Stellungnahme zu den Sozialen Kernkriterien für die öffentliche Beschaffung

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Transkript:

Unabhängiger Monitoringausschuss zur Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen MonitoringAusschuss.at 19. Oktober 2012 Stellungnahme zu den Sozialen Kernkriterien für die öffentliche Beschaffung Der unabhängige Monitoringausschuss ist zuständig für die Überwachung der Einhaltung der UN-Konvention Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006 (ratifiziert mit 26. Oktober 2008; BGBl. III Nr. 155/2008) in Angelegenheiten, die in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache sind, und hat sich auf der Grundlage von 13 des Bundesbehindertengesetzes in Umsetzung der Konvention konstituiert. Dem weisungsfreien Ausschuss gehören Vertreter/innen von Nichtregierungsorganisationen aus den Bereichen Menschen mit Behinderungen, Menschenrechte und Entwicklungszusammenarbeit sowie der wissenschaftlichen Lehre an. Weiters gehören ihm mit beratender Stimme an je ein/e Vertreter/in des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz sowie des jeweils betroffenen Ressorts oder obersten Organs der Vollziehung. Allgemeines Der Ausschuss hat schon vor geraumer Zeit Fragen rund um die Konventionskonformität des österreichischen Vergaberechts aufgeworfen. 1 Bedauerlicher Weise hat die Reaktion seitens des federführenden und damit zuständigen Lebensministeriums ungewöhnlich lange auf sich warten lassen. Dies überrascht angesichts der bisher gelebten Praxis in der Zusammenarbeit anderer Ministerien mit dem Monitoringausschuss. Dem Ausschuss liegt das Dokument Soziale KernKriterien für die öffentliche Beschaffung im Entwurf vor. Dazu wird wie folgt Stellung genommen: Das Vergaberecht umfasst einen substantiellen Teil der Erwerbungen der öffentlichen Hand und damit auch erhebliche Summen Steuergeld. Daraus ergeben sich mannigfaltige Konsequenzen, v.a. aber jede Menge Verantwortung. Gerade auch im Bereich der Bewusstseinsbildung und der Unterstützung des Paradigmenwechsels des Menschenrechtsansatzes für Menschen mit Behinderungen, sowie des 1 Siehe Protokolle der Sitzungen von 04.10.2011 und 12.06.2012. 1

