. 217 232, 229 ff. 7 Vgl. www.oscarpistorius.com sowie den Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 09.09.2008 von Christian Kamp: Oscar Pistorius. Die Grenze überschreiten, in: www.faz.net. Aufgrund des zeitaufwendigen, seine Trainingsmöglichkeiten einschränkenden Rechtstreits verpasste Pistorius 2008 die Qualifikationszeit für die Olympischen Spiele und startete wieder nur bei den Paralympics. <4

Dritte Diagnose: Die Gefahr der halbierten Inklusion Es scheinen sich alle Beteiligten darüber einig, dass Inklusion ein erstrebenswertes Ziel ist. Doch gibt es auch Schattenseiten dieser neuen Sozialnorm? Eine wesentliche Frage, die in diesem Zusammenhang gestellt werden muss ist, lautet zugespitzt: Inklusion ja, aber durch wen und wohin? Wird die Forderung nach Inklusion eng an die selbstbestimmte Teilhabe im Sinne einer individuell-autarken Lebensführung geknüpft, so kann dies unter Umständen zur Exklusion von bestimmten Minderheiten führen, beispielsweise von Personen mit schweren Mehrfachbehinderungen. Selbsthilfeverbände und Wissenschaftler warnen bereits vor einer halbierten Inklusion 8 ein Prozess der im Bereich der Bildung längst zu beobachten ist: die Exklusionsgrenzen werden nicht aufgehoben, sondern nach unten verschoben, es kommt zu einer Exklusion der weiterhin Exkludierten 9 diese Gefahr droht auch im Sport. Die Rede von der selbstbestimmten Teilhabe ist also nicht ambivalenzfrei, wenn nur diejenigen dazu gehören, die sich einbringen, die etwas leisten und die kompetent sein können. Auf der anderen Seite muss kritisch beobachtet werden, ob die Zugangsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen zum allgemeinen Sport tatsächlich das Ende diskriminierender Prozesse bedeutet, selbst wenn unterschiedliche Leistungsstandards zu Grunde gelegt werden. Menschen können auch in Gruppen, die sich das Ziel der Inklusion gesetzt haben, von der Teilhabe an Aktivitäten ausgeschlossen bleiben; sie können auch dort Objekte subtiler Zurückweisung sein. 10 Und schließlich: Es ist gut und richtig, dass professionelle und ehrenamtliche Akteure in den Sportverbänden und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung Personen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf dabei assistieren, ihren Anspruch auf eine individuelle Hilfe zu formulieren und durchzusetzen. Das können sie in legitimer Weise jedoch nur dann, wenn sie von ihnen auch beauftragt wurden; jede ausschließlich durch professionelle Handlungsakteure initiierte Inklusionsmaßnahme widerspricht in der Regel dem Autonomie- und Selbstbestimmungsanspruch im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. 3. Die UN-Behindertenrechtskonvention eine innovative Kraft auch im Bereich des Sports Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK) legt ein Verständnis von Inklusion zugrunde, dass die Perspektive Behinderung weit übersteigt. Es steht nicht eine bestimmte Gruppe (z.b. Menschen mit Behinderungen) im Mittelpunkt der Konvention, sondern sie formuliert pars pro toto die Inklusionsbedarfe und menschenrechtsrelevanten Fragestellungen von Gesellschaftpolitik insgesamt. Deshalb werden in der UN-BRK keine Sonderrechte für Menschen mit Behinderungen beschrieben, sondern es geht um das Ganze der Menschenrechte aus einer besonderen Perspektive. 11 Insofern stellt die UN-BRK auch den Sport insgesamt und nicht ausschließlich den Behindertensport vor zahlreiche Herausforderungen. Wie bereits erwähnt, beabsichtigt die Kon- 8 Vgl. Sabine Schäper, Von der Integration zur Inklusion? Diskursive Strategien um den gesellschaftlichen Ort der Anderen im Grenzfall schwerer Behinderung, in: Christiane Eckstein/ Alexander Filipovid/ Klaus Oostenryck (Hg.), Beteiligung Inklusion Integration. Sozialethische Konzepte für die moderne Gesellschaft, Münster 2007, 170 187: 177 f. 9 Vgl. Dies.: Ökonomisierung in der Behindertenhilfe. Praktisch-theologische Erkundungen und Rekonstruktionen zu den Ambivalenzen eines diakonischen Praxisfeldes, Münster 2006, 311. 