Empowerments von Personen mit Unterstützungsbedarf 2 Vergaberechts förderlich und hilfreich sein. können Vorgaben des Angesichts der Herausforderung, die die Umsetzung der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bedeutet, ist daher die Konformität des Vergaberechts mit den Verpflichtungen der Konvention zur Anpassung an deren (Norm-)Vorgaben, aber auch der Änderung von Praktiken und Gepflogenheiten (Artikel 4 Abs. 1) von substantieller Bedeutung. Gesellschaftspolitische, aber auch volkswirtschaftliche Kosten bzw. Nutzen Der vorliegende Entwurf zu sozialen Kernkriterien für die öffentliche Beschaffung überrascht mit seinem Begriffsverständnis von sozial : im Mittelpunkt stehen hier weniger die gesellschaftspolitischen Implikationen von Maßnahmen im Sinne von Ausgewogenheit und demokratiepolitisch gebotener Chancengleichheit sondern ein historisch überholtes Konzept der Beachtlichkeit von Randgruppen im Sinne des Wohlfahrtsstaates. Wobei hier auch die Frage der Gleichberechtigung der Bevölkerungsmehrheit Frauen als Randthema thematisiert wird. Die gesellschaftspolitischen und volkswirtschaftlichen Konsequenzen von Nichtbeachtung und Diskriminierung der Bedürfnisse sämtlicher Mitglieder der Gesellschaft werden entgegegen dem Titel weitestgehend ausgeblendet. U.a. heißt es: Allfälligen zusätzlichen Kosten steht allerdings ein höherer gesellschaftlicher Nutzen gegenüber. 3 Das ist gerade auch, aber nicht ausschließlich, in der Frage der Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu kurz gegriffen. Fakt ist, dass die gesellschaftspolitische Exklusion erhebliche auch und v.a. volkswirtschaftliche Kosten nach sich zieht. Die Überwindung der sozialen, kommunikativen, baulichen, institutionellen, aber auch anderer Barrieren kann, muss aber nicht, mit Kosten verbunden sein. Viele Barrieren können nämlich durch adäquate Planung im Vorfeld vermieden werden, wodurch nachweislich Folgekosten gespart werden und oftmals eine Ersparnis vis-a-vis exkludierenden Planungen eintritt. Es ist daher nicht nur der gesellschaftliche Nutzen, sondern gerade auch der volkswirtschaftliche Nutzen ein entscheidender Faktor, der für nicht-diskriminierende und barrierefreie Planung und Vollziehung spricht. Aus Sicht des Monitoringausschusses sind selbstredend die menschenrechtlichen Verpflichtungen unabhängig von Kosten-/Nutzenanalysen das ausschlaggebende Argument für eine drastische Nachschärfung der Vorgaben und Bestimmungen. Der Ausschuss regt daher dringend an, die menschenrechtliche Grundlage, sowie den daraus resultierenden Nutzen in den sozialen Kriterien stärker herauszuarbeiten. 2 Siehe dazu jüngst die Stellungnahme zu Unterstützter Entscheidungsfindung vom 21.05.2012 (diese und alle Stellungnahmen des Ausschusses http://www.monitoringausschuss.at/sym/monitoringausschuss/stellungnahmen) 3 Seite 3, Entwurf Soziale Kernkriterien. 2

Nicht-Diskriminierung Bei der Formulierung der sozialen Kernkriterien wurde darauf geachtet, dass sie zu keinerlei Diskriminierung im Rahmen des Beschaffungsprozesses führen. 4 Dieses Ziel wird im vorliegenden Entwurf nicht erreicht. Der Begriff der Gleichstellung wird synonym mit dem der Geschlechtergleichstellung verwendet. Zweifellos hat die Frage der Chancengleichheit für die Bevölkerungsmehrheit in der Umsetzung des Vergaberechts eine zentrale Rolle zu spielen. Es ist dies jedoch nicht der gesamtheitliche Anti-Diskriminierungsbegriff, der den Überlegungen im Vergaberecht zugrunde zu legen sein sollte. Erster Anhaltspunkt ist Artikel 7 B-VG: Alle Staatsbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. Ein umfassender Verweis auf Artikel 7 B-VG fehlt im vorliegenden Entwurf. Aus Sicht des Ausschusses wäre diese Bestimmung der erste und zentrale Anknüpfungspunkt für Gleichstellungsvorgaben. Aus den menschenrechtlichen Verpflichtungen Österreichs 5 u.a. Vereinte Nationen, Europarat und Europäische Union ergibt sich darüber hinaus die Beachtlichkeit der Nichtdiskriminierung nach Ethnie, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischen oder sonstigen Anschauung, nationale oder soziale Herkunft, Eigentum, Geburt, 6 sowie aus anderen Gründen, zb Behinderung, Alter, Nationalität, Familienstand, sexuelle Orientierung, Gesundheitszustand, Wohnort, ökonomische & soziale Situation. 7 Auch die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nimmt auf diese Diskriminierungsgründe Bezug, 8 und fügt dem obigen Katalog auch die Beachtlichkeit der indigenen Herkunft hinzu. 9 4 Seite 5, Entwurf Soziale Kernkriterien. 5 Beispielhaft: Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, BGBl. 590/1978. 6 (Artikel 2 (2) CESCR), BGBl 530/1978. 7 Siehe zuletzt die Interpretation des Fachausschusses zum Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte: General Comment, 20 Non-Discrimination in Economic, Social and Cultural Rights (art. 2, para. 2); E/C.12/GC/20. 8 Vgl. Präambel lit. p Konvention. 9 Wortlaut des PP lit. p: der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen, indigenen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt, des Alters oder des sonstigen Status ausgesetzt sind. 3