10 Vgl. für den Bereich der Elementarerziehung dazu Maria Kron: Ausgangspunkt: Heterogenität. Weg und Ziel: Inklusion? Reflexionen zur Situation im Elementarbereich, in: http://www.inklusion-online.net/index.php/inklusion/article/view/65/68 (zugriff am 22.05.2012). 11 Vgl. dazu v.a.: Heiner Bielefeldt: Zum Innovationspotenzial der UN-Behindertenrechtskonvention. Essay. 3. aktualisierte Auflage. Deutsches Institut für Menschenrechte. Berlin 2009. <5

vention mit Blick auf den Sport, Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen ihre Selbstbestimmung und Teilhabe sowie die vollen Mitspracherechte an Sportaktivitäten zu ermöglichen. Das bedeutet Auswirkungen auf das Selbstverständnis und Angebotsprofil von Sportverbänden und -vereinen. Die UN-BRK reklamiert die Achtung der Autonomie und Freiheit von Menschen, eigene Entscheidungen zu treffen, z.b. einen bestimmten Sportverein zu wählen und diese Wahl nicht auf die klassischen Angebote des Behindertensports verengt zu wissen. Die Achtung eines solchen Wunsch- und Wahlrechts stärkt Menschen in ihrer Selbstbestimmung und die Chancengleichheit, sowie die Akzeptanz menschlicher Vielfalt. Nochmals: es geht nicht darum, Strukturen, Räume oder Institutionen zu schaffen, die speziell für Menschen mit Behinderung geeignet sind. Sondern Inklusion im Sport bedeutet im Gegenteil die Antwort auf die Frage, wie Menschen mit Behinderungen dabei unterstützt werden können, in die regulären Sportstrukturen und Vereine zu gelangen wenn sie das wünschen. Nach Artikel 30 der Konvention, der sich u.a. mit dem Sport befasst, sollen Menschen mit Behinderungen befähigt werden, gleichberechtigt mit anderen an Sportaktivitäten teilzuhaben. Das im englischen Original verwendete Verb to enable, drückt zugleich Weiterqualifizierung, Schutz, Unterstützung und Entwicklungsförderung aus. 12 Das ist mehr als Ermöglichung, denn es geht auch um das Recht auf Unterstützung und Assistenz, ohne die Teilhabe häufig faktisch nicht möglich ist. Auch die Ausführungen im Satz danach sind im englischsprachigen Original der Konvention weitreichender als in den Fassungen der Übersetzung ins Deutsche 13 : (a) To encourage and promote the participation * + of persons with disabilities in mainstream sporting activities * +. Das Verb to promote meint nicht nur, Menschen mit Behinderung zu ermutigen, wie es in der deutschen Übersetzung heißt, sondern es drückt aus, dass die Vertragsstaaten in der Pflicht stehen, Prozesse der Teilhabe begleitend zu unterstützen, zu fördern und strukturell voranzubringen. Hier kommt die grundlegende Perspektive der Konvention zum Ausdruck, in der es auch und vor allem darum geht, dass Menschen mit Behinderungen nicht wie noch in Zeiten einer Politik der Fürsorge 14 Angebote alternativlos zugewiesen werden, sondern grundsätzlich (für alle Lebensbereiche) die Möglichkeit zugestanden bekommen sollten, Strukturen selbst auswählen oder sich eben gegen solche entscheiden zu können, und gegebenenfalls Aktivitäten mit mehr oder weniger Assistenzleistung selbst organisieren zu können. 4. Fazit Die beschriebenen Ausführungen lassen sich zugespitzt formulierte in folgende drei Thesen zusammenfassen. Inklusion in und durch den Sport ist mehr als eine Absichtserklärung Der verbandliche Sport und die Strukturen des Vereinssports sind tendenziell weiterhin eher auf Exklusion ausgerichtet, mindestens aber verharren sie im Festhalten an der Differenz 12 Vgl. Stefan Kurzke-Maasmeier u. a.: Enabling Community, a.a.o., 25. Vgl. auch die Ausführungen zu Enabling Niches bei Georg Theunissen/ Helmut Schwalb, Einführung: Von der Integration zur Inklusion im Sinne von Empowerment, in: Helmut Schwalb/ Georg Theunissen (Hg.): Inklusion, Partizipation und Empowerment in der Behindertenarbeit, Stuttgart 2009, S. 11 36: 27. 