Die Konvention selbst enthält eine umfassende Nicht-Diskriminierungsklausel, 10 die auch die Versagung von angemessenen Vorkehrungen, 11 sowie die Beachtlichkeit von Mehrfachdiskriminierung und anderen erschwerenden Faktoren erwähnt. 12 Mit Ratifizierung der Konvention hat sich Österreich darüber seit dem Jahr 2008 hinaus verpflichtet, die Sicherstellung von angemessenen Vorkehrungen zu gewährleisten. 13 Eine nationale Regelung die für das Vergaberecht ebenfalls maßgeblich ist, ist das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG), das entgegen der Zusicherung von ExpertInnen, 14 in der Praxis nicht beachtet wird. Wie zur Bestätigung des bisher vom Monitoringausschuss aufgezeigten Versäumnisses wird das Bundes- Behindertengleichstellungsgesetz auch im vorliegenden Entwurf der sozialen Kernkriterien für die öffentliche Beschaffung nicht erwähnt. Strukturelle & soziale Faktoren Die Einschätzung, wonach das BGStG als geltendes Recht in der Beschaffung beachtlich ist und daher beachtet wird, widerspricht den bisher gemachten Erfahrungen des Monitoringausschusses und ist symptomatisch für das mangelnde Bewusstsein für die tatsächlichen, faktischen Barrieren, denen Menschen mit Behinderungen in Österreich tagtäglich gegenüberstehen. Ergänzend sei erwähnt, dass am 2 uli 2012 im Ministerrat der Nationale Aktionsplan 2012-2020 beschlossen wurde. Auch dort wurde als iel die Einhaltung von behindertengleichstellungsrechtlichen Standards und der Erfüllung des Kriteriums Barrierefreiheit im Rahmen öffentlicher Auftragsvergaben verbindlich vereinbart (Zielsetzung 1.2.2 sowie die Maßnahme 9 und 77). Der vorliegende Entwurf ist daher mangelhaft und widerspricht den vereinbarten Maßnahmen. Die Art und Weise, wie der vorliegende Entwurf mit der Inklusion für Menschen mit Behinderungen verfährt, muss bedauerlicherweise als Beispiel für den Satz, wonach man nicht behindert ist, sondern behindert wird, angesehen werden. Der Ausschluss 10 Demnach bedeutet Diskriminierung aufgrund von Behinderung" jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung aufgrund von Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass das auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennen, Genießen oder Ausüben aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, bürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird. Sie umfasst alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen; vgl. Artikel 2 Konvention. 11 Definiert als notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können, vgl. Artikel 2 Konvention. 12 Artikel 6 sowie PP lit. p Konvention. 13 Artikel 5 Konvention. 14 Vgl. Protokoll des Monitoringausschuss vom 12.06.2012. 4