13 Diese Interpretation des englischen Originaltextes stammt von Florian Kiuppis, vgl. dazu: Ders./ Stefan Kurzke-Maasmeier: Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvetion zum Thema des Bandes, in: Dies. (Hrsg) Sport im Spiegel der UN- Behindertenrechtskonvention, a.a.o., S. 25 40: 31f. 14 Vgl. Valentin Aichele, Die unabhängige Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland: Hintergrund, Ausrichtung, Wirkungszusammen-hang, in: Zeitschrift für Inklusion 2. 2010., zu finden unter: www.inklusiononline.net/index.php/inklusion/article/viewarticle/52/56. <6

zwischen dem Behindertensport und dem sogenannten regulären Sport. Es sind häufig allenfalls semantische Fingerübungen rund um den Begriff Inklusion erkennbar. Freilich gibt es auch positive Beispiele, etwa das Projekt LinaS (Lingen integriert natürlich alle Sportler), das gemeinsam vom Landessportbund und dem Behindertensportverband Niedersachsen getragen wird. Beide Organisationen haben überdies im Jahr 2011 angekündigt, zu einer inklusiven Organisation verschmelzen zu wollen. Auch der DOSB unterstützt mit seinem Innovationsfonds ab 2012 eine stärkere Öffnung von Vereinen für Menschen mit Behinderung und der Deutsche Behindertensportverband setzt auf die Wahlmöglichkeiten zwischen homogenen Behindertensportgruppen und inklusiven Sportangeboten. Das sind alles sehr gute Ansätze allerdings sind radikale Strukturreformen im Sport, die sich an den Normen der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren, noch nicht in Sicht. Weder volle noch halbe Inklusion Eine Vollinklusion im Bereich des Sports lässt sich tatsächlich nicht verwirklichen, das scheint jedoch auch nicht die Pointe der UN-BRK zu sein. Wenn eine Gemeinschaft der Gleichen im Sport nicht in vollem Sinne möglich werden kann, heißt das jedoch nicht, dass die Idee der Inklusion im Bereich des Sports keinen Platz hat, im Gegenteil. Der Run of Spirit im Johannesstift und in diesem Jahr erstmalig auch in Poznan zeigt sowie übrigens viele Andere Sportveranstaltungen auch, dass wir uns an einen inklusiven Sport annähern, ohne Inklusion als sozial- und bildungspolitische Norm in seinem ganzen Begriffsinhalt ausschöpfen zu müssen. Inklusion bedeutet zudem gerade nicht Integrationszwang und die Aufgabe von Unterschiedlichkeit im Gegenteil. Individuelle Autonomie beschreibt vielmehr auch das Recht, nicht integriert werden zu müssen. Inklusion und Teilhabe können dem Individuum nicht verordnet werden, es geht nicht um das Gleichmachen von Lebensentwürfen, sondern um gleiche Rechte, gleiche Chancen und die Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie des Einzelnen in seiner jeweiligen Unterschiedlichkeit. Es scheint so, dass dieses widerständige Element, das insbesondere in der Selbsthilfebewegung immer wieder formuliert wird, in der gesamten politischen wie wissenschaftlichen Debatte um Inklusion manchmal etwas zu kurz kommt. Inklusion ist ein Tätigkeitswort. Das bedeutet, dass nicht auf inklusive Verhältnisse gewartet werden sollte, sondern dass es Aufgabe von Politik und Verwaltung, von Sportverbänden, Wohlfahrtsträgern, Einrichtungen und Verbänden ist, in den unterschiedliche Sphären einer Gesellschaft und deshalb auch im Sport, das Wirklichkeit werden zu lassen, worum es geht: dass Menschen nicht nur dabei sind, sondern tatsächlich drin sind, und dass sie nicht nur teilhaben, sondern auch teilgeben, also sich selbst aktiv in der Gestaltung von politischen und rechtlichen Strukturen einbringen können. Die UN-BRK fordert dazu auf, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit haben, (behinderungsspezifische) Sportangebote selbst zu organisieren und zu entwickeln. Inklusionssport ist ein anderer Sport 15 Auch wenn ein starres Festhalten am Sonderbereich Behindertensport zu kritisieren ist, kann doch festgehalten werden: anders als in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft ist Behinderung im Sport nicht automatisch mit einer Defizitorientierung verbunden, denn der Behindertensport ist leistungs- und ressourcenorientiert. Aber damit Inklusion konkret Wirk- 15 Vgl. dazu vor allem: Christoph Hübenthal: Mehr als nur dabei sein Inklusiver Sport als moralische Aufforderung, in: Kiuppis/Kurzke- Maasmeier, Sport im Spiegel der UN-Behindertenrechtskonvention, a.a.o., S. 273 287. <7

lichkeit wird, muss das Bild des traditionellen Sports und damit auch des Behindertensports gründlich revidiert werden. Tatsächlich geht es um einen anderen Sport, mindestens aber um ein anderes Verständnis von Sport. Was kann das bedeuten? Sicher nicht die Neuerfindung des Sports denn die positiven Funktionselemente wie Spiel, Leistung, Gesundheitsförderung, auch Wettkampf und Gemeinschaft sollen und werden natürlich weiterhin Bestandteile eines inklusiven Sports sein. Aber vielleicht sind nicht ganz unbedeutende Veränderungen im Rahmen des bestehenden Systems denkbar. Wie variabel sind eigentlich Grenzen herkömmlicher Sportarten? Meines Erachtens braucht es vor allem kreative Weiterentwicklungen des Gewohnten. Wie Christoph Hübenthal vorschlägt, ist es konkret denkbar, inklusive Sportarten zu entwickeln, deren Bewegungsaufgaben so definiert sein müssten, dass physische Beeinträchtigungen keine behinderungsgenerierende Wirkung mehr entfalten und sich für die Bewegungsausführung demnach als irrelevant erweisen. 16 Desweiteren kann in manchen Sportarten der spielerische Aspekt ein größeres Gewicht beigemessen werden, als der Leistungs- oder Wettkampfgedanke. Dahinter steht die Frage, wie Reglements so zu erweitern und zu ergänzen sind, dass auch Menschen mit kognitiven Einschränkungen an sportlichen Unternehmungen partizipieren können. Überdies sind die gegenwärtigen Sportstrukturen auf Ihre Inklusionstauglichkeit zu prüfen. Damit sind sehr unterschiedliche Aufgaben und Fragen verknüpft: Sind Sportstätten, Sportereignisse und Sportvereine tatsächlich in einem weiten Sinne barrierearm oder gar barrierefrei? Sind Regelwerke für alle Menschen verständlich? Gibt es genügend Möglichkeiten einer vollwertigen Beschäftigung auch für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung in Sportvereinen und -verbänden? Sind Stadien und Sporthallen im Sinne des Universellen Design wirklich für alle zugänglich? In welcher Weise können Medien und die Sportberichterstattung noch stärker in die Bewegung des inklusiven Sports einbezogen werden? Von wesentlicher Bedeutung wird sein, dass Menschen mit Behinderung selbst mehr und mehr Gelegenheit bekommen, den Sport nach ihren Vorstellungen und Wünschen mitzugestalten und das heißt auch umzugestalten. Dafür ist das Bereitstellen geeigneter Angebote an Anleitung, Training und Ressourcen von eminenter Bedeutung, denn: Dabei sein, ist eben nicht alles. 17 Es ist noch ein langer Weg, der in kleinen und kreativen Schritten gegangen werden muss, um das Gesicht des Sport hin zu mehr Inklusion zu verändern: In den Köpfen der Akteure in Sport, Medien und Politik, in den Sportstrukturen sowie auch und vor allem in den Einrichtungen und Institutionen für Menschen mit Behinderungen. Mit anderen Worten: inklusiver Sport ist selbst ein Run of Spirit, ein Marathonlauf auf unwegsamem Gelände, der den Geist der Veränderung benötigt und dessen Ziellinie noch nicht sichtbar ist. 16 Ebd., 282. 17 Vgl. dazu auch Florian Kiuppis: Dabei sein ist nicht alles zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Sport, in: ICEP argumente 5/2010, S.1 2. <8