von Menschen mit Behinderungen resultiert v.a. aus Vorurteilen, Stereotypen, überkommenen Vorstellungen und Fehlinformationen zu Behinderungen. Gemäß der Konvention sind es gerade diese sozialen Barrieren, die abgebaut werden müssen, um die faktische Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen möglich zu machen. Die Förderung eines zeitgemäßen Bildes von Menschen mit Behinderungen muss daher wesentlicher Teil politischer Handlungsvorgaben und damit der sozialen Kernkritieren sein. Darüber hinaus sind die strukturellen Probleme das Zusammenwirken gesellschaftlicher Konventionen, institutioneller Abläufe und ähnlicher Faktoren 15 beachtlich und müssen Lösungen für diese ausgewiesen werden. Umfassende Barrierefreiheit Wie der Monitoringausschuss schon an anderer Stelle ausgeführt hat, 16 jedenfalls sechs Dimensionen der Barrierefreiheit beachtlich: sind Physische Barrierefreiheit im Sinne der Ermöglichung von Mobilität, Kommunikative Barrierefreiheit im Sinne der Ermöglichung von Kommunikation für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen, non-verbale Menschen und Menschen mit Sprachschwierigkeiten, aber auch Menschen mit Lernschwierigkeiten, Intellektuelle Barrierefreiheit im Sinne der Zugänglichkeit von Informationen für Menschen mit Lernschwierigkeiten, zb durch Leichter-Lesen-Formate, Soziale Barrierefreiheit im Sinne des Abbaus von Vorurteilen, Stereotypen und anderen Einstellungen, die Inklusion verhindern, Ökonomische Barrierefreiheit im Sinne von leistbarem Zugang zu Angeboten der Verbesserung der Inklusion unabhängig von eigenen Ressourcen, Institutionelle Barrierefreiheit im Sinne des Abbaus von segregativen Strukturen in wichtigen Lebenswelten. Insbesondere die kommunikative, vor allem aber auch die soziale Dimension der Barrierefreiheit ist im vorliegenden Entwurf sozialer Kernkriterien für die öffentliche Beschaffung nicht wiedergegeben. Der vorliegende Entwurf verwendet den unzureichenden, da verkürzenden Begriff der ugänglichkeit. 17 Die Verwendung der multiplen Dimensionen des Barrierefreiheitsbegriffs wird dringend angeregt. Es sei auch darauf verwiesen, dass die soziale und kommunikative Barrierefreiheit vielen Menschen, vor allem sozialen Randgruppen, aber nicht nur diesen, zugute kommt. 15 Siehe zu struktureller Gewalt: Johan Galtung, Reinbek bei Hamburg 1975, Strukturelle Gewalt. Beiträge zur Friedens- und Konfliktforschung; siehe weiters Kathleen Ho, Structural Violence as a Human Rights Violation, Essex Human Rights Review Vol. 4 No. 2, September 2007, 1; s. dazu auch die Stellungnahme des Ausschusses zu Armut und Behinderung vom 30.07.2010. 16 Stellungnahme Förderungen, 22. Februar 2012. 17 Seite 6, Entwurf. 5

Beispiel aus dem Maßnahmenkatalog Beispielhaft wird hier auf den Katalog 2, Gruppe G Bezug genommen. Wie der Ausschuss bereits an anderem Ort dargelegt hat, 18 ist die konventionskonforme Beschreibung Menschen mit Behinderungen um sowohl eine allfällige physische Manifestation, v.a. aber die sozialen Implikationen des behindert Werdens, zu ergänzen. Die Einschränkungen, die unter Katalog 2 Gruppe G vorgenommen werden kann nur bei ausgewählten Dienstleistungen verlangt werden ist nicht nachvollziehbar, ungerechtfertigt und wird daher vom Monitoringausschuss als nicht menschenrechtskonform abgelehnt. Der Monitoringausschuss empfiehlt in diesem Zusammenhang nochmals die Konventionsprinzipien der Inklusion und Barrierefreiheit zu beachten. Partizipation Der Monitoringausschuss moniert, dass die Diskussion über die sozialen Kernkriterien der öffentlichen Beschaffung entgegen den klaren Verpflichtungen der Konvention 19 ohne Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und deren Vertretungsorganisationen stattgefunden hat. Die steht auch in Widerspruch zu den, vom Lebensministerium federführend mitentwickelten, Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung. Neben der Einhaltung der Konventionsverpflichtungen wäre dies auch ein entscheidender Faktor in der Gewährleistung adäquater Inklusion von Menschen mit Behinderungen und Barrierefreiheit in den Kriterien gewesen. Der Monitoringausschuss hofft, dass diese Konventionswidrigkeit rasch saniert wird. Für den Ausschuss Die Vorsitzende 18 Siehe zb Stellungnahme Einschätzungsverordnung, 3. Februar 2010. 19 Siehe dazu ausführlich die Stellungnahme Partizipation, 19. April 2010